die brücke von gümmenen – verhandelt am symposium von holzhausen

alles begann mit den ersten cantarelllen aus den värmländischen wäldern. dann kamen maiskolben dazu, ochsenfilet, erdbeeren und schlagsahne. zusammen ergab das schon am freitag nachmittag ein oppulentes sonntagsessen. und da konnte die gelehrte disputation nicht fehlen.

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die holzbrücke von gümmenen, aus dem jahre 1739. ihre vorläuferbrücke war von höchster imperialer bedeutung, ebenso wie für die die geschichte der eidgenossenschaft.

das heutige symposium im schwedischen holzhausen war verschiedensten themen gewidmet, vor allem aber der brücke der gümmenen. vor ort erscheint sie den bewohnerInnen als überkommene zeugin aus frühern zeiten, längst überholt durch die verkehrsrealität der gegenwart. aus der distanz ist sie ein wahrhaftes zeugnis imperialer politik, betrieben durch karl iv., ihm dienste der böhmischen kirche und mit nebeneffekten für die bernische und eidgenössische politik.

zu beginn flossen wisky und aquavit, importiert aus der duty free in zürich. Hinzu kam ein rotweis aus dem systembolaget in torsby. die hauptspeise bestand aus edlem fleisch aus dem ica, von wo auch die maiskolben kamen. zur nachspeise gab es erdbeeren aus ekshärad, und schlagsahne, geschwungen in holzhausen. da durften die vanillekekse aus der vorratsbüchse und der kaffee aus dem rot krug nicht fehlen.

der themen waren viele. eine spannende diskussion entstand jedoch über die eidgenossenschaft. einig war man sich, dass der prinzip gut sei. selbstverwaltung, verbunden mit selbstverteidigung im ernstfall, jedoch nicht ohne verbindungen mit dem umwelt.

bei der ergründung, warum es eidgenossenschaften ausserhalb der heutigen schweiz kaum gab, stiessen die standpunkte aufeinander.
der eine: das ist eine schweizerische erfindung, von hohem inneren wert, jedoch ohne bedeutung für andere (rechts)verhältnisse.
der andere: die ausdehnung von eidgenossenschaften als landfriedensbünde wurde von kaiser karl iv. gestoppt, weil er statt bündischen adelige verhältnisse vorzog.

die fakten:
erstmals anerkannt wurden eidgenossenschaften 1365 – durch kaiser karl iv. der war von hause aus luxemburger, mit den böhmischen premyliden verheiratet, französisch erzogen, mehrerer sprachen mächtig, der als könig in prag die stadt zur kaiserresidenz machte.

eines seiner politischen ziele war die anerkennung des bistums böhmens durch den papst, denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nicht. dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland. dem kaiser jedoch waren die landfriedensbünde, die an die kaiserlose zeit nach friedrich II. und vor rudolf I. erinnerten suspekt. nur widerwillen lernte er sie zu akzeptieren.

in jungen jahren hatte kaiser karl iv. auf die goldene bulle gesetzt. damit wollte er die rechtsvehältnisse im unüberischtlich geworden reich neu ordnen. denn die adelkriege hatten die ehemalige einheitlichkeit des reichs in die ferne rücken lassen.

zu den übergeordenten zielen der kaiserzeit von karl gehörte, prag, seine residenzstadt zum sitz eines eigene bistums machen zu können. denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nie.

dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland.

das bündnis der zürcher mit den waldstätten nach der pest hatte der kaiser mit krieg auf gelöst. das gleiche der berner akzeptierte er ein dutzend jahre später. denn auf dem weg nach avignon erschien ihm bern unumgänglich.

auf dem weg in die papststadt hauste karl ein erstes mal in bern. die krone diente ihm als absteige, doch kam es noch zu keinem verhandlungsergebnis. erst auf dem rückweg einigten sich die beiden parteien.

von bern verlangte der kaiser, dass die bürgerlichen kräfte, die nach der ersten pestwelle an die macht gekommen waren, den traditionsreichen junkern wieder platz machen würden. die von bubenbergs, zwischenzeitlich im könizer exi,l kehrten in die stadt zurück und übernahmen das amt des schultheissen erneut.

die stadt wurde mehrfach privilegiert. sie erhielt erstmals ein festes kaufhaus und wurde damit für den überregionalen handel attraktiv. um ihre stellung in der umgebung zu sichern, erhielt sie die rechte über die hoheitliche brücke bei gümmenen, im grenzraum zwischen dem alten schwaben und burgund.

kaiser karl der vierte anerkannt mit der übertragung der rechte über die brücke zu gümmenen nicht nur die reichsstadt bern, sondern auch ihre regionalen herrschaft. diese galt dem kaiser als garantin für die sichere wege durch die gegend, und damit für die verbindung von prag nach avignon.

das war für die stadt bern, ihre burgundische eidgenossenschaft und die verbindung zu jener der waldtstätte nicht ohne. denn erstmals akzeptierte ein kaiser die rechtsform, die sonst nur ausserhalb geregelter regierungszeiten gültigkeit gefunden hatte.

ausgedehnt haben sich eidgenossenschaft darüber hinaus aber kaum. den sie galten nach wie vor als unordentliche bündnissysteme, von minderem rang, und maximal in übergangszeiten zur rechtssicherung akzeptabel.

der alte aus holzhausen, der selber in der nähe der karlsbrücke in prag lebte, danach nach bern emigrierte und heute in den värmländischen wäldern cantarelle findet, bevor man sie irgendwo sonst bekommt, staunte nicht schlecht, als der die ausführungen vom stadtwanderer hörte. denn wie für jeden prager ist karl iv. für ihn ein vorbild an internationaler ausrichtung, staatsrechtlicher ordnung und lokaler verbundenheit in prag, bern und holzhausen.

in erinnerung an seine fischereiwege ins seeland erhob er in holzhausen seine arme. „ich bin karl der vierte, der weiss, wie wichtig der übergang bei gümmenen ist, wenn man in bern lebt“, rief er am essenstisch aus.

das alles mitten im holzhausener symposion bei cantarellen, ochsenfleisch und erdbeeren, das die juristische anerkennung der eidgenossenschaft am beispiel der holzbrücke von gümmenen klärte.

jetzt fehlen nur noch die karpen im teich und auf dem teller! vielleicht bekommen wir welche bis zu weihnachten in bern …

stadtwanderer

die wiedergeburt des löwen in illiswil

wenn es so warm ist wie dieser tage, gibt es nur eins: raus aus der stadt, hinaus auf das land in eine kühle gartenbeiz. ich empfehle den wieder auferstandenen löwen in illiswil.

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achtung, was sie hierzu lesen, ist werbung. einseitig. subjektiv. und treffend!

am wochenende feiern alexandra und martin gerber ihr einjähriges jubiläum als wirtepaar im illiswiler löwen. vormals war er aufstrebender küchenchef in gümligen, und sie arbeitete als tatkräftige leitende dentalassistentin an der berner uni. gemeinsam meldeten sie sich auf ein inserat in der wirtezeitung – und bekamen zum glück den zuschlag!

seither ist wenig zeit verstrichen, aber viel gegangen. über mittag und abends reserviert man besser, wenn man im einzige illiswiler restaurant essen will. denn die stammkundschaft ist zahlreich, und die laufkundschaft ist mächtig im aufschwung. schliesslich ist es nur einige kilometer mit postauto oder fahrrad in den berner vorort, und wer in wohlen mit dem beizangebot hadert, weicht gerne in den nahegelegenen weiler aus.

vor den gerbers sah der “löje”, wie der gasthof im volksmund heisst, einige magere jahre. nicht weniger als drei pächter wechselten im jahresrhythmus oder noch schneller. wegen unvermögen, wegen lauter musik und wegen üblen geschichten. die gäste blieben zusehends aus, sodass ein wirklicher schnitt im gasthof nötig wurde.

beliebt sind heute die flammkuchen für den kleinen hunger oder ein stroganov für den grossen. wer es gerne scharf hat, nimmt das cordon-bleu mit einer paprikawurst. legendär ist der vielseitige löwensalat, und viel gefragt sind die leichten sommerteller. das roastbeef mit sellerie-, karotten- radischenbeilagen ist mein favorit.

der service ist flink und freundlich, und wenn es viel besuch hat, lässt man sich nicht stressen, bestellt man schnell ein cardinal und vertreibt sich die kleine zeit mit den sprüchen auf den bierdeckeln. überhaupt, im 200jährigen ehemaligen bauernhaus, das zum heimeligen gasthaus wurde, kann man die zeit leicht vergessen.

denn im löwen lässt es sich leben, fröhlich sein und geschichten hören. und wer möchte das schon verpassen. keine grossfamilie nicht, kein rentnerpaar nicht und keine frischverliebten nicht!

seit neusten herrscht wieder viel betrieb in den gaststuben. den traditionsgäste gehört die zentrale stube mit der theke. das geht es bei einem kaffee oder einem glas roten schon mal politisch zur sache, und sieht man nicht selten auch jassrunden. essen kann man im säli oder stübli, und im sommer wird auch eine kleine freiluftbar bedient. von da aus kann man die umgebung geniessen, die berge, die landschaft und die tiere. pferde und ponies auf der weide hähren das auge, und die schwalben und sonstigen vögel die ohren gaumen.

es sind viele tolle stunden, die ich hier verbracht habe. den 50. geburtstag habe ich da gefeiert, damals noch beim legendären caesare aus norditalien als wirt, und auch meine stadtwanderung quer durch die romandie für charlotte und jürg begann im gemütlichen illiswiller treffpunkt.

wer im sommer nicht in die ferien geht und wem das klima in der stadt schlicht zu heisst wird, dem oder der empfehle ich wärmstens einen ausflug bis in den löwen vor ort.

stadtwanderer

vermessene lebensqualität der berner städte

rankings fasizinieren mich immer, auch wenn ich ihnen gelegentlich misstraue. so auch beim städte-ranking der zeitschrift bilanz.

bern-panoramabern hat nicht nur touristisches zu bieten, sagt das neueste städte-ranking der bilanz.

als ich vor einigen jahren nach der veröffentlichung des bilanz-städterankings bei der redaktion nachfragte, wie die reihung zustande komme, herrschte schnell mal aufregung. einen termin für ein gemeinsames treffen wollte man nicht vor sechs monaten haben. dabei zweifelte ich nicht an der richtigkeit der einzelnen bewertungen, doch wurde mir nicht klar, wie diese zum gesamtindex führten, mit dem man lebensqualität messen wollte.

2011 sind die forscher bei wüest&partner selber über die bücher gegangen. sie haben aus den 117 indikatoren 11 neue dimensionen erstellt, und verrechnen diese neuartig miteinander. generell fand eine verlagerung von harten faktoren der lebensqualität (wie dem steuerfuss) zu weichen statt. neu erfasst werden beispielsweise die besonderheiten einer stadt, und der unbrauchbare übernachtungsindex wurde durch die einkaufsinfrastruktur ersetzt.

das ist denn auch der grund, weshalb zahlreiche städte im aktuellen rating ganz anders rangiert sind als noch vor jahresfrist. beschränkt man sich auf die bernischen, lautet die reihenfolge neu:

1. bern: stärken: arbeitsmarkt, soziales, besonderheiten, bildung, kultur/freizeit und einkaufsinfrastruktur, mobilität/verkehr

2. köniz: arbeitsmarkt, soziales, gesundheit/sicherheit, bildung als stärken

3. biel/bienne: bildung, kultur/freizeit

4. thun: arbeitsmarkt, soziales, besonderheiten

5. muri: soziales, arbeitsmarkt

6. ittigen: arbeitsmarkt, bildung

7. burgdorf: bildung, soziales, erholung

8. langenthal: keine (am ehesten bildung)

9. münsingen: soziales

10. ostermundigen, spiez, worb: ohne spezifische angaben

was die berner städte also auszeichnet: das soziale, der arbeitsmarkt, die bildung, kultur/freizeit und ihre besonderheiten. real hat sich einiges verbessert, verändert sind die platzierungen aber wegen der neuen methode.

die hat erhebliche konsequenzen für die rangierung der berner städte. bern zum beispiel verbesserte sich im nationalen spiegel von 19. auf den 4. rang, köniz vom 73. auf den 34., biel/bienne vom 80. auf den 36., thun vom 78. auf den 45. und langenthal vom 111. auf den 45. platz. rückschläge gab es für muri (vom 47. auf den 70. rang), ittigen (vom 59. auf den 75. platz), während sich die andern hielt.

man sieht es, je spezifischer man lebensqualität auf pekuniäres reduziert, desto eher haben städte, die auf steuerpolitik setzen, vorteile. wenn man das konzept jedoch umfassend versteht, haben grösse, differenzierung und vielfalt der entwicklungen eine deutlich höheres gewicht. das bekommt im nationalen rating auch zug zu spüren – die beiden letzten jahre spitzenreiter. neu liegt zürich an erster stelle, vor zug und luzern – und eben bern.

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berns moderne zeit: materialiensichtung über-, spurensicherung unterentwickelt

da mache ich mir gar nichts vor: ich werde aus diesem buch noch 1000 mal zitieren. dennoch bleibt ein schaler nachgeschmack bei der lektüre zu “Berns moderne Zeit“, dem letzten band in der neuentdeckung der berner geschichte, zurück.

5377begegnung zwischen tradition (rechts) und moderne (links) im 19. jahrhundert: albert ankers kleinkinder- schule

der anspruch ist grandios: denn in diesem buch geht es um nicht weniger als politik, gesellschaft, wirtschaft, kultur des kantons bern seit die französischen truppen das ancien regime beendet und den kanton in bewegung gesetzt haben. texte und anhänge, von peter martig herausgegeben, erstrecken sich über fast 600 seiten. charlotte gutscher und sandra hüberli, welche die bildredaktion besorgten, liessen das werk reichlich illustrieren.

zuvorderst wird man in das bild albert anker “Kleinkinderschule auf der Kirchenfeldbrücke” eingeführt. dabei geht es um ein treffen zwishen tradition und moderne, symbolisiert durch kleidungen, aber auch durch verhältnisse. denn kinderkrippen entstanden als städtische einrichtungen während der krise der agrarwirtschaft, die zu einer landflucht und damit zum anwachsen der städte führten. das ganz ist programm. denn es geht darum, wie die bernerInnen mit der moderne umgehen gelernt haben.

was so gebündelt beginnt, ufert danach leicht aus: mehr als 100 autorInnen haben zum buch beigetragen, über 150 kapitel sind so entstanden. meist widmen sie sich einem klaren thema, sind sie vorbildlich kurz gehalten. in der regel sind in deutsch abgefasst, une minorité des chapitres est écrites en français.

da geht es um regierungsstatthalter als mittler zwischen volk und verwaltung, um flüchtlinge aus deutschland. erzählt werden die körpergrössen der berner und hinrichtungen in langnau. nicht fehlen können je ein kapitel über verdingkinder, die fasnacht und badekulturen im kanton. spannung verheissen berichte über katastrophenkulturen, käsefieber und medizinaltechniken. porträtiert werden der berner bahnhof, bond und bollywood. die rede ist auch von jeremias gotthelf, dem grossen berner schriftsteller wie auch von anna tumarkin, der ersten professorin europas, die in bern lehrte.

man wird gar nicht fertig, den superlativen facettenreichtum dieses buches zu würdigen. postkarten tragen genauso dazu bei wie unveröffentlichte fotos. zeichnungen, stadtpläne, bilder, karikaturen, fotos, und faksimilierte dokumente beeindrucken einen seite für seite, egal, ob sie aus der frühen moderne des 19. jahrhunderts, dem höhepunkte der berner geschichte vor dem ersten weltkrieg, oder dem umbruch in der späten moderne, in der wir heute leben.

und dennoch. wenn man das buch bildlich und textlich durch hat, befällt einem das gefühl, heerscharen gelehrter hätten ihre zettelkasten aus jahrelangen recherchen über einen ausgeleert. und genau da mischt sich die faszination über den rechtum des wissens mit der erschrecken über dem ungeordneten historismus der gegenwart. denn es macht den anschein, alles in bern habe geschichte geschrieben. der bundesrat ganz sicher, die burgergemeinde wohl auch, ebenso die arbeiter, die frauen, die juden, die künstler, die nobelpreisträger, ja selbst die bourbaki-armee bekommen etwas vom aussergewöhnlichen ab, das einem den eingang in ein geschichtsbuch öffnet.

dabei ruft niemand halt und fragt, wo steht der kanton eigentlich?

man hätte sich gewünscht, dass man als abschluss des buches eine oder einen kennerIn der berner entwicklung, ihrer gegenwart, vergangenheit und zukunft gebeten hätte, nicht nur zurückzuschauen, sondern auch auf die seite zu gucken und nach vorne zu blicken. um die leserInnen aufzuklären, was an alle dem, was berichtet wurde, in anderen kantonen auch geschah, was in bern verspätet passierte und wo der kanton führend war. und um die frage zu beantworten, die doch so drängend vor der türe steht: nämlich ob bern nicht nur eine monumentale geschichte hat, selbst in den 200 jahren der moderne, sondern auch eine ebenso tragende zukunft, in den 200 jahren, die kommen.

denn geschichte ist nicht nur bienenfleissige selbstbeoachtung. sie ist auch kritische selbstvergewisserung und nachdenkliche selbstreflexion, um nicht berge von informationen aufzuschütten, sondern auch die wege aufzuzeigen, die die erhebungen hinauf und hinab führen. leider muss ich da sagen: auf dieser spurensuche fühlt sich der wanderer durch berns räume und zeiten ziemlich alleine gelassen.

stadtundlandwanderer

aussteigen

berns schülerInnen, die gestern lautstark durch die stadt zogen, nahmen die historische entscheidung des tages vorweg. denn heute hat der bundesrat beschlossen, dass sie schweiz aus der kernenergie auszusteigen soll.

HBWh4WVs_Pxgen_r_900x592drei szenarien hatte die bundesregierung heute vor augen: weiterfahren wie bisher, moratorium für den bau neuer kernkraftwerke und ausstieg aus der kernenergie. sie entschied sich nach einer vierstündigen diskussion für letzteres. aussteigen heisst für den bundesrat aber nicht abschalten. das wurde in den letzten wochen klar. keine ernsthafte partei forderte das auch heute. es heisst aber, dass in der schweiz kein neues kernkraftwerk mehr gebaut wird. die bestehenden bleiben am netz solange ihr betrieb sicher ist, dann werden beznau, mühleberg, gösgen und leibstadt schrittweise abegschaltet und die stromversorgung aus der kernenergie läuft aus.

nach fukushima fühlten sich die umweltorganisationen, unterstützt von den rotgrünen parteien mit ihrer akw-kritik bestätigt. sie mobilisierten die anti-akw-bewegung neu und drängten auf den ausstieg, je schneller, desto besser. massgeblich war aber der schwenker der bdp, denn erst das hatte die bürgerliche mitte unter druck gesetzt und die mehrheitsverhältnisse aufgeweicht. bei der cvp scheint das eine wirkung im gewünschten sinne gezeigt haben, bei der fdp nicht.

die wirtschaft, vertreten durch economiesuisse, wollte sich die zukunft nicht verbauen, wie sie es sagte und optierte für eine fortsetzung der kernenergie, wohlwissend dass auch zentrale akteure in der energiebranche der meinung sind, ein neues kernkraftwerk könne nach dem unfall in japan nicht mehr gebaut werden. denn dafür wird ein volksabstimmung nötig sein, bei der man ohne klar veränderte rahmenbedingungen kein ja zur kernkraft erwarten könne.

wer heute wie gestimmt hat, weiss man nicht wirklich. am wochenende noch wurde in der presse heftig darüber spekuliert. calmy-rey, sommaruga und widmer-schlumpf galten als befürworterInnen des ausstiegs, maurer, burkhalter und schneider-ammann als gegner. unbekannt war die position der volkswirtschaftsministerin leuthard. ihr wechsel ins uvek im letzten herbst wurde immer wieder damit begründet, sie müsse der schweiz die atomzukunft sichern. umgekehrt war nach fukushima klar geworden, dass sie es war, welche das laufende verfahren für die neuen rahmenbewilligungen sistierte. so wie die cvp den entscheid kommentiert, hat die energieministerin heute für die energiewende votiert, was heissen würde, die vier frauen im bundesrat war fürs aussteigen, die drei männer dagegen.

so wie ich die schweizerInnen einschätze, wird die versorgungssicherheit ein wichtiges thema bleiben: stromausfällen und und energierationierung steht sie negativ gegenüber. doch heute ist die sicherheitsfrage nicht mehr alleine eine der kraftwerksbetreiber. denn ihre vision der technologie ist mit jedem unfall verblasst. die bevölkerung selber blieb stets zurückhaltend.für das nachdenken über alternativen fanden sich mehrheiten, für den ausstieg nie. ungelöst blieb (und bleibt) die endlagerfrage. vor die wahl gestellt, freiwillig auf ein akw in mühlberg verzichten, sagte vor wenigen wochen noch eine knappe mehrheit der bernerInnen nein. nach fukushima lehnte aber kantone wie die waadt ein tiefenlager für radioaktive abfälle deutlicher noch ab. andere, wie der kanton jura, sistierten entsprechende abstimmungen, wissend, was dabei herausgekommen wäre.

den trend in der ausstiegsdebatte setzten die grossen städte. eine um die andere beschloss in regierung, parlament und mit volksmehr den ausstieg aus der kernenergie auf zeit, ähnlich wie es der bundesrat jetzt tut. der ist klarer in der frage der investitionen. die energieeffizienz muss gesteigert werden, und das geld für neubauten soll in erneuerbare energieträger geleitet werden.

die schülerInnen, die gestern mit ihrem streik und mit ihrem protest die stadt aufrüttelten, wussten das. ob sie auch wussten, dass die schweiz, vertreten durch ihre regierung, heute einen ausstiegsentscheid fällen würde, kann bezweifelt werden. wohl hofften sie es, und wohl dachten sie auch, dass es wieder nicht reichen würde.

nun soll alles anders kommen. der bundesrat wird gefordert sein, seinen entscheid sauber zu begründen und ihm taten folgen zu lassen. das parlament wird noch in seiner alten zusammensetzung im juni 2011 darüber beraten, und da wird sich zeigen, wie stabil die politischen verhältnisse in dieser frage sind. nicht zuletzt ist jetzt damit zu rechnen, dass auch die wahlen vom herbst zum gradmesser werden, wie sich die schweiz ihre zukunft vorstellt – jetzt ohne atomenergie.

stadtwanderer

20 minuten für ein bild und einen text

zuerst war ein plakat. dann ein spannungsaufbau. und jetzt die lösung. mit exklusivem bericht beim “stadtwanderer”.

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offizielle version der rätsellösung gemäss 20 minuten – die inoffizielle gemäss stadtwanderer folgt …

seit einigen tagen hängt an bester lage beim berner hauptbahnhof ein plakat. gezeigt wurde ein mann – von hinten. die gepflegte frisur, das dunkle haar mit wenig grau meliertem dazwischen erinnert einen – an einen bildschnitt aus dem “club”. doch auf dem plakat findet sich kein name. dafür reichlich politisches. “spannungsaufbau” nennt man das in der politwerbung.

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das seien seine kernbotschaften im nationalratswahlkampf, erklärte gestern mittag matthias aebischer dem reporter von “20 min“. der wollte über den unbekannten auf dem bild berichten, denn heute soll das rätsel aufgelöst werden. kandidat aebischer will sich um 180 grad drehen (nicht politisch) und seinen wählerInnen inskünftig direkt in die augen sehen.

mit dem stadtwanderer haben die beiden kommunikationsfachleute jedoch nicht gerechnet. aufgefallen war mir das plakat ende letzter woche, und es war mir klar, dass ich daraus eine geschichte machen werde. schliesslich ist meine “ali kebap” geschichte immer noch die meist gelesenste auf dem stadtwanderer.

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“früh, sehr früh” starte die kampagne, gebe ich dem fragenden reporter zur antwort. denn personenentscheidungen würden in der regel erst im herbst fallen, “in den 6 wochen vor der wahl.”

er habe nur ein kleines budget zur verfügung, kontert aebischer, deshalb wolle er auffallen, bevor es alle anderen auch versuchen, begründet er seinen auftritt wider den mainstream.

“hält er das durch?”, will der reporter wissen.

sicher bin ich mir nicht. werberisch wäre das nur mit einer grossten stange geld möglich. doch das schafft nicht einmal c.b. aus h. publizistisch kann man es mit einer ereignishaften wahlkampagne versuchen, die früh aufmerksamkeit erheischt, und das interessen dann journalistisch hoch hält.

dass man das risiko eingeht, hat wohl mit der situation auf der sp-liste zu tun: andre daguet tritt vorzeitig zurück, macht damit platz für seinen wunschnachfolger. lumengo, der ausgetretene, kandidiert wieder, aber auf einer eigenen liste. und auf der männerliste der berner sp hat es drei promis, die einsteigen wollen: alex tschäppät, der stapi, jacques de haller, der ober-arzt, und eben matthias aebischer, der mann, den man vom tv kennt.

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ich habe verschiedene tv-mitarbeiter kennen gelernt, die ihre bekanntheit für eine politische karriere nutzen wollten. der erste war toni schaller, in den 90er jahren chefredaktor. er verrechnete sich, als er der wählerschaft kurz und bündig mitteilte, “ich bin kandidat”. weder wurde er für den landesring zürcher regierungsrat, noch scahffter er es in nationalrat. sein scheitern begründete gar das ende des ldu. besser machte es filippo leutenegger, ebenfalls chef der leutschenbach-redaktionen, als er sich für ein nationales parlamentsmandat bewarb. er hatte bemerkt, dass es nicht nur um bekanntheit, sondern auch um positionierung geht, wenn man gewählt werden will. vermutet hätte man, dass er für die svp antreten würde, effektiv fand man ihn auf der fdp-liste wieder. um sein liberales credo zu kommunizieren, erzählte der quereinsteiger allen von seinem privat initiierten kinderhortprojekt. familie ja, aber ohne staatsknete, kam da rüber.

äbischer, heute bekanntlich nicht mehr beim fernsehen, dafür lehrbeauftragter für tv-journalismus in freiburg und winterthur und hausmann, setzt noch deutlicher auf themen: familie, bildung, öv und erneuerbare energien sind seine schwerpunkte. rhetorisch fragt er, wer sich dafür einsetze. er und sein sp kann man ab heute auf dem gewendeten plakat nachlesen.

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übrigens, mein überraschender kurzauftritt während der fotosession sorgte für eine kleine aufregung. spätestens mit meinem schnapschuss aus meiner kamera wurde allen klar, dass ich hierzu bloggen werde. eigentlich ganz gut in einer ereignishaften kampagne, dachte ich mir. doch dem berichterstatter von der geschriebenen presse wurde sofort klar, dass ich schneller sein könnte, der primeur damit futsch sein könnte. denn mehr als 20 minuten brauche ich nicht, um ein foto aufs web zu bringen, und einen text dazu zu stellen. damit die kirche im dorf und matthias im gespräch bleibt, einigte wird uns auf eine einvernehmliche publikationsabfolge …

stadtwanderer

bern und die stadtentstehungstheorie

mittelalterliche städte wie bern wurden vom adel aus gründen des machtausbaus gegründet. städte wie bern sicherten weiträumige verbindungen, erschlossen ihre region mit märkten und wurden mit mauern vor feinden geschützt.

der walisische geograph harald carter entwickelt in den 70er jahren des 20. jahrhundert eine eigentliche stadtentstehungstheorie. er nannte vier gründe, warum es zu städten kommt:

. den hydraulischen grund: örtlich begrenzt verfügbares wasser begrüdet die stadtentwicklung
. den theologischen grund: ein räumlich fixiertes heiligtum steht am anfang der stadtentwicklung
. den ökonomischen grund: ein markt bildet die grundlage der stadtentwicklung
. den militärischen grund: der schutz in form einer mauer bildet den anstoss der stadtentwicklung.

bern
die zähringerstadt aus dem frühen 12. jahrhundert

wendet man dies auf bern an, merkt man als erstes, was nicht zutrifft. von wassermangel kann man in der furchigen landschaft des aaretals generell nicht ausgehen. bern war bei seiner gründung auch kein religiöses zentrum; das lag in köniz, von dem man in kirchlichen fragen anfänglich abhängig blieb.

die gründung und frühe entwicklung der stadt bern war von herrschaftlicher absicht. der weg von freiburg im breisgau, der ersten zähringischen stadtgründung, nach lausanne sollte städten in regelmässigen abständen erschlossen werden. die lage von rheinfelden, herzogenbuchsee, burgdorf, freiburg, murten, milden/moudon können so gedeutet werden, und bern sicherte die verzweigung nach thun ins oberland, nach freiburg ins üechtland und nach murten durch die seenlandschaft.

bern war von beginn weg ein marktplatz, der aus dem aareübergang im bereich der heutigen untertorbrücke entstand. diese gab es bei der stadtgründung noch nicht. so soll erst ein halbes jahrhundert später gebaut worden sei; zu zeiten der zähringer führten indessen eine fähre an der traditionsreichen stelle über die aare. vielleicht gab es schon vor der stadt eine warenumschlagplatz; sicher ist, dass mit der stadtgründung ein markt entstand, auch wenn auf keine separaten platz, sondern auch der langen gasse durch den ort stattfand. anfänglich diente er als umschlagplatz für lokale produkte aus dem oberland, insbesondere felle von tieren, aber auch eisenwaren, getreide und fleisch. erst in der zweiten hälfte wird bern an den fernhandel angeschlossen, bekommt die stadt ihr eigenes kaufhaus, mit dem auch einflussreiche familien entstehen, die als kaufleute geld machten.

die gründungsstadt kannte noch keine mauern. die aare bot schutz, und am ende der ersten stadt, beim heutigen zytglogge war ein tiefer graben. eigentliche stadtmauern kamen erst mit den savoyern auf, welche in den 1260er jahren mit den habsburgern im krieg standen. dafür baute man die burg an der aare ab mit deren steinen man die stadt sicherte.

ausgehend von carters typologie kann man sagen. bern ist im verbindungsnetz des zähringischen freiburg im breisgau als etappenort an strategisch wichtiger stelle entstanden. die stadt diente den stadtgründern in der mutterstadt freiburg im breisgau, 1118 entstanden, als einnahmequelle, beschaffte sich ihrerseits geld aus dem lokalen handeln. wie in vielen anderen mittelalterlichen städten überwiegt das herrschaftliche bei den motiven für die gründung 1191. die stadtentwicklung wurde durch wirtschaftlichen und militärische gründe, sicher nicht theologische bestimmt. hydraulische scheiden schon im voraus aus.

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lehrmeinungen zu ortsnamen – zum beispiel zu bern

seit über 100 jahren tobt ein deutungskampf, wofür der name “bern” stehe. diese woche wurde von der uni bern eine neu-alte lehrmeinung verbreitet, wonach bern mit verona verwandt sei und direkt auf die zähringischen stadtgründer zurück gehe. ich zweifle.

ankuendigungthomas franz schneider ist ortsnamenforscher an der uni bern. gemeinsam mit seinen kollegInnen gibt er das voluminöse ortsnamenbuch des kanton bern heraus. gestern ist der vierte band der umfassenden serie erschienen.

in der begleitmusik des bund diese woche begründete der basler germanist die neu-alte lehrmeinung, wonach bern eine übersetzung von verona sei und von den zähringern erfunden wurde.

die zähringer waren nach dem tod von kaiser heinrich iii. nicht wie erwartet herzöge von schwaben geworden, erhielten als entschädigung aber den herzogstitel von kärnten. das glück, das sie dabei in verona suchten, fanden sie nicht, und schon bald zogen sie sich aus dem südländischen abenteuer zurück. unter kaiser heinrich V. begannen sie dafür ihre expansion vom stammsitz bei freiburg im breisgau nach süden, während der sie im 12. jahrhundert mehrere städte der heutigen schweiz aufbauten oder neugründeten.

ferdinand vetter, professor für deutsche literatur, verbreitete 1880 erstmals die auffassung, bern sei ein einzigartiger name, der populären sage über den dietrich von bern entlehnt, die auf den ostgotenkönig theoderich zurückgehe, der in verona (eigentlich bern) seinen widersacher odoaker besiegt habe und den ort berühmt gemacht habe. dem widersprach vor gut 100 jahren paul hofer, berner historiker, weil er der germanischen begründung des ortsnamens misstraute. vielmehr leitete er den namen bern aus dem keltischen “berna” ab, meist mit kluft oder schlitz übersetzt. sein argument war weniger literarisch, dafür im geografisch verbreiteten vorkommen von der silbe “bern” ab. daraus schloss er, es handle sich um einen flurnamen, der eine enge stelle oder eine lanschaftskluft, die herrschaftlich interessant war.

der germani(sti)schen lehrmeinung der heutigen berner ortnamenforscher habe ich gestern nach der vernissage des neuen ortsnamenbuches für den kanton bern schon mal widersprochen. thomas franz schneider setzte sich gelehrt zu wehr, wohlwissend, dass die ortsnamenkunde keine exakte wissenschaft ist, in hohem masse bei deutungen stehen bleibt, für die es einige wenige belege gibt. die lassen sich bei weitem nicht immer in eine logik einreihen lassen, aus der eine klare these mit belegen entsteht. so sind lehrmeinungen für die toponomastik typisch geblieben, von denen sich in flall von bern mindestens zwei recht schroff gegenüber stehen.

aus der wenig befriedigenden situation für die wissenschaft, habe ich eine unüblichen schluss gezogen: es geht nicht darum, weitere belege für ortnamendeutungen aus alten chroniken, landkarten oder dem volksmund zu suchen, sondern wandern zu gehen. wenn es gelingt, ortsnamen in den ort einzubinden, hat man den wohl besten beweis für seine entstehung gefunden, denn orte wurden von unseren vorfahren immer wieder nach dem benannt, was sie selber hergaben. und das kann man heute noch nachvollziehen oder sich ausmalen, wenn man die entstehung der zivilisation in der landschaft studiert.

haben den literatisch gebildeten forscher schneider deshalb zu einer stadtwanderung an die aare eingeladen, die uns ins nydegg-viertel führen wird, wo wir den schlitz suchen und finden werden, durch den die aare seit tausenden vor jahren muss und der dem ort seinen sinn mit einem namen gab, bevor er durch die nachfolger der zähringer umgedeutet wurde.

stadtwanderer

kompetenzzentrum für menschenrechte in bern gegründet

seit 1993 verlangen die vereinten nationen von ihren mitgliedsstaaten unabhängige menschenrechtsinstitutionen. die schweiz, seit 2002 mitglied der uno, macht jetzt einen ersten schritt hierzu und gründet in bern ein kompetenzzentrum für menschenrechte. ein zweiter schritt wird folgen müssen.

walter_kalin_unhcrprof. walter kälin, leiter des zentrums für menschenrechte in bern

walter kälin ist weder in bern noch in new york unbekannt. der 60jährigen jurist aus hinterkappelen wirkt seit einem viertel jahrhundert an der berner universität als professor staats- und völkerrecht. nach 2003 vertrat er während fünf jahren die schweiz im menschenrechtsrat der vereinten nationen.
nun ist walter kälin zum ersten leiter des eben eröffneten kompetenzzentrum für menschenrechte in bern ernannt worden.

“Wir sind kein akademisches Institut, sondern ein praxisorientiertes kompetenzzentrum, in dem wir unser akademisches Wissen für ganz konkrete Fragen zur Verfügung stellen”, umriss kälin seine neue aufgabe gestern vor den medien. vorgesehen ist eine fünf jährige pilotphase, nach der entschieden wird, ob man den zweiten schritt macht.
bis dann will man einen informations- und beratungsbedarf decken, der aus der umsetzung internationaler verpflichtungen entsteht. vor augen hat man behörden, private organisationen und firmen der internationalen wirtschaft, denn sie werden regelmässig kritisiert, von der schweiz akzeptierte empfehlungen für menschenrechte nicht genügend umzusetzen.
beraten will man vor allem eidgenössische kommissionen, wie jene für rassismus-, migrations- oder gleichstellungsfragen. die haben zwar direkten zugang zum bundesrat und verwaltung, es fehlt ihnen aber an denkfabriken, die sie informieren und aufklären. koordinieren will man auch die entsprechenden aktivitäten der kantone und die diversen initiativen an den universitäten.

die erste leitung des kompetenzzentrums will auch selber aktiv werden. sie will selber klären, wo beispielsweise volksinitiativen mit der europäischen menschrechtskonvention in konflikt stehen. oder sie will präventiv aufzeigen, wie weit forderungen, die man in der schweiz an fremde erhebt, im ausland gegenüber fremden, zu den wir gehören können, erhoben werden. damit will man zu einem realistischeren bild der weltgesellschaft und weltpolitik beitragen.
zu den ersten beabsichtigten aktivitäten des zentrums zählt, den menschenhandel, insbesondere mit frauen, als moderne form der sklaverei anzugehen. dazu fehle es in der schweiz schon an aussagekräftigen statistiken, betonte kälin bei der eröffnung.

der erste schritt ist auf initiative von bundespräsidentin micheline calmy-rey gemacht worden. der zweite wird 2016 erfolgen. bis dann muss die schweiz entschieden, ob sie für die jetzige initiative ein gesetzesgrundlage schafft, das insbesondere auch das monitoring für menschenrechtsverletzungen regeln würde. verabschieden müsste das das parlament in einem referendumsfähigen entscheid.

der stadtwanderer begrüsst die entwicklung. gerade im internationalen recht wächst der bedarf an angemessener beratung, in ehtischer, kultureller und juristischer hinsicht. die schweizerische friedensstiftung und die denkfabrik foraus haben das wichtige pfade geebnet. nun kommt ein weiterer hinzu, der klar international ausgerichtet ist, aber gut zu den gouvernementalen funktionen einer hauptstadt passt.

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zürcher financier stürzt kanton bern in die krise

es ist ein stück erlebter geschichte, die stefan von bergen in der heutigen bernerzeitung ausbreitet: die wahl von 1986, der konkurs von werner k. rey 1991 und die schlimmen folgen für die kantonsfinanzen sind mir in guter erinnerung. zwar ist der tiefpunkt überwunden, doch sind die folgen nachallend.

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aufstieg und fall von werner k. rey, dessen geldspekulationen den kanton bern viel gekostet haben.

in vielem sind die berner wahlen von 1986 ein einschnitt. unterschätzt hat man aber den wechsel in der finanzpolitik. die alten machtverwalter wie werner martignoni traten unfreiwillig ab, dafür gab es mit ueli augsburger einen finanzdirektor der nicht minder schlimmen sorte.

augsburger, dynamischer svp-regierungsrat, puschte die ansiedlungspolitik der neu geschaffenen wirtschaftsförderung durch eine senkung der unternehmenssteuern. hofiert hat er vor allem dem zürcher financier werner k. rey, dessen omni holding durch die übernahme der thuner selve im kanton aktiv wurde. doch die rechnung ging bei weitem nicht auf. 1991 meldete rey privatkonkurs an, seine omni musste um nachlassstundung ersuchen. das ging nicht spurlos an der kantonalbank vorbei. deren generaldirektor peter kappeler kündigte 1992 in einem brief an die kantonsparlamentarier einen dramatsichen abschreiber von 2 bis 3,5 milliarden franken an und forderte eine kapitalerhöhung für sein geldinstitut. mit der gründung der dezennium ag wurden die schuldner vor ein sofortigen kunkurs bewahrt und der kanton konnte einen massiven verlust vermeiden. bezahlen mussten die sanierung aber die steuerzahler: 1,5 milliarden franken ungedeckte schulden übernahmen sie, als die dezennium ag nach 10 jahren aufgelöst wurde. und beim kanton häuften sich schulden in der höhe von 11 milliarden franken an.

stefan von bergen, der die geschichte in der heutigen bz zusammenfasst, lässt christian pfister, emeritierter professor für wirtschaftsgeschichte, die schreckensbilanz ziehen: “Die Krise der Kantonalbank ist eine tiefe Zäsur und eine Ueberlebensübung, die den Kanton zurückwirft und der Politik jeglichen finanziellen Spielraum für Innovationen und Investitionen raubt.” bern sei, so der schluss, in den 1990er jahren gefangener seiner situation gewesen, ähnlich wie das heute in griechenland, irland oder portugal der fall ist.

wer mehr wissen will, liesst im fünften und letzten teil der berner geschichte nach, wie sich berns finanzen, wirtschaft und hauptstadt vom grossen schlag erholen, die hauptverantwortliche bernische svp darbt, in den sog der zürcher partei gerät, krampfhaft zusammengehalten wurde und sich schliesslich in einen kantonal ausgerichtete bdp und eine schweizerisch integrierte svp spaltete.

meine these ist, dass der kanton, zu stark mit sich selbst beschäftigt, den aufbruch, der 1986 möglich gewesen wäre, nur zögerlich an angriff nahm, insbesondere bei der zentralen frage, dem verhältnis zwischen einem oder mehreren aussenorientierten zentren und dem binnenorientiertem umland, für lange zeit in rückstand geriet. erst mit der hauptstadt-debatte wird man sich schritt für schritt der grösseren zusammenhänge bewusst, die zeithistoriker von bergen in verdankenswerter weise rekonstruiert hat.

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die serie im original – leider nicht ganz aktuell.

berner cafe postgasse – die hinterste beiz in aussenbezirk von marseille

sie hat “ja” gesagt, gab die wirtin ihrer freude ausdruck. die gäste in der strasse fragten sich zu was?
es hat geklappt, bald schon wir sie königin sein. da war es uns an den mittagstischen klar, dass es um kate, äxgüsi, herzogin catherine ging.

lange lenkte mich das thema nicht ab. was die gegenwart betrifft bin ich republikaner – und demokrat. wenn es um monarchien geht, faszinieren mich die, bevor die revolutionären gedanken von jean-jacques rousseau, alexis de tocqueville oder benjamin barber staats- und regierungsverständnis prägten, indem es nicht nur feiernde untertanen, auch anspruchsvolle staatsbürgerInnen gibt.

uns so wandte ich mich von den grossen geschehennisse der zeit ab und dem wunder des kleinen ortes wieder zu. denn aufgetischt wurde ein prächtiger postgass-salat. frische blätter, einige pilze und etwas gebratenes poulet lagen schön zubereitet vor mir, sodass ich nur zustechen musste. dazu gab es ein herrlich gekühltes bier. genauso wie ich es an einem solche warmen frühlingstag liebe.

im winter versteckt man sich gerne im engen berner café postgass. das ist es schön warm, vom grossen offen, von der küche und von den gästen zwischendrin. im sommer bleibt man lieber draussen. ein paar kunstbäume markieren den bezirk, wo man auf sonst offener strasse essen und trinken darf. die wirken ein wenig wie eine alte stadtmauer, mitten in der stadt.

die tische im cafe postgasse sind aus einfachem holz, die stühle nicht minder so. dafür ist die bedienung stets fix und herzlich. und die kleine karte hat immer was grosses aus der hausmansskost. als koch amtet stephan hofmann, den service macht regula hofmann. seit ich das cafe besuche, sind sie das wirtepaar. wie lange das genau her ist, weiss ich nicht wirklich, 10 jahre, vielleicht auch 20.

die spezialität der beiden sind fischsud mit muscheln. im kalten tagen seien sie aus der normandie, sagt man, im heissen aus dem mittelmeer. die bouillabaisse ist in bern und einiges darum herum bekannt – und beinahe so berühmt wie in marseille.

das sage ich meinen gästen bei stadtwanderungen denn auch immer: kulturell ist bern eine brückenstadt, ein ort der vermittlung zwischen den nachfolgern der alemannen rechts der aare und den burgundern links der aare. die nydegg ist seit menschengedenken der hauptsächliche übergang – nur wenige schritte vom postgässli entfernt. und da man in dieser altstadtgasse auf ehemals burgundischem boden ist, ist das cafe postgasse sowas wie die hinterste beiz von marseille. womit wir doch wieder bei erinnerungen an grosse zeiten wären.

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kaffeehaus einstein in bern

wenn sich der berner theatermann lukas leuenberger etwas in den kopf setzt, macht er was draus. vor ein paar jahren war es die inszenierung von schillers “wilhelm tell” auf dem legendären rütli. jetzt ist es das restaurant “einstein”, im parterre des einsteinmuseum in berns altstadt.

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bis vor ein paar jahren hiess das restaurant zum “untern juker”. das angebot war mässig, und die bedienung abweisend, wenn man nicht zur stammkundschaft zählte, die immer mehr ausblieb.
eigentlich war das schon eine katastrophe. denn im gleichen haus hatte albert einstein vor gut 100 jahren gelebt und geforscht, und aus seiner wohn- und arbeitsstätte ist seit dem jubiläumsjahr 2005 das einstein-museum geworden.
dann ging der untere juker ganz zu, und das war nicht minder schlimm: ein museum ohen kaffee – das gibt es nicht!

seit anfangs april ist alles anders. “relatively the best”, führt das “einstein“, wie das neue kaffehaus heute heisst, im untertitel. das ist anspruchsvoll und vielversprechend zugleich.
wer die probe aufs exempel macht, wird nicht enttäuscht. der innenraum quer durch die häuserzeile wurde gründlich ausgeräumt. die küche ist jetzt im ersten stock, was einen durchblick erlaubt.
von der kramgasse aus gibt es ein paar plätze für passantInnen, die es eilig haben. sie bekommen einen sitzplatz in reihe, und einige lokalzeitungen zum schmökern. in der mitte ist die bar, mit eigenem kaffee, soft- und harddrinks.
und wer von der münstergasse her kommt, findet eine gemütliche lounch mit kamin und ledersesseln vor, samt einigen tischen zum verweilen und essen.

der service ist noch etwas holperig, dafür aber freundlich. meine tagliatelle mit spargel und morcheln sind im nu serviert, dampfen ganz heiss und schmecken hervorragend. nur als man den käse reicht, um alles zu verfeinern, zerfällt er der trockene in zwei teile – einen davon mitten im teigwarenteller. der kellner getraut sich nicht in mein essen zu greifen, und ich wage es kaum, seinen käse herauszufischen …

das publikum im einstein ist grossmehrheitlich jung und international. genauso wie es einstein war, als er in den oberen stockwerken des hauses seine kleine bleibe für sich und seine familie hatte. neben mir spricht man spanisch, vor mir schriftdeutsch, und ich unterhalte mich mit einer dame, die fotos vom neuen lokal macht, auf gut bernischem dialekt.

ein gewinn für die berner altstadt, denke ich mit, als ich den hauseigenen kaffee gekippt habe, und mich daran mache, die mittelteure rechnung zubegleichen.

dank der zündenden idee von lukas leuenberger ist schon mal ein guter startschuss gemacht worden. ost daraus auch im vergleich das beste angebot wird, wird man am besten bestens daran bestimmen, dass die besucherInnen des museums nicht nur vom brühmten wissenschafter, sondern auch vom berühmten kaffeehaus in aller welt erzählen werden.

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der charme von käse, schokolade, uhren und bergen trügt(e)

im dritten und vierten teil seiner übersicht über die berner (wirtschafts)geschichte geht historiker und journalist stefan von bergen auf den aufstieg und niedergang der berner ökonomie – und der rolle von politik und unternehmern hierbei.

StaldenChocolaitsinnbild für die traditionsreiche, aber nicht zukunftsträchtige berner wirtschaft: die unvergessliche stalden-crème

als eigentlicher einschnitt mit dem selbstverständnis, schweizerische spitze zu sein, bezeichnet der autor den 1968 erstellten bericht der volkswirtschaftsprofessoren paul stocker und paul risch. ihre röntgenaufnahme, unter dem titel einkommenslage und wirtschaftsstruktur des kantons bern dem regierungsrat vorgelegt, ist alarmierend.

hauptbefund: der ertrag aus der wehrsteuer liegt unter dem schweizerischen schnitt – tendenz ungebremst sinkend. begründet wird dies im übermässigen agrarsektor, der die entstehung von industrie und dienstleistungen behindere. uhren- und schoggifabriken prägen die wirtschaft; sie bauen auf vielen kleinbetrieben mit wenig rationalisierung und tiefen löhnen, die weder günstig für den konsum sind, noch im internationalen wettbewerb bestehen können.

dabei hatte alles gar nicht so schlecht begonnen. von bergen nennt die zeit zwischen 1890 und 1920 die berner belle epoque. gebaut werden alpenbahnen, die den weltweiten vergleich nicht scheuen müssen, es kommt mit der bkw ein stromnetz auf, das in europa führend ist, und eisenbahnen wie elektrizität befördern den tourismus aus dem ausland, namentlich im berner oberland. zwischen 1920 und 1980 gerät bern nach von bergen jedoch in eine abwärtsspirale.

symptomatisch dafür ist die entwicklung der milchverarbeitung. die berühmte stalden-creme, der stolz der berner nahrungsmittelherstellung, wird durch den kühlschrank in den 50er jahren ausrangiert. kondensmilch wird überflüssig, denn die milch wird haltbar. die nachfahren der firmengründer sind keine wirklichen pioniere mehr. und so kommt es zur übernahmewelle. nestlé hatte das angebot diversifiziert und sich internationalisiert. der multi lief den berner firmen im milchgeschäft den rang ab. in den 70er jahren traf es auch toblerone und ovomaltine. die auslandnachfrage entwickelte sich – jedoch an den klassikern aus bern vorbei! 1967 wurdr die wander von der basler sandoz übernommen, später an associated british foods veräussert, die produktion konzentrierte man in neuenegg. 1970 fusionierten suchard mit tobler, die 1991 in der philipp-morris-gruppe aufging, und heute in bern-brünnen arbeitet.

von bergen hat zwei thesen: die eine betrifft die altlasten mit der übernahme des jura. die anderen den politischen wandel. letztere gefällt mir besser, denn mit den wahlen 1919 wurde die freisinnige vorherrschaft gebrochen, die wirtschaftlich auf industrialisierung und freihandel gesetzt hatte. auf anhieb eroberte die neue bgb, die bauern-, gewerbe- und bürgerpartei von ruedi minger, die hälfte der nationalratssitze, und auch im grossen rat war sie schnell vergleichbar stark,. zuerst regierte sie alleine, dann sicherte sie mit hilfe der freisinnigen die konservative politik ab. auf dem land bleibt sie unangefochten die politische macht. ihre lokalfürsten schauten, dass die subventionen in alle ecken und ränder des kantons verteilt wurden, und man dafür lückenlos die stimmen einsammeln konnte.

den befund der wirtschaftskollegen von 1968 spitze der berner wirtschaftshistoriker christian pfister nachträglich noch zu: “Ab 1920 fällt die Berner Wirtschaft unter der BGB-Aegide in den alten Trott zurück und begnügt sich fortan mit dem gemütlichern Charme von Käse, Bergen, Uhren und Schokolade.”meinerseits füge ich bei, die ursache liege vermutlich tiefer als im fehlverhalten der staatspartei: denn das schicksal der modernisierung berns liegt im verhältnis von stadt und land, das seit der bürgerlichen Revolution der 1830er jahren ungeklärt bliebt. sein selbstverständnis entwickelte der kanton stets in abgrenzung zur hauptstadt, und er verstärkte die problematik zwischen ruralem und urbanem kanton mit der konservativen wende um 1920 nochmals, sodass der einstmals führende stand der eidgenossenschaft man von den internationalen entwicklungen überrumpelt im nationalen mittelfeld und globalen abseits landete.

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mein kommentar zu teil 2
mein kommentar zu teil 1
die serie im original

tschäppäts tschäppu und metzlers frisur

heimfahrt im poschi. 12 personen in meinem blickfeld. 7 davon mit dem blick am abend. ich muss unweigerlich mitlesen. informiert werde ich über tschäppäts tschäppu und über metzlers frisur. was das mit politik zu tun hat, frage ich mich, während ich die treppen nach hause hochsteige.

gut, die lentikularkarte von alexander tschäppät erinnert auch ein wenig an spasswahlkämpfe. denn tschäppäts tschäppu besteht aus der renovierten kuppel des bundeshauses. je nach winkel der karte, wackelt der hut. mal sitzt er gerade, mal schepps auf dem haupt des berner stadtpräsidenten. ganz ernst kann man das nicht nehmen.

nehmen können wird man sie im herbst als giveaway im strassenwahlkampf des stadtpräsidenten, denn im oktober möchte er als volksvertreter auf bundesebene gewählt werden. von facebook hält nichts. interaktion findet nicht im nirwana des www statt, sondern in der direkte begegnung in berns gassen, lässt er verlauten.

tschäppäts wahlkämpfe haben etwas eigenes bewahrt. auf sein lebenszentrum bern ausgerichtet, häufig spontan konzipiert und immer mit humor durchsetzt, fehlt es ihnen nicht an themen. die stadtentwicklung gehört dazu, und es ist dringend nötig, hier weiteres zu deblockieren. mit dem westside hat man akzente gesetzt, offene läden in der altstadt zu ungewohnten zeiten harren noch der behördlich nötigen dinge. geklappt hat es letzten november dafür mit dem ausstieg aus der kernenerige. im letzten moment hat tschäppäts bern die richtige perspektive angepeilt.

ich weiss, bisweilen ist tschäppät leutselig, dann wieder eckt er an. vor allem wenn es um christoph blocher geht, kann der sp-stapi die facon verlieren. das spricht sich dann schnell herum, und findet so eingang in die klatschpresse, sodass der magistrat sich gebührlich entschuldigen muss. weil er gerne über fussball redet, verübeln ihm viele solche ausfälle nicht. denn alle erinnern sich an die holländer in bern, und tschäppäts eingreifen, um dem unerwarteten anstrum herr zu werden. seine wendigkeit in fast auswegslosen situationen hat er mit seiner schlagfertigkeit in satiresendungen wie die von giacobbo bewiesen mehrfach bewiesen – und national applaus erhalten. ganz anders, als wenn er in bern zu tief ins glas guckt und vielsagend den mädchen nachschaut.

die amerikanische politologin pippa norris hätte ihre helle freude an tschäppät. vor 14 jahren veröffentlichte sie einen seither viel zitierten wissenschaftlichen aufsatz über die entwicklung von wahlkämpfen. vieles von dem, was sie damals über “pre-modern campaigning”, vormoderne kampagnen also, schrieb, kann man beim berner stadtpräsident noch heute miterleben. vom politischen leader selber getragen, seien solche wählkämpfe lokal verwurzelt, um freiwillige aktivisten vor ort zu gewinnen, hielt sie für alle zeiten fest. typisch sei, dass sie stark der eigenen partei angepasst seien, was schliesslich zu machen sei, letztlich aber spontan entschieden werde. poch würde man auf anlässe mit viel volk, denn das spreche sich mit der mund-zu-mund-propaganda am besten herum, was wirke und keine wahlkampfkosten verursache.

ganz anders beschreibt die harvard professorin den postmodernen wahlkampf. er sei teuer, auf website und tv-sendungen ausgerichtet, mit denen man zielgruppenspezifisch kommunizieren könnten. getrieben würden sie nicht mehr von den politikerInnen selber, sondern von politikberaterInnen im hintergrund, die einen permanenten wahlkampf für die mandantInnen führen würden. zu diesen consultants zählt seit neuestem auch ruth metzler, die abgewählte justizministerin der schweiz, die 2003 den zweiten bundesratssitz der cvp nicht mehr halten und ihn an die svp abgeben musste. danach hatte sie sich von der politik verabschiedet, während sie sich gestern mit einem politischen statement, wie der “blick am abend” schrieb, wieder vorwagte.

typisch für den postmodernen journalismus ist, dass man ausser dem titel nichts inhaltliches erfährt. so weiss ich zwar, dass es um “konkordanz in der umbruchphase” ging. wohin das führen werde, ist zwar die einzig relevante frage, doch das blatt berichtet darüber mit keinem wort. dafür las ich viel über die neue frisur der appenzellerin, das elegante kleid, das die wahlbaslerin beim vortrag trug, und den ubs-banker, mit dem sich das unschuldslamm von einst neuerdings in der öffentlichkeit zeigt. gereift sei sie, meint das boulevardblatt im pr-artikel von irene harnischberg, der für für mich wie kaum ein anderer die entleerung der politik steht.

echt, da sind mir lentikularkarten lieber.

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bärn – seit 1191

bern hat einen neuen film über sich und seine bären. heute war premiere in der cinematte. ein gelungener auftakt für “bern – seit 1191”.

HBlUw14N_Pxgen_r_900x588das ende einer stadtgeschichte: pedro, der letzte bär im alten bärengraben, seit 1513 ein fester bestandteil des berner stadtlebens, wird 2009 krankheitshalber eingeschläfert.

der film “bärn – seit 1191” beginnt mit der bekannten stadtlegende. gründer herzog berchtold v. von zähringen habe beschlossen, die stadt nach dem ersten tier zu nennen, das im eichenwald an der aare erlegt würde. und das sei ein bär gewesen. eine stimme auf dem off widerspricht, und sie erzählt, filmisch unterstützt, die wenig geläufige fassung der gründungslegende. mechthild, eine edle, sei mit ihren kindern von einem wolf angegriffen – und von einer bärin verteidigt worden. diese habe sie, vom kampf verletzt, in ihre höhle zu ihren jungen geführt, wo sie verstorben sei. der herzog habe, als er vom opfermut der bärin gehört hatte, die jungen adoptiert und die stadt nach der heldin benannt.

unweigerlich fühlt man sich an die dramatischen tage im frühwinter 2009 erinnert, als finn, das männchem im neuen bärenpark von der polizei angeschossen wurde, nachdem er einen eindringling angegriffen hatte. die geschichte bewegte die stadt, wie kaum eine andere, ging medial um die welt, und die aufmunternde post samt honig liessen finn wieder stark werden. zwischenzeitlich hat björk, das bärenweibchen, zwei junge geworfen, berna und ursa, die bald schon ein neues zuhause brauchen. dann wird der erste rummel vorbei und vielleicht wieder etwas normalität einkehren.

der dokumentarfilm über das geradezu symbiotische verhältnis von bär und mensch in bern, den daniel bodenmann 2010 gedreht hat und der heute in der berner cinematte premiere hatte, geht den unzähligen bärengeschichten in der bundesstaat nach – in der gegenwart wie auch in der vergangenheit. zu wort kommen zum beispiel bärenwärter, die früher mit bären bis zum bahnhof spazieren gingen. ihr prestige war mit dem des stadtpräsidenten vergleichbar. der macht im film auch mit, meint kurz und bündig, man hätte den neuen bärenpark kaum gebaut, hätte man gewusst, wie kostspielig das werde. dem widerspricht der ceo der mobiliar, hauptsponsor der neuen touristenattraktion in bern. ganz manager aus zürich, lobt er das ziel, zu dem man von beginn weg gestanden sei, und es auch nicht aus den augen verloren habe, als es schwierigkeiten gab. barbara hayoz, die unglückliche mutter des bärenparks, bleibt da noch anzufügen, dass die stadt so unfreiwillig zum handkuss in millionenhöhe gekommen sei.

das alles ist in bern bekannt, und diese geschichten hätten kaum einen ebenso spannenden wie informativen dokumentarfilm abgegeben. denn der streifen erzählt auch geschichten, die kaum herumgeboten werden: wie die von der bärenjagd im bärengraben. lange erlegte man alte bären mit gewehren, wobei der präparator des naturhistorischen museums höchstpersönlich von der balustrade schoss, um das tier fachmännisch zu erledigen, ohne das fell zu beschädigen. anschliessend verzehrte man, bei einem kleinen fest im kleinen kreis, das bärenfleisch im benachbarten hotel adler. das beste stück ging an den stadtpräsidenten. alex tschäppät erinnert sich, dass es bären gab, die nach seinen eltern benannt worden seien. das habe ihn als junge gefreut. wenig erbaut war er jedoch, als dann auch sie geschossen und gefuttert wurden. diesen brauch pflege man in “seinem” bern nicht mehr, hält der stapi fest.

an der heutigen premiere waren viele, die den film miterzählen, anwesend – vom letzten bärenmetzger bigler bis zum jetzigen bärenparkdirektor schildger. der stand dem projekt der filmemacher anfänglich ziemlich negativ gegenüber. nach dem turbulenten start mit dem neuen gehege wollte er keine unnötige publicity durch sensationsjournalisten mehr, die nur geld machen wollten. davon ist nichts geblieben. bodenmanns team ist alles andere als reich geworden, und der oberste bärenwärter in bern lobte das einfühlsame werk beim apéro. die konrahenten von damals machten ob ihrer gemeinsamen freude spontan duzis.

ich kann mich dem positive urteil von höchster warte nur anschliessen. entstanden ist ein film mit rhythmus, ohne chichi, dafür mit gehalt. am 17. april kommt er in die kinos, und im herbst soll er als doc-film im schweizer fernsehen ausgestrahlt werden. vorgesehen ist, dass eine dvd entsteht, und das material von bern tourismus weiterverwendet wird.

mich freuts, auch für die einfälle zu berns bären und geschichte(n), die ich in verschiedenen interviews während mittagspausen und stadtwanderungen beisteuern durfte. berna, lüfte ich das geheimnis um den stadtnamen im abspann, sei nicht schwäbisch und komme auch nicht von den zähringern. vielmehr sei es das keltische wort für schlitz, geformt durch zwei grosse molassebrocken unter der nydeggbrücke, durch den die aare seit menschengedenken fliesse. das würde einen weiteren film füllen, über bern – vor 1191.

stadtwanderer

lachen, selbst lächeln tut der schweizer politik gut.

das lachen ist uns in der schweizer politik der gegenwart abhanden gekommen, sodass infotainment nachgefragt wird. das ist nicht der fall, wenn christoph blocher und peter bodenmann miteinander debattieren, wie heute im berner kursaal. selbst wenn es dabei um das verhältnis der schweiz zur europäischen union geht, denn es paart sich substanz – mit lachen und lächeln.

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quelle: bernerzeitung

den grössten lacher aus dem publikum hatte christoph blocher für sich, als er die vorabend-veranstaltung der berner e.forums so zusammenfasste: er selber und sein kontrahent hätten in der eu-beitrittsfrage immer die gleichen positionen vertreten – er immer die richtige, bodenmann immer die falsche. das wiederum kostete peter bodenmann nur ein kühles lächeln. seine analyse ist, dass die schweizer politik in der regel strukturkonservativ agiere und dann die rechte gewinne, während unser land in entscheidenden phasen ausgesprochen schnell und zeitgemäss reagiere, meist so, wie es die linke es wolle. stichworte dazu fallen einem sofort ein: die zum bankgeheimnis fallen einem spontan ein.

christoph blocher sprach heute abend von der souveränen schweiz – bodenmann von der vernünftigen. die thesen, die beide hierzu vertraten, wurden klar herausgearbeitet. das freute die zuschauer, die mit applausstärken schiedsrichter spielten. der herrliberger chemieindustrielle stellte die unabhängigkeit des landes in den vordergrund, das hauptthema der 700jährigen schweizer geschichte. die werde heute aber von professoren und politikern aus eigeninteresse verraten. aus dem ewr-nein habe man die bilateralen abkommen formuliert, die er akzeptiert habe. doch anders als die eu-beitrittsbefürworter habe er aus den bilateralen 1 keine bilateralen 2 und schon gar nicht bilaterale 3 machen wollen wie der bundesrat. bei gemeinsamen interessen sektoriell verhandeln, sei in ordnung. kolonialverträge mit institutionelle einbindungen, wie sie die eu aktuell verlange, seien eines souveränen staates jedoch unwürdig.

das mochte peter bodenmann in seinem exposé so nicht stehen lassen. seit dem nein zum ewr überhole die eu die schweiz sogar dort, wo sie stärken gehabt habe – zum beispiel beim ökologischen umbau der wirtschaft, wo selbst ein land wie italien bei der förderung erneuerbarer energien weiter sei. profitiert habe die schweiz dafür, wo sie kooperiert habe, wie der personenfreizügigkeit, die zu guten wachstumsraten der wirtschaft, nicht aber zu hohen arbeitslosenzahlen geführt habe. schliesslich sei die zulassung der 40-tonnen-lastwagen für die schweiz ein gewinn gewesen, weil man durch mehrwertabschöpfung gegenüber 28-tönnern die neat finanzieren konnte. weitere fortschritte verspricht sich der briger hotelier von der energiemitgliedschaft in der eu, der öffnung der landwirtschaft und dem integration des bildungswesens ins europäische system.

radio-moderatorin geraldine eicher, die durch den vorabend führte, versuchte die debatte auf die aktualität zu lenken. zu gerne hätte sie über die hintergründe der meinungsdifferenz zwischen der schweiz und der eu bei den anstehenden verhandlungen gesprochen. doch die beiden alphatiere liessen sich nicht so einfach bändigen, selbst wenn sie in weichen sesseln platziert waren. blocher polterte kräftig, vor allem gegen das dubliner-abkommen, das nicht funktioniere, wie die flüchtlingsbewegungen aus nordafrika zeigten. die staaten an der eu-aussengrenze hätten gar kein interesse, ankommende zu identifizieren, profitierten jedoch, wenn sie sie so schnell wie möglich in andere länder abschieben würden. das stimmte sogar bodenmann zu. sein thema war jedoch der plan b. er forderte zwei arbeitsgruppen des bundesrates mit den fähigsten leuten aus dem land. die eine solle die vor- und nachteile des abseitsstehen in europa analysieren, die andere des eu beitritts. so würde man erfahren, was der beitritt koste, aber auch, was der preis für den nicht-beitritt sei. das würde die diskussion versachlichen, statt emotionalisieren.

die paarung des abends war nicht nur der traum der tv-arena-redaktion in den 90er jahren, weil sie ihr rekordwerte bei der zuschauerquote verschaffte. sie überwältigte auch die organisatoren des business-anlasses, der diesmal gegen 1500 gäste mobilisierte und damit die vielleicht bestbesuchteste veranstaltung des wahljahres 2011 auf berner boden bleiben wird. mehr noch, das duo bodenmann/blocher symbolisiert auch ein stück zeitgeschichte: das aufbrechen der europa-frage nach dem kalten krieg, der so ausgelöste umbruch in der parteienlandschaft mit der polarisierung zwischen rechts und links und die veränderung der politischen kultur von der konsenssuche zur sichtbarmachung des dissens’. wenn dabei der chef der politischen rheotorik auf das vorbild an intellektueller analyse trifft, wird das zum besten, was dialektik in der schweizer politik zu bieten hat – selbst wenn alles durch einen kräftigen schuss nostalgie überlagert wird.

es bleibt die frage, wer recht hat? blocher gab die diskussionsthemen vor, bodenmann parierte sie. der züricher hatte auch an diesem abend den nationalkonservativen protest hinter sich, der vor 20 jahren durch die ewr-abstimmung entfacht wurde und seither viele anhänger in gesellschaft und wirtschaft gefunden hat. der walliser konnte auf seine fahne schreiben, in der sache die relevanten weichenstellungen für mehrheiten bei den bilaterale, auf dem arbeitsmarkt und in der verkehrsfrage mitgestellt zu haben. blocher zeigte sich sicher, dass die wende zu seinen gunsten mit der ausschaffungsinitiative gekommen sei, denn jetzt habe man begriffen, dass die kriminalität die folge der eu-annäherung sei – und lachte in bekannter manier breit und laut. bodenmann wähnt sich in sicherheit, dass die schweiz ihre interessen kenne und klug verhandele, sodass das volk auch inskünftig vernünftigen lösungen hierfür zustimmen werde – und lächelte etwas verschmitzt, aber gut sichtbar.

das puiblikum applaudierte am schluss kräftig und lang, mit der rechten wie der linken hand. die apérogesichter wirkten erstaunlich freundlich.

stadtwanderer

des stadtwanderers sechste saison

wer in seinen sechste wanderfrühling steigt, macht das schon seit fünf jahre. so wie ich als kombinierter wanderer-blogger!

Stadtwanderer-Skulptur-Kopflos-Bern
sinnbild dafür, wie man nicht stadtwandern soll: kopflos – meine lieblingsskulptur in bern

ich habe meinen blogger-geburtstag verpasst. es war am 10. märz, vor gut einer woche soweit. in gedanken war ich ganz anderswo, und so entgeht mir weniges – aber die eigene kleinfeier!

der geburi meines blogs ist immer auch der startschuss in die neue saison. 5 jahre mache ich das kombi als spaziergänger und schreiber schon. und das sechste jahr kündigt sich schon ganz ordentlich an:

. am vergangenen samstag gabs eine tour an der alten aare zwischen lyss und aarberg. die geschichte des burgundisch-bernischen grenzstädtchen aarberg stand im zentrum.
. die nächste fixierte wanderung ist am 21. mai. die generaldirektion der srg ist mit zahlreichen nicht-bernerInnen besetzt worden, die bern zu wenig kennen. ich sozialisiere roger de weck und verschiedene seiner mitarbeiterInnen an der spitze der srg an ihrem arbeitsort mit einem ganz speziellen rundgang zum thema “tatort bern”.
. eine woche später führe ich eine delegation aus spiez durch die stadt bern, quasi auf den spuren von adrian von bubenberg, den freiherren von spiez und berner schultheissen im 15. jahrhundert.
. am 10. september gibt es dann eine spezialführung für die volkshochschule wynenthal im aargau. catherine von wattenwyl, die berühmte amazone im 17. jahrhundert in bern, lebte eine weile in der gegend meiner teilnehmerInnen. ich spinne den faden zwischen den beiden orten anhand von personen mit unkonventionellen biografien fort, um zum durchschnitt einen gegenpunkt zu setzen.

zwei weitere tourneen sind in vorbereitung, zum thema flüchtlinge und demonstrationen in bern. mehr dazu, wenn sich das alles konkretisiert.

wer interesse an einer führung mit mir hat, melde sich ruhig. etwa zwei termin habe ich meiner sechsten saison noch offen.

stadtwanderer

berns zug der modernisierung

das passt gut zu meiner aarberger-geschichte von gestern. in seinem zweiten teil zur bernischen geschichte, sucht der preisgekrönte berner historiker und journalist stephan von bergen nach gründen, warum bern mit der industrialisierung den wirtschaftlichen anschluss an zentren wie zürich, basel und genf verpasst.

ch1857
scb – damals noch für schweizer centralbahn stehend – als promotor des frühen eisenbahnbahns von olten nach bern und bieln

“Die Bahn zeichnet die Landkarte der Lebens- und Arbeitsräume neu. Die alte Topogragfie, in der sich Verkehrswege und Siedlungen auf sicheren Anhöhen befanden, wird umgedreht. Die Bahnlinien verlaufen in den Tälern und werten einst unansehnliche Gewerborte auf. Ob ein Dort an eine Bahnlinie zu liegen kommt, entscheidet über dessen wirtschaftliche Zukunft.”

das ist die these, auf der der essay von bergens aufbaut.

in den kanton bern dringt die eisenbahn 1857 vor. die centralbahn baut von olten aus die linie nach herzogenbuchsee und bern. zwei jahre später wird die verbindung nach thun eröffnet, nochmals drei jahre später die nach fribourg-lausanne.

der bau der verbindung von biel über bern nach langnau bringt die wende. das private unternehmen geht bankrott, der kanton muss einspringen. “In Zürich sind finanzstarke Privatunternehmer wie Eisenbahnbaron und Nationalrat Alfred Escher und ein wachsender Bankensektor treibende Kräfte, in Bern Juristen wie Eschers Gegenspieler Jakob Stämpfli”, vergleicht von Bergen die unterschiedlichen Entwicklungen.

die bahn, so seine feststellung, legt mankos des kantons bern offen: seine konzentration auf die agrarwirtschaft, sein schwach ausgeprägtes unternehmertum und sein verharren in kleinen räumen.

christian pfister, emeritierter professor für geschichte an der universität bern, sagt es noch deutlicher: “Die Bahn hat in den ersten drei Jahrzehnten im Kanton Bern nur auf Modernisierungsinselns wie Bern, Biel, Thun, Burgdorf oder Langental industrielle Impulse ausgelöst.”

warum, weiss die geschichtsforschung bis heute nicht wirklich!

schade, sage ich dazu. denn das ist die entscheidende frage. im geschichtsunterricht lehrt man ja immer noch, dass die aarekorrektion in der 2. hälfte des 19. jahrhunderts die wirtschaftsentwicklung geändert, die grundlage für die elektrifizierung gelegt und damit der meilenstein in der wirtschaftsgeschichte war, der 1914 – zurecht – zur in die landesausstellung in bern als höhepunkt der nationalen entwicklung vor den weltkriegen geführt hat.

solange die optimistische und pessimistische sicht der dinge wissenschaftlich nicht geklärt ist, dominieren bilder wie die von rené fritz allemann in seinem buch “25 mal die Schweiz”: während bern in sich ruhe, denke zürich über seinen kreis hinaus, heisst es da. die aarestadt sei “eine art oktopus, der die lebendige kraft der nation aussaugt”. das mag von bergen nicht stehen lassen und kontert: während bern bis heute die berühmte milliarde aus dem finanzausgleich beziehe, bekomme zürich via eth jährlich ebenso viel geld aus der bundeskasse!

stadtwanderer

aarberg – das stedtli auf der aareinsel

heute beginnt die stadtwanderersaison 2011 – mit einem rundgang im seeland und einer ausführung von mir zur stadtgeschichte.

aarberg
ansicht auf aarberg im 19. jahrhundert – noch vor der aarekorrektion

im statistischen sinne ist arberg keine stadt. die leute nennen es auch stedtli. 4000 einwohner hat es heute. viele bekannte sind weggezogen, wie ernst wüthrich, der nobelpreisträger, kuno lauener, der frontmann von züriwest, tanja gutmann, die ex-miss-schweiz, oder cécile bähler, eine unserer tv-wetterfeen.

historisch gesehen ist aarberg sehr wohl eine stadt. ursprünglich burgundisch, kam sie zu bern, erlebte nach der reformation ihre blütezeit als marktort, stagniert aber seit dem eisenbahnzeitalter. als regionales verwaltungszentrum sucht es heute neue wege.

die burgundische stadtgründung
am anfang der aarberger stadtgeschichte steht ulrich, graf von neuenburg. seine vorfahren waren burgundische adelige gewesen. bekannt waren sie als herren von fenis, dem heutigen vinelz am bielersee. nach einem schweren erdbeben, das die hasenburg, den stammsitz der familie, verwüstete, verteilten sie sich auf das dreiseengebiet mit zentrum in neuenburg. ulrichs vater, rudolf, beherrschte mehrere sprachen und wirkte als kulturvermittler zwischen burgundern und schwaben. er war minnesänger im gefolge des kaisers.

zu beginn des 13. jahrhunderts übernahm ulrich die nördlichen ländereien der familie. büren an der aare und valangin im val de ruz waren seine ersten herrschaftszentreum. ulrich gründete auch zwei städte: nidau und aarberg. mit dem bau von aarberg begann er, nachdem die zähringer ausgestorben waren. als ulrich 1225 verstarb, hinterliess er nachkommen und in aarberg eine kleine siedlung mit stadtmauer, zwei eng aufeinander ausgerichteten häuserzeilen und einem gassenmarkt.

die aare hatte zu dieser zeit noch den alten verlauf. sie mündete verlief durch die ebene zwischen frienisberg und dem bergrücken am bielersee. sie war ein wilder fluss, in vielem auch eine grenze. wenige inseln erleichterten den übergang, und auf einer solchen stand alt-aarberg. die frühen quellen nennen den namen in verwandter form, arberc, während die siedlung „opidum“ hiess. das deutet auf eine vorform der mittelalterlichen stadt, mit befestigungen und wasserschutz.

am 1. mai 1271 bestätigte rudolf von aarberg, ein enkel des stadtgründers, aarberg das stadtrecht erstmals schriftlich. der stadt und ihren burgern wurden wald, wiesen und gewässer der umgebung geschenkt. zur herrschaft zählten die dörfer lyss, busswil, bargen und kappelen. man war wer an der aare im seeland!

aarberg wird bernisch
die zeit der stadtgründung war unsicher. das königreich burgund kam 1034 ins kaiserreich integriert worden. das bestand damals aus italien, wo der papst das sagen hatte, und dem kaiser, der nördlich der alpen regierte.

einen wirklichen kaiser gab es seit dem tod von friedrich II. 1250 nicht mehr. dafür erstarkten adelige: in unserem gebiet nebst den neuenburgern die kyburger mit stammsitz bei winterthur. nach deren aussterben 1264 setzten sich die habsburger durch. 1273 wurden sie deutsche könige und kaiseranwärter, die sich daran machten, die verselbständigten burgundischen barone, wie man den burgundischen adel verächtlich nannten, zu unterwerfen. das gelang könig rudolf von habsburg noch kurz vor seinem tod 1291 teilweise.

wirtschaftlich gehören das 12. und 13. jahrhundert jedoch zu den guten. das klima erwärmte sich, die bevölkerung wuchs. das erlaubte es, neue siedlungen zu gründen: aus der regionen erwähnt seien das kloster frienisberg, 1133 entstanden, und aarberg.

ebenfalls aufstrebend war die aarestadt bern, 1191 gegründet. 1293 befreite könig rudolf von nassau, kein habsburger, die stadt vor adeligen übergriffen. er gab ihr eine eigene verfassung und verlieht ihr königliche aufgaben im aaretal. seit 1324 hatte die stadt bern mit laupen ein eigenes untertanengebiet. in den 1330er jahren eskalierte der zwist mit den burgundern. aarberg stellte sich auf ihre seite. 1339 kam es zur entscheidung. bern belagerte aarberg vergebens, gewann aber in laupen.

stadtherr war damals peter von aarberg – ein veritabler raubritter. ihn besiegte schliesslich die pest, die über die rhone nach norden kam und das mittelland 1348 erfasste. man verarmte. das kloster frienisberg verkaufte seine herberge in aarberg, woraus das restaurant krone als gasthof entstand. stadtherr peter wiederum geriet 1351 in finanzielle schwierigkeiten. er verpfändete die stadt an bern, dann verkaufte man sie nach nidau. 1375, nach dem aussterben der neuenburger in nidau, zahlte bern die neukyburgischen erben aus, und nahm so das ursprünglich burgundische städtchen in besitz. kaiser karl iv., der letzte könig von burgund, bestätigte den seitenwechsel. peters sohn, ebenfalls peter genannt, der nichts mehr zu erben hatte, schloss sich den habsburgern an. er war in der schlacht von sempach bannerträger – gegen die eidgenossen. mit herzog leopold verstarb er auf dem schlachtfeld.

1414 regelt könig sigismund von ungarn, kein freund der habsburger und kyburger, auf seinem weg zur kaiserkrönung mit grossen federstrichen neu. den savoyern im süden wies er die alpenpässe zu, den bernern das aaretal. die herrschaft aarberg, erweitert durch affoltern, kallnach, niederried und radelfingen, vermachte er definitiv der stadt, wenn auch als königliches lehen. insbesondere übertrug er den bernern die hoheitlichen zollrechte und damit die verfügung über die einfachen brücken aarbergs.

gleich zweimal brannte die holzstadt aarberg in der folge nieder – 1419 ein erstes, 1477 ein zweites mal. denn man war in die zwistigkeiten zwischen der stadt bern und den burgundischen herzögen in dijon geraten. wie man weiss, gewannen bern und die eidgenossen diese auseinandersetzung auf den schlachtfeldern. in grandson und murten.

die blütezeit des marktortes
der zweite brand blieb nicht ohne weitreichende folgen. aarberg wurde neu gebaut: nun versetzte man die häuserzeilen um je 10 meter nach hinten, sodass in der mitte ein grosser platz entstand. aarberg wandelte sich zum bernischen landstädtchen, wie man es heute noch kennt. zudem wurde der markt aufgewertet, denn aarberg wurde nun zum zentralen handelsplatz im seeland für salz-, eisen- und tuchwaren aus dem burgundischen.

es war eine zeit des aufstiegs, wie man bis heute am ortsbild erkennen kann. 1496 wird erstmals ein rathaus gebaut, das den burgerrat unter dem bernischen landvogt beherbergte. 1526 schloss man das mittelalterliche bargenspitel vor der stadt; dafür baute man den jetzigen kirchturm, das spital und die erste schule. mitten drin trat man zur reformation über, wagte sogar einen aufstand. 1529 hatte aarberg für einen jahr einen schultheissen. bern wusste das in der folge zu unterbinden, und entsandte wieder landvögte. die mehrten das stadtbild durch eine neue brücke und eine neue kirche. zum abschluss der stedtlierneuerung eröffnete man 1610 den neuen sitz des landvogts, das heutige amtshaus.

bis zum ende des 18. jahrhunderts kannte aarberg seine blütezeit. die grossen umwälzungen begannen erst 1798 mit dem überfall der revolutionären französischen truppen, deren besatzung das stedtli in mitleidenschaft zog. 1815, nach der konservativen neuordnung europas durch den wiener kongress, rüstete man in Aarberg auf. rund um die stadt wurden schanzen gebaut. 1830 legt man noch einen zacken zu, unterstützt von konservativen kräften in der schweizerischen armee.

doch sprang der revolutionäre funke aus frankreich auch auf die berner landschaft über. mit den privilegien der patrizier in bern wurde jetzt aufgeräumt. die liberalen wie sie sich nannten, wollten freiheit und gleichheit für alle. um die alte macht zu brechen, gründete man nun überall politische gemeinden, welche die verwaltung in die eigenen hände legte.

die herausforderungen der gegenwart
seit 1801 war aarberg hauptort eines amtsbezirkes. 1832 wurde man auch bernische gemeinde; 1834 kam eine skundarschule hinzu, und 1843 die ersparniskasse. aus untertanen wurden bürger, mit bildung, befähigt zum geschäften und politisieren in den wirtschaften.

das 19. jahrhundert sollte in vielem die wende aarbergs bringen: zum guten und zum schlechten. zuerst baut die junge eidgenossenschaft den hagneck-kanal. mit ihm wurde die aare gebändigt. aarberg ist seither keine insel mehr, und es kann auf die wasserwehr verzichten. fast gleichzeitig wurde die erste eisenbahnlinie im seeland eröffnet. von bern nach biel/bienne. doch machte die nicht in aarberg halt, sondern im bauerndorf lyss, das sich schrittweise zu konkurrenzstadt entwickelte. die verlagerung des waren- und personenverkehr vom wasser auf die schiene verkraftete aarberg nie ganz.

verbesserungen suchte man zur wende vom 19. zum 20. jahrhundert in der industrialisierung der landwirtschaft; die zuckerfabrik steht hierfür. erweitert hat man auch die arbeitsmöglichkeiten, von der traditionellen ziegelei zur modernen betonfabrikation. in aarberg wächst die bevölkerungszahl, und seit neustem besinnt man sich einer langen tradition in aarberg: der führung der verwaltung für den verwaltungskreis seeland.

zwei politische höhepunkte hatte aarberg in jüngster zeit. 2008 feierte die feuerwehr jubiläum, und bundesrat samuel schmid, damals schon bdp bundesrat, höchstpersönlich lobte die tatkraft der liberalen bürger in aarberg, für ihre sicherheit selber zu sorgen. 2010 kam dann auch sein gegenspieler, alt-christoph blocher nach aarberg, um mit einer viel gehörten rede über berühmte seeländer, den wahlkampf der konservativen svp für regierung und parlament zu eröffnen.

selber habe ich meinen weg nach aarberg aus anderen gründen gefunden. 2006 feierte man mit grössen wie moritz leuenberger und benedikt weibel “100 jahre postauto” in aarberg. 1906 eröffnete man nämlich von bern via detligen nach aarberg die erste schweizerische autolinie des gelben riesen. bis heute ist sie eine meistbefahrenen. und auch ich gehörte zu den regelmässigen fahrgästen.

und wir steigen nun in eben dieses postauto, um unserer jubilarin, regula baumgartner, zu ihrem 50. geburtstag alle ehre zu erweisen: irgendwo in bernwest werden wir wieder aussteigen, wenn die wetterfee es erlaubt. machen sie dann einen schönen eindruck, damit die chemie beim feiern stimmt!

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die andere stichwahl

geladen hatte der trachtenverein wohlen. gekommen waren 250 personen, die meisten aus meiner wohngemeinde wohlen. es wurde getanzt, gesungen, gegessen und getrunken – und zwischendurch gabs das theater “stichwahl”.

“aerger für herger” war das motto des volkstheater. matthias herger, berner nationalrat der stadtlandpartei, wollte seit langem kantonalpräsident seiner partei werden. die belastung durch die politik war hoch, das eigene unternehmen lief schlecht. eine eigentlichen durchbruch erwartete der gut 50jährige durch seine wahl – weniger für die partei, mehr für sich! das sah patrizia bichsel, eine dreissig jährige anwältin unter den parteimitgliedern genau umgekehrt. frischer wind durch frische leute sollte der partei neues leben einhauchen – mit ihr als präsidentin.

dramatik kam in die aufführung, als die hintergründe der stichwahl ausgeleuchtet wurden. denn herger war im vorjahr nicht mit seiner parlamentskommission in die ukraine gereist, sondern in seine heimatgemeinde, wo er sich in seinem ferienrustico auf eine liebschaft einliess. überrascht wurde er dabei von seiner erwachsenen tochter, denise, die sich danach entsetzt ins auto stürzte und unter mysteriösen umständen einen schweren unfall baute, der ihre persönlichkeit entstellte. das verhältnis hatte herger ausgerechnet mich bichsel, seiner parteikollegin, die nun gegen ihn antrat.

die wahl fand im tagungszentrum der heimatgemeinde von herger statt, gerade neben dem rustico. mit der ankunft der familie herger rekonstruiert sich die familiengeschichte, die trägödie um ihre tochter und liebschaft des mustergatten, von der nicole, die ehefrau, erst am wahltag erfährt. eilends geht sie ins wahllokal, wo sie mit der nebenbuhlerin anstösst, allerdings mit sekt, den sich vorher mit schlafmittel präpariert hatte.

so kommt es zu einer dramatischen stichwahl. herger gibt sich selbstbewusst, der parteivorstand stützt ihn, ebenso seine ehefrau, und die sonntagspresse, die beeindruckt ist, das in diesem wichtigen moment die familie herger samt tochter vereint anwesend ist. bichsel wiederum taumelt schlaftrunken ans redepult, hat nur eine vergraulte ex-nationalratskandidatin hinter sich, sagt wenig, und als sie ausrasten und die ganze wahrheit auspacken will, setzt man sie in die hinter reihe der parteimitglieder.

dr. fernando plüss, dem parteisekretär, bleibt nur noch, die stichwahl gemäss statuten durchzuführen. doch lässt er nicht die parteimitglieder entscheiden, sondern das publikum. das erhält wahlzettel, wie es sich gehört, bestimmt werden stimmenzählerInnen, wie man das kennt, und dann wird ausgemehrt.

es gewinnt die herausfordererin patrizia bichsel, die dreimal mehr stimmen macht, als der anfängliche favorit, matthais herger.

als der vorhang fällt, wähnt man sich in einem stück realität. unverkennbar gespielt wurde hier die traditionsreiche bernische svp. es mischen fast unzertrennbar das politische und das gesellschaftliche. in diesem gibt es das öffentliche und das private. dieses wiederzum zerfällt in echtes und getäuschtes. all diese ebene verleihen dem geschehen auf der bühne spannung.

regie führte wie jedes jahr bei den aufführungen des wohlener trachtenvereins annemarie schädeli. sie scheint die mentalität der landleute gut zu kennen, ohne ihr milieu mit dem theater zu brüskieren. die fassade, von der man am anfang wenig überrascht kenntnis nimmt, bröckelt mit jedem schritt, mit dem man auf die entscheidung im machtkampf zugeht. das macht das stück, durchwegs von laienschauspielerinnen gespielt, lebensnah.

an ende war ich froh, nur gast im wohlner räberhaus gewesen zu sein. denn die analyse wäre mir nicht leicht gefallen. in der stichwahl habe ich mich nämlich enthalten, nicht weil ich neutral bleiben wollte, sondern weil mich beide protagonistInnen des stücks politisch nicht überzeugten.
die unterhaltung am abend – einem stück begegnung zwischen stadt und land – habe ich dagegen ausgiebig genossen.

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