stadtarchäologie – von den anfängen bis heute

archäologie ist keine schatzsuche mehr, sondern ein fester bestandteil der stadtgeschichte. sie gerate bisweilen mit den heutigen interessen in konflikt. das sagte stadtarchäologe armand bäriswyl gestern abend von dem mittelalterverein thun, wo er über die lokale siedlungsentwicklung sprach.

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kantonsarchäologe armand bäriswyl und franz schori, präsident des mittelaltervereins, diskutieren mit dem interessierten die frühe stadtentwicklung von thun (foto: stadtwanderer)

aus quellen, die um 660 nach christus geschrieben wurden, weiss man von einer frühen siedlung am übergang des thunersees zur aare. der name thun mutet bis heute keltisch an (“dunum”), und der aufgefundene tempel in thun-allmendingen verweist darauf, dass zu römerzeiten im gebiet von thun ein siedlungszentrum gewesen sein muss.

wo die ältesten spuren der stadt thun zu finden sind, weiss indessen auch der beste stadtarchäologe des kantons bern, armand bäriswyl, nicht. er kennt aber das nachweislich älteste gebäude bisher – ein vorläuferbau der heutigen kirche, den er ins 10. jahrhundert zurückdatiert. aufgrund seiner erfahrung, dürfte die erste siedlung vom kirchberg bis zur aare hinunter gereicht haben.

die herzöge von zähringen bauten um 1200 herum den donjon des heutigen schlosses. “eine pracht, nicht unbedingt geeignet für einen hoftag, für eine heirat aber schon”, entlockt der selten schöne und gut erhaltene bau dem stadtarchäologen spontan. den bezirk zwischen kirche und schloss sieht er in dieser frühen zeit durch adlige aus der gegend und durch beamter des herzogs bewohnt. derweil lebten die normalen menschen weiter unten, nahe an der aare.

mit der ersten stadtweiterung im 13. jahrhundert bauten die kyburger thun entlang der ausfallstrassen bis an die heute noch sichtbare stadtmauer hinaus. mit der zweiten kyburgischen stadterweiterung entstand das quartier des heutigen bälliz. dort, wo heute ein zweiter aarearm die insel begrenzt soll im 13. jahrhundert die stadtmauer gewesen sein. im innern hatte der stadtzeil zwei häuserzeilen, unterbrochen von einem langezogenen marktplatz.

doch dann war schluss mit dem ausbau. zwischen 1400 und 1800 wurde das stadtareal kaum mehr erweitert. zwischen 1350 und 1450 sind innerhalb der stadtmauern wüstungen entstanden”, sagte bäriswyl. als ursache hierfür nennt er die pest. mit dem grossen sterben ging die bevölkerungszahl zurück und niemand mehr wollte an die stätten des schwarzen todes ziehen. die leeren häuser seien abgerissen worden, um keine abgaben mehr leisten zu müssen. die stadtgärten des 19. jahrhunderts sind für den stadtarchäologen keine inseln der unberühten natur, sondern der restposten der innern wüstungen aus dem spätmittelalter.

“archäologInnen”, sagte armand bäriswyl treffend, baggere so grob wie möglich, und sei so fein wie nötig, um sich aus den botschaften des bodens ein bild der vergangenheit zu machen. und er verschwieg nicht, dass er auch gerne im schlossberg baggern würde. “aber bitte nicht so, wie man das für das vorgesehen parking machen wolle”. da traf sich der fachmann mit dem präsidenten des einladenden vereins. “schauen wir mal, was der gemeinderat mit dem schloss und schlossberg macht”, beendete franz schori den vortrag. je nach dem, sei dann ein aufstand gegen die obrigkeit nötig, fügte er bei.

da sage da noch einer, archäologie sei, mit der zahnbürste scherben aufstöbern. nein, zeitgenössische archäologie ist ein teil der stadtgeschichte, die bis in die gegenwart reicht!

stadtwanderer

ohne unterbruch durch welten wandern und die zeit vergessen

mein zug kommt um 9 uhr 59 in lenzburg an. im einladungsmail steht, dass ich um 10 07 in der ausstellung sein werde. denn acht minuten braucht man wandernd bis zur ausstellung “nonstop” des stapferhauses.

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sibylle lichtensteiger vor der rückseite der schliessfächer für die uhren der besucherInnen ihrer ausstellung “nonstop”, bei der es um die geschwindigkeit unserer zeit geht

sibylle lichtensteiger hat mit ihrem team die expo des momentes konzipiert. schon beim empfang merkt man, dass sie tempo wegnehmen will. die gelernte historikerin begleitet mich in einen wartebereich. durch eine schleuse tritt man in den entschleunigungsraum – einer gelungenen mischung aus duschraum im zivilschutzbunker und orientalischer gartenoase. erfrischt werden soll hier das gemüt: zuerst hört man wassertropfen, mit denen man in der antike die zeit mass. dann wird heftig kommuniziert, um den takt vorzugeben, bis schliesslich unsere mobilität zum akustischen thema wird, die alles möglich erscheinen lässt.

“das sind unsere tempomacher”, erklärt meine führerin. und geleitet mich ohne verzug zum nächsten thema. man wähnt sich im regieraum einer fernsehstation, als sie ihre lieblingsclips auf sechs bildschirmen vorspielt. alle haben sind sie dem gefühl gewidmet, wie geschwindigkeit im alltag entsteht. da spricht der chefredaktor der pendlerzeitung “20 minuten” über konkurrenz im mediensystem, die es nötig mache, auf den bürger als journalisten zu setzen, der sich per zufall am ort des geschehens befinde und in noch weniger als 20 minuten seine bilder und eindrücke weltweit verbreiten könne. oder es sinniert der migros-manager für die convenience-linie über sensationelle wachstumsraten, die man damit erziele, die zeit vom einkaufen des essen bis zu seinem verzehr stets zu reduzieren.

wer meint, es gehe bei nonstop in diesem rhythmus weiter, wird überrascht. denn die besucherInnen werden beispielsweise auch in eine bar gelockt, wo es um lebensgeschichten zum thema zeit geht. statt einer nüsslischale bekommt man einen plattenteller serviert, und auf der drinkkarte kann man eine der vielen zeit-beschreibungen auswählen, die der geschichtenkeeper servieren kann. ich entscheide mich für die von kathrin nadler, der stadträtin von lenzburg, die aus der politik auszustieg, um ihre eltern in den tod zu begleiten. und da wird es persönlich, denn ich habe die beiden menschen, deren lebensende erzählt wird, gekannt, ohne je die muse zu finden, mich von ihnen zu verabschieden.

überhaupt, der mix an ideen ist es, der in der ausstellung nonstop gefällt. wer möchte, kann sein lebenstempo im psychotest bestimmen lassen. wer sich danach nicht gut fühlt, kann sich gleich an einen zeit-therapeuten wenden. wessen ding das alles nicht ist, kann im estrich die momente des glücks nachlesen, als die welt unserer zeitgenossInnen stillstand, oder im kino zusehen, wie kindergartenkinder mit viel, viel mühe scherenschnitte machen und behinderte falzprospekte fast unendlich langsam einpacken. und wer es gerne ganz neutral hat, lässt sich einfach von wissenschafterInnen in die sichtweisen der geschwindigkeit einführen, die physiker, sozologinnen und kulturschaffende betonen.

ganz am anfang des rundgangs werden allen besucherinnen gebeten, sich der gesellschaftlichen zeit zu entledigen, um zur eigenzeit zu finden. deshalb gibt man alle uhren, handies, fotoapparate und notebooks in einem schliessfach ab. selbstverständlich tat auch ich das. als mich sibylle lichtensteiger am ende der führung die berühmten acht minuten zum bahnhof begleitete, merkte ich, wie gründlich das auf mich gewirkt hatte.

denn ich habe mein eigene zeit in “nonstop” so intensiv erlebt, dass ich vergessen habe, meine fremde zeit am schluss wieder mitzunehmen. und so wandere ich seither, ohne unterbruch, ohne uhren durch die welt …

stadtwanderer

mischu – ein bote ergründet bern

mischu möchte, wie es in seiner familie tradition ist, bote des berner schultheissen werden. seit der schlacht von murten wacht adrian von bubenberg über die geschicke der aufstrebenden stadt. und genau zu ihm muss der jüngling, um einen mysteriösen brief abzugeben. hierfür eilt er so schnell, dass er seiner zeit vorausrennt, bis er in der gegenwart landet. als er innehält, merkt er, dass ihm vieles fremd ist: die metzger ums rathaus herum sieht er nicht mehr, dafür hat es fahrräder an hausmauern, von denen er nicht weiss, was man damit machen kann. und auch der stadtbach, der überall zugedeckt wurde, fehlt ihm so arg.

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vreni, eine alte frau an der brunngasse, der man nachsagt, eine hexe zu sein, weiss in dieser trostlosen situation rat. den brief, den er dem schultheissen bringen solle, möge er ohne furcht öffnen, rät sie mischu. da staunt dieser nur noch. denn er ist vom schultheissen unterschrieben und an mischu gerichtet. dem strebsamen botenkandidaten wird geraten, das tor der zeit zu suchen, um in das bern der bubenbergs zurückzukehren.

matthias zurbrügg spielt in diesem speziellen stadttheater für jugendliche nicht nur den mischu und das vreni. nein, er schlüpft in der folge auch in alle anderen rollen, wie er das schon beim “scharfrichter” und beim “totengräber” gekonnt machte. doch diesmal wendet er sich nicht an beliebige stadtwanderer und stadtwandererinnen, die sich eine oder zwei stunden von ihm durch berns altstadtgassen führen lassen, um sich der katastrophen der berner geschichte zu erinnern. denn die neueste inszenierung von mes:artrichtet sich an schulklassen. “gut ist es, wenn sie schon etwas von der geschichte berns gehört haben”, sagt christine ahlborn, die skriptverfasserin. im einmanntheater, wo sie auch regie führt, sollen sie nun einblicke in den mittelalterlichen alltag bekommen, fügt sie mir vor der aufführung bei, die letzte woche probeweise stattfand und 2010 für klassen in und um die hauptsadt angeboten werden soll.

wer sich entscheidet mitzuwandern, bekommt anschauliches geboten: der narr unter dem erker am haus von bartholomäus may wird zum leben erweckt, um ein hauch der renaissance in die münstergasse zu zaubern. die plattform neben dem münster findet zu ihren ursprünglichen verwendungszweck zurück, um als letzte ruhestätte nach der pest zu dienen. und unten an der junkerngasse wird man in das treiben des marktes verwickelt, der die junge siedlung an der aare erst zu eigentlichen stadt machte. das alles wird durch menschen erzählt gemacht, die ihr leben und sterben vor fünf- und mehrhundertjahren aufleben lassen, und den zuschauerInnen so mit einfachen worten, kleinen gesten und angedeuteten handlungen an authentischen orten einen kurzweiligen eindruck von stadt bern in der geschichte vermitteln.

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fotos: stadtwanderer

der schluss des stadttheaters ist fast schon geschichtsphilosophisch. denn die suche nach dem tor der zeit kommt nie an ihr ziel. geschichte ist immer erzählung, und diese hat immer auch eine vorgeschichte, die ihrerseits erzählt werden kann. und so weiter. doch das stück findet sein ende – und was für eines möchte man beifügen: der wer die geduld aufbringt, sich auf sein historie einzulassen, lernt seine kultur von grund auf kennen. das erfahren die staunenden zuschauer bei der nydeggkirche, dort wo heute die büste von berchtold v. von zähringen steht und wo einst seine mächtige burg über die aare wachte. mischu erzählt hier von der stadtgründung 1191, bevor der bote in spe zum noch viel grösseren erstaunen der anwesenden in den erhaltenen burgbrunnen stürzt, um bern definitiv zu ergründen …

stadtwanderer

menschenrechte sind wichtiger als religionen

zu allererst bin ich humanistin. dann araberin, schliesslich muslimin. und bei alledem bin ich frau. das sagt elham manea, erfolgreiche buchautorin über sich selber. und fordert eine aufklärung im islam, mit der die menschenrechte über die religion und ihre gesetze gestellt werden sollen.

0001853349_0001_170geboren wurde elham manea im jemen, studiert hat sie in kuweit, zur doktorin der politikwissenschaft wurde sie in den usa. in washington lernte sie auch ihren mann kennen, mit dem sie seit einigen jahren in bern lebt. tagsüber arbeitet manea an der universität zürich als dozentin, abends schreibt sie bücher. oder liest daraus.

der humanistische islam ist ihr grosses thema. am anfang, erzählt sie bei einer lesung in der bibliothek in hinterkappelen, wollten nicht einmal ihre verwandten mit ihr darüber sprechen. doch jetzt ist alles ganz anderes. manea vesteht sich als teil einer bewegung für einen aufgeklärten islam, der namentlich unter intellektuellen in europa und in den usa anhängerInnen gefunden hat. einmal jährlich trifft man sich in berlin zu einer konferenz, um die gemeinsamen positionen zu diskutieren.

ich will nicht mehr schweigen“, heisst ihr buch selbstbewusst, aus dem sie auf einladung der reformierten kirchgemeinde wohlen berichtet. entstanden ist es als aufschrei über die ermordnung des filmemachers theo van gogh, der sich kritisch mit dem islam in den niederlanden auseinander gesetzt hat.

schnell wird klar, was sache ist: die menschenrechte stehen im zentrum ihrer lebensauffassung. sie gelten universell. ihre geburtsstunde sei sehr wohl in europa, in der französischen revolution. doch sind sie in der heutige gültigen form durch die uno erkämpft worden. sie müssen überall durchgesetzt werden.

die menschenrechte lassen sich mit dem islam vereinen, sagt manea in bewusster abgrenzung zu vielen, die religionen unverändert über das universelle recht stellen. die schweizerin grenzt sich auch vehement gegen professor christian giordano ab, der vor jahresfrist vorschlug, für immigrantInnen muslimischen glaubens die scharia zuzulassen. in ihrer lesung erzählt sie deshalb auch das beispiel, wie die kanadische regierung 2004 genau das einführen wollte und wie sie die absicht nach protesten vor allem von musliminnen zurücknahm.

ihr humanistischer islam hilft manea auch, ganz praktische fragen zu beantworten. kopftücher für kinder sind falsch. bei erwachsenen gibt sie eine differenzierte antwort. frauen müssen das recht haben, sich selber für oder gegen das kopftuch zu entscheiden, ohne zwang ihres mannes oder erwartungen der familien. selber tritt sie ohne auf und findet, musliminnen in öffentlichen ämtern in der schweiz sollten das hier auch so handhaben.

die schweiz fordert sie auf, die menschenrechte hier und überall zu verteidigen. wo toleranz zu gleichgültigkeit führt, erreicht sie genau das gegenteil von dem, was sie will, fördert sie parallelgesellschaften, lässt feindbilder zu und spielt sie den religiösen extremisten in die hände, rüttelt manea die über 100 interessierten zuhörerInnen auf. eine stunde hören sie ihrer leisen stimme und ihren dezidierten worten staunend zu, bevor sie sich mit einem warmen applaus bei der buchautorin bedanken.

den stadtwanderer erinnert sich, auch schon stadtführungen zum thema des interreligiösen zusammenlebens gemacht zu haben und zum genau gleichen schluss gekommen zu sein. menschenrechte sind das einzig universelle, was wir haben, wenn wir in aller verschiedenheit aufgeklärt zusammenleben wollen. sie hochzuhalten ist die aufgabe unserer zeit.

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der totengräber (von bern)

fragt man nach den grossen momenten in berns geschichte, erhält man wohl die wahl berns zur bundesstadt der schweizerischen eidgenossenschaft im jahre 1848 oder die besatzung der stolzen patrizierstadt durch die franzosen von 1798 als typische antworten. vergessen gehen dürfte aber der wohl wichtigste einschnitt in der stadtgeschichte überhaupt: die pest von 1349. das könnte sich jetzt ändern.

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nach verschiedenen erfolgen mit historischen themen, die sie in berns gassen als grosse stadttheaterbühne aufführen, haben sich christine ahlborn (skript und regie) und matthias zurbrügg (schauspiel) von mes:arts nun an dieses bedeutsame thema heran gemacht. und eines kann man jetzt schon sagen: trotz des diffizielen themas tod, schaffen sie auch diese aufgabe mit bravour!

ihr “totengräber”, wie ihre neueste szenenfolge heisst, ist als stück abwechslungsreich und spannend, denn als person hat er in den eineinhalb stunden der aufführung alle hände voll zu tun: 60 personen starben in den schlechtesten tagen des jahres 1349 alleine innerhalb der stadt bern, die damals knapp 10’000 einwohnerInnen zählte.

dass es mitte des 14. jahrhunderts seit menschengedenken erstmals wieder soweit kommen konnte, hatte mit der pest aus dem chinesischen kaiserreich zu tun, die sich über handelswege ausbreitete, das schwarze und das mittelmeer erfasste, das rhonetal hinauf kam, zuerst genfs bevölkerung dezimierte, um sich danach in den städten und ländern des mittellandes ausbreiteten.

schneller noch als die bekannte katastrophe machte die kunde über die ursache der pest die runde, was zu vergessenen katastrophe führte: schuld seien die juden, glaubte man im adel und klerus von damals, denen die andersgläubigen stets ein dorn im auge gewesen waren. ausgewiesen wurden sie aus den städtischen gemeinschaften oder mit gewalt umgebracht. so steht das jahr 1348 unverrücktbar für einen judenpogrom, der zum bleibenden einschnitte im verhältnis der religionen hierzulande werden sollte.

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diese dramatischen umstände erlauben es matthias zurbrügg teils historisch abgestützt, teils frei fabulierend, die geschehnisse in der stadt bern behände in verschiedenen rollen schlüpfend als ein-mann-theater aufzuführen. famulus, der berater des schultheissen, die vieles über viele weiss, und einiges darüber hinaus für einige erfindet, ist seine zentrale figur. sie überredet den schultheissen, das geld der juden zu nehmen, um sich dann mit der verbrennung der kreditgeber und ihrer schuldbriefe auf dem scheiterhaufen von der pekuniären schuld zu befreien. sie ist es auch, die den leutpriester vom deutschorden anstiftet, gewalttätig gegen die andersgläubigen vorzugehen. doch sie ist es auch, die nach getanener arbeit miterleben muss, wie dieses sündenbockdenken die pest nicht verhindert, die durch die stadttore einzug hält und nun auch die christen sterben lässt, bis im wahrsten sinne des wortes alles am boden liegt.

matthias und christine wandern mit ihren zuschauerInnen vom berner rathaus auf den münsterplatz, durchziehen die herren- und münstergasse und enden nochmals auf dem münsterplatz. derweil tobt ein kampf zwischen gevatter tod, dem totengräber, den sterbenden, den lebenden und den überlebenden in der berner altstadt, dass es einen als zuschauer immer wieder schauert.

am ende der aufführung kommen alle ritter aus der stadt bern und ihrem umland, die vor angst geflohen waren, in die stadt zurück, um zu feiern, auf ermattete landbwohner überfälle zu verlangen, um sich nach der katastrophe wieder herrschaftlich zu behaupten.

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an diesem mittwoch war die urauffühungen des stückes. die herrliche abendstimmung trug zum guten gelingen bei, das vor allem durch die bewusste themenwahl und ortsangepasste umsetzung überzeugt. von nun an hoffen regiesseurin und schauspieler, jeden mittwoch um 8 soviel publikum wie bei der premiere zu haben.

und der stadtwanderer hofft, dass der schluss bis dann noch etwas verbessert wird. so gelungen die prägnante einführung des schrecklichen ereignisses in die stadtgeschichte unter der statue von herzog berchtold von zähringen im untersten stadtteil ist, so unvermittelt endet die erzähung auf dem münsterplatz. zu gerne hätte ich gehabt, dass man hier einen ausblick gewagt hätte …

… auf das spitalwesen der stadt, das nach der pest beispielsweise durch anna seiler entsteht und mit der “inseln” bis heute in direkter folge weiterlebt;
… auf die (vorübergehende) vertreibung der bubenbergs als schultheissen und die friedensschlüsse im westlichen mittelland, die eine annäherung der nun (vorübergehend) bürgerlichen stadt an die eidgenossenschaft im ganzen voralpengebiet erlaubte;
… auf die vom kaiser beförderte rückkehr des alten stadtadels, der sich mit wirtschaftsförderungsmassnahmen wie dem kaufhaus für die händler spofort und den lauben für das gewerbe etwas später wieder festsetzt und bis jetzt das stadtbild prägt;
… auf die öffnung der stadt für auswertige, lombarden, basler, schwaben, welche die gründerstadt wieder aufblühen lassen, sie kulturell beleben und mit den ideen der renaissance, der bautechnik und des buchdrucks in verbindung bringen
… auf den zerfall der autorität der katholischen kirche, die schutz versprochen, dafür juden umgebracht und trotz alledem die pest nicht verhindern konnte, bis dass die gärung in der kirche in der reformation endete,
… kurz, auf die entstehung der stadtkultur an der schwelle der neuzeit.

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sechs forderungen an die unternehmer nach der finanzmarktkrise

“Die Wirtschaftskrise hat eine Ordnungs- und Werte-Diskussion in Gang gesetzt, der sich die Arbeitgeber stellen müssen”, sagte der berner rudolf stämpfli am heutigen arbeitsgebertag in zürich. und überraschte seine kollegInnen mit sechs forderungen zum verhalten von unternehmen nach der finanzmarktkrise.

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rudolf stämpfli, in der sechsten generation druckereibesitzer in bern und republikanisch gesinnter unternehmer

stämpflis bericht 2009 als präsident des schweizerischen arbeitgeberverbandes wurde mit spannung erwartet. die übliche arbeitsmarktanalyse, gepaart mit einem streifzug durch die nationale sozialpolitik, enthielt dieses jahr eine ausführliche beschäftigung mit den ursachen und folgen der finanzmarktkrise. “Nach Jahren der einseitigen Oekonomisierung sollten wir uns wieder vermehrt um die ethischen Grundlagen der Marktwirtschaft und ihrer Einbettung in eine Gesamtorndung kümmern”, war einer der bemerkenswertesten sätze heute.

sechs forderungen formulierte der oberste schweizer unternehmer an die adresse seiner kollegInnen:

erstens, arbeitgeber müssen die konjunkturellen wellenbewegungen ertragen lernen; sie dürfen sie nicht immer gleich mit einer politik des billigen geldes oder staatlichern ankurbelungsmassnahmen glätten wollen.
zweitens, entscheidungsverantwortung in der wirtschaft darf nicht völlig an modelle delegiert werden; sie muss auch persönlich verankert bleiben.
drittens, arbeitgeber müssen entlöhnungssysteme so gestalten, dass der zusammenhang zwischen leistung, gewinn, verlust und entlöhnung gewahrt bleibt.
viertens, unternehmen müssen sich fragen, ob die forderung nach eigenkapitalrenditen von 15 bis 20 prozent mit einer gesunden entwicklung der volkswirtschaft kompatibel sind.
fünftens, die finanzindustrie darf nicht eigengesetzlich funktionieren, sondern muss wieder näher an die realwirtschaft geführt werden.
und sechstens, die vorstellung, die global players könnten sich vollständig von ihrer nationalen herkunft lösen und nur noch nach den regeln ihrer eigenen liga spielen, ist zu korrigieren.

stämpfli vertrat damit die position eines selbstbewussten unternehmertums, das selbstverantwortlich und gemässigt ist und aus den nationalen realitäten heraus agiert. er rief nach persönlichkeiten, die den wettbewerb in der marktwirtschaft nicht scheuten, dessen grenzen aber auch nicht verkennen würden. am schluss seiner ausführung zitierte er den liberalen nationalökonomen wilhelm röpke mit dem satz, dass es “eine Welt jenseits von Angebot und Nachfrage gibt”. stämpfli wandte sich dezidiert gegen die vorstellung des staates als aktiengesellschaft, denn: “Menschen, die auf dem Markte sich miteinander im Wettbewerb messen und dort auf ihren Vorteil ausgehen, müssen umso stärker durch die sozialen und moralischen Bande der Gemeinschaft verbunden sein, andernfalls auch der Wettbewerb aufs schwerste entartet.”

eine bemerkenswerte rede für einen arbeitgeberpräsident, meinte meine nachbarin, während anhaltend geklatscht wurde. übrigens; der berner stämpfli holten den arbeitgebertag 2010 von der hauptstadt der millionen in die hauptstadt der institutionen. das nächste jahr trifft man sich nicht mehr in zürich, sondern in bern.

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von speziellen vögeln in natur und politik

regierungsrat andreas rickenbacher, der oberste amtliche vogelschützer im kanton bern, ging kräftigen schrittes voraus. ihm folgten in üttligen die 80 gäste, die gekommen waren, um mit dem kantonalbernischen vorgelschutzverein das 20jährigen bestehen des vereins zu feiern – und eine eiche zu pflanzen!

nvwohlendie sektions- präsidentInnen des bvs’ umrahmen regierungsrat rickenbacher (mit panama-hut) und die kantonalpräsidentin theres keller (links des regierungsrates)

eine der zahlreich anwesenden sektionspräsidentinnen meinte während der wanderung, es sei ein wenig wie bei tostoj. zwei brüder dürften sich land nehmen, soweit sie wandern können; doch vor sonnenuntergang müssten sie wieder zurück sein. der erste bruder habe das land mit grossem schritt vermessen und nicht genug bekommen. der andere ging gemächlicher, er kam auch weniger wenit. am abend war er aber rechtzeitig zurück, während der andere, der seine kräfte nicht einteilen konnte, nichts bekam.

die vogelschützerInnen kennen dieses dilemma. einerseits wollen sie, dass wir all etwas gemächlicher gehen, damit wir uns mehr mit dem eigenen lebensraum beschäftigen; anderseits gehen die aktiven immer schneller und weiter, weil es auch nach 20 jahren fleissigster vereinsabreit noch viel zu tun gibt.

auch andreas rickenbacher gab ein beispiel für die aktuellen herausforderungen: ihm sei nicht entgangen, dass raubvögel zwischenzeitlich das stadtleben liebten. die urbane landschaft sei beispielsweise für falken, milane und bussarde geradezu ideal. hochhäuser seien wie felsen, friedhöfe böten platz für ruhige nistplätze, und vor allem der abfall sei im wahrsten sinne des wortes ein gefundenes fressen. das alles sei eine konsequenz der veränderungen in der landschaft, rief der regierungsragt den gästen zu, weshalb der kanton seit 2008 versuche, mit seinem aktionsprogramm “biodiversität” gegensteuer zu den unerwünschten folgen der urbanisierung zu geben.

theres keller, die präsidentin des bvs, doppelte nach: der berner vogelschutz sei vor 20 jahren entstanden, um die augen der ornithologen über das platzieren von nistkästen hinaus zu öffnen. ganzheitliches denken und handeln sei die devise der verbandsarbeit geworden, denn alles hänge mit allem zusammen: mensch und klima, wälder und biotope sowie vogel- und pflanzenwelt!

am ende der wanderung zur hecke, welche der organisierende natur- und vogelschutz wohlen in freiwilligenarbeit zum jubiläum erstellt hatte, pflanzten politiker und vereinsverantwortliche gemeinsam eine eiche, – ganz im sinne des zeitgemässen vogelschutzes: in seinem lebensraum soll man wurzeln schlagen, um ihn mehr zu pflegen, und in der öffentlichkeit müssen kanton, gemeinden, vogel- und naturschützerInnen mehr zusammenarbeiten, um unerwünschte entwicklungen insküftig vorausschauend zu lösen.

2057 werde die eiche einen mehr als einen meter dicken stamm haben, meinte ein baumpflaner, als das werk vollbracht war. das wird dann auch mein 100. geburtstag sein, – und wenn es mich dann noch gibt, werde ich nochmals an die gleiche stelle hinauswandern, um zu sehen, ob sich die speziellen vögel in natur und politik wunschgemäss entwickelt haben.

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es bleibt alles anders

keine leichte kost, die ich gestern in lenzburg vorgesetzt erhalten habe. aber ein anregendes menü, das man am rande der ausstellung “nonstop” geboten bekam. so rasend schnell, dass man am schluss glauben musste, was aufgetischt wurde. bis man selber darüber nachdachte. meine rekonstruktion nach einem nächtlichen zwischenhalt.

rosa180-1228816767das grosse thema der zeitdiagnose von hartmut rosa: zeit ist erdöl. er wird immer knapper und geht uns demnächst aus!

hartmut rosa gilt als der newcomer der deutschen soziologie. der lörracher, seit kurzem professor an der friedrich-schiller-universität in jena, sprach auf schloss lenzburg über das thema “vom rennen an ort und stelle”. damit nahm er das bunbestrittene lebensgefühl viele menschen der gegenwart auf, wonach sich alles immer schneller verändert, ohne das sich überhaupt etwas ändert.

die soziologische analyse des phänomens führte rosa zu drei thesen: erstens, der wandel seit der industriellen revolution hat uns durch technische instrumente unendlich viel zeitersparnisse gebracht, die uns aber insgesamt zu mehr leistung, nicht weniger aufwand geführt haben. zweitens, der soziale wandel lässt die gegenwart schrumpfen. alles veraltet schneller, während die möglichkeiten der zukünfte immer mehr den alltag beherrschen. drittens: die zeit, die man hat, wird immer knapper. wir haben immer mehr güter und dienstleistungen zur verfügung, dafür aber immer weniger zeit, sie alle zu nutzen.

hartmut rosa ortete drei zeittypische auswege auf dieser herausforderungen: alles schneller machen, keine pausen mehr einlegen, oder vieles gleichzeitig erledigen. selber sprach der deutsche während dem vortrag schnell und immer schneller. immerhin, derweil er erledigte keine emails und handy-anrufe! und er liess seinen vortrag vorbildlich durch posaunenklänge mehrfach unterbrechen.

sich selber und das publikum nahm er während des vortrages mehrfach auf die schippe. wir alle würden durch den wunsch nach freiheit bestimmt, durch den zwang der verhältnisse aber eingeschränkt. der freiheitswunsch der moderne gründe in der hoffnung, das leben vor dem tod beliebig erweitern zu können, kritisiert er. der zwang wiederum entstehe durch die verallgemeinerung der wettbewerbslogik. habe sie sich in sachfragen bewährt, zeige sie im sozialen ambivalenzen. wenn es um die zeit gehe, wirke sie sich verheerend aus. denn die erwartungen an uns als individuen nehmen so unerhört zu, sodass wir versagen müsste. “wir alle sind zu schuldigen geworden, wenn wir ins betten gehen”, rief der soziologe in den rittersaal zu lenzburg und haben, anders als im mittelalter keinen anlass mehr, das entschuldigen zu können.

deshalb sieht hartmut rosa drei folgen aufkommen: das anwachsen der depression, die vermehrung des surfens auf jeder neu autretenden welle und den rückzug in den religiösen fundamentalismus. diese befunde sassen!

leider blieb es aber dabei stehen. die fulminante diagnose, mit verve vorgetragen und mit humor vermittelt, blieb letzt unausgelotet. dafür nahm das referat nach den letzten posaunenklängen eine überraschende wende:die politik versage angesichts des beschleunigungstotalitarimus der gegenwart. mobilisiert worden seien die bürgerInnen durch das trügersiche versprechen der freiheit, die mit demokratischen spielregeln gestaltet werde. das alles brauch zeit, die uns aber niemand gibt. deshalb müsse demokratie scheitern.

so wundervoll der grosse bogen des soziologen rose über die zukunft der moderne begann, so platt endete er in in der gegenwart des vollständig verwirrten deutschen betrachters. mit rosa antworte ich rosa gelassen: es bliebt alles anders, als man denkt!

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Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005

vom sog. ende der umweltorganisationen

eine auswahl der ergebnisse zur zukunft des naturschutzes in der schweiz war am morgen schon in der presse zu lesen gewesen. am abend wurde das ganze auf einem podium im hotel bern, das zum 100. geburtstag der pro natura stattfand, diskutiert. was dabei herauskam, war erschreckend.

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hatte keinen leichten stand, otto sieber, zentralsekretär der pro natura , während der diskussion der umstrittenen gdi-studie “zukunft der natur”

die studie
wie es mit dem verhältnis von mensch und natur weiter gehen soll, wollte die bodenständigste unter den hiesigen naturschutzorganisationen zu ihrem jubiläum wissen. dafür beauftragte sie das gottlieb-duttweiler-institut, eine zukunftsstudie zu den umweltorganisationen im jahre 2029 zu machen.

nicole lüdi, die autorin aus dem migrospark in rüschlikon, fasste ihre thesen so zusammen: umwelt sei heute keine konstante mehr bindstrich deshalb werde die verarbeitung von umwelterfahrungen immer komplexer bindstrich das überfordere die meisten, weshalb es einfache bilder brauchen werde bindstrich solche böten heute beispielsweise die rezepte wirtschaft bindstrich in einer generation werde es keine naturschützer mehr brauchen, denn das geschäft werde ihre aufgabe bis dann restlos übernommen haben punkt.

das podium
vor lauter staunen hatten die meisten teilnehmerInnen im saal nur noch fragezeigen in ihrem kopf. ruhe bewahrten auf dem podium otto sieber, der zentralsekretär von pro natura, luc recordon, der waadtländer ständerat und sibyl anwander, die leiterin qualität und nachhaltigkeit von coop.

recordon war der meinung, dass wirtschaft, gesellschaft und umwelt einander bedingen würden, weshalb es sinn mache, dass deren organisationen zusammenarbeiteten. doch heisse das nicht, dass man dabei seine identität aufgeben solle. gewerkschaften seien gewerktschaften, und umweltorganisationen würden stets umweltorganisationen bleiben; sie müssten sich nicht wie wirtschaftsverbände verhalten, selbst wenn sie mit ihnen kooperierten.

anwander schüttelte es im innern nur so, als sie die zukunftsforscher immer weider sagen hörte, umwelt fände eigentlich nur im kopf statt. nein, meinte sie, umweltzerstörung ist real. in zwanzig jahren werde es, wenn man nichts ändere, keine fische mehr geben auf der ganzen welt, weshalb natur- und tierschutzorganisationen brauche, die solche katastrophen zu verhindern wüsten; sie sei bereit, daran zu arbeiten, dass auch konsumentInnen das verstehen könnten.

sieber schliesslich, der die zukunftsstudie bestellt halte, ging auf dem podium auf distanz zu den gdi-aussagen. seit den erdgipfel in rio 1992 sei allen beteiligten klar, es brauche eine sammlung aller kräfte, welche die erde erhalten wollten. alte polaritäten seien längst aufgebrochen worden, deren überwindung müsse nicht in zukuftsszenarien durchgespielt werden. er liess auch nicht gelten, dass es den naturschutz in 20 jahren nur noch als grün angehauchtes ökogeschäft geben werde. denn praktische und politische ökologie sei keine technik, sondern werde von menschen gemacht, die aus überzeugungen dafür schauen würden, dass es die richtigen gesetze geben und diese dann auch umgesetzt würde.

karin frick, chefforscherin am gdi, versuchte die studie ihres instituts auf dem podium vorerst noch zu retten. wenn reiche leute natur kaufen und so der zerstörung entziehen würden, dann sei das der beste praktische umweltschutz, für den es keine politik mehr brauche, meinte sie. doch sie merkte bald, dass auch diese botschaft nicht wirklich sass und schwieg sich den rest des abends aus.

die bilanz

schade für die geburtstagsfeier, dachte ich mir. die schweiz als reservat ägyptischer magnate, deren gefolgschaft hier sanfte ferien macht und geschichtsbücher über die romantik des naturschutzes an der schwelle des 20. zum 21. jahrhunderts liesst, blieb mir haften, als ich entsetzt den saal der geburtstagsfeier verliess, um

stadtauszuwandern.

e nacht lang füürland

sollte heute abend jemand in bern noch nichts vorhanben, erwartet ihn, erwartet sie unerwartetes. das nämlich ist das motto der museumsnacht 2009. 34 orte der erinnerung in der stadt bern öffnen sich zwischen 18 uhr abends und 2 uhr morgens fürs publikum, zeigen, was sie wissen, was sie beherbergen und was man schon immer sehen wollte.

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der bundesplatz ist das zentrum der aktivitäten. von hier aus kann alles, was weiter als einen spaziergang ist, mit öffentlichem verkehr erschlossen werden. zahlreiche oldtimerlinien stehen in die aussenquartiere zur verfügung. zudem verkehrt der legendäre rote pfeil zwischen bahnhof und westside.

die genau zahl der veranstaltungen kenne ich nicht. sie ist sehr hoch. es gibt führungen, ausstellungen, filme, musik, performances und bars für jung und alt. beliebt sind führungen durchs bundeshaus, zur jüngsten renovation, zur kunst am bau oder zu den geheimnissen der (sitz)bänke im bundesratszimmer. zu sehen sind aber auch ausstellungen zu schweizer erfindungen, zur berner psychiatriegeschichte oder zur nutzung von brachen in der stadt. spezielle events gibt es zu albert einstein, aber auch rosa luxemburg. und: nicht zu kurz kommen kann in einer museumsnacht die suche nach dem orient, die geschichte des brettspiels und anderes mehr.

am meisten freue ich mich auf die pulisierende “BernShow”, eine neue geschichte der stadt im 3-d-format. besuchen werde ich auch die prämierung des “nihilartikels” für das historische lexikon. und selbstverständnlich werde ich am neuen rundgang von mes:arts, diesmal mit dem gnomologen binsenstein, teilnehmen.

doch was schreibe ich mir da die finger wund: seht selber, was es alles gibt, und kommt, damit an der siebten museumsnacht in bern erstmals mehr als 100’000 eine nachtlang füürland in bern erleben. denn zum frühlingsanfang erwartete einem an der aare unerwartetes.

stadtwanderer

bern erleuchtet

es war die längste nacht des jahres. gerade richtig, um die neue website www.bernerleuchtet.ch zu lancieren.

impression von der gestrigen gut besuchten vernissage zur website www.bernerleuchtet.ch

1814 wurde london als erste europäische stadt im grossen masse erleuchtet. gaslampen wurden eingesetzt, um die innenstadt an der themse zu erhellen. bald schon folgten paris und berlin. in der schweiz war bern erste stadt, die 1843 nachzog. vor genf, vor basel und vor zürich.

wäre es nach willen des gemeinderates gegangen, hätten die wenigen privat betriebenen oellampen, die man seit rund 100 jahren hatte, genügt. man scheute die kosten, die die investition ins gas mit sich bringen würde. doch die gemeindeversammlung, mit dem neuen gemeindegesetz aus den 1830er jahren erwacht, setzte die prioritäten anders. sie verlangt, die sicherheit der einwohner zu erhöhen, die übersicht in den gassen zu verbessern, und dem fortschritt des lebens zu folgen.

den zusammenhang von technik und gesellschaft zu erhellen, ist die absicht der neuen website www.bernerleuchtet.ch, die gestern nacht ans web ging. initiantin ist die berner soziologin rosalina battiston. tatkräftig unterstützt wurde sie von trudi von fischer und marianne suter. gemeinsam hat das frauenteam die geschichte des gaslichts in bern aufgearbeitet, die relikte aus vergangenen nächten wunderbar fotografiert und das ganze mit lampenplänen aus dem elektrizitätswerk der stadt bern unterlegt. aus alle dem haben die drei eine tolle website gestaltet.

man wünscht sich, dass der hier aufgenommene gedanke weiter entwickelt wird. wie das licht der nacht unsere wahrnehmung der städte verändert hat und wie es sich auf die vögel und anderen tiere auswirkt. licht als schutz, licht als schmutz ist ja gerade heute wieder eines der bewegenden themen.

im französischen nennt man die aufklärung le siècle des lumières. sie bereitete unsere sichweise auf die welt neu, entmystifzierte ihren zauber, rationalisierte aber auch unsere ängste mit ihr. der aufklärung folgten die bürgerlichen revolutionen, die bürgerlichen revolutionen wiederum brachten das licht der nacht.

frei nach immanuell kant könnte man sagen: das licht der nacht ist das heraustreten des menschen aus seiner selbstverschuldeten dunkelheit … in die selbsterzeugte helligkeit.

stadtwanderer

politische kultur auf dem bundesplatz

marianne binder, die mediensprecherin der cvp, erschrak förmlich, als sie doris leuthard, ihre bundesrätin, auf der bühne mit violettem haar erblickte. gefärbt? zum feminismus übergelaufen? o gott, wie erkläre ich das dem wahlvolk, schien sich die kommunikationschefin der schweizerischen zentrumspartei, ganz in schwarz gekleidet, zu fragen.

ich konnte sie beruhigen. auch die fotografen rund herum hatten einen violetten schimmer selbst auf der glatze. die einheitsfärbung konnte als nur von der beleuchtung auf der bühne rühren. politisch war das also nicht gemeint.

dennoch ging es auf dem bundesplatz um politik – verpackt mit kultur: “rock für eine offene schweiz” war angesagt, mit dem die mitteparteien cvp, evp und grünliberale ihre kampagne für die verlängerung und erweiterung der personenfreizügigkeit mit der europäischen union lancierten.

doris leuthard machte den anwesenden auf dem bundesplatz viel mut. die berliner mauer sei längst gefallen; jetzt müssten endlich auch die mentalen mauern in der schweiz fallen, meinte sie fordernd. die realen grenzen seien schon längst verschwunden, meinte das jüngste mitglied des schweizer bundesrates. nestlé, einstein und yakin stünden in wirtschaft, gesellschaft und sport für die fähigkeit der schweiz, anstösse von aussen aufzunehmen, kreativ weiter zu entwickeln, und produkte, ideen und begeisterung in die welt zu senden.

vor der bühne auf dem bundesplatz war die begeisterung ob solche kecker worte gross. fast schon wie ein popstar wurde doris leuthard von jungen fans bejubelt. das zeigte, dass politik auf diese art vermittelt, unter die haut geht und menschen anspricht, die keiner parlamentsdebatte folgen würden.

für stimmung gesorgt hatte gleich zu beginn die schülerband fireball, die gekonnt ac/dc-musik imitierte. das publikum vermehrte sich unter ihren klängen rasch, auch wenn die einen anderen überrascht waren. dem vernehmen nach zitterten ob der schrillen lautstärke der jungster selbst die zahlreich aufgeblassenen cvp-ballone.

das cvp-fussvolk wagte sich nicht ganz soweit nach vorne, um den heissen sound zu hören. es bevorzugte ast schon symbolisch die mitte des bundesplatzes, während die parteiprominenz wie alt-bundesrat, fraktionschef urs schwaller und bundeskanzlerin corinna casanova eher bei den verpflegungsständen im hinteren teil gesichtet wurde.

am ausgelassensten waren bei diesem politischen kulturfest für eine europäische schweiz die angereisten cvp-lerInnen aus genf. unter enthusiastischer führung ihrer parteisekretärin sonja gatti schwangen sie ganz schön selbstbewusst cvp-fahnen, sodass man sich ein wenig wie auf den alpen, ein wenig wie an einem partei-fest und ein wenig an einer farbenfrohen party mit einigen tausend gäste wähnte, die allesamt für stimmung sorgten, welche die kampagne für die personenfreizügigkeit tragen soll.

ein hauch postmodernität fegte resp. fegt über den ehrwürdigen bundesplatz. bis um 20 uhr notabene, denn der höhepunkt mit baschi auf der bühne folgt noch. ob auch er in violett erscheint, kann jede und jeder selber überprüfen, wenn er oder sie das fest besucht … wie der live-blogger.

stadtwanderer

stell dir vor, es ist wahlkampf und …

die situation war typisch: am samstag morgen begegnete ich bern dem bürgerlichen trio, das sich für den berner gemeinderat, die stadtexekutive, bewirbt. barbara hayoz, beat schori und reto nause waren mit dem elektrovelo unterwegs, hatten vor der münstergasse parkiert und führten vor dem fleischmarkt nette bürgergespräche. doch, so fragte ich mich: ist das der wende-wahlkampf, den man in der bundesstadt erwartet hatte?


the making of the campaign: die bürgerlichen herausforderer der rotgrünen mehrheit beim wahlkämpfen: barbara hayoz (fdp), reto nause (cvp) und beat schori (svp) rund um den umstrittenen poller (foto: stadtwanderer)

das selbstbild der wahlkämpferInnen
reto nause kam als erster gleich auf mich zu. mit einem flyer lud er mich zu einem selbstorganisierten konzert ein. toll!, denke ich mir. doch ist das wahlkampf?, fragt meine innere stimme.

die diskussion entspann sich denn auch nicht darüber, sondern über die bankenkrise. gerade mal drei stunden vor der öffentlichkeit sei er, der cvp-general, von cvp-bundesrätin doris leuthard über den rettungsplan der bundesrates für die ubs informiert worden. dann sei hektik ausgebrochen.

am abend eines solchen tages führt der politprofi nause noch einen wahlkampf à la bernoise. donnerstags und freitags des nachts resp. samstags den tagüber ist man gemeinsam unterwegs. die freizeit schwindet. die persönliche belastung sei hoch, weiss der sonst stets aufgestellte reto nause fast ein wenig zu klagen.

das fremdbild des wahlkampfes
trotz all dieser anstrengungen kann man sich von aussen des eindruckes nicht erwehren, es gäbe in bern gar keinen wahlkampf. weder hüben noch drüben.

um am 30. november 2008 im stadtpräsidium, gemeinderat und stadtparlament die mehrheiten zu kippen, starteten die bürgerlichen anfangs jahr entschlossen die wende-kampagne. dann kam die ernüchterung mit dem knatsch innerhalb der fdp wegen der nicht-wieder-nominierung von stephan hügli, und 6 wochen vor dem tag x fragt man sich, was aus alledem geworden ist.

obwohl es themen zu hauf gibt, will einfach keine wahlkampfstimmung auf berns strassen (und auf internet) enstehen. bern droht der abstieg als stadtregion in die regionalliga, ohne dass man auswege zwischen den parteien verhandelt. die eingemeindung rund um die stadt herum wurde zwar auf die traktandenliste des stadtparlamentes gesetzt, doch mag sich aus lauter herrje jemand zu vergraulen niemand vor. und als interessierter bürger liest man überall die standpunkte pro und kontra neue strassencafes, obwohl sie in der heutigen form alles illegal sind.

kommt die wende im wende-wahlkampf noch?
barbara hayoz, möglicherweise unsere erste stadtpräsidentin, lächelt in realität weniger als auf dem plakat. statt freisinnig inspirierte bärenmutter spielen zu können, sammelte sie mitten im profilierungswahlkampf geld für ihren bärenpark, der eines geologengutachtens wegen 50 prozent mehr kosten wird als angenommen. und beat schori scheit ein zuverlässiger gradmesser für seine svp zu sein, wirkt er doch gleich wie die mutterpartei durch die selbstgestellte, aber nicht beantwortete frage, ob man eine regierungs- oder oppositionspartei sei, paralysiert.

aufwühlende stimmungslagen wie nach den ausschreitungen vom 6. oktober 2007 gibt es in bern schon längst nicht mehr. bern bashing ist keine plattform mehr, um sich zu positionieren. das erbe hiervon angetreten hat stephan hügli, der dissidente fdp-ler auf dem posten des polizeichefs ohne polizei. und bekommt den eindruck, er störe bis zu seinem abgang nur noch. doch damit dürfte es sich in sachen veränderungen bei den berner exekutivwahlen haben.

reto nause scheint der einzige nicht desillusionierte wahlkämpfer zu sein. für ein bild auf dem stadtwanderer organisiert er spontan seine bürgerlichen mitstreiterInnen auf den velo hinter dem poller, den man, würde man endlich regieren können, abschaffen würde. bis es aber soweit ist, schützt er auch das bürgerliche trio vor rasanten durchfahrten in der stadt.

ob es soweit kommt ,ist angesichts der angestrengten suche nach einem politischen wahlkampf fraglich. so bleibt ohne wende im wende-wahlkampf nur die frage, welcher bürgerliche nebst barbara hayoz anstelle von hügli neuer gemeinderat wird: schori oder nause?

auf zum konzert!
immerhin, ich habe ein ticket für ein konzert, organisiert von cvp, evp und glp bekommen. reto nause will das selber singen. diese stimme ist also sicher, und ich werde im publikum miteinstimmen. politisch kann ich mich in bern sowieso erst äussern, wenn ich in meinem aussenquartier eingemeindet sein werde!

stadtwanderer

die rote tramfront

“eine tramlinie mehr durch die altstadt, dann wir haben die rote tramfront”, sagt regula rytz. fast glaubt man, die frühere gewerkschafterin hätte rote volksfront sagen müssen, denn die gemeinderätin für alle fragen der mobilität in bern ist mitten im wahlkampf, indem die rot-grüne mehrheit in bevölkerung, parlament und regierung verteidigt werden soll.


quelle: flickr

doch das wäre ein versprechen in die falsche richtung gewesen, muss man sagen, wenn man politikerin des rotgrünen bündnisses auf ihrer eigenen stadtwanderung reden hört. verkehr, umwelt, hochwasser, klimawandel und energie sind ihre themen, wenn sie nach einer aufreibenden gemeinderatssitzung eine gruppe freiwilliger durch berns altstadt und matte führt und sich dabei als konsensorientierte, pragmatische politikerin profiliert.

ohne aufregung erläutert die exekutivpolitikerin – mit talent zu mehr als es für eine gemeinderätin nötig ist- , warum sie für mehr poller beim zytgloggen und gegen weitere strassenkaffees in der oberen altstadt ist. wer der wachsenden zahl an touristInnen in der bundesstadt etwas bieten will, muss den verkehr beruhigen, und wer eine normales durchkommen auf berns strasse gewährleisten will, kann nicht jeden individuellen anspruch auf den öffentlichen boden tolerieren, sind ihre faktenreich belegten antworten.

dabei scheut regula rytz nicht, gewinnend auch ihre lebensgeschichte einzuflechten. denn als studentin haben sie in einem keller in der matte gelebt, erläutert die thunerin, in einer wohnung, die ihr bruder umgebaut habe. über hochwasser habe sie sich damals keine gedanken gemacht, bekennt sie offenherzig.

heute ist das anders: 10 millionen schweizer franken hat die gemeinderätin für den unmittelbaren bevölkerungsschutz einerseits, anderseits für studien, was längerfristig kommen soll, in der matte ausgegeben. 70 oder 120 weitere millionen werden in den kommenden vier jahren durch ihre handschrift beantragt werden, wenn sie wiedergewählt werden wird. denn entweder gibt es ihrer meinung nach einen sicherheitsstollen unter der altstadt hindurch, oder eine quaimauer, um weitere übertretung der aare oder des grundwassers in der matte zu verhindern.

auf einige ihrer bisherigen erfolge in der altstadt ist sie jetzt schon stolz. 4 von 5 stadtbernerInnen haben ein abo für den oev. soviele wie nirgendwo, sagt sie mobilitätsdirektorin. 44 prozent der einwohnerInnen berns besitzen zudem kein eigenes auto, – auch das eine rekordverdächtige zahl. besser noch: seit der grundsatzentscheidung von 1997 über den verkehr in der innerstadt, habe sich die zahlen konstant verbessert, oder auf hohem, positivem niveau gehalten. ohne dass die berner und bernerinnen weniger mobil geworden wären, fügt sie keck bei, sodass es grüne fundis schaudern dürfte. das zeige, dass die durch sie gewollte förderung des öffentlichen verkehrs in der kernstadt funktioniere, ohne die menschen einzuengen, schliesst die direktorin für tiefbau und stadtgrün dieses thema ab.

ausser es gäbe eine weitere tramlinie durch die stadt, ohne dass dem bus eine neue traverse zwischen bahnhof und nydeggkirche eröffnet wird. denn dann gäbe es die rote tramfront in bern tatsächlich, durch die keine fussgängerInnen mehr die strassenseite wechseln könnten. “das stimmt so nicht”, widerspricht einer ihrer mitwanderer. denn die berner trams seien schon lange nicht mehr rot, hätten vielmehr alle farben mit viel werbung drauf. “die teilweise dümmlich ist”, fügt die femistische gesellschaftskritikerin rytz bei; sie habe bern mobil bereits schimpfis erteilt.

das wiederum freut den stadtwanderer, der mitgegangen ist, um einen hauch des unprätentiösen wahlkampfes in der bundesstadt zu erleben und dabei erfahren hat, dass unter den verkehrsteilnehmerInnen in bern nichts so beliebt ist wie der fussmarsch.

dann bin ich mal gespannt, ob unsere oberste verkehrsfrau wiedergewählt wird, ohne dass eine rote tramfront ihre grüne basis verärgern wird!

stadtwanderer

locker, ganz locker bleiben!

jean-christophe hatte seine helle freude, so locker wie ich gekleidet war. unser lehrer aus dem französischen biarritz bemerkte mein berret sofort. als er die marke sah, war er gleich hin: “chantaco“, so heisse die gegend, ganz im südwesten frankreichs, aus der er selber stamme. da lebe man ganz locker, erklärt er mir in seinem leicht gebrochenen deutsch aus der migros-clubschule. aus dem häuschen war er dann, als ich meinen pullover auszog und im roten lacoste-hemd vor ihm stand. “rené” der firmengründer der fashion-line, fügt der franzose spontan an, “war eine guter tennisspieler aus frankreich, der simone de la chaume geheiratet hatte, die gründerin des golfplatzes von biarritz!”

in der tat: ich war gestern in münchenbuchsee, auf dem dortigen golf-platz. nicht allein, sondern mit meinen mitarbeiterInnen. betriebsaufsflug, mit einem schuss atlantischer ferienstimmung!

jean-christophe ist da der held des übungsplatzes. tausende von bällen fliegen da täglich unter seiner ägide über die grüne wiese, die einen länger, die anderen kürzer. markierung helfen einem abzuschätzen, wie weit man kommt: 100, 200, 300 m. letzteres schaffe tiger-woods, der übervater der zeitgenössischen golfer mit einem schlag ganz locker, meint jean-christophe. dann zeigt er uns, wie man auf anhieb wenigstens 30 meter weit kommt!

beine gespreizt, analog schulternbreite, locker, leicht in die knie gehen, ganz locker, ebenso leicht vornüber geneigt stehen, wirklich ganz locker bleiben, beginnt er seine anleitung. der körper soll sich drehen, die hüfte den schwung verstärken, während der linke arme geradeaus in den schläger übergeht. am schluss bitte ausdrehen. und immer alles ganz schön ocker, ist die devise von jean-christophe.

das ganze sieht beim golflehrer auch gekonnt aus. doch das nährt die ängste, die durch meinen kopf schiessen umso mehr: dass der weisse ball liegen bleibt, dass sich der schläger in den boden rammt und dass ein fetzen rasen 3 meter weit fliegt … selbstverständlich alles zur ganz lockeren unterhaltung des publikums!

die individuellen erfolge auf dem übungsplatz stellen sich allerdings einiges schneller ein, als man denkt. meinen besten ball veranschlagt jean-christophe – ganz locker – auf 100 meter. immerhin, denke ich mir, dass ist schon so viel wie ein drittell von tiger woods …

eines habe ich an diesem lauschigen nachmittag gelernt: golf ist spannung und entspannung zugleich! die umgebung lädt zum wandern ein; das finde ich ganz sympathisch. und der sport fördert die fehlende rückenmuskulatur, merke ich abends im bett. kein schlechter tag, resümiere ich da das erlebte, bevor ich — ganz locker und mit einem schlag — 3000 meter tief in mein kissen versinke.

stadtwanderer

der anruf aus hinterkappelen (ein haarsträubender fall für philip maloney)

ich sass in meinem bürostuhl, als das telefon klingelte. die füsse hatte ich dem pult, während meine lippen am wiskyglas klebten. so ist das, wenn man schon länger ohne arbeit ist.

bibliothek hinterkappelen feierte ihr 20 jähriges bestehen (foto: stadtwanderer)
bibliothek hinterkappelen feierte ihr 20 jähriges bestehen

erwartungsvoll hob ich den hörer und sagte einfach “ja”.
– “ist das maloney?”, fragte eine frauenstimme, die ich gerne kennen gelernt hätte.
– “ja”, erwiderte ich, denn das ganze machte mir sofort den eindruck, sich zu einem lukrativen auftrag entwickeln zu können. deshalb schob ich nach: “philip”.
das wiederum hatte ich in einem kurs der regionalen arbeitsvermittlungsstelle gelernt, zudem man mich verknurrt hatte, als ich die letzte steuerrate, die angesichts der schlechten konjunktur in unserer branche übersetzt hoch ausgefallen war, nicht wirklich bezahlen konnte. da hatte man mir gesagt, ich sei jetzt eine ich-ag, und ich müsste versuchen, bei möglicher kundschaft für meine dienste sofort vertauen zu schaffen.
– “mein name ist stadler, marie-louis stadler”, tönte es weiblich-interessant aus dem apparat. das bewies mir, das man sich näher kam.
– “schön, und was kann ich für sie tun?”, fragte ich nach. das machte schon früher so, als ich noch nicht staatlich ausgebildeter arbeitsloser detektiv war. denn hie und da hatte auch das zu aufträgen geführt.

schauspieler michael schacht leiht philip maloney seine unverwechselbar gewordene stimme (foto: stadtwanderer)
schauspieler michael schacht leiht philip maloney seine unverwechselbar gewordene stimme (foto: stadtwanderer)

– “ich möchte sie engagieren, maloney!”
umgehend war ich überzeugt, dass mein unwiderstehlicher köder in der amtlichen anordnung gewirkt hatte.
– “um was geht es denn?”, versicherte ich mich, um nicht ungesehen in einem unlösbaren fall zu rasseln.
– “ich bin bibliothekarin”, bekam ich fast schon einladend zur antwort. das befügelte meine phantasie sofort: ein fall für mich, sagte meine innere stimme, denn seit meiner jugend habe ich alle kriminalgeschichten mit privatdetektiven gelesen, welche die gesamte weltliteratur bietet. das hatte es mir erlaubt, mich so zu positionieren, wie das seit neuestem auch bei uns heisst, dass mir kein kollege in die quer kommen würde. genau genommen, hatte mich das zwar nicht reich, aber berühmt gemacht. den maloney zu engagieren, ist seither eine geschichte für sich.
– “und wo steht ihre bibliothek?”, erkundigte ich mich. denn ich wollte wissen, mit welchem studienkollegen aus den zwei semester, in denen ich juristerei studiert hatte, ich kontakt aufnehmen sollte. die meisten waren heute bei der presse – nicht unbedingt mein fall – und die musste ich unbedingt für mich beginnen. eine reportage in der lokalzeitung erhöht die aufmerksamkeit und kann das geschäft eines privatdetektiven beleben.
– “in hinterkappelen”, erhielt ich unvermittelt zur antwort.
meine hirnzellen, die den gestrigen abend an der bar überlebt hatten, wurden ohne verzug aktiviert.
– “das ist zwischen bern und wohlen”, konterte ich nach einer kleinen kunstpause. “da kann man gut rudern, auf dem wohlensee jedenfalls”, schob ich nach, um ins gespräch zu kommen. denn in gedanken versuchte ich mir vorzustellen, wie der huber heute aussehen mochte. “örsu”, hatte er sich immer vorgestellt, wenn er zum bier in die studentenkneipe kam. heute ist er, wie ich weiss, chefredaktor bei der bümplizwoche. sollte ich nicht nur ins gespräch, sondern auch ins geschäft kommen mit der frau stadler, würde ich den huber gleich kontaktieren, ihn für meine person interessieren und ihn bitten, meine telefonnummer gleich neben dem foto von mir zu plazieren. zwei oder drei anfragen müssten schon herausschauen, um die horrenden rechnungen für das hotelzimmer bezahlen zu können, das ich mieten würde, um den fall der bibliothekarin zu lösen.
– “und was geht schief in ihrer bibliothek?”, trieb ich das acquisitionsgespräch nun auf die spitze.
– “nichts, gar nichts”, antwortete die dame. ihre stimme, die mir schon so vertraut gewesen war, bekam eine ungewohnt helle färbung.
ich zuckte zusammen, legte das wiskyglas, das ich immer noch in der linken hand hielt, zur seite und hiess meine füsse, wieder am boden platz zu nehmen.
– “was führt sie dann zu mir”, widerholte ich, den grad der verbindlichkeit unserer beziehung, die sich so gut angelassen hatte, mit der tiefe meiner stimme betonend.
– “unsere bibliothek ist sehr erfolgreich. und jetzt soll etwas unerwartetes passieren”, liess mich frau stadler wissen.

schriftsteller roger graf erfand in den letzten 19 jahren an die 300 haarsträubende fälle, die sein maloney zu lösen hatte (foto: stadtwanderer)
schriftsteller roger graf erfand in den letzten 19 jahren an die 300 haarsträubende fälle, die sein maloney zu lösen hatte (foto: stadtwanderer)

– “unerwartetes?”, fragte ich nach, während mein herz schneller klopfte, erste schweissperlen meine stirn schmückten und meine füsse eilends die herumliegenden schuhe suchten, um sich, wie immer etwas gequält, darin aufzumachen.
– “ich kann den intercity von 3 uhr am hauptbahnhof erwischen, wenn ich alles gebe. dann bin ich kurz vor 5 in hinterkappelen. reicht das?”
– “wunderbar, unsere bibliothek wird nämlich heute 20 jahre alt. und das wollen wir feiern. zu gerne hätte ich eine lesung mit roger graf und michael schacht organisiert. man kennt sie in hinterkappelen vom radio. doch ich kann die beiden, die jung und alt jeden sonntag mit ihren kriminalgeschichten erfreuen, nicht ausfindig machen. da habe ich gedacht, das ist ein fall für maloney.”
wirklich widersprechen konnte ich bei der stringente logik meiner neusten mandatin nicht. und so resümierte ich für mich: einen tag in bern, kein fremdes hotelzimmer, nicht schlecht! kontakt zu huber, dem kollegen aus studentenzeiten, ganz gut! und werbung auf der frontseite der bümplizwoche, ohne eine einzigen fall lösen zu müssen, genial!
– “sie können mit mir rechnen”, sagte ich marie-louise stadler. ich werde in meine geheimsten datei nachschauen und sie informieren. notfalls bringe ich das gewünschte gleich selber mit. schauen sie, dass es ein paar leute hat, wenn die jungs in ihre bibliothek kommen, um das haarsträubende missverständnis des philipp maloney zu lösen. so geht das!

stadtwanderer

marie-louise stadler, michael schacht und roger graf haben sich tatsächlich in hinterkappelen getroffen (foto: stadtwanderer)
marie-louise stadler, michael schacht und roger graf haben sich tatsächlich in hinterkappelen getroffen (foto: stadtwanderer)

roger graf und michael schacht treten heute, dem 24. august 2008, um 17 uhr an der 20-jahr-feier der bibliothek in hinterkappelen auf. ihr “philip maloney”, selber erst 19, freut sich, das publikum jeden alters zu beglücken.

der stedtlibrand

in aarberg ist die welt noch in ordnung. eine stadt ist man nicht, nur eine kleinstadt. und städtli nennt man sie nicht, sondern ganz im regionalen dialekt stedtli. und wenn man in aarberg etwas zum feiern hat, ist das ein stedtlifescht. wie jenes von heute zum stedtlibrand vor 150 jahren.


unter hilfsbereiten kameraden (fotos: stadtwanderer)

geschichte und gegenwart

viel prominenz war gekommen, um an die grösste katastrophe in der stedtligeschichte zu erinnern. so der seeländer bundesrat samuel schmid, aber auch die regierungspräsidentin des kantons, barbara egger-jenzer, waren anwesen.

vorgefahren wurden die ehrengäste in einer kutsche – bis auf den stedtliplatz. ihnen folgten spritzwagen aus früheren zeiten, teils von pferden, teils von traktoren gezogen.
im festzelt musste das organisationskomitee vor dem mehrheitlich einheimischen publikum nicht lange rechtfertigen, warum man zu einem unglück eine feier verstalte. weil man sich für die vorbildliche unterstützung danach allseits bedanken wolle, lautete die präsidiale begründung.
da hackte yvonne pfäffli, eine junge historikerin, welche die spenden von damals aufgearbeitet hatte, schon kritischer nach. nicht alle, die damals ein haus verloren hätten, seien gleichmässig entschädigt worden. so habe der schlosser, der keine werkstatt mehr gehabt habe, 400 mal mehr erhalten als die magd, die nach der feuersbrunst ohne bleibe gewesen sei.
barbara egger zog es vor, über die solidarität von heute zu sprechen. wie werde man die solidarität mit den hochwassergeschädigten der letzten jahre beurteilen, sollte man in knapp 150 jahren auch hierzu eine gedenkfeier veranstalten, wollte sie wissen. an ihr solle es jedenfalls nicht liegen, zu einer positiven bilanz zu kommen, erklärte die sozialdemokratische baudirektorin.
und auch samuel schmid beschäftigte sich mit der gegenseitigen hilfe, die unser staatswesen begründe. feuerwehr, polizei, sanität und zivilschutz seien bei unfällen für die schnelle hilfe zuständig. die armee greife dann ein, wenn das ausmass der schäden gross oder der hilfsbedarf anhaltend sei. der auftrag der armee sei im übrigen entgegen allen kritiken durch zeitgenossen klar, fügte der bdp-bundesrat an. er gelte auch in zukunft, falls man ihr die nötigen mittel hierfür zur verfügung stelle, schob er rasch nach, denn er wusste: im seeland muss er nicht deutlicher werden, da versteht man seine botschaft parteiübergreifend.

das erfolgserlebnis von sämi schmid

richtig stimmung im festzelt kam jedoch erst auf, als sämi, “üse sämi”, wie die meisten in aarberg bundesrat schmid nennen, das manuskript zur seite legte, sich umdrehte, und zu den drei katastrophenhunden samt ihren betreuern sprach, die im hintergrund spalier standen. seine sechs “kameraden”, erläuterte der verteidigungsminister hätten, soeben an der armeeweltmeistschaft die goldmedaille in einzel- wie im teamwettkampf der katastrophenhunde gewonnen. dafür spendiere er schon mal cervelats, wenigstens für die hunde. die überraschend herbei geschafften nationalwürste fütterte der bundesrat den braven armeeangehörigen zur gaudi des publikums gleich selber. sichtlich entspannt genoss der magistrat unter vielseitigem druck die unterstützung, die er in seinem heimspiel erfuhr. nach dem strengen sommer, mit teilweise dünner luft, mochte man ihm die verschnaufpause fast schon gönnen!

unterstützungswelle auch für die bdp?

politisiert wurde am stedtlifescht nicht wirklich. getuschelt wurde aber schon: denn “üse sämi” wurden den ganzen tag “vo siner noie chefin” im stedtli begleitet. beatrice simon, gemeindepräsidentin im benachbarten seedorf und seit kurzem erst kantonalpräsidentin der bügerlich-demokratischen partei, fuhr schon mal keck auf einem der alten spritzwagen sitzend in aarberg ein, fast so, als wolle sie sagen: jetzt bin ich der feuerwehrkommandant, der unterstützung weitherum braucht. 2010, bei den nächsten grossratswahlen, wird man sehen, ob es einen stedtlieffekt im ganzen kanton gibt.

stadtwanderer

weitere informationen hier.

karls kühner sieg in bern

noch hallen die fanfarenstösse zum lied “l’homme armé” in meinen ohren. sie halten die erinnerungen an das grosse ritterturnier im august 2008 in bern wach. wofür dieses aber stand, ist vielen wohl unbekannt.

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ritterkampf als stimmungsvoller höhepunkte (foto: stadtwanderer)

der pas d’arme – die weiterentwicklung des ritterturniers
un pas d’arme” ist, wie armand bäriswyl, mittelalterspezialist beim bernischen archäologischen dienst, erklärt, eine spätmittelalterliche weiterentwicklung des höfischen ritterturniers. nicht mehr die vernichtung des gegners ist das ziel. vielmehr geht es um ein sportliches kräftemessen, das in eine theatralische handlung eingebunden ist.

der vermeintliche held der aufführungen – eine mischung aus schauspiel und echtkampf – ist jacques de romont, sohn des herzogs von savoyen und graf der waadt. er will in den burgundischen orden zum goldenen vlies aufgenommen werden. um die grosse ehre zu erlangen, muss er sich gegen drei erfahrene turnierritter aus demselben orden durchsetzen.

das geschichtliche grossereignis auf dem berner helvetiaplatz
das berner historische museum und die company-of-saint-george haben keine mühe gescheut, auf dem berner helvetia-platz das grösste ritterturnier seit dem 16. jahrhundert zu realisieren. authentizität wird angestrebt, vor allem in der kleidung, aber auch im verhalten.

aus england sind die besten turnierreiter der gegenwart angereist, um sich 11 tage lang während 21 vorstellungen zu messen. sie alle leben im burghof hinter dem museum. ein strohsack dient ihnen für die übernachtung.

zahlreiche handwerker sind ihnen wie damals gefolgt. sie backen brot, kreieren schmuck und schneidern kleider, oder faulenzen ganz einfach unter der sonne. vor dem museum ist der eigentliche kinderpark. da rammen schon mal vier knirpse mit dem rambock eine burgtüre ein, strampeln sich ihre geschwister unter anrufen der eltern in der trettmühle ab, oder hauen die geschicktesten unter ihnen den stein, bis aus ihm, digital dokumentiert, ein gothischer bogen entsteht.

richtig stimmung kommt auf, wenn sich die ritter unter dem klang der schalmeien in ihren burgunderzelten zu kleiden beginnen. zuerst das schwere kettenhemd, dann der plattenpanzer aus dem 15. jahrhundert. 30 kilo wiegt der stahl, der stück für stück montiert werden muss, um die kämpfer im schwert- oder lanzenkampf zu schützen.

bevor es zum kampf kommt, führen kinder in der arena griechisches theater auf. die argonauten – seefahren, die viele prüfungen bestehen müssen – schweben über wellende blaue tücher. jason ist ihr held; denn er will das fell des widders, das goldene vlies, erobern. dafür verbindet er sich mit medea, der tochter des widderbesitzers, und bekommt, was er begehrt.

der junge jacques de romont strebt im eigentlichen kampf vor malerischer kulisse zu fuss und zu pferd nach dem glänzenden fell eines widders, das vor den augen von karl dem kühnen und zweier burgfräuleins bereit gestellt wird. er muss gegen kämpfer gewinnen, deren pferde stiere und deren reiter unsterbliche kämpfer symbolisieren.

eine mischung aus närrischem treiben und tierischem ernst
der kampf wirkt bisweilen spielerisch, um dann hart zur sache zu kommen. die pferde setzen nur mit zügeln und einer hand geführt zum schnellen ritt gegeneinander an, die lanzen senken sich nur wenige meter vor dem augen des publikums, und der arm, die brust oder der kopf des gegners werden zum wirklichen ziel. immerhin, die lanzen sind bewusst zerbrechlich, denn es zählt der treffen, nicht die verletzung.

die punkte nach jeder der runden verteilt der kampfrichter, während die herolde das publikum auf ihrer arena seite für ihren herrn zu gewinnen suchen, und der narr seinen kommentar abgibt. wenn sie zu böse sind, ermahnt ihn der platzspeaker, dass alles fair zu und her gehen müsse.

tatsächlich schafft es jacques, in den meisten der dramatischen kämpfen zu siegen, am ritterlichsten zu kämpfen und das herz der dame von cluny für sich zu gewinnen. zur überraschung aller erhält er dafür den lieblingsfalken der adeligen dame, der in schnellem flug milimeter genau über dem publikum einfliegt. das übertrifft sogar die ehrung des ritters durch herzog karl und ihn, wie in der vergangenheit tatsächlich geschehen, in seinen elitären orden aufnimmt. bis zum feldmarschall am herzöglichen hof und stellvertreter von karl stieg er damals auf.

die sieger: bern, das mittelalter und natürlich karl der kühne
35’000 zuschauern, viele eltern mit kindern, aber auch touristen aus deutschland, frankreich und spanien, mittelalterliebhaber und ihr bekannten sind nach bern gekommen, um sich wie der stadtwanderer auch das einmalige spektakel anzusehen, um zu klatschen und zu kreischen und um mittelalterlich gassenfeger zu singen.

alle hatten sie ihr mittelalter-erlebnis der besonderen art. und in bern freut man sich ein wenig, dass herzog karl der kühne, der es seinerzeit nicht bis in die stadt gebracht hatte, zum publikumsmagneten geworden ist.

in der tat: wenn sich karl unter fanfarenstössen von der kampfbahn verabschiedet, ist er der eigentliche turniersieger. wir alle haben an seinem hochzeit teilgenommen, ohne es bemerkt zu haben. denn seine heirat vom margarete von york 1468 ist hier nachgestellt worden. ein kühner streich, dessen melodien in den ohren der menschen, die sich im 21. jahrhundert vom leben am burgundischen hof begeistern liessen, nachklingen!

stadtwanderer

mehr über jacques de romont im zusammenhang mit der schlacht von murten hier

mehr bilder zum turnier hier

donna muratum

hinter jedem bekannten mann steckt eine starke frau, sagt der volksmund. doch was ist, wenn sie aus seinem schatten hervortritt? das weiss der volksmund nicht zu beantworten. ich schon: was dann geschieht, kann mann&frau, zum beispiel, bei “donna muratum” miterleben.

bild-356.jpgmuratum ist lateinisch und steht für murten. und donna für frau. donna muratum wiederum ist der neue stadtrundgang durch das freiburgische kleinstädtchen murten, der sich szenisch mit den frauen in der eigenen geschichte beschäftigt.

da ist beispielsweise das ortskundige meitschi vom gurwolf, die während der belagerung murtens durch die burgunder im sommer 1476 ausbricht, wegrennt, und das verbündete freiburg informiert. dank ihr, sei murten gerettet worden, sagt die schauspielerin, und die eidgenossenschaft wohl auch nicht in der eu, fügt sie noch bei!

fürs breite publikum in szene gesetzt

das publikum weiss es: das ist zwar übertrieben, aber sympatisch. es kompensiert die bekannten geschichte, indem sie ihnen den spiegel, gehalten von frauenhand vorhält.

die historie murtens, wie auch die geschichte überhaupt, leitet sich zwar von der griechischen muse ab, die erzählen konnte, doch wird sie, seit sie geschrieben wird, (grossmehrheitlich) von männern verfasst. für männer, über männer.

dem wird mit donna muratum begegnet, denn jetzt führen die frauen das staunende pubiklum. und sie interessieren sich für frauen. sie schreiben nicht mehr, dafür erzählen sie aber umso besser. aus dem alltag, aus der kultur, aus der gesellschaft und aus der politik.

die lebenswelt der frauen in der geschichte

die beiden schauspielerinnen, die fast schon sinnbildlich namenslos bleiben und für tourismus murten durch die gassen der kleinstadt ziehen, sind modern in ihren gedanken, jedoch traditionell in ihrer kleidung. sie sind gut informiert, haben extra recherchiert, und sie kennen sowohl berühmte orte wie auch vergessene winkel. sie berichten von tragödien, erheitern mit skurielem, und informieren uns über das gestrige und heutige murten.

und sie stellen uns die treuesten aller treuen murterinnen vor: die mauerseglerinnen, die jährlich zweimal 14000 kilometer fliegen, dabei schlafen, begattet werden und essen, um dann im “zerschossenen turm” der stadtmauer von murten an geschichtsträchtigem ort zu nisten und für nachwuchs zu sorgen, bevor sie mit diesem weiter ziehen und, eben treu bis in den tod, wieder nach murten zurückzukommen.

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fast genauso kommt einem der stadtrundgang vor: die frauen brechen aus der engen welt am murtensee aus, um luft zu bekommen und das unausgesprochenen auszusprechen. doch sie brechen nicht aus, erzählen nur, um dorthin hemzukehren, wo ihre liebe ist. dabei wird eine gesellschaft sichtbar, die nicht ist, die man zu kennen glaubt. sondern die, die dahinter steckt, wenn man über jeremias gotthelf spricht und sein umfeld vergisst oder wenn man paul klee sagt, ohne petra petitpierre zu nennen.

gehen sie mit, wenn es heisst: donna muratum!

neugierig? – dann wenden sie sich doch an donna muratum, gehen sie nach murten, und folgen sie den beiden erzählerinnen auf den spuren der interessantesten frauen aus der geschichte und der gegenwart murtens, die aus dem schatten hervorgetreten sind.

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wenn bernfans burgunderfans werden

baernfan.gifeigentlich war eine private führung meinerseits durch die grosse burgunder-ausstellung geplant. doch dann wurde der kleine kreis der zuhörerInnen immer grösser, bis …

ich hielt heute morgen punkt 10 uhr im foyer des berner historischen museums die rede, die ich gestern auf dem “stadtwanderer” entwickelt habe. prompt vergrösserte sich mein anhang geladener gäste. das war zwar nicht vorgesehen. unangenehm war es aber auch nicht!

im ersten stock erzählte ich dann spontan über die familie der herzöge von burgund und merkte, wie sich der kreis der interessiert horchenden von saal zu saal vergrösserte. bei den ausführungen zum treffen von herzog karl mit kaiser friedrich war der anhang schon ganz ordentlich, sodass ich lauter sprechen musste. als ich dann im grossen saal mit den prächtigen burgunder-tapisserien die osterfeier von karl in der lausanner kathedrale inszenierte, hatten ich das publikum endgültig auf meiner seite.

schliesslich wurde ich gefragt: “werter herr longchamp, wo kann man sie für solche führungen buchen?” – ich antwortete, das sei eigentlich privat. man gab mir zu verstehen, das habe man an der rezeption auch schon gehört. dennoch möchte man eine ganze führung erhalten.

so sag ich’s auf diesem weg: wenn sie wollen, schreiben sie dem stadtwanderer! wenn ich zeit finde, mach’ ich das noch das eine oder andere mal. zum beispiel während der euro 08, da ziehe ich kulturelle veranstaltungen dem biergelage ohne lernwert vor.

und: es macht mir spass, wenn aus bärnfans nun auch burgunderfans werden!

stadtwanderer

PS:

Die Spezialseite von Radio DRS zur Burgunder-Ausstellung mit vielen O-Tönen