wetternachhersage

ueber das wetter von heute im hohen norden muss ich nicht berichten. es ist mild, indes es regnet ununterbrochen. interessanter ist deshalb das wetter von gestern.

zusammen mit der uni mainz und der eidg. forschungsanstalt wsl hat die uni bern gestern eine studie zum langfristigen klimaawandel in nordeuropa publiziert. möglich wurde sie durch die paläoklimatologie. diese bedient sich neuer messmethoden wie der untersuchung von jahrringen, eisbohrkernen und seesedimenten.

besonders erträglich erweist sich lappland mit seinen vielen seen, die abstürzende bäume in sich aufgenommen und konserviert haben. fachleute sprechen schon mal von einem natürlichen klimaarchiv, das nun für die letzten 2000 jahre ausgewertet werden konnte.

demnach war es früher wärmer als bisher angenommen. vor allem zur römerzeit, insbesondere im 1. und 2. jahrhundert, aber auch im mittelalter, den jahren des 9. bis 12. jahrhunderts lagen die temperaturen regelmässig über dem durchschnitt. kältere perioden waren dagegen die zeiten der völkerwanderung, speziell das 4. bis 6. jahrhundert, und, wie bisher angenommen, der kleinen eiszeit (ab dem 13. bis ins 16. jahrhundert).

das passt auch zur grossgeschichtlichen entwicklung im norden, gelten doch insbesondere die jahre zwischen 800 und 1100 als die expansive phase skandinavischer kulturen mit bevölkerungswachstum – und den bekannten sommerexkursionen der vikinger.

das forschungsprojekt der klimaforscherInnen weisst nach, dass die langfristige abkühlung stärker war als bisher angenommen. sprich: führer war es im schnitt wärmer als angenommen – nicht viel, aber doch so viel dass die natur davon beeinflusst war. seit dem 20. Jahrhundert hat sich der lange zyklus, verursacht durch sonnen/erde-distanz verändert. mit den aktuellen klimawandel wurde es auch im norden wieder wärmer – wenn auch bei weitem nicht so viel wie in mitteleuropa.

jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass man das im sommer 2012 bald merkt. denn dann würde sich das milde, aber feuchte wetter, das wir dieser tage haben, hoffentlich bald in ein sommerliches verändern. zu wünschen wärs!

stadtwanderer

von der schweiz lernen

die neueste schweizer geschichte ist eben erschienen. sie irritiert und fasziniert zugleich.

9783406622069

wenn ein historiker aus schleswig-holstein ein werk über die schweiz schreibt, das im nachwort von der bundespräsidentin ruth leuthard berichtet, fragt man sich, wer im deutschen beck-verlag lektoriert hat. wenn der autor zudem als erstes seinen peer steinbrück zitiert, fürchtet man, eine rechtfertigung für die unwürdigen äusserungen des früheren deutschen finanzministers nachgereicht zu erhalten – und fast schon wäre der schinken kräftig zugeklappt im obesten tablar des hintersten büchergestells im estrich verstaut worden.

“das wäre schade gewesen!”, sagt man sich nach 512 seiten, geschrieben von volker reinhardt, mit dem neuesten zur schweizer geschichte.

die verflüchtigung der mythen und die folgen für die geschichtsschreibung ist das grosse thema des professors für allgemeine und schweizer geschichte an der benachbarten universität fribourg. nach ein paar federstrichen, mit den er die vorgeschichte zu 1291 skizziert, seziert er den gründungsmythos rücksichtslos, um ihn definitiv zu verabschieden – und auszurufen: “Zu den neuen Perspektiven und ihren Ergebnissen!”

dazu gehört, die ereignisse an der wende des 13. zum 14. jahrhundert konsequent im lichte der reichsentwicklung zu sehen: mit den habsburgern, den luxemburgern und den wittelsbacher konkurrenzierten sich drei adelshäuser beim neuaufbau des reiches, das nach dem ende der staufer-dynastie weitgehend in sich zusammengefallen war. für die waldstätte entscheidend war, von kaiser friedrich ii, dem weltgewandten sizilianer, 1231 und 1240 freiheitsbriefe ausgestellt bekommen zu haben, die sie von übergriffen der habsburger als adelige landesherren sicherten, einen reichtsvogt jedoch zuliessen.

werner von homberg, ritter und minnesänger mit stammsitz in der nähe oltens, sieht der autor als diesen verwalter unter könig heinrich vii. aus dem hause luxemburg-böhmen. denn für seinen feldzug nach rom, wo er nach 60 jahren unterbruch vom papst zum neuen kaiser gekrönt werden wollte, brauchte er, wie schon zu frühren söldner und gesicherte rückzugsräume. dafür machte er den erfolgreichen condottiere zum reichsvogt über die waldstätte, der den lokalen clans – den von attinghausen in uri, den ab iberg in schwyz und den von hunwil in unterwalden – ihre überlieferten rechte beliess, wenn sie dafür die söhne ihrer bauern als kampftruppe des kaiseranwärters verkauften.

wer zuhause blieb und etwas auf sich hielt, zog pferde auf, betrieb viehzucht, stellte käse her und verkauft fleisch nach mailand, an den hof der visconti, die zum kaiser hielten. zuhause beanspruchte man dafür immer mehr weiderechte, genauso wie das reichskloster einsiedeln mit den habsburgern als vögte. da alles ging zulasten der allmenden, dem lebensunterhalt der einfachen bauern und hirten. die pauperisierten unterschichten wandten sich, am dreikönigstag 1314, gegen den abt in einsiedeln, reichsfürst in weltlichen sachen, wass herzog leopold von habsburg herausforderte, dem kloster schutz und schirm zu gewähren. bekanntlich scheiterte die aktion, doch verband der angriff die landleute von uri, schwyz und unterwalden, die sich mit dem morgartenbrief am 9. dezember 1315 wechselseitige unterstützung und friedenswahrung zusicherten. in dieser zeit, vermutet der autor, seien vorhandene briefe rückdatiert worden, um die ansprüche als hergebracht zu legitimieren, was zu 1291 geführt habe.

von bedeutung wurde dies, als 1320 reichsvogt werner von homberg in der nähe von genua verstarb, und sein sohn 5 jahre später auch verschied. das königtum im reich war unklar gelöst, mit je einem halbkönig aus den häusern habsburg und wittelbach, was den aufstieg des einfachen adels aus dem gotthardgebiet erleichterte. 1322 setzte sich ludwig der baier durch. vom papst gebannt, konnte ihn nur eine selbstorganisierte kaiserkrönung sichern, die er in rom, vom volk bejubelt, durchführen liess. dafür privilegierte er die reichsvogtei erneut, die nun ohne vogt war, dem kaiserantwärter aber den weg in die stadt am tiber sichern musste. so waren, schreibt reinhardt, “die Führungsschichten der drei Länder Uri, Schwyz und Unterwalden zu einer Einheit geworden, die aus eigenem Antrieb und für selbst bestimmte Zwecke aktiv zu werden gelernt hatte.”

die so entwickelte linie verfolgend, erzählt reinhardt flüssig und und faktenreich die geschichte der eidgenossenschaft. er berichtet, von den bünden mit luzern, zürich und bern, von der verfestigung der eidgenossenschaft durch die schlachten von sempach und murten, von ihrer bedeutung als zünglein an der waage im frühneuzeitlichen europa, von der abkehr der reformatoren von der expansionsidee, von der kirchlichen und politischen spaltung, von der konsoldierung des gewordenen staates im ancien régime, vom zeitalter der modernen revolutionen, der entwicklung der demokratie und der wirtschaft und von von der insel des friedens während den weltkriegen. das ganze endet mit den gegenwärtigen europäischen herausforderung – mit den neuen inneren reibungsflächen, den bilateralen beziehungen und der bangen frage, allein in europa bevor- oder benachteilt zu sein.

die aussensicht, die hier entwickelt wird, dürfte in deutschland und österreich gut ankommen. sie verbindet europäische geschichte mit lokalen ereignissen. genau das führt dazu, diese nicht zu überbewerten und sie in ein grösseres ganzes einzuordnen. genau das gefällt mir an diesem buch, allerdings mit dem preis, gelegentlich oberflächlich, bisweilen auch spekulativ zu verfahren. genau das dürfte bei den hiesigen historikerInnen zu einer zurückhaltenden aufnahme führen, sodass die neueste geschichte der schweiz faszinieren und irritieren dürfte.

gelungen in der schluss der grossen erzählung, der die eröffnung des neuen basistunnels durch den gotthard gewidmet ist. den so erzielten weltrekord in der beherrschung der berge, sieht volker reinhardt als letztes beweisstück dafür, dass “die Eidgenosenschaft mit ihren unterschiedlichen Sprachen und Kulturen wie kein anderes Land Europas die Fähigkeit, sich neu zu denken, zu erfinden und zu positionieren hat, ohne ihre Vergangenheit zu verleugnen.” fast schon als antwort an peitschen-peer mit der bildlichen peitsche folgert er: “In dieser Hinsicht kann Europa von der Schweiz nur lernen.”

stadtwanderer

vom versuch, den sonnenuntergang zu sehen

was haben wir in schweden sonnenunter- und -aufgänge gesehen! in der schweiz ist das schon mal ganz anders …

zürich flughafen: wir besteigen den zug nach bern. etwas erschöpft sitzen wir im erstbesten abteil ab. die sonne steht noch hoch im fenster. in schweden würde man sagen, noch zwei bis drei stunden bis zum untergang. hier geht jedoch alles schneller. also stellen wird uns auf eines tolles tagesende ein.

ausfahrt hb zürich: vorortszüge rasen unmittelbar vor uns an uns vorbei. bei dicht gefüllte taktfahrplan den sonnenuntergang sehen zu wollen, ist wohl vermessen. was bleibt ist ein langgezogenes sbbbbbbbbbbbbbbbb.

dietikon: im grossen siedlungsbrei endlich etwas aussicht. die limmat mischt das ghrün der bäume mit dem gelb der strahlen. dann wieder häuser, strassen, unterführungen, lagerhallen, überführungen, sogar ein laster, zahlreiche autos und eine autobahnbrücke. viel schatten liegt über uns.

heitersbergtunnel: nomen non est omen. schlagartiges einnachten. das fenster reflektiert unsere teebecher. schemenhaft sehe ich bärbi, meine sonne für alle fälle, ohne sie anzusehen.

lenzburg: nach der herofrabrik sehen wir die sonne erstmals für eine weile am stück. im innersten erscheint sie weiss, dann gelb, schliesslich goldig. mit dem braun wird ihre aura schwächer. dann wieder nichts. brücke, rampe, strassenbord, wenigstens etwas grünlich.

rupperswil: die abstimmung in der tiefstehenden abendsonne ist toll. die strommasten funkeln, selbst die stellstehenden güterwagen wirken ganz erwärmt. die ferrumfabrik liegt schon etwas im schatten, doch sprüht die sonnen licht zwischen die häuser. am schönsten ist das gelbe haus im gelben himmel. dann bäume, bäume, bäume, in dichter folge.

aarau: “schöööööni” und “dreiiiiiier” im huckeack – ich weiss, wir streifen kurz aarau. hier würde ich jeden winkel kennen, aus jugendzeiten, wenn sie nur nicht überbaut wären. der neue bahnhof glänzt, grau, hellgrün, hellgelb, fast schon seiden. doch braust ein gegenzug an uns vorbei “verschwommenes abendrot in der moderne” könnte das bild heissen. dann wieder tunnel.

gösgen: der rauch aus dem atomkraftwerk steigt weit über die skyline hinaus auf. er wird von der untergehenden sonne fast schon gespenstisch erleuchtet. zuunterst dunkelgrau, dann immer heller, zuoberst fast schon weiss, das sich im himmel auflöst.

olten: die sonne ist untergegangen. der tag ist vorbei. sein nachhallen spiegelt sich noch im bahnhofsdach. was für eine attraktion! danach will ich das auge fast schon abschalten, genauso wie den fotoapparat. doch wäre das alles viel zu früh gewesen. denn die lieblichen momente beginnen erst. pastellfarben, die ganze auswahl!

kurz vor bern: die sonne zeigt sich noch einmal, was für eine schöne überraschung. es ist fast wie im hohen norden, die nächte scheinen ganz kurz zu sein. die weite besticht, der himmel ohne wolken, der jura in der abendlichen finsternis, die fensterscheibe leicht errötet. ein tolles bild! doch dann eine baumgruppe – und weg ist die sonne und mit ihr die hoffnung, dass es schon wieder morgen wird. obwohl bärbi ihre schminkdose hervorkramt, um sich frisch zu machen.

bern: endstation. auch für unseren heimreisetag.

stadtwanderer

soll ich nun für die weltwoche schreiben?

ich habe ein angebot, neuerdings für die weltwoche zu schreiben. hier das dispositiv meiner noch ausstehenden entscheidung.

img20
wie man ihn kennt: cr roger köppel. was man jedoch nicht weiss: er will den stadt- wanderer anheuern.

es ist bekannt: auf der redaktion der weltwoche mag man mich nicht wirklich. und ich bin kein freund des weltwache-journalismus, der auf alles schiesst, was ausserhalb der svp um einen kopf aus der menge herausragt.

umso erstaunlicher war es für mich, als mich nach der letzten “arena”-sendung, an der ich teilnahm, mein experten-nachbar und wewo-chef roger köppel ein angebot machte, über historische themen für seine gazette zu schreiben. verlockend für mich, einer meiner starken neigungen noch etwas mehr als bisher nach gehen zu können – verlockend aber auch für ihn, mich von der analyse der gegenwart abzuhalten.

für meine sommerferien im schwedischen holzhausen habe ich mir mal ein arbeitsthema gegeben: “axel ochsenstierna beitrag zur staatenbildung der schweiz”.

den meisten mag das gar nichts sagen. denn kaum jemand dürfte den namen des schweden während des 30jährigen krieges von 1618 bis 1648 je gehört haben, der sich bei den verhandlungen für den westfälischen frieden so tatkräftig gegen den kaiser und für die sache der reformierten hervor getan hatte. auf den französischen könig war in dieser sache nämlich kein grosser verlass.

meine these lautet: die reformierten in der schweiz haben ihre gleichstellung mit den katholiken nicht nur in den villmerger kriegen von 1712 erkämpft. die emanzipation der gläubigen in zürich, schaffhausen, basel, bern und lausanne von der vorherrschaft der katholischen orte wurde vom schwedischen reichskanzler tatkräftig vorbereitet. insofern ist der aufstieg der reformierten städte in der schweiz im 18. jahrhundert nur ein vorspiel ihrer isolierten stellung, die aus einer vernetzung mit dem ausland hervorging. der urbane protestantismus in der schweiz ist damit seit seiner gleichberechtigung aussenorientiert-europäisch, nur hat er das vergessen!

die formulierung gewagter thesen habe ich ja als kritischer wewo-leser gelernt. entweder kann ich sie nicht bestätigen, dann schicke ich roger köppel wohl nur eine postkarte aus den ferien. denn unbestätigte thesen gehören nicht in ein politmagazin. oder es gelingt mir der dialektische schritt, und dann schicke ich am 1. august 2011 mein ochsenstierna-manuskript an die chefredaktion der wewo.

mauluege was de sommer so aues brengt!

stadtwanderer

.

von der sog. schönheit in der politik

mein letzter “essay” vor der sommerpause.

die letzte email vor meinen sommerferien erkundigte sich zum thema schönheit in der politik. es ging um eine stellungnahme zuhanden eines tagesmediums.
ganz berufen fühlte ich mich im thema zwar nicht, der temperatur der tage aber erschien mit eine direkte antwort auf das unübliche aberdurchaus angemessen.

3

“guten abend

eigentlicher trendsetter bei den männern war wohl christoph eymann, der frühere liberale basler nationalrat, mit viel sexapeal. das sorgte parteiübergreifend für erregte aufmerksamkeit. auf der frauenseite begeisterte doris leuthard mit dem anmut einer prinzessin jedenfalls der männerherzen. beides brachte glamour in die bisweilen triste realität der schweizer politik.

im ihrem windschatten ist ein neuer typ politikerInnen auf die bühne gelangt. denn mit der generation bruderer hat sich, sagen wir mal, einiges verändert. die jüngste nationalrätin musste damals nicht lange warten, bis sie reden durfte und in den zeitungen kam. sie war medialisiert, bevor sie sich in der fraktion etabliert hatte. es störte sie nicht, aufgrund ihres attraktiven äusserlichen bewertet zu werden. für die gestandenen linken frauen war das ein fürchterlicher tabubruch. indes, er war nötig und seither haben wir zahlreiche bruderer und schwesterer in der politik.

das alles ist toll!. denn es spricht für ein gesteigertes selbstvertrauen unserer politikerInnen. das ist im härter gewordenen nationalen und internationalen wettbewerb auf jeden fall ein neuer standortvorteil. die veränderung steht auch für einen der wichtigsten kulturwandel der gegenwart: jede(r) darf oder muss sich jederzeit selber erfinden. es lebe der erwartungshorizont der möglichst schönen!

den männern fällt das noch schwerer. parfüm und schmuck zur veredelung des körperlichen ist seit der französischen revolution verpönt. seither muss man etwas nach miststock riechen, karrenschmiere an den händen haben oder bürgerlich gekleidet sein. alles adelige, das vom edlen käme, ist ja seit 1789 anrüchig.

alle versuche, beispielsweie das so begründete nachrevolutionäre kleidungsritual im parlament von liks her zu überwinden, sind gescheitert. der pullover über den schultern von andy gross schrieb nicht wirklich geschichte. und das patriotische schweizer kreuz auf der brust von anita fetz ist auch recht rasch verschwunden.

trotzdem, hier haben es die frauen einfacher. wer politikerin werden wollte, muss mit der tradition von kirche-küche-kinder gebrochen haben. individualisierung gehört da quasi zum politischen programm. deshalb drückt es sich auch leichter im eigenen schmucken kleiderstil aus, wie bundesrätin sommaruga das zeigt, entspricht das gesicht schneller dem einer miss schweiz wie bei nationalrätin nathalie rickli oder folgt der ganze habitus dem der gängigen schönheitsideale der gegenwart wie bei nationalrätin isa-belle moret.

dahinter steht der medienwandel mit dem pictural turn, der mit dem strengen politkultur der nzz im geiste zwinglis (“es gilt nur das gesprochene wort”) brach und die vorreformatorische bildlichkeit des heiligen wieder aufleben lässt. denn das fernsehen lebt vom bild, das internet auch. (selbst mein blog funktioniert so, denn ohne icons fehlt den text die rahmen in unserer vorstellungswelt.)

das gute dabei: die aufmerksamkeit steigt. das schlechte: das bild wird zum kommunikationskern, das bild der politikerInnen auch, was nicht unproblematisch ist.

denn jetzt geht es um die gretchenfrage: was schönheit ist, ist kaum zu definieren. selbst umberto eco brauchte zwei bücher dazu, eines über schönheit in der geschichte und eines über hässlichkeit. demnach ist schönheit seit der griechischen antike idealisierte körperlichkeit, inszenierte kleidung und ausstrahlung nach mass. in der moderne kommt hinzu, dass alles eine folge des geschmacks wurde, wie wir seit den analysen von jürgen habermas über den strukturwandel der öffentlichkeit wissen.

die gegenwärtige postdemokratische wende der politischen schönheit stammt aus italien. denn aussehen steht hier vor ideologie, ohne zu verstecken, vielmehr um sie zu kommunizieren. seit längerem weht da ein hauch von dolce vita, sexueller eruptionen und fatalen skandalen nicht nur durch die regierungsgemächer von silvio berlusconi bis mara carfanga, nein, das alles dehnt sich auch über die alpen auf halb europa aus.

die rezeption in der schweiz erfolgte sprachkulturell differenziert: marina masoni gehörte im tessin zu den frühen nachahmerinnen, und francine jeanprêtre in der romandie war in einer vergleichbaren prionierrolle. hauptgrund für die rasche adaptation: das flair der lateiner für das urban-modisch-bewusste, das sich in der rural-unauffällig-gleichgültigen deutschen schweiz nur mit bedacht nachvollzogen wird.

immerhin, selbst die wissenschaft beschäftigt sich zwischenzeitlich mit fragen der schönheit in der politik: regula stämpfli, die einzige in der politologInnen-gilde, die über die dreiecksbeziehung von sex-macht-politik philosophiert, ist, wie man erwarten konnte, angewidert vom zerfall der der politischen kultur. ihr antipode, georg lutz, steht dagegen auf schönheit. er hält sie für wichtiger bei der wahl, als es die internationale literatur eigentlich zulassen würde. denn in der us-amerikanischen wahlforschung gilt vorteilhaftes aussehen als genau ein von 49 erfolgskriterium für die politikerInnen. lady deut-piece aus alaska ist ja der beste beweis dafür.

denn es gilt: allem erotic capital von typen wie sarah palin in der politischmedialen kommunikation zum trotz bleibt politik politik. und das ist ein wenig mehr als show. das weiss man sogar bei der vergabe des swissawards im leutschenbach, und man sollte es in den redaktionsstuben nicht ganz vergessen!

ich bin überzeugt, dass ihre fragestellung typisch ist für die gängige mediengesellschaft. deshalb bin ich auch nicht ganz sicher, ob das diskutierte phänomen ausserhalb der virtualität wirklich real ist. ausser ein paar hübschen blumen bleibt viel äusserlicher durchschnitt im parlament. ganz nach dem motto, unkraut verdirbt nie! das ist auch gut so, denn es beweist bei aller luftigkeit der medialen politik die bodenhaftung der politik vor ort.

so, gehe jetzt nach schweden. anna lindt war nicht nur eine tolle frau, sie war auch eine starke persönlichkeit und herausragende politikerin. das ist mir immer noch lieber. bin halt noch älter als sie (54). leider ist mit ihr auch mein schönheitsvorbild (aus)gestorben!

claude longchamp
alias stadtwander

sieben thesen zur entstehung und situation der schweiz

tina war überschwänglich. die slovenische fernsehfrau empfing mich am treffpunkt im zürcher hb und kam gleich zur sache. sie wolle ein interview von mir, vom sieg der eidgenossen über die habsburger bis hin zum nicht-eu-beitritt der schweiz in der gegenwart.

Logo_rtv_slo
die schweiz dem slovenischen fernsehen erklären – das notizbuch der vorbereitung und durchführung.

während die kamera in grossen halle installiert wurde, fragte mich die slovenische journalistin, ob es stimme, dass ich keinen doktor habe und dennoch an der uni unterrichte. ich antwortete ihr, so ungefähr sei das. sie wollte wissen, ob das nicht unmöglich sei. ich nickte, was sie erstaunte: sind sie also unmöglich? – nein, nein, ich bin einfach erfahren antworte ich.

hier die thesen, die ich als hintergrund für das gespräch mit dem slovenischen fernsehen vorbereitet habe:

erstens, das ist zuerst der ausgeprägte regionalismus mit einem dutzend städte und länder, die durch ihre kooperation untereinander im zerfallenden kaiserreich realtiv hohe autonomie erlangten. ursprünglich ging es um die hoheit über transitstrassen und kirchen. später war man vor allem ein militärbündnis. das angebot war attraktiv, weshalb das bündnis namentich zwischen mitte 14. und mitte 16. jahrhundert wuchs.

zweitens, die entwicklung einer übergeordneten staatlichen struktur wurde namentlich durch die reformation verhindert. das wachstum des bündnisses aus dem mittelalter wurde so gestoppt, die aussen- durch die binnenorientierung abgelöst. gespalten wurde auch die einheit von stadt und land, denn vor allem die städter wandten sich der neuen lehre zu, blieben aber lange in der minderheit. geformt wurde dadurch der reformierte stadtstaat in der katholischen umgebung.

drittens, am ende des ancien regimes, also vor der eroberung durch frankreich, kann man von einer staatlichen organisation sprechen, in der republikanische gedanke verwirklicht wurde. dank beteiligung am europäischen handel kam man zu reichtum, die konfessionelle spaltung wurde überwunden, die herrschaft über das militär war gegeben. die entscheidungsprozesse waren jedoch schwerfällig, die vielfalt der voraussetzung in der patrizischen, zünftischen und landsgemeindeorte blieb gross. eine nation war die schweiz im ancien regime eindeutig nicht, ein kleinstaat im werden der europäischen nationalstaaten schon.

viertens, mit der modernisierung des staates unter einfluss frankreichs und österreichsr enstanden die voraussetzungen für die schweizerische eidgenossenschaft: der föderalismus und die direkte demokratie zeigen die grössen wirkungen und sind dauerhaft von bedeutung. geblieben ist auch die republikanischen tradition. hinzu kommt eine verwaltungstradition, welche den bündnischarakter der staats ablöst. patriotische, liberale, radikale, demkratische und soziale bewegungen entwickel(te)n nicht nur die gesellschaft; sie prägen schrittweise das erneuerte schweizerische staatsverständnis, das dadurch bis heute einem patchwork mit einflüssen aus frankreich, den usa, deutschland und italien gleicht.

fünftens, der heutige staat ist ein kompromiss aus wirtschaftlichen erfordernissen der einheit und kulturellen grenzen aus der vielheit. die schweiz ist ein bundesstaat, der auf integration der regionen, konfessionen, sprachen und schichten ausgerichtet ist. die demokratisierung der politik trug mit ihrem mobilisierenden element einiges zur verbreiterung der basis bei, selbst wenn schwächen bei frauen und jungen lange bliebe oder anhalten. die konkordanz entwickelt sich zum vorherrschenden strukturmuster der politischen kultur, die auf verhandlungen zur konfliktlösung setzt. das wirkt sich auf die regierungsbildung aus, gelingt unter wirtschaftlichen guten bedingungen besser.

sechstens, mit dem ende des kalten krieges ende des 20. jahrhunderts verschwindet der zauber des schweizerischen staatswesens. der antikommunismus als einigende klammer fällt weg. die globalisierung von wirtschaft und kommunikation, die internationalen firmen und das internet bringen neue dynamiken ins land, das durch eine scharfe polarisierung der politik, der ökonomie und der gesellschaft erfasst wird. die anhänger einer rückwärts gewandten, traditionellen schweiz, und einer vorwärtsgewandten, modernen schweiz stehen sich schroff gegenüber.

siebtens, politisch sind heute die traditionalisten im vorteil, obwohl sie nur eine minderheit ausmachen, doch ist diese in einer nationalkonservativen partei geeint. derweil streiten die sich die vertreter des bürgerlichen zentrums und der rotgrünen linken darum, wer die vorherrschaft haben so, wie die modernisierung des schweizerischen staates im 21. jahrhundert aussehen soll.

ob die schweiz unter diesen bedingungen der eu-betreten werden, wollte tina am ende wissen. diese antwort konnte ich ihre locker schuldig bleiben …

stadtwanderer

ps. das inti erscheint am do im slovenischen fernsehen, werde eine link besorgen.

state building in switzerland

das slowenische fernsehen will mich interviewen. es geht um die staatenbildung am beispiel der schweiz. das land geniesst auf dem balkan viel sympathien. das weiss ich aus der erfahrung, die ich in verschiedenen reise gesammelt habe. jetzt geht es darum, wie man das auf den punkt bringt. ich bitte um mithilfe.

Tilly 1charles tilly. amerikanischer historiker, sozio- loge und politiker, der sich mit dem prozess der staatenbildung eingehend auseinander gesetzt hat.

charles tilly, ein amerikanischer sozialwissenschafter, den ich während meinem studien fleissig konsultiert habe, schreibt dazu: “State building provided for the emergence of specialized personnel, control over consolidated territory, loyalty, and durability, permanent institutions with a centralized and autonomous state that held the monopoly of violence over a given population“. generell gesprochen geht es um den prozess, bei dem sich der staat von der gesellschaft durch institutionen zu unterscheiden beginnen, welche die entscheidungsprozesse formalisieren.

wann und wie ist das in der schweiz geschehen?

mehr oder weniger klare staatsgrenzen haben wir seit 1815.
mehr oder weniger permanente institutionen haben wir seit 1848 und danach.

spuren davon entstanden unter einfluss der französischen revolution, als folge der der reformation und durch gemeinsame bündnisse gegen habsburg. die ältesten vorstaatlichen spuren kann man wohl ins 14. jahrhundert zurückverfolgen.

ausgebildet worden ist vieles erst im 20. jahrhundert: zum beispiel die eigene einheitlich währung. oder die staats- resp. autobahnen.

das konkordanzsystem hat alte ursprünge. seine überhöhung hat es aber erst in der nachkriegszeit erhalten. die direkte demokratie als abstimmungsdemokratie gibt es seit rund 180 jahre. das milizsystem wiederum ist älter, der föderalismus sogar viel älter.

zudem: aus meinen reise auf dem balkan weiss ich, wie schwierig es ist, etwas, das an einem ort funktioniert hat, an einem andern zu realisieren! staatenbildung ist ein prozess der mobilisierung, der nur gelingt, wenn er nicht bloss von oben gesteuert, sondern auch von unte getragen wird!

so bleibt mir nur eines zu fragen, auf das es wohl viele antworten gibt: wie nur soll man das alles in wenigen, knappen, gut verständlichen sätzen (auf englisch) für slowenen formulieren?

hilfe! wer macht mit, bei versuch, das interview vom kommenden dienstag sach- und mundgerecht vorzubereiten, wenn es heisst: how was the process of state bilding in the famouse case of switzerland?

stadtwanderer

mehr oder weniger kla

die ego-, öko-, konflikt- und angst-schweiz

gerne hätte ich den bericht auch vorzeitig gehabt. doch eine vorab-publikation im “blick” war der schweizerischen vereinigung für zukunftsforschung wichtiger als auf dem stadtwanderer. so bleiben mir nur der hinweis und der vorläufige kommentar zur studie “schweiz 2030”. übernächste woche, wenn sie ausführlich erscheint, gibt’s dann (hoffentlich) mehr.

georges t. roos ist ein engagierter und vorsichtiger forscher zugleich. wenn er über den wertewandel in der schweiz bis ins jahr 2030 redet, macht er klar, dass er auch nicht weiss, was dann sein und wie die schweiz in 20 jahren aussehen wird. der trendforscher glaubt deshalb auch nicht, dass es nur eine zukunft gibt. vielmehr beobachtet er die entwicklungen der gegenwart und projiziert sie auf verschiedene zukünfte.

nach zahlreichen expertInnengesprächen (zu denen ich geladen war), kommt er zum schluss: es gibt vier plausible entwicklungspfade der schweiz für das stichjahr 2030:

HBNGDO6V_Pxgen_r_179x256die ego-schweiz:
demnach geht es der schweiz auch in zukunft gut. die menschen sind gebildet, reich und sicher. sie sind erfolgreiche individualistInnen. einzig an nestwärme fehlt es der wettbewerbsgesellschaft, weshalb sich das kollektiv, die gemeinschaft und die geschichte bis zur unkenntlichkeit zurückentwickeln. die schweiz wird zur wohlstandsinsel ohne inneren zusammenhalt.

HBVbM3ON_Pxgen_r_278x398die öko-schweiz:
demnach meister die schweiz die grosse herausforderung der zukunft – die vermittlung von ökonomie und ökologie. sie profitiert davon, darin trendsetterin zu werden. nachhaltigkeit der wirtschaft, der gesellschaftlichen und menschlichen entwicklung sind die wichtigsten werte, welche die ökogesellschaft politisch im verbund mit der eu realisiert werden.

HB8XnwQR_Pxgen_r_231x256die konflikt-schweiz:
demnach wird aus der gesellschaftszwiebel mit einer breiten mitte eine sanduhr mit vielen reichen oben und vielen armen unten. die gesellschaftlichen aggressivität steigt. das land droht sich in der spaltung aufzulösen. die frage nach der solidarität wird neu gestellt. erreicht wird sie mit eu-beitritt und harter kontrollgesellschaft, um die inneren konflikte zu mindern.

HBFQB0B0_Pxgen_r_179x256die angst-schweiz:
demnach gibt es zwischen dem eigenen und dem fremden nur noch trennendes. die schweiz isoliert sich von seinen nachbarn. der wirtschaft schadet es, hauptsache man bleibt rein. die eigene kultur wird gepflegt, die anderen kulturen sind verhasst. die unternehmen verlassen das paradies.

sicher, das alles sind nur schemen der zukunft. sie zeigen uns aber, dass verschiedene entwicklungen in der gegenwart angelegt sind. deshalb macht es auch sinn, mit zukunftsszenarien zu arbeiten: um sich zu fragen, wohin das, was ist, in der zukunft zielt. und das ganze macht durchaus sinn: man stelle sich ein viereck vor, indem oben die beiden optimistischen, unten die beiden pessimistischen zukünfte angesiedelt sind. oben-rechts ist die ego-schweiz, unten-rechts die angst-schweiz, unten-links die konflikt-schweiz und oben-links die öko-schweiz. diesen radar kann man sich merken.

“Nicht alles ist machbar, aber auch nicht alles ist Schicksal”, wir der studienleiter ross im sobli von gestern zitiert. ich füge dem bei: traditionelle gesellschaft kennen nur den erfahrungsraum des vergangenen; moderne haben darüber hinaus einen erwartungshorizont, der das kommen im auge hat. diese ist nicht eindimensional, sondern szenarisch. es kommt darauf an. auch welchen zukunftsplan sich eine gesellschaft einlässt.

stadtwanderer

es waren staatsbürgerinnen ohne stimmrecht

den langen weg zum frauenstimmrecht hat die berner geschichtsprofessorin beatrix mesmer anhand der politik der frauenverbände im 20. jahrhundert nachgezeichnet. ihr schluss, erst damit, dass frauenrechte als teil der menschenrechte gesehen wurde, kam es zum durchbruch.

978-3-0340-0857-0während des ersten weltkrieges bauten die frauen auf vorleistungen wie die freiwillige nationale frauenspende.
in den ersten kantonalen abstimmungen nach dem krieg, die das frauenstimmrecht vorsahen, honorierten die männer das nicht.

dann setzten die frauen auf die doppelte qualifizierung der mädchen für beruf und haushalt, um den ihnen zu mehr ökonomischen einfluss zu verhelten.
doch das scheiterte angesichts der tiefen wirtschaftskrise der dreissigerjahre.

schliesslich versuchte man es nach dem zweiten weltkrieg über den einsitz in expertenkommissionen, um auf die gesetzgebung einfluss zu nehmen.
das zeigte bescheidene erfolge, wie beispielsweise bei der staatsbürgerschaft verheirateter frauen.

erst die rezeption der menschenrechtsdeklaration verhalf dem frauenstimmrecht zum durchbruch. sämtliche verbände fanden sich einer arbeitsgemeinschaft zusammen, welche in kantonen und auf bundesebene volksabstimmungen verlangten.
dank einer neuen demonstrationskultur wurde der öffentliche druck so gross, dass 1971 die wichtige etappe in der gleichstellung der geschlechter in der schweiz gelang.

am 6.6.1971 stimmten die frauen erstmals wie die männer in einer eidgenössischen sache ab.
aus staatsbürgerinnen ohne stimmrecht waren nach einer langen und beschwerlichen wanderung vollwärtige stimmbürgerInnen geworden.

stadtwanderer

die kleine verfassungsrevision von 1866

schon die ersten abstimmungen zu verfassungsänderungen zeigten stärken und schwächen der direkten demokratie: ihre entscheidungen sind durch das volk legitimiert, und sie können im widerspruch stehen zum übergeordneten menschenrecht.

Bundesverfassung_1848_Schweizdie bundes- verfassung von 1848 hielt bis 1874, trotz wichtigen änderungen im jahre 1866

wenn es um schweizerische verfassungsgeschichte geht, spricht man gerne von 1848, 1874 und 1999, den drei daten, an denen die jeweils neuen bundesverfassungen beschlossen wurden. 1848 wurde die liberale bundesverfassung eingeführt, 1874 und 1999 kam es zu zwei erfolgreichen totalrevisionen.

wenig gesprochen wird dagagen vom jahr 1866, als es zur ersten kleinen verfassungsrevision kam. am 14. januar beschlossen die stimmenden alle bürger in bezug auf niederlassung und gesetz gleichzustellen. damit fiel die ausnahmebestimmung für juden, die in der alten eidgenossenschaft tradition hatte und auch in die 1848er verfassung eingang gefunden hatte. weiterreichende gleichstellungen wurden indessen verworfen. sie hätten beispielsweise auch das stimmrecht, die glauben- und kultusfreiheit füür juden gebracht.

zur abstimmung kamen die vorlagen, weil frankreich in der schweiz interventiert hatte. denn die verfassung von 1848 garantierte den juden nicht, was für christen galt. kaiser napoléon III. verlangte, das im sinne der menschenrechte zu ändern. bundesrat und parlament stimmten dem zu und mischten einige entschärfungen von schwächen der 48er verfassung wie die vereinheitlichung von massen und gewichten bei, sodass es zu den ersten neun volksabstimmungen in der schweiz kam.

wirklich vorbereitet war man darauf nicht. das merkt man bis heute, wenn man die unterlagen zu entscheidung studiert. so gab es kein register der stimmberechtigten, das es erlaubt hätte, die stimmbeteiligung zu ermitteln. sie ist bis heute unbekannt. man weiss einzig, dass rund 320’000 personen stimmten. und merkwürdig mutet an, dass die vereinheitlichung der masse und gewichte angenommen wurde, obwohl eine mehrheit der kantone die zentralisierung ablehnte.

das alles hatte damit zu tun, dass die liberalen teilrevisionen ihrer verfassung von 1848 nicht zulassen wollten. zu stark fürchteten sie die opposition aus dem katholisch-konservativen lager, aber auch aus der romandie. deshalb bereitete man verfassungsrevision durch das volk gar nicht vor.

1872, beim ersten versuch, die bundesverfassung geordnet zu revidieren, kam es denn auch zu dieser doppelten opposition, sodass der versuch mit 49 zu 51 prozent zugunsten der ablehnung scheiterte. erst 1874 gelang die erste totalrevision mit einer volkszustimmung.

bei meiner stadtwanderung mit dem international zusammengesetzten beirat zur vox-analyse, die ich am freitag abend durchführte, wurden mir die zusammenhänge so richtig bewusst.

frankreich ist nicht nur geburtsort des europäischen demokratieverständnisses. mit der jakobinischen verfassung von 1793 wurden auch erstmals volksrechte proklamiert. der gedanke wurde in der folge nicht weiter verfolgt; vielmehr entwickelte sich in frankreich der parlamentarismus, mit einem kaiser, könig oder staatspräsidenten an der spitze.

in anlehnung an die landsgemeinden in den landkantonen entwickelte sich die demokratie schrittweise weiter: zuerst von der versammlungs- zur abstimmungsdemokratie. dann von der verfassungsmässig geschützten parlamentarischen demokratie zur direkten demokratie.

eine schwäche blieb: die einbettung in menschenrechte, die universelle gültigkeit beanspruchen war gering und sie ist bis heute eine schwäche geblieben. da brauchte und braucht es bis in die heutige zeit gegendruck von aussen. daran erinnern abstimmungen über “outgroups” von 1866 bis in die heutige zeit.

stadtwanderer

weg womit?

gut heisst er. was er heute bietet, ist schlecht.

bundesrat

hätte es noch eines beweises bedurft, dass das vulgäre an (fast) keiner mediums- grenze mehr halt macht, dann wäre er spätestens heute erbracht worden. denn in der nzz karikiert peter gut wie immer samstags den entscheid des bundesrates in sachen atomausstieg mit den vier bunderätinnen, einzig mit einem kühlturm bekleidet, in aufreizender pose. untertitel ist: “weg damit!”

selbstverständlich fragt man sich womit?

mit der kernenergie?
mit dem feigenblatt?
mit den bundesrätInnen?

machen wir uns nichts vor, in der 162jährigen geschichte der schweizerischen eidgenossenschaft ist das der erste spektakuläre entscheid, den eine frauenmehrheit im bundesrat gefällt hat. nicht nur der ausstieg ist von historischer tragweite, auch der zusammensetzung von mehr- und minderheit gebührt die würdigung. “weg damit” unterstellt, die vier zustimmenden bundesrätinnen hätte es sich leicht gemacht. in einer art kurzschlusshandlung entschieden, die folgen nicht bedacht. das sind die worte der kritikerInnen, die ehrenswert sind, solange auf die sache zielen. diese darf dabei aber nicht verstellt werden. beschlossen wurde ein geordneter, mittelfristiger ausstieg. niemand will akws sofort abstellen, denn alle wissen, dass die sicherheit der versorgung, aber auch der menschen über allem stehen muss.

war mit weg damit gemeint, unsere bundesrätinnen müssten ausgezogen, wie sklavinnen auf dem jahremarkt der belustigungen vorgeführt und einmal tüchtig gezüchtigt werden? der visuell übersättigten mediengesellschaft ist das durchaus zuzutrauen. gerade politikerInnen werden seit ruth metzler auf ihr äusseres reduziert, teilweise mit widerstand, teilweise mit augenzwinkern und teilweise auch mit kalkuliertem gewinn. wie andere formen der personalisierung ist das alles ambivalent. es kann die aufmerksamkeit für politische botschaften erhöhen, es kann sie aber auch bis zur unkenntlichkeit überlagern. das ist namentlich dann der fall, wenn politikerInnen, ja bundesrätInnen, zu sex-objekten für die männerbünde in der politöffentlichkeit werden. die aufregung war gross, als jüngst die juso die spitzen der internationalen wirtschaft in der schweiz sinnbildlich entblöste, um sie für ihre politisches anliegen ohne rücksicht auf minimalstes sittliches empfinden zur schau zu stellen. die justiz musste einschreiten, um remedur zu schaffen. bleibt abzuwarten, was mit der durchaus vergleichbar unschicklichen nzz-karikatur geschieht.

denn weg damit kann in der postfeministischen äre der politischen diskurse auch bedeuten, dass man sich der frauen im bundesrat entledigen sollte. mindestens eine ist ja schon seit ihrer wahl auf der abschussliste. von einer zweiten sagt man, ihre karriere stehe im herbst des politikzyklus’. bei den beiden anderen war man bisher noch vorsichtiger. denn mindestens in den umfragen der sonntagspresse sind sie nicht nur die mitunter bekanntesten politikerinnen, sondern auch die beliebtesten im land. soll sich das nun alles vorbei sein? haben die magistratinnen mit ihrer atomentscheidung den politischen kredit verspielt? bei der wirtschaft, sagt man jedenfalls, um beizufügen, dass auch ihre sozialmoralische integrität in der gesellschaft in frage gestellt sei. wer so skandalisiert, will wohl eines: dass die bundesversammlung der frauenförderung in der politik endlich den riegel zu schiebt und wieder männern in die höchsten posten des staates wählt.

ich habe diese woche eine längeres gespräch gehabt mit einem kollegen – einem schweizer politikwissenschafter, der lange in den usa lebte, unserem land aus der distanz eng verbunden blieb. er erzählte mir davon, wie er mitbekommen habe, dass ein präsident einer nationalen partei in der beiz schlechte witze über ein der bundesrätinnen erzählt habe. das alles war vor fukushima und der kritisierten karikatur. mein gegenüber sagte mir, er habe den parteipräsidenten zur seite genommen, sich vorgestellt, als spezialist für konkordanz und gesprächskultur, um sich über den dramatischen zerfall der schweizerischen politkultur zu beklagen, in der nicht mehr der kampf um gegensätzliche standpunkte zähle, sondern die möglichst offen zur schau gestellte respektlosigkeit.

sexistische herabstufungen politisch andersdenkender ist kein fortschritt in der entwicklung der schweiz, für den mindestens in meiner vorstellung die nzz noch steht. es ist ein rückschritt, der nicht besser wird, wenn er mit gut signiert ist. denn das bild und seine symbolik sind und bleiben schlecht.

stadtwanderer

wettstein, die eidgenossenschaft und ihre souveränität

johann rudolf wettstein gilt als der mann, der 1648 die unabhängigkeit der eidgenossenschaft vom kaiserreich erwirkte. nun ist seine biografie aus dem jahre 1935 neu aufgelegt worden, die eine kleine kontroverse über die souveränität der schweiz in gegenwart und geschichte ausgelöst hat.

413-Z1kLQnL._SL500_AA300_1935 veröffentlichte mary lavater-sloman das buch „Der Schweizerkönig“. porträtiert wurde darin johann rudolf wettstein, der legendäre basler bürgermeister, der am friedenskongress zur beendigung des „Dreissigjährigen Krieges“ die unabhängigkeit der eidgenossenschaft verhandelt hat.

neuauflage der biografie

nun ist das buch von der deutsch-schweizerischen winterthurerin 2011 im römerhof-verlag in zürich in leicht redigierter form eben erst neu erschienen. ob ich es zur lektüre empfehlen würde oder nicht, weiss ich nicht wirklich. obwohl aufgrund von quellen verfasst, gleicht die erzählung mehr einem historischen roman als einem geschichtswerk. denn es werden auch geschichten erzählt, die literarischer natur sind, um durch gegensätze spannungen zu erzeugen, die einem beim lesen der biografie vorantreiben soll.
ich weiss aber, dass die buchpublikation vor wenigen wochen eine kleine kontroverse mit grundsätzlichen fragen ausgelöst hat. angefangen hat dies mit dem nachwort, verfasst vom unternehmer und emeritierten zürcher philosophieprofessor georg kohler, dem flugs eine buchbesprechung aus der feder des herrliberger unternehmers und alt-bundesrat christoph blocher in der bücherbeilage der „NZZ am Sonntag“ gefolgt ist.
worum geht es? letztlich nicht um die biografie von johann rudolf wettstein. denn sie ist zu vielschichtig, um in einer politischen debatte der gegenwart eine eindeutige zeugin für eine partei zu sein.
1594 geboren, vermählte sich der 17jährige johann mit anna marie falkner; der ehe entsprangen 9 kinder. der 22jährige setze sich nach einer ehekrise richtung süden ab, trat in venezianische dienste ein, bevor er landvogt und schliesslich bürgermeister basels wurde, ein amt, das er bis zu seinem tode 1666 innehatte. überhaupt, die wettsteins waren alles andere als alteingesessene basler. erst 1579 hatten die zürcher einwanderer das bürgerrecht erworben. auch johann rudolf war nicht in basel ausgebildet worden. seine sporen als kontorist verdiente er sich im waadtländischen yverdon ab. einmal erster bürger seiner stadt, vertrat er jedoch ganz ihre interessen. im bauernkrieg von 1653 vertrat er gegenüber den aufständischen im baselbiet die harte hand der gottgewollten ordnung, liess er doch die anführer des aufstandes, die sich als gute eidgenossen gegen die obrigkeit vestanden, kurzerhand enthaupten. als grosses vorbild für das einfache volk taugt er damit überhaupt nicht.
wettsteins staatpolitische leistungen besteht sicherlich darin, 1646 ohne einladung zum treffen der möchtigen den rhein hinunter nach münster gereist zu sein, und ohne mandat der tagsatzung die sache basels und der eidgenossenschaft mit grossem verhandlungsgeschick vertreten zu haben, sodass er ein jahr später mit einem brief des kaisers und einem vertrag der garantiemächte in seine heimat zurückkehren konnte.

die kontroverse
um das, was das alles bedeutete, geht es in der kontroverse über wettstein und die eidgenossenschaft. doch da hilft die biografie nicht weiter. wie unsere älteren geschichtsbücher interpretiert sie nämlich das vertragswerk des westfälischen friedens als moment des austritts aus dem kaiserreich. das mag für die niederlande richtig und für die weltgeschichte sogar wichtig sein. auf die schweiz trifft es kaum zu, selbst wenn wir alle in der schule gelernt haben, dass sich die schweiz 1499 de facto, 1648 de jure aus dem kaiserreich verabschiedet habe.
kronzeuge für die neuinterpretation ist der schweizerisch-finnische historiker thomas maissen, geschichtsprofessor in heidelberg. er spricht nicht mehr von austritt der eidgenossen aus dem reich deutscher nation, weil das den damaligen eidgenossen gar nicht in den sinn gekommen wäre. 1499 wie 1648 habe der kaiser die eidgenossen von berpflichtungen des reiches ausgenommen, ihnen ihr gewohnheitsrecht bestätigt, und sie privilegiert, indem sie vor neuen verpflichtungen befreit wurden. für basel sei dies wichtig gewesen, denn der status der reichsstadt, die erst 1501 zur eidgenossenschaft stiess, blieb bis zum westfälischen frieden ungeklärt; für die eidgenossenschaft habe es sich mehr um eine bestätigung von privilegien und autonomie gehandelt. auch von einem souveränen afuftritt einer geeinten schweizerischen nation kann man 1648 nicht sprechen, denn die innere feindschaft seit der reformation blieb nicht ein zweidritteljahrhundert über den westfälischen frieden hinaus für die eidgenossen konstitutiv, war auch darin zum ausdruck kam, dass wettstein für die minorität der reformierten am treffen der grossen weilte, nicht aber der katholiken.
die zeitgenossen bejubelten die unabhängigkeit 1648 nicht, wie man das aus gegenwärtigen staatsgründungen kennt. sie verstanden sie auch nicht als das, eher als exemption, als ausnahme von reichspflichten. aus dem reichsverband schied die eidgenossenschaft denn auch erst 1806, bei der auflösung des kaiserreiches, sodass der dtatus der werdenden schweiz 1815 auf dem wiener kongress mit der selbständigkeit, mit garantien für grenzen und mit der neutralisierung des landes mitten in europa verbindlich festgelegt wurde.
1648 wurde die schweiz also alles andere als souverän. das letzte argument dafür ist, dass das konzept hierfür entwickelte der französische staatstheoretiker jean bodin im 16. jahrhundert in das völkerrecht eingeführt hatte, es von den eidgenossen aber erst in der zweiten hälfte des 17. jahrhunderts, als es nützlich erschien, die unabhängigkeit vom reich zu begründen, die jedoch mit dem Preis einer abhängigkeit von frankreich erkauft wurde. denn souverän war in dieser zeit der absolutistische könig frankreich, wie er mit louis XIV. vertreten wurde, während das volk seine souveränität erst mit der französischen revolution erreichte, als der bisherige souverän auf dem pariser marsfeld geköpft wurde.

geschichtspolitikerkritik
so mutet es in vielem als zeitgenössische geschichtspolitik an, wenn vordenker der gegenwart dem neuaufgelegten buch von mary lavater-sloman einen ganz bestimmten sinn abzugewinnen versuchen. hilfreich sind nur die hinweise, dass bürgermeister wettstein in den etappen zur selbständigkeit der Schweiz eine wichtige vollbracht hat; ideologisch mutet es an, wenn ein milliardär in franken den armseligen basler als wahren republikaner preist. hilfreich ist auch, dass das erscheinen der biografie weder 1935 noch 2011 zufällig war. übertrieben wirkt es jedoch, die neuauflage des Buches zum reloading des guten schweizers zu verklären.
denn die eidgenossenschaft erstarkte nicht, weil es solche vorbilder zweifelsfrei gab, sondern weil sich die eidgenossen später entschieden, nicht nur ein verteidigungsbund gegen aussen mit kriegsrat im innern zu sein, sondern auch eine schicksalsgemeinschaft zu werden, die sich stets ihrer selbst vergewissert, ohne zu vergessen, nicht nur sich, sondern auch andern verbunden zu sein. erst diese kombination macht sie souverän.

stadtwanderer

der härteste wahlkampf

grossbritannien will nichts von einer wahlreform wissen. die konservativen haben dem majorz die stange gehalten. in der schweiz ist alles anders, seit der kanton tessin zum 1890/1 zum proporz gewechselt hat, um den politischen konflikt zu entschärfen. ein rückblick aus aktuellem anlass.

oberst_kuenzli
arnold künzli, aargauer unternehmer, politiker, oberstkorpskommandant, und “vater” des proporzwahlrechts im kanton tessin

der tessiner putsch von 1890

bei den tessiner wahlen von 1890 krachte es gewaltig. die konservativen machten 51 prozent der stimmen, bekamen aber zwei drittel der sitze. unüblich war das damals nicht, denn man bestellte die parlamente, ganz gemäss angelsächsischem vorbild, nach dem majorzverfahren. doch die wahlen von 1890 befriedeten den konflikt zwischen konservativen und liberalen nicht. sie beförderten ihn förmlich.

angefangen hatte alles mit der klosteraufhebung durch den freisinn in den 1850er jahren. 1875 schlug das pendel zurück. die siegreichen konservativen bevölkerten die klöster wieder, räumten dafür bei der freisinnigen lehrer- und beamtenschaft auf. die angespannte lage eskalierte nach den grossratswahlen 1889. die konservativen siegten hauchdünn, mit 51,5 prozent, stellten aber mehr als zwei drittel der grossräte. als sich die konservative regierung weigerte, eine wahlrechtsreform durchzuführen, kam es zum eklat. der 11. september 1890 gilt das stichtag des tessiner putsches. die freisinnigen scharfmacher erschossen einen konservativen regierungsrat.

die eidgenossenschaft intervenierte im arg zerstrittenen kanton. 1400 mann eidgenössischen truppen wurden entsandt. an ihrer spitze stand oberst arnold künzli. der unternehmer und politiker aus dem aargauischen riken bei murgenthal konnte auf eine bemerkenswerte karriere zurückblicken: gemeindeammann war er gewesen, er hatte im aargauischen gross- und regierungsrat gewirkt, bevor er nationalrat wurde. 1879 präsidierte er diesen, um danach in verschiedenen mission im namen der eidgenossenschaft zu wirken.

künzlis engagement im tessin war zwischen autoritativer macht, politischem gespür und knallharten verhandlungen angesiedelt. als erstes musste er die revolution stoppen und die gewählten, aber gestürzten behörden wieder einsetzen. dafür galt es, eine zustimmung zur wahlrechtsreform durchzusetzen.

mit dem damals neuen proporzwahlrecht für behörden sollte die verfeindeten lager gezwungen werden, aus der position der minderheit miteinander zusammen zuarbeiten. machtteilung war das rezept der inneren befriedung. 1919 wurde es erstmals auch landesweit eingesetzt, um die sozialen spannungen zu mindern. das war das ende der bipolarität zwischen freisinn und katholisch-konservativen, denn es entstanden mit der sp und der bgb zwei neue flügelparteien, welche in die regierungen auf bundes- und kantonsebene drängten.

die oberst künzli gesellschaft
1994 gründeten einige murgenthaler unternehmer die oberst-künzli-gesellschaft. in der stattlichen villa des politikers aus dem 19. jahrhundert versammelt man sich regelmässig, um kulturelle, wirtschaftliche und politische anlässe zu feiern. referenten der letzten jahre waren franz blankart, benedikt weibel und peter spuhler. gestern war der stadtwanderer an der reihe!

zufall oder absicht? man hatte mich gebeten, über das wahljahr 2011 zu sprechen. ein bisschen aus dem nähkästchen des wahlforschers habe ich gesprochen. zuerst anhand des aktuellen wahlbarometers. dann als politikwissenschafter, der trends in gesellschaft, medien und politik analysiert. zum schluss wagte ich auch eine kleine einordnung der anstehenden wahl in den zeitgenössischen kontext.

die politische polarisierung der gegenwart

natürlich ging es um die aktuelle polarisierung. wird 2011 ein neuer rekord in der parteipolitischen polarisierung bringen, der der traditionellen mitte das genick bricht? oder kommt es zu einer mässigung durch neuen brückenbauer wie die glp oder bdp? genau weiss man das heute noch nicht, man kann aber das plus und minus der polarisierung bilanzieren. zu ersterem zähle ich die enttabuisierung verdrängter themen in der konkordanz, die klarere frontstellungen zwischen nationalkonservativer und linksliberalen grundhaltung, und die wieder anziehenden beteiligung der bürgerInnen an der nationalen politik. doch mag ich nicht verschweigen, dass das ganze auch nachteile hat. zum beispiel die ungleich stark gewordenen politischen kräfte, welche die zusammenarbeit erschweren. oder der hang zum fundamentalismus, der den pragmatismus untergräbt. und die focussierung auf personen, entweder hübsch aussehen und medial vergöttert werden, oder zielscheibe übler attacken durch politische gegner werden.

damit waren wir bei einem anliegen der oberst künzli gesellschaft. auf den ersten blick hätte man meinen können, das sei eine der typischen vereine von eidgenossen mit schnauz. daran sind auch zwei sachen richtig. die 40 mitglieder sind alles männer. und einige haben auch bemerkenswerte barthaare. doch dann entpuppte sich die gesellschaft als versammlung interessierter und aktiver staatsbürger, die viele fragen jenseits der parteipolitik stellten.

wie die kleine kontroverse beim anschliessenden nachtessen zwischen kernenergiebefürwortern und photovolatik-distributeuren zeigte, muss man überhaupt nicht immer ein meinung sein. auf tote im eigentlichen und übertragenen sinne sollte man aber generell verzeichten – ganz nach dem vorbild der starken persönlichkeit aus riken bei murgental, wie man wieder aufleben lässt.

ein erfreulicher abend. ganz im sinne des stadtwanderers, den es auf das land verschlagen hatte. und besten dank für die biografie von klaus plaar zu arnold künzli, die ich auf dem heimweg gleich ganz verschlang.

stadtwanderer

stell dir vor, es ist europatag, und einer denkt dran!

der heutige 9. mai ist europatag – gedenktag der gründung der (vorläuferorganisation der) eu im jahre 1950 und seit 1985 offiziell begangen. ein geeigneter moment, die scheuklappen der helvetischen politik in dieser sache abzulegen.

2bf864d5bf
dieter freiburghaus, bei sich zuhause in solothurn, während des interviews zum verhältnis schweiz – europäische union für die unternehmerzeitung

vor einige tagen schrieb ich, zu den kommunikativen folgen des atomunfalls von fukushima gehöre, andere themen von der agenda verdrängt zu haben. damit meinte ich insbesondere, dass es keine eu-debatte mehr gäbe, weder von befürworterInnen noch von der gegnerschaft, aber auch nicht von den bilateralistInnen. ganz zu scheigen von den politexpertInnen.

mit einer ausnahme: dieter freiburghaus, vormals professor für politikwissenschaft am lausanner idheap, nimmt in der unternehmerzeitung kein blatt vor den mund – und stimmt offenbar mit mir überein: “Don’t ask, don’t tell”, zitiert er einen grundsatz der amerikanischen armee. denn sie hätte gewusst, auf schwule in ihren reihen angewiesen zu sein, es aber nie aussprochen.

das schweizerische tabuthema sei, dass die souveränität auch mit den bilateralen leide. die schweiz sei wirtschaftlich auf die integration im eu-binnenmarkt angewiesen. alles andere, wie vermehrte exporte nach china, sei angsichts der grössenordnungen, über die man spreche, augenwischerei. 1992 suchte man mit anderen eine institutionelle lösung über das ewr-abkommen, das in der volksabstimmung scheiterte. 2000 kam es zum abschluss der bilateralen verträge, die 2005 durch die bilateralen II erweiterte werden konnten. bei den bilateralen III steht die schweiz in brüssel indessen an. nach eine vorwarnzeit von rund zwei jahren.

“Wir können der EU beitreten, wir können am EWR teilnehmen, oder wir können die institutionellen Fragen bilateral verhandeln”, bilanziert der eu-experte, der jahrlang die kader des bundes und der kantone in fragen der europäischen union ausgebildet hat. für ihn ist klar: ein eu-beitritt würde scheitern – sicher an der mehrwertsteuer und an den jährlichen kosten. anderseits sieht er die bilateralen in der sackgasse. über den sektoriellen abkommen bestehe die eu auf einer generellen lösung für die übernahme ihres rechts und die schaffung eines schiedsgerichts für die bereiche, in denen man einen gemeinsamem vertrag wolle. doch sei dafür in den sektoriellen abkommen kein wirlicher platz.

aus sicht des politikexperten spricht alles für den ewr. der habe institutionelle lösungen realisiert, die der schweiz entgegen kämen. bei den entscheidungen sei man als nicht-eu-mitglied nicht dabei, bei ihrer vorbereitung jedoch schon. die gegenwärtig lösung sei schlechter, denn das eu-recht fliesse über verordnung in die schweiz – am parlament und volk vorbei.

blockiere die schweiz die von der eu-geforderten institutionellen regelungen wieter, werde es, prophezeit freiburghaus, zu einer ähnlichen situation wie beim bankgeheimnis kommen. über nacht werde man unverhandelbares aufgegeben müssen und damit eine innenpolitische krise ausgelösen. bis es soweit sei, werde der druck auf die schweiz zunehmen, etwa bei der holdingsteuer oder bei den doppelbesteuerungsabkommen.

freiburghaus, im bernischen laupen geboren, studierte in bern, st. gallen und berlin mathematik, ökonomie und politik, bevor er in bern eine eigene forschungsstelle für angewandte politikwissenschaft unterhielt, die ihn zur professur am genfersee führte. während jahren bot er mich in seinen kursen auf, seinen studierenden meine analyse des europabewusstseins der schweizerInnen zu unterbreiten. dabei habe ich einen in der literatur bewanderten, eher nüchtern kalkulierenden menschen kennen gelernt, der das, was ist, nicht einfach für gut hielt.

jetzt, wo er pensioniert ist, sagt er es den schweizer unternehmen unverblümt. “Der EWR wäre in meinen Augen eine schnelle und einfache Lösung.” dafür spreche, dass die gegenwärtigen streitpunkte in einem halben jahr vom tisch wären. dagegen streube man sich aber nach dem trauma von 1992. denn seither hoffe man, unterhalb des ewr-integrationsniveau vergleichbare vorteile zu erhalten, ohne nachteil zu haben. das sei eine illusion, an die bundesrat und parlament weiter glaubten, die von der svp verteufelt werden – und die der analytiker durchschauen müsse.

gerade am europatag!

stadtwanderer

tschäppäts tschäppu und metzlers frisur

heimfahrt im poschi. 12 personen in meinem blickfeld. 7 davon mit dem blick am abend. ich muss unweigerlich mitlesen. informiert werde ich über tschäppäts tschäppu und über metzlers frisur. was das mit politik zu tun hat, frage ich mich, während ich die treppen nach hause hochsteige.

gut, die lentikularkarte von alexander tschäppät erinnert auch ein wenig an spasswahlkämpfe. denn tschäppäts tschäppu besteht aus der renovierten kuppel des bundeshauses. je nach winkel der karte, wackelt der hut. mal sitzt er gerade, mal schepps auf dem haupt des berner stadtpräsidenten. ganz ernst kann man das nicht nehmen.

nehmen können wird man sie im herbst als giveaway im strassenwahlkampf des stadtpräsidenten, denn im oktober möchte er als volksvertreter auf bundesebene gewählt werden. von facebook hält nichts. interaktion findet nicht im nirwana des www statt, sondern in der direkte begegnung in berns gassen, lässt er verlauten.

tschäppäts wahlkämpfe haben etwas eigenes bewahrt. auf sein lebenszentrum bern ausgerichtet, häufig spontan konzipiert und immer mit humor durchsetzt, fehlt es ihnen nicht an themen. die stadtentwicklung gehört dazu, und es ist dringend nötig, hier weiteres zu deblockieren. mit dem westside hat man akzente gesetzt, offene läden in der altstadt zu ungewohnten zeiten harren noch der behördlich nötigen dinge. geklappt hat es letzten november dafür mit dem ausstieg aus der kernenerige. im letzten moment hat tschäppäts bern die richtige perspektive angepeilt.

ich weiss, bisweilen ist tschäppät leutselig, dann wieder eckt er an. vor allem wenn es um christoph blocher geht, kann der sp-stapi die facon verlieren. das spricht sich dann schnell herum, und findet so eingang in die klatschpresse, sodass der magistrat sich gebührlich entschuldigen muss. weil er gerne über fussball redet, verübeln ihm viele solche ausfälle nicht. denn alle erinnern sich an die holländer in bern, und tschäppäts eingreifen, um dem unerwarteten anstrum herr zu werden. seine wendigkeit in fast auswegslosen situationen hat er mit seiner schlagfertigkeit in satiresendungen wie die von giacobbo bewiesen mehrfach bewiesen – und national applaus erhalten. ganz anders, als wenn er in bern zu tief ins glas guckt und vielsagend den mädchen nachschaut.

die amerikanische politologin pippa norris hätte ihre helle freude an tschäppät. vor 14 jahren veröffentlichte sie einen seither viel zitierten wissenschaftlichen aufsatz über die entwicklung von wahlkämpfen. vieles von dem, was sie damals über “pre-modern campaigning”, vormoderne kampagnen also, schrieb, kann man beim berner stadtpräsident noch heute miterleben. vom politischen leader selber getragen, seien solche wählkämpfe lokal verwurzelt, um freiwillige aktivisten vor ort zu gewinnen, hielt sie für alle zeiten fest. typisch sei, dass sie stark der eigenen partei angepasst seien, was schliesslich zu machen sei, letztlich aber spontan entschieden werde. poch würde man auf anlässe mit viel volk, denn das spreche sich mit der mund-zu-mund-propaganda am besten herum, was wirke und keine wahlkampfkosten verursache.

ganz anders beschreibt die harvard professorin den postmodernen wahlkampf. er sei teuer, auf website und tv-sendungen ausgerichtet, mit denen man zielgruppenspezifisch kommunizieren könnten. getrieben würden sie nicht mehr von den politikerInnen selber, sondern von politikberaterInnen im hintergrund, die einen permanenten wahlkampf für die mandantInnen führen würden. zu diesen consultants zählt seit neuestem auch ruth metzler, die abgewählte justizministerin der schweiz, die 2003 den zweiten bundesratssitz der cvp nicht mehr halten und ihn an die svp abgeben musste. danach hatte sie sich von der politik verabschiedet, während sie sich gestern mit einem politischen statement, wie der “blick am abend” schrieb, wieder vorwagte.

typisch für den postmodernen journalismus ist, dass man ausser dem titel nichts inhaltliches erfährt. so weiss ich zwar, dass es um “konkordanz in der umbruchphase” ging. wohin das führen werde, ist zwar die einzig relevante frage, doch das blatt berichtet darüber mit keinem wort. dafür las ich viel über die neue frisur der appenzellerin, das elegante kleid, das die wahlbaslerin beim vortrag trug, und den ubs-banker, mit dem sich das unschuldslamm von einst neuerdings in der öffentlichkeit zeigt. gereift sei sie, meint das boulevardblatt im pr-artikel von irene harnischberg, der für für mich wie kaum ein anderer die entleerung der politik steht.

echt, da sind mir lentikularkarten lieber.

stadtwanderer

schweizer identitäten: wohin entwickeln sie sich?

in vielem stiften die alpen schweizerische identität. wir sind die mutter der ströme europas und damit mitten drin, und dank uns gibt es verbindungen über und durch die alpen. von aussen her gesehen sind die schweizer häufig ein alpenvolk, von vor- und nachteilen: gleichzeitig gilt unsere lebensweise als urban unverdorben, sind wir aber auch das putzige land zwischen den grossmächten.

1267718343000unser pass und unsere identität: gleichzeitig unverkennbar schweizerisch und von schweizerInnen wie ausländerInnen anerkannt; mehr zum identitätsbarometer 2010 gibt es hier

in dieser optik sind wir nicht selten die erfinder der unmittelbaren demokratie, gleichzeitig auch die zurückgebliebenen im europäischen einigungsprozess. genauso oszilliert das bild vom guten und schlechten: in jedem schweizer steckt ein hirte, der darauf achtet, das die landschaft nicht übernutzt wird, während in jedem hirten auch ein sodomit steckt, wie man einsamen bergler nennt, die es mit tieren treiben. doch wehe, wenn man uns, politisch inkorrekt, kuhschweizer heisst, denn dann zahlen wir es den sauschwaben mit der gleichen münze zurück.

schweizerische identitäten – ich ziehe hier den plural bewusst vor – sind seit der finanzmarktkrise von 2008 und ihren negativen auswirkungen auf die globale krisen gefragter denn je. die globalisierung, ein projekt der wirtschaft, ist diskreditiert. die gier der banken hat zum moralischen zerfall geführt. die einfallslosigkeit der energietechniker beschert uns weltweit verstrahlte umwelten. die bocksprünge an den finanzmärkten hat das wirtschaftswachstum in der westlichen welt gestoppt, und die natur- und zivilisationskatastophen zerstören jeden sachten wiederaufbau der ökonomien.

die öffnung der schweiz, wirtschaftlich und politisch, hat das bedrohungsgefühl verstärkt und verändert. massenhaft beklagt werden nicht mehr die polarisierung und der so ausgelöst reformstau. vielmehr ist die migrationsfrage ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt, aber auch der probleme und problemursachen. am verlorenen sicherheitgefühl sind die kriminellen ausländer schuld. an den hohen wohnungspreisen auch. vergessen geht dabei, dass sie einen viertel der erwerbstätigen ausmachen, uns geholfen haben, die krise besser als andere zu meistern, universitäre forschung auf spitzenniveau zu bewahren und den betrieb der spitäler aufrecht zu halten. unter geht auch, dass danke der zuwanderung die überalterung der schweizer bevölkerung gebremst und damit die ahv gesichert werden kann.

daraus lässt sich keine drang zu einer identität ableiten. die einheit in der vielfalt bleibt die wichigste bestimmung der schweiz. immerhin, diese hat einige gute grundlagen: stolz können wir sein, dass unsere arbeitslosenzahlen geringer sind als im ausland, wir im innovationsrating unverändert weltmeister sind und der ruf der schweiz weltweit gesehen vielerorts gar besser ist als in der heimat selber. denn wir haben eine solide basis mit unserer patronwirtschaft in den vielen kmu-betriebe, verstärkt durch einige international tätige unternehmen. schweizer uhren und angehängte akzessoires strahlen global, und künden von starken marken, die ihren ursprung in unserem land haben.

weil es uns gut geht, sorgen wir uns verbreitet um unsere eigenständigkeit. wo es konflikt gibt, wollen wir neutral bleiben. wo es etwas zu dienen gibt, sind wir aber dabei. wir rühmen uns, wenn es um das zusammenleben von sprachkulturen geht, selbst wenn wir wissen, das die harten gegensätze heute zwischen städter und landleuten auftreten. wir glauben, die einzigartigste direkte demokratie der welt zu sein, selbst wenn das wachstum an volksabstimmungen im ausland gegenwärtig höher ist als im inland. und wir halten konkordanz und sozialpartnerschaft hoch, auch wenn sich arbeitgeber und arbeitnehmer in fragen der sozialwerke unseins sind, und die brunners und levrats in bald keine punkt mehr gemeinsamkeiten haben.

bei allen unterschieden zwischen genf und appenzell, zwischen baslern und tessinerInnen: das nationale ist schweizweit wieder in, schrieb ich vor einige monaten im schlussbericht zum identitätsbarometer, den unser institut seit einigen jahren regelmässig für die credit suisse erstellt. hauptgrund: die swissness schützt uns davor, in der massengesellschaft auf- und unterzugehen.

das war noch vor der abstimmung über die ausschaffungsinitiative für kriminelle ausländerInnen. es war auch vor dem start zum wahlkampf. seither hat sich einiges zugespitzt und ich bin zwischenzeitlich nicht mehr ganz sicher, ob aus der analysierten swissness-welle nicht eine eigentlich nationalistische geworden ist. denn das ist die schwäche aller bestimmung nationaler identitäten: dass sie dazu neigen, sich mit selbstbildern begnügen und sich um fremdbilder scheren. bei einem menschen würde jeder psychologe sagen, das so keine identät entstehen kann, denn die ergibt sich aus der gewachsenen übereinstimmung von wunsch- und spiegelbild. leider gibt es kaum jemanden, der das nationen und ihren politikerInnen so eindringlich sagt.

vielleicht gelingt es morgen, wenn in der arena die schweizer identität an der schwelle zum wahlkampf 2011 diskutiert wird.

stadtwanderer

steht die schweiz unter dem diktat der agglomerationen?

der schock über die volksabstimmung zur waffen-inititive sitzt tief. es ist nicht einmal das ergebnis, das dies bewirkte, zeichnete sich die ablehnung gegen das ende des abstimmungskampfes immer mehr ab. vielmehr war es der stadt/land-gegensatz der einfuhr. denn nach seit dem letzten november gehen eigentlich alle volksentscheidungen zugunsten des mobilisierten landes aus.

agglomerationen.parsys.0004.Image
die bevölkerung, die in den ruralen gebieten lebt, geht seit mitte der 90er jahre zurück. es wachsend die urbanen gebiete. agglomerationen im engeren sinne sind jene in der nachkriegszeit rasch gewachsenden gebiete zwischen dem land und den kernstädten.

am kommenden dienstag gibt es auf drs2 einen themenschwerpunkt. berichtet wird über den stadt/land-gegensatz in der schweiz. porträts von menschen städterinnen und landschäftlern werden gesendet. experten aus architektur, gesellschaft und politik kommen zu wort – und der stadtwanderer!

ein grösseres interview mit meiner analyse zu abstimmungsergebnissen, neuen polaritäten, entscheidenden mehrheiten, tieferliegenden motiven und generellen antagonismen kommt im “kontext”. doch es geht nicht nur um eine übersicht zu volksabstimmungen, es geht auch um grundsätzliches: bildungsunterschiede, verkehrsinvestitionen, lebensweisen zwischen stadt und land.

der titel der sendung lautet vor der aufnahme: “steht die schweiz unter einem agglo-diktat?” das war sicher als provokation gedacht, und auch mit einem fragezeichen versehen. selber bin ich skeptisch mit der damit verbundenen aussage: zwar stimmt es, dass die agglomerationen in der schweiz 50 prozent der einwohnerInnen, auch der bürgerInnen ausmachen. doch äussern die agglomerationen keinen einheitlichen willen, womit das diktat entfällt.

das werde ich im interview zu begründen versuchen.

stadtwanderer

erdöl-schock 1973 – und heute?

revolution in tunesien und ägypten, bürgerkrieg in lybien. was bedeutet das für uns? – eine erinnerung.

sriimg20060604_6779261_2es ist eine schwache, aber lebhafte erinnerung. die autobahnen waren leer. wir spazierten über brücken und sahen erstmals die weite der schnellstrassen durch unser land. denn kein lastwagen, kein personenwagen störte das bild.
fantasien kamen auf, was man damit alles machen könnte: rollshuhstaffeten, velorennen, oder gar die rückführung der strassen in natur wurden diskutiert.

erinnert wird hier an das jahr 1973. den ölschock. ausgelöst durch den jom-kippur-krieg, den aegypten und syrien gegen israel führten. der westen unterstützte die angegriffenen, die erdölfördernden staaten reagierten mit der drosselung von erdöl, um den westen in schach zu halten.

als erste massnahme führte man vier (?) autofreie sonntag ein. die bildeten die unterbrechung des rhythmus, an den man sich mit jeder eröffnung eines stücks autobahn immer unweigerlicher gewöhnt hatte. so wollte man energie, das erstmals zu einem knappen gut wurde, sparen.

ob das wirtschaftliche etwas genützt hat, zweifelt man heute. im sinne der politisierung war der einschnitt wirksam. auf der einen seite setzten wird und mit arabischen staaten auseinander, damals vor allem aegypten und saudi-arabien. beide genossen in der folge einen schlechten ruf. auf der anderen seite eroberte die vorstellung der grenzen des wachstums unser denkvermögen. vorher hatte ich glaube ich nie gehört, dass erdöl endlich sei.

im nachhinein ist es einfacher abzuschätzen, was der erdölschock von 1973 alles auslöste: zum beispiel die suche nach anderen energiequellen wie der kernenergie, aber auch erneuerbarer energieträger. müll(wieder)verwertung kam auf, genauso wie die diskussion über wärmedämmung. ja, selbst solch einschneidende massnahmen wie die einführung der sommerzeit kamen auf. im ersten anlauf wurde dies in einer volksabstimmung abgelehnt, aus ökonomischen gründen von der politik dann doch eingeführt. auf der anderen seite ist die inflation in folge steigener energiepreise ein thema. massnahmen gegen die verringerte kaufkraft wurde zu einem zentralen thema der politik. erfolgreich eingeführt wurde in der schweiz ein preisüberwacher. schliesslich änderte man die ganze geldpolitik, die darauf ausgerichtet war, die teuerung in den griff zu bekommen.

warum ich mich heute erinnere? – bei meiner morgendlichen schoggi vor dem gang in die stadt, habe ich in den zeitungen gestöbert und die neuigkeiten aus spanien gelesen. wegen den steil ansteigenden treibstoffpreisen, darf man ab nächster woche nur noch 110 stundenkilometer auf den spanischen autobahnen fahren 15 prozent des erdöls und 11 prozent des diesels will man so sparen. für spanien, das seinen energieverbrauch extrem durch importe deckt, scheint das unentbehrlich.

und selbstredend frage ich mich, ob das bald auch in der schweiz ein thema wäre. zum beispiel des angelaufenden wahlkampfes. dem stadtwanderer wäre es recht, wenn er mit seines gleichen auf den strassen mehr platz bekäme.

stadtwanderer

über die grenzen des wachstums denkt man nach, wenn man wachstum hinter sich hat.

der umweltsurvey 2007, erstellt von der eth zürich, ist die wohl umfassendste, aktuelle standortbestimmungen zum umweltbewusstsein in der schweiz. ich habe ihn mir genauer angesehen, um mehr über die gesetzmässigkeiten zu erfahren, unter welchen bedingungen wir uns der naturprobleme bewusst werden und was seine zukunft des umweltbewusstseins ist. (m)eine kleine umweltgeschichte – dritter teil.

41H23CGPXTL._SL500_AA300_epochemachender bericht des club of rome – zwischenzeitlich mit dem umweltsurvey schweiz hinsichtlich seiner wirkungen hierzulande untersucht.

umweltbewusstsein, sagen die autoren des jüngsten umweltberichts unter dem soziologen andreas diekmann, ist eine einstellung, bestehend aus einer verstandesmässigen und einer gefühlsmässigen komponente. es geht um angst oder empörung, aber auch um kenntnisse von zusammenhängen zu umweltfragen, die zu bewertungen führen.

die umweltsoziologien schlugen schon in den 90er jahren vor, umweltbewertungen anhand dreier indikatoren zu festzustellen: erstens, der bereitschaft zu einschränkungen des lebensstandards, zweitens der zustimmung zem vorwurf, die politik tue zu wenig für die umwelt, und drittens der akzeptanz von arbeitsplatzverlusten zugunsten von umweltfortschritten. ihre untersuchungen hierzu zeigen im zeitvergleich, dass die beiden ersten meinungen mehrheitlich geteilt werden und zeitlich stabil sind, während letzteres nur eine minderheit gut findet, die über die zeit hinweg eher abnimmt.

emotional stabilisiert werden solche bewertungen durch verbreitete gefühle wie der angst, auf eine umweltkatastrophe zuzusteuern und der sorge, den kindern eine verschlechterte umwelt zu hinterlassen. beides ist verbreitet, während das empörungspotenzial durch medienberichte einiges geringer ausfällt. das geht einher mit wahrnehmungen der grenzen des wachstums, aber auch der vermutung, die anderen mitmenschen würde zu wenig für die umwelt tun.

in ihrer umfassenden analyse des wandels des umweltbewusstseins unter schweizerInnen schreiben die autoren des umweltsurveys: “Die Grundeinstellung zum Umweltproblem, die affektive Komponete, ist relativ stabil geblieben. Gewandelt haben sich aber Einstellungen über Zusammenhänge und die Bereitschaft, finanzielle Einschränkungen zugunsten der Umwelt zu leisten. Bedingungsloser Optimismus gegenüber der Wissenschaft als Lösung der Umweltprobleme ist ebenso wie der Pessimismus zu den schädlichen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums einer pragmatisch-nüchternen Betrachtungsweise gewichen.”

in ihren vertiefenden ausführungen weise die forscher auf weiterhin vorhandene unterschiede des umweltbewusstseins im links/rechts-spektrum, aber auch zwischen frauen und männern hin. sie halten auch beschränkt unterschiedliche vorstellungen nach bildungsschichten fest. die sprachregionalen eigenheiten, die in den 90er jahren noch wichtig waren, sind weitgehend verschwunden.

das spannendste an der gegenwartsanalyse zum ökodenken sind die zusammenhänge mit anderen einstellungen: die soziologen weisen nach, dass umweltbewusstsein die entscheidungen zu umweltpolitischen forderungen recht stark beeinflusst, aber einen nur mässigen einfluss auf das umweltverhalten hat. dieses wird nicht nur durch innere faktoren der menschen besitmmt, auch durch äussere, sprich angebote und anreize. die wichtigste erkenntnis zur gegenwart betrifft aber die faktoren, die neues umweltbewusstsein fördern. der forscher schluss ist hier, dass weiteres umweltwissen keine weiteres umweltbewusstsein mehr herstellt. oder anders gesagt: wir sind, informationsmässig gesättigt, wenn es darum geht, wie wir über die umweltprobleme denken. es kann nur gezeigt werden, dass das umweltwissen beschränkt positiven einfluss auf das umweltverhalten hat.

oder plakativ gesagt: energiewerte und bio-kennzeichungen auf produkten haben die grösseren chancen, unser handeln zu verändern, als eine infokampagne zur biodiversität. diese wiederum darf kein volkshochschulkurs sein, der nur wissen vermittelt; sie muss betroffenheiten schaffen, das heisst uns bewusst machen, was die gefahr ist, dass wir unsere meinungen ändern.

übrigens: die hier besprochene untersuchung zum umweltbewusstsein im wandel der eth zürich spricht davon, dass das umweltbewusstsein in der schweiz global gesehen wohl am höchsten ist. es folgen nationen wie japan, die niederlande, dänemark und finnland. generell kann man festhalten: die höhe des wohlstands ist ein guter indikator für die ausbreitung von umweltbewusstsein. in den worten der soziologen: weil die restriktionen einer veränderung zugunsten von natur, tier und mensch, am gerinsten sind.

das sollten sich die ökologInnen merken, wenn sie eine vollangriff auf den wohlstand machen. ökonomisches wachstum ist nicht nicht das einzige, was lebensqualität schafft, füge ich bei. es ist aber eine voraussetzung dafür, dass man über die grenzen des wachstums nachzudenken beginnt.

stadtwanderer

die umweltbewegung: von der neuen sozialen bewegung zum teil der globalen mediengesellschaft

in den 80er jahren entstand die umweltbewegung als der teil der neuen sozialen bewegung. die abgrenzung zu den gewerkschaften als alter sozialer bewegung war entscheidend. heute entkoppeln sich das lokale und globale zusehends, und die umweltaktivitäten werden zum teil der globalen mediengesellschaft. (m)eine kleine umweltgeschichte – zweiter teil.

am 1. august 1983 sammelte die nationalspende für das baumsterben. ein paar gebiete in der schweiz seien von diesem problem betroffen, sagte man mir anderntags erklärten mitarbeiterInnen einer eidgenössischen forschungsanstalt, unsere wälder seien schwer krank. der wald sterbe.

jetzt malten kinder malten bilder mit sterbenden bäumen, umgefallenen wäldern, verendeter natur. die apokalypse war kein zukunftsthema mehr, sie fand plötzlich in der ist-zeit statt. die erschreckten eltern diskutierten, ob sie etwas falsch gemacht hatten, aufs autofahren verzichten sollten, inskünftig den oev benutzen müssten.

diese gesellschaftliche debatte erreichte rasch die politik. im herbst ‘83 standen parlamentswahlen an. und die beratungen des umweltschutzgesetzes waren in der schlussphase. menschen, tiere und pflanzen sollten damit geschützt werden. lebensräume sollten vor schädlichen oder lästigen einwirkungen bewahrt werden. die fruchtbarkeit namentlich des bodens sollte wieder gefördert werden. das wirkte die nachricht vom waldsterben wie eine bombe.

am 7. oktober 1983, rechtzeitig vor den wahlen, verabschiedete man das umweltschutzgesetz. damit wurde auch die verbandsbeschwerde auf eine neue basis gestellt. in den 60er jahren eingeführt, entwickelte sich das instrument zum dreh- und angelpunkt der interventionsmöglichkeiten für umweltverbände.

in meinen kursen zur schweizer politik am medienausbildungszentrum in luzern diskutierten wir zwischen 1986 und 1990 das fallbeispiel regelmässig. agenda setting, ein begriff des amerikanischen medienforschers bernhard cohen, leitete unsere debatten zu aktiver medienöffentlichkeit und institutioneller politik. anders als in früheren wirkungsuntersuchungen, unterschied cohen zwischem dem, was die medienrezipienten denken, und worüber wir denken. ersteres lasse sich durch medien kam beeinflussen, zweiteres schon.

das passte zum zeitgeist. journalistInnen verstanden sich als speerspitze im wertewandel. aufmerksam machen auf das, was ist, aber verkannt wird, war die verbreitete losung. 1987 propagierten ein dutzend prominente medienschaffende, politikerInnen und professorInnen die “hoffnungswahl” in buchform. in allen fortschrittlichen parteien sollten die ökologisch ausgerichteten, bisherigen und neuen bewerberInnen gefördert werden.

das ergebnis der nationalratswahl hinterliess eine perplexe avantgarde. zwar legten die grünen wie schon 1983 zu, doch gab die autopartei, bis dahin unbekannt, erstmals gegensteuer. die rechtskurve wirkte sich bin in meine kurs aus. die studierenden wollten jetzt mehr über die migrationsfrage erfahren als über die ökoproblematik.

das alles war symptomatisch: die umweltfrage wurde in den 80er jahren zur partei. grüne und rote nahmen sie willig auf, provozierten damit aber eine antietatistische gegenreaktion. die autopartei forderte freie fahrt für freie bürger. die automobilindustrie kritisiert das waldsterben, die bürgerlichen parteien setzten unverändert auf wirtschaftswachstum, und unterschieden zwischen technischem und ideologischem umweltschutz. zwischenzeitlich spricht man schon von verwaldung des schweizer mittellandes.

heftig politisiert wurde die verbandsbeschwerde der umweltverbände 20 jahre nach ihrer etablierung im umweltschutzrechtes. 2004 kam es zum eklat, als der zürcher vcs nach einem volksentscheid zu einem sportstadion mit einkaufszentrum eine exemplarsiche verbandsbeschwerde durchzog. das war gewagt, denn der volkswille ist den schweizern heilig. die ökoaktivistInnen wurden öffentlich als ökofundis beschimpft. die svp nahm den ball auf und setze im verbund mit den bürgerlichen parteien im parlament eine einschränkung des verbandsbeschwerderechts durch.

mit dem sogenannten schabernak aus den 80er jahren aufräumen wollte die fdp des kantons zürich. sie lancierte eine nationale volksinitiative, um das verbandsbeschwerderecht weitgehend zu kappen. vorgeworfen wurde den umweltorganisationen, zu bauverhinderen geworden zu sein. diese verwiesen darauf, dass die mehrheit ihrer beschwerden ganz oder teilweise gutgeheissen werde. das stimmvolk stellte sich schliesslich auf ihre seite. 2008 sagten 66 prozent der stimmenden in der volksabstimmg nein, alle kantone waren dagegen.

doch hat sich der kampf um die umwelt auf die globale ebene verlagert. internationale organisationen analysieren den zustand der luft, des bodes und des wassers. sie legen werte und ziele der politik fest. sie entwickeln programme des handelns. globale akteure nehmen relevanten einfluss auf das, was in der klimapolitik geschieht. al gore war der gegenspieler von georges w. bush. die erdölindustrie ficht gegen die greentech-branche. und die weltweiten medien entscheiden, ob wisenschaftssymposien oder uno-konferenz erfolg haben oder nicht.

in den 80er jahren entwickelte sich die neuen sozialen bewegungen in abgrenzung zu den alten sozialen bewegungen. heute mutiert die umweltbewegung vom lokalen akteur zum globalen netzwerk, die spezialistInnen der medienarbeit hat, lobbying in der uno und in der stadt betreibt, und grassrouts-aktionen im richtigen moment mobilisieren kann.

nicht zu unrecht spricht man in diesem zusammenhang von emergenz. denn es ist nicht mehr die kinderzeichnung aus betroffenheit, die mobilsiert, sondern das globale strategiepapier, das lenkt. umweltprobleme sind vielerorts real, ihre verhandlung entsteht aber aus der medienweltgesellschaft heraus. dabei sind die ergebnisse immer weniger vorhersehbar, entfalten sie sich aus der aktion selber heraus. den lokalen aktivistInnen hilft das gegelegentlich, gelegentlich schadet es ihnen.

stadtwanderer