was ist das für eine zeit, in der wir leben?

in was für zeiten wir leben, wollte ich dieser tag von verschiedenen personen wissen? hier drei antworten, die ich diese woche bekommen habe!

fragezeichen_56ja10j039gkoccs4og4s0s8c_c7ydh3wqmzkggw0sgk444w0o4_thzunächst: die lage sei misslich. das haushaltsbudget sei angespannt. krankenkassenprämien drückten, die steuern auch. was auch immer man mache, es gäbe eine busse! zu schnell gefahren, falsch parkiert, oder mal in eine einbahngasse abgebogen. immer bekomme man eins auf dach. die politik sei längst aus dem ruder gelaufen. jeder schaue nur noch für sich. es profitierten die reichen – politisch rechts wie links stehend. die einen seien für mehr freiheit – ihre freiheit beim gnadenlosen geldverdienen. die anderen stünden für mehr staat, der unentwegt abgaben kassiere. vielleicht sei das nicht sehr menschlich, aber unumgänglich: man brauche andere, bei denen man dampf ablassen könne. denn je mehr der kopftopf pfeiffe, umso mehr brauche es ein ventil. mit den ausländern sei alles krasser geworden. selbstverteidigung sei nötig. so schnell wie möglich, und so klar wie möglich. wuff!

sodann, die schweiz sei wie das paradies. man sei fleissig, habe erfolg, verdiene gut. wer nur wolle, der könne aufsteigen. jeden tag im büro, jeden abend an der börse. am ende läppere sich was zusammen. wer eisern an sich glaubt, komme voran. leistung lohne sich noch, investition in sich selber auch. göttis seien vorteil, aber keine sicherheit, denn letztlich zähle der eigene wille. manchmal schaffe das probleme, im alltag, zu hause, mit der beziehung. dann müsse man sich neu arrangieren, um wieder angreifen zu können. das leben sei ein kampf. würden alle so denke, wäre die schweiz wie eine oase des fortschritts in einem mehr des rückschritts. man müsse auf der hut sein, denn es gäbe viele neider, die am liebsten aufspringen und von anderen profitieren würden. das gehe nicht, denn das lähme. wenn es dem einzelnen gut gehe, dann gehe es letztlich allen gut. und wer könne das nicht wollen?

schliesslich, endlich gäbe es einen aufstand gegen die egoismus, gegen die grenzenlose selbstverwirklichung, gegen die ungleichheit der menschen. solidarität sei wieder angesagt, im alltag, in der gemeinde, am arbeitsplatz. mit der lebensgemeinschaft, mit den gemeinnützigen, mit der umwelt. noch seien viele zu wenige bereit, dem profitdenken abzuschwören, ethik und moral wieder platz zu verschaffen. doch täglich würden es mehr, weil man begreife, dass sonst alles kaputt gehe: die erde, die natur, die tierwelt – und schliesslich auch die menschheit. harmonie mit sich und anderen, mit lebenwesen und dem erdball seien angesagt. denn sonst gäbe es gar keine zukunft mehr, nur den untergang. gute lebensverhältnisse seien nicht zu verachten, doch dürften sie nicht zur ausbeutung anderer werden. denn letztlich sei es das ziel, dass es allen besser gehe, wenn immer möglich.

es mag sein, dass die antworten hier etwas knapp zuammengefasst sind. es mag auch sein, dass sie deshalb etwas typisiert vorkommen. doch sind sie authentisch. bei meinen wanderungen über mittag erfahren, von menschen erzählt, mitten in der stadtbeiz, in kleinstädten an guter lage, und in vororten, wo es leben lässt.

und, so frage ich hier weiter: was ist deine zusammenfassung der zeit, in der wir leben?

stadtwanderer

nochmals volltanken

schon der frühe morgen war vielversprechend. der nebel über der aare lichtete sich, und der himmel über hinterkappeln färbte sich in ein helles blau. die temparatur stieg rasch an, als wollte sie einen herbsttag im september ankündigen.

doch es war sonntag, den 14. november 2010.

uns hielt der prachtstag nicht lange zuhause. biel/bienne war das ziel, genauer gesagt magglingen/macolin. da multiplizierte sich die angesagte pracht ins x-fache. zu füssen lag die stadt, dahinter lyss-aarberg, und selbst bern konnte man knapp erkennen. rechter hand glizzerte das seeland mit wiesen, wäldern und seen. allen voran der bielersee, sogar mit segelbooten, die vielleicht ein letztes mal noch ausliefen. hinter der ganzen kulisse reihten sich die alpen auf, schneebedeckt, daran erinnernd, dass es bald überall winter sein wird. heute glänzten alles von den freiburger bis luzerner alpen im klarsten sonnenlicht, sodass man die berge für ein herrliches zuckergebäck hielt, in das man am liebsten gebissen hätte.

der spaziergang hinunter nach biel/bienne wärmte uns so richtig, womit der mitgebrachte schal bald überflüssig war. das galt bisweilen auch für die lederjacke, die man lieber über der schulter hängend durch denn leichten wald nach unten trug. die frage, ob wir an der mittelstation die bahn nach ganz unten nehmen sollten oder nicht, war rasch beantwortet: keine sekunde würde man an einem solchen tag freiwillig die würzige luft, den wärmen wind, das tolle gefühl der natur missen wollen. so führte uns die wanderung um verschiedene wegkurven hinunter zum pavillon über biel/bienne, von wo aus wir die übersicht über hafen, stadt und umland ein letztes mal genossen.

wieder zu hause kam gar zur premiere: gegessen wurde auf der dachterrasse, zum ersten mal 2010, fröhlich lachend, den tag, die woche, das jahr revue passierend lassen. denn so fantastisch wie heute fallen die bilanzen wohl nie mehr aus. es war, als sei man nach einer langen wanderung, in einer oase angekommen, um sich zu laben, ob sie wirklich war, oder nur eine fatamorgana interessierte dabei kaum mehr. hauptsache man konnte nochmals voll auftanken!

stadtwanderer

mein erstes date in bern

es war der 1. august 1980, als ich nach bern zog. die stadt war mir damals alles andere als vertraut. der grüngraugelbe sandstein der häuser prägte den ersten eindruck – und die langen, langen gassen der altstadt, die alle gleichgerichtet von osten nach westen zeigten.

stadtplanbern1_4endlich hatte ich nach einigen wochen auch mein erstes date. eine nette kollegin, die ich seit dem gymnasium nicht mehr gesehen hatte, erwartete mich in der aarbergergasse. ich freute mich, putzte mich ein wenig heraus und ging erwartungsfroh in die stadt.

doch um himmels willen, welches war denn nun die aarbergergasse? – die in der mitte? die im süden? oder die im norden? schlimmer noch, ich wusste nicht einmal wo norden und süden war. denn alle sahen sie gleich aus, eng, verwinkelt, fast so wie in einer orientalischen stadt!

so wartete ich – an der falschen kreuzung. eine viertelstunde. eine halbe stunde. eine ganze stunde! bis ich merkte, dass ich gar nicht am abgemachten treffpunkt stand, die falsche strasse erwischt hatte, und mein date schon längst verspielt war.

damals gab es noch keine handies, über die man sich hätte verständigen können. es gab nur ein leicht vorwurfsvolles telefonat, spät abends, wo ich denn geblieben sei, die enttäuschung sei gross gewesen, und ich müsste mir nun schon was spezielles einfallen lassen, dass es zu einer weiteren verabredung komme.

der banause, der ich damals war, entschied sich: entweder die stadt umgehend zu verlassen, oder aber sie kennen zu lernen. ich entschied mich zu letzteren. nach vielen jahren des unbewussten bewohnens von bern begann ich mich auch aufzumachen, die stadt bern bewusst zu entdecken, unter anderem deshalb, dass ich nie mehr ein date verpassen würde.

mehr über diese und andere geschichten in bern gibt es auf der neuen website “bern – der film” zu sehen, die der berner filmemacher daniel bodenmann mit seinem team gemacht hat, um auf die spezialitäten der bärenstadt und ihres bärenparkes aufmerksam zu machen.

es berichten der stadtpräsident alexander tschäppät, barbara hayoz, reto nause, bernd schildger, urs berger, heinz stämpfli, walter bosshard über ihr gänz besonderes bern, genauso wie der

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der wanderweg der schweiz

die schweiz ist müde geworden, sagen die kulturpsychologen von demoscope, welche einmal im jahr das klima der schweiz vermessen. sie bleibt in ihrer grundbefindlichkeit zentriert, auch wenn sie sich in den letzten jahren wieder etwas nach innen gewandt hat.

seit einen vierteljahrhundert verfolgt das institut demoscope das psychologische klima der schweiz. dafür befragt es jährlich einmal einen querschnitt der schweizer wohnbevölkerung. herzstück der untersuchung sind knapp 30 werte, die einem wichtig oder unwichtig sein können. sie sind, nach dem vorbild des amerikanischen sozialforschers daniel yankehlovich, so ausgesucht, dass die kombination eine karte gibt von konservativ bis progressiv, von binnen- bis aussenorientiert.

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die schweiz heute: für demoscope ist das eine gesellschaft die beschränkt progressiv und noch etwas beschränkter binnenorientiert ist. in den 00er jahren des 21. jahrhundert hat sie sich von ihrer aussenorientierung um einiges abgewandet. und sie ist etwas weniger progressiv.

in den 26 jahren, in denen man diese art von erhebung macht, hat sich die helvetische gesellschaft von ihrer ausgeprägt konservativen binnenausrichtung gewandet. am klarsten aussengerichtet war man 1986, am progressivsten 2001. seit entwickelt man sich zurück, ohne wieder dort zu sein, wo man startete.

interessant ist, dass verwurzelung, die in den 70er jahren noch der typische wert war, dem materialismus der 80er jahre gewichen ist, die jahrtausendwende durch den hedonismus geprägt war, und heute die müdigkeit ein typischer wert ist.

wenn wir auf dem jetzigen pfad weiter wandern, werden wir bald einmal bei ruhe und ordnung ankommen, vielleicht gar bei einem neuen autoritarismus, oder dann bei der reserviertheit, legt uns jedenfalls das psychologische klima, wie es in adligenswil gemessen wird, nahe.

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warum wir gründungstage brauchen

aegidius tschudi lebte im 16. jahrhundert. der glaner war politiker, wirkte in sargans, rorschach, baden und schliesslich in rapperswil. wo auch immer er ämter inne hatte, suchte er nach alten verträgen und schriftlichen erzählungen. daras entstanden die ersten geschichtswerke zur schweiz, in denen der heutige 8. november im jahre 1307 von grosser bedeutung war.

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schweizer karte von aegidius tschudi aus dem jahre 1538, welche die alte eidgenossenschaft der 13orte zeigt, im moment als die junge gemeinschaft wegen der reformation in zwei bünde zerfiel.

nach ausbruch der reformation verfasste tschudi seine schweizer chronik. dabei behandelte er die geschichten des raumes, der durch die auseinandersetzung mit den haus habsburg zwischen 1393 und 1499 zusammengewachsen war, angesichts der reformation aber in zwei lager zu zerfallen drohte. wilhelm tell kam dabei zu ehren. der bauer aus dem schächtental avancierte so erstmals zu symbolfigur für urtümliche schweiz, auf die man sich auch bei unterschiedlicher konfession und weltanschauung beziehen konnte. und mit wilhelm tell entstand erstmals auch die gründungssage der eidgenossenschaft.

die allem zu grunde liegende verschwörung datierte aegidius tschudi auf mittwoch vor martini. die nachträgliche umrechnung datierte das auf den 8. november 1307. damals sollen sich die innerschweizer zusammengerottet haben, um ihren aufstand gegen das königshaus habsburg zu vereinbaren, das die verbrieften rechte der innerschweizer nicht anerkannen wollte. nur 10 tage lässt tschudi den habsburgische vogt hermann gessler wilhelm tell in der hohlen gasse zum legender apfelschuss auf seinen sohn befehlen. danach soll es in gebrodelt haben rund um den vierwaldstättersee. am neujahrstag sei es dann mit dem grossen burgenbruch in der schweiz losgegangen, bis am 1. mai 1308 könig albrecht i. von habsburg vom verwandten johannes von schwaben und helfershelfern unter den eidgenössischen kleinadeligen umgebracht wurde. erst sein nachfolger, der luxemburger heinrich vii., bestätigte 1308 die freiheitsbriefe der urner, schwyzer und erstmals auch die nachgereichten der unterwaldner.

aegidius tschudi befasst sich nicht nur mit der gründungssage der schweiz, die bis ins 18. jahrhundert nach ihm erzählt wurde, erst dann, angesichts neuer quellen stück für stück umgestaltet wurde, bis sie 1891 die von wilhelm öchsli neu verfasste form erhalten hatten, welche die jahrhundertfeierlichkeiten des damaligen jahres mit dem 1. august als höhepunkte prägte, weil die geschichte von 1307 auf 1291 und von albrecht von habsburg auf seinen vater rudolf von habsburg umprojiziert worden war.

tschudi schrieb bis 1572, seinem todesjahr auch an einer umfassenden geschichte unseres raums, von den anfängen bis in die damalige gegenwart. denn der humanist war dem mittelalterlichen denken, wonach die welt ein ei mit papst und kaiser an der spitze war, entrückt. seit der renaissance war man sich gewahr geworden, dass diese ei nicht anfang und ende der welt, sondern nur eine phase in der entwicklung gewesen war. in der gallia comata, dem gewöhnlichen gallien begründete liess er die burgunder, die alemannen und die langobarden im 5. bis 7. jahrhundert der reihe nach ins gebiet der späteren eidgenossenschaft einwandern und dabei die noch älteren siedler der rätier und gallier überlagern, die vormals unter römische herrschaft geraten waren, bis die von den germanen zerstört worden war.

für die zeitgenossen tschudis war dieses neue, posthum bekannt gemachte bild der schweiz ein hammerschlag. denn der raum, indem wir und indem sie lebten, ist durch verschiedene, zurückliegende einwanderungsweillen demografisch und kulturell geformt worden. die kelten (oder gallier und raetier) bildeten die älteste, identifizierbare grundlagen, aus den nach der römischen herrschaft gallo- und rätoromanen geworden waren, dann von mehr oder minder assimilierbren germanenstämme überrannt wurde, die ihrerseits unter merowingische, karolingische, sächsische, fränkische und schwäbische herrschaft gerieten, dabei teile des (heiligen) römischen reiches im hohen mittelalter bildeten, bis dessen macht im 13. jahrhundert stückweise zerfiel, und die trutzgemeinschaften der eidgenossen an verschiedenen stellen entstanden, auf die wir uns direkt beziehen.

die lehre daraus ist bis heute hart: erstens, jede geschichte eines volkes ist soweit richtig, als sie die geschichte anderer völker, die durch wanderungen und eroberungen vertrieben, unterdrückt oder ausgerottet wurden, mitdenkt. zweitens, unser bedürfnis nach grundungssagen entstand mit der renaissancegeschichtsschreibung à la tschudi, als sich die historiker gewahr wurden, dass die vorfahren, auf dies sich die volksgeschichte bezog, nicht die ersten waren, die da siedelten, sondern nur in einer kette von siedlern rechte beanspruchen konnten. diese zurückversetzung in den zustand der normalität wurde durch die erzählung der spezialität, die aus einer gründung hervorgegangen sei, überhöht.¨

erzählt am 703. jahrestag der ersten vermeintlichen gründung der eidgenossenschaft.

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die schweiz, der diskurs und der zusammenhalt

eigentlich wollte ich nach einer strenge woche nur noch nach hause. doch begegnete ich auf dem perron des zürcher bahnhofs georg kohler, und ich kam mit dem philosophen schnell ins gespräch. ein kleiner reisebericht.

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georg kohler, emeritierter professor für politische philosophie an der universität zürich

er war unterwegs ins hotel bern. dort tage die neue helvetische gesellschaft, sagte er. die hätten ihn angefragt, über die zukunft der direkten demokratie zu reden – was er gerne mache.

seit einem jahr ist der philosoph pensioniert, nicht aber arbeitslos, denn unverändert interventiert er in der öffentlichkeit.

ob es wahr sei, dass roger köppel, der chefredaktor der weltwoche, bei ihm studiert habe, will ich wissen.

“jawohl”, bekomme ich zur antwort. doch sei er beileibe nicht der einzige, der sich regelmässige in die politik der schweiz einmische und in seinen seminaren positiv aufgefallen sei, erwidert der professor mit stolz. das gelte auch für katja gentinetta, der stellvertretenden direktorin von avenir suisse, für pascale bruderer, die nationalratspräsidentin, und cédric wermuth, den juso-chef. sie alle seien schülerInnen von ihm.

“was hält die schweiz zusammenhalten?”, nimmt michnun wunder, denn die vier namen stehen bei mir für nationalkonservatismus, wirtschftsliberalismus, linksliberalismus und neosozialismus – und damit für weltanschaulich viel trennendes.

die antwort kommt rasch: die mythen würden die leute heute eher trennen als vereinen, die institutionen des staates seien für die einen sehr wichtig, während sich andere ihnen gegenüber ganz gleichgültig verhielten. “der diskurs”, kommt der philosoph in fahrt, “hält die schweiz zusammen!”. wir würden uns permanent vergewissern, wo wir stehen – und genau das verbinde.

weder sind wir ein parlamentarischen system wie grossbritannien, noch eine präsidialsystem wie die usa. wir haben zwar eine starke exekutive, doch wird die macht von bundesrat und bundesverwaltung durch den föderalismus gebrochen. das gegenstück hierzu ist weniger das parlament, mehr die direkte demokratie, denn das volk gibt mit initiativen gas und bremst mit referenden.

so sind wir ständig am erwägen: nach dem zweiten weltkrieg traten wir der uno nicht bei; in den 80er jahren änderten regierung und parlament ihre diesbezüglich haltung, und die bevölkerung votierte 2002 nach einem früheren nein mehrheitlich für den beitritt. den eu-beitritt wiederum lehnen die meisten ab, der bilaterale weg dagegen gestützt, genauso wie die personenfreizügigkeit, auch wenn die gesellschaftlichen folgen immer umstrittener werden. anders als man es im ausland sieht, belassen wir es nicht bei wenigen grundsatzentscheidungen, sondern vergewissern wir uns wiederkehrend, ob der eingeschlagene weg zum ziel führt.

“das”, so kohler, “machen wir aber zunehmend nur mit uns selber”. so halten wir selber zusammen, ohne zu fragen, ob auch andere zu uns halten. dann braucht der philosoph ein starkes bild: “wir haben mit dem bilateralismus ein schmale gasse nach brüssel gebaut, die unseren vorstellungen von autonomie und verbundenheit entspricht. doch kann der druchgang rasch gesperrt werden, wenn der elefant sich in diese gasse setzt.”

zwischenzeitlich ist es rund um uns herum mäuschenstil geworden. der eine und die andere hört wohl zwischenzeitlich zu, als wir in bern einfahren. keine fondue hält die schweiz zusammen, vielleicht auch kein geld, und fast sicher keine bundespräsidentin, habe ich erfahren. vielmehr ist es der diskurs.

wenn er nur immer wieder stattfindet, denke ich mir. denn im moment reden köppel und wermuth gar nicht miteinander, pascale bruderer und katja gentinetta vielleicht ansatzweise etwas.

wenn die these des philosophen stimmt, muss sich da einiges bessern, schon nur unter den politikerinnen, wirtschaftsfunktionären, journalistInnen und intellektuellen – geschweige denn zwischen ihnen, den sprachregionen, dem volk und dem ausland.

irgendwie will mir scheinen, dass wir da am auseinanderdriften sind, weil wir nebeneinander leben, und von einander hören und übereinander lesen. so haben die diskurse der direkte demokratie keine zukunft, würde ich vortragen, hätte die nhg mich eingeladen.

was georg kohler genau sagen wird, weiss ich nicht so genau, als wir uns auf dem berner perron in bern freundlich verabschieden.

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die gleichzeitigkeit des ungleichzeitigen in der kartause ittingen

im hof der kartause ittingen trifft man gleichzeitig auf ungleichzeitiges. das macht es interessant, aber auch verwirrlich.

Kartause-Ittingen-TG-a19144278handies und kutsche
die seminargäste aus der oberen etage wichtiger unternehmen hängen geschäftig am handy. eigentlich sollten sie bei den verhandlungen mit ihresgleichen sein, doch riss sie das klingeln des mobiles aus dem realen gespräch, und hören sie sich die fragen des fiktiven gegenüber an. selbst wenn man nicht versteht, was sie antworten, kann man die bestimmtheit ihrer aussage an der haltung erkennen. stehend zu kontern, ist das mildeste. nervös herumzulaufen, verweist auf eine erhöhte anspannung. und wenn sich der körper dezidiert nach vorne neigt, weiss man, das war ein befehl zur klärung der meinungsverschiedenheit.

dieses treiben interessiert den kutscher der kartause nicht wirklich. sein wagen steht schon seit dem frühen morgen im hof, zaubert vergangene stimmung ins ehemalige klosterareal. dann holt er gemächlichen schrittes ein stämmiges pferde aus dem stall, spannt es ein, verschwindet nochmals in der reception, kommt mit einem paket in der wieder, um die zügel zu prüfen, aufzusitzen, gut hörbar hüü von sich zu geben, sodass das gespann vorsichtig im kies des hofes zu rollen beginnt. wielange und wohin auch immer!

der gross krach, der kleine friede
ittingen war mal der sitz der gleichnamigen freiherren, die auf sporn im thurgauischen über ihre untertanen wachten. die landschaft musste damals noch lieblicher gewesen sein, noch ohne häuser, jedoch voll von wäldern. wo diese gerodet worden waren, standen mit sicherheit apfelbäume, welche die bauern im herbst ernten, um guten most herzustellen.

als sich papst und kaiser im grossen investitursteit am ende des 11. jahrhundertes in die haare gerieten, hatte das für die ittinger verheerende folgen. der abt von st. gallen hielt zu könig heinrich iv., der kaiser werden wollte, derweil der bischof von konstanz anhänger von papst gregor vii., der die christliche welt alleine regieren wollte. die schergen der beiden mächstigen geistlichen kämpften um die vorherrschaft auch in ittingen, bis alles zerstört wurde.

mitte des 12. jahrhunderts suchte man einen neuanfang. gestiftet wurde das kloster ittingen, das man beschenken konnte, um den adeligen kampf um landbesitz zu entschärfen. übernommen wurde es von den augustinern, die hier als chorherren in religiöser gemeinschaft lebten. ökonomisch wurde das unterfangen jedoch kein grosserfolg, denn die st.galler wie die konstanzer achteten darauf, dass kein weiteres zentrum mit geistlicher ausstrahlungskraft in ihrer nähe entstehen würde. so vermachte man das klösterchen im 15. jahrhundert dem französischen orden der kartäusern. 1524 wurde es von bauern gestürmt, als sie sich gegen die abgabenpflicht wehrten, im gefolge der gegenreformation aber wieder aufgebaut. mit dem einmarsch der franzosen wurde es 1798 verstaatlicht, mit der gründung des bundesstaates 1848 aufgehoben und in einen privaten landwirtschaftbetrieb überführt.

leben und einkaufen heute
die weitgehend intakt gebliebene klosteranlage wurde in den 70er jahren des 20. jahrhundert von einer stiftung übernommen, welche 1983 einen hotel- und seminarbetrieb eröffnete, seither auch das thurgauische kunstmuseaum führt, und behinderte menschen aufnimmt und beschäftigt. der klosterladen ist nicht nur einkaufsstätte für die gäste, er ist auch treffpunkt für die menschen aus der umgebung. da tauscht man das neue vom tag aus, informiert sich über die anstehende radiosendung zur kartause, und macht sich auch mal gedanken über gott und die welt.

selber freue ich mich, meine morgendlichen einkauf in angenehmer atmosphäre machen zu können. der birnensaft hat schon gut geschmeckt, sodass ich zum birnenbrot greife, und den landjäger einpacke, der reichhaltiger ist als anderswo. der käse wiederum ist so reif, dass nur die packung sein davonlaufen verhindert, und auch er in meinem korb landet, noch bevor ich vor den zahlreichen eigenen weinen verweile und auch einen blick auf die angeboten literatur werfe.

verbunden oder abgeschieden sein

draussen erwartet mich ein phänomenaler herbsttag, bestes wanderwetter, blauer himmel, goldig glänzende bäume, geschnitten wiesen. auf wenn die kartäuser nicht mehr die herren über ittingen sind, spürt man ihren geist noch. ihr lebensweg war die abgeschiedenheit, das schweigen.

leider, sage ich mir, kann ich heute nur kurz stadtwanderer auf dem land sein, obwohl es mich die geheimnisvolle stärke in der ruhe mächtig anzieht. denn auch ich bin nicht als mönch nach ittingen gekommen, sondern als gast im seminarangebot des tages. immerhin, ich schalte mein handy aus, denn die immerwährende verbindung in die ewige abgeschiedenheit ist genau das, was die gleichzeitig der ungleichzeitigkeit bestimmt, das thema, das mich seit dem morgen beschäftigt.

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die geschichten der schweiz in postheroischer zeit

in meiner kindszeit spielte ich gerne indianer und cowboy. klar, wir hatten unsere helden, winnetou oder robin hood. doch wussten wir schon früh, dass sie nicht wirklich, nur erdacht waren. später, im gymnasium, waren wirkliche vorbilder wichtiger: mahatma gandhi, che guevarra, ho chi minh oder mutter theresa, die sich alle für eine bessere welt eingesetzt hatten.

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peter von matt, germanist, buchautor und zeitdiagnostiker äussert sich über schweizergeschichte in der postheroischen kultur der gegenwart

da erschienen die schweizer helden, die sich in alten schlachten hervorgetan hatten, irgendwie komisch. spätens nach der rekrutenschule war einem auch klar: was auch immer da einmal gewesen sein mag, davon ist heute nichts mehr übrig geblieben. deshalb glaubte man auch kaum, dass der zweite weltkrieg wegen unserer armee an der schweiz vorbeigezogen war. entsprechend fiel das urteil über die feiern der veteranen aus.

der berliner politikwissenschafter herfried münkler, hat das in drei begriffe gefasst: präheroische, heroische und postheroische gesellschaften unterschied er. die ersten leben von schlägerbanden ohne historisch-politisches bewusstsein. die zweiten haben ihre helden, die aus kriegen hervorgegangen sind und pflege die erinnerung an sie, während die dritten mit forderungen nach opferbereitschaft und ehrgefühl zugunsten neuer herausforderungen kaum mehr etwas anfangen können.

im grossen interview mit der nzz am sonntag nimmt peter von matt diese vorstellung mit bezug auf die schweiz auf, ohne von einer abfolge der gesellschaftsformen auszugehen, mehr, um das gleichzeitige des ungleichzeitigen in uns aufzuzeigen.

auch er sei in einer heroischen umgebung aufgewachsen, sagt der luzern. einmal sei er zeuge gewesen, wie sich ein besoffener aufgerappelt habe, um den alten eidgenossen keine schande anzutun. dabei sei es schon nachkriegszeit gewesen – dem grossen bruch mit den vermeintlichen heroen, welche europa in die bisher grösste katastrophe gestürzt hatten. das habe die schweiz mit verzögerung nachvollzogen, etwa mit der kritik an den diamantfeiern 1991. das können man auch an den vorstellungen der schweiz an der expo nachvollziehen: 1964 war der pavillon der armee ein gewaltiger igel. 2002 habe die armee gar nicht mehr stattgefunden, dafür sei man, etwas ratlos, an einer wellness-chilbi teilgenommen.

nun ist peter von matt dafür bekannt, dass er auch in postheroischen zeiten an die bedeutung der geschichte glaubt. denn jeder mensch ohne erinnerung lebe im leeren, sagt er, um beizufügen, das das eigentlich niemand wolle: “Und deshalb gibt es einen stillen, aber entschlossenen Aufbruch in das verlorene Eigene.” da gehe es nicht mehr um idole. aber um die eigene, tatsächliche geschichte. produktionsweisen, lebensformen und alltagskulturen interessierten dafür, weil es zu uns gehört, und uns niemand nehmen kann, angesichts der zusammengebrochenen ideologien nach 1989.

den neuen aufbruch sieht von matt zwischenzeitlich auch in der wissenschaft. dass geschichtsbücher wie das von thomas maissen geschrieben würden, sei ein gutes zeichen. denn es sei nicht positionslos verfasst, aber auch nicht aus der warte des richters, der den gang der weltgeschichte besser als alles andern kennen würde. in rückkehr begriffen sei auch die erzählung, die nicht einfach ursachen und folgen aufzeige, sondern auf der suche nach sinn sei.

dabei geizt der emeritierte literaturprofessor nicht mit seitenhieben: die svp versuche, direkt zur heroischen geschichtsschreibung zurückzukehren. das schienbare ende der 68er erlaube, geschichte wieder so zu sehen, wie sie schon immer gewesen sei. doch das sei bloss restauration der alten ideologie. von matt mag aber die hype von heidi in der konsumwelt nicht. weil bald jeder käse und sirup so heisse, möge er gar nicht mehr einkaufen gehen.

am liebsten wäre peter von matt, wir würden uns mit den wirklichen aufbrüchen in der schweizer geschichte beschäftigen. zum beispiel mit 1830, einem der europäischen revolutionsjahr, das in der schweiz gezündet habe wie kein anderes. entstanden sei damals die schweiz der gemeinden, der kleinen netzwerke, die sich selbst verwalten wollten, aber auch die moderne schweiz, die sich wirtschaftlich entwickeln wollte, offen für industrialisierung und modernisierung gewesen sei, und schliesslich auch die politische schweiz, die über handels- und gewerbefreiheiten hinaus an der vision einer direkten demokratie der bürger (später auch der bürgerinnen) gearbeitet habe.

leider höre man darüber fast niemanden reden, beklagt sich der literaturpapst. dabei stimmt das wirklich nicht! ich werde ihm eine stadtwanderung anbieten – nicht um neue heroen zu schaffen, denen auch ich kritisch gegenüber bleibe, aber um die geschichten zu erzählen, die zu uns gehören, und von denen andere auch erfahren sollten.

stadtwanderer

zum beispiel kirchberg an der emme

wer im ersten, kleinen bahnhof auf der linie burgdorf-solothurn aussteigt, wähnt sich im bernischen kirchberg. effektiv steht die haltestelle in alchenflüh, genauer noch in rüdlingen-alchenflüh, durch die emme räumlich von kirchberg getrennt, topografisch aber eine einheit bildend.

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kirchberg hat seinen namen von der markanten felswand über der emme, auf der die weitherum sichtbare kirche steht. 1506 wurde sie von bern aus errichtet, noch bevor die reformation bisher unwiderrufen einzug hielt. die streng-geraden wege durch den friedhof drücken das unverkennbar aus, die fein-säuberlich geschnittene rasen und die die ebenso behandelten bäume ebenfalls. im kirchgemeindezentrum ist man bemüht, dass tradition weitergegeben wird. gross ist die werbung für das teenagerlager 2010, mit fotos und erlebnisberichten, die sich an die jugend wenden.

es ist 12 uhr, als ich vom kirchberg aus in die landschaft schaue. vor mir ist der weissenstein im solothurnischen jura, und hinter mir ragen die verschneiten alpen in den himmel. alles wirkt friedlich, bis die sonore glocke die ruhe mit mächtigen getöse durchschneidet. anschliessend zwitschern ein paar aufgeschreckte vögel, um sich zu gewissern, dass die ihrigen noch leben. unmittelbar danach tönen frauenstimmen aus dem kirchgemeindehaus. sie stimmen kirchliche lieder an, und aus dem benachbarten stöckli hört man männerstimmen das gleiche tun. es ist, als kündige der ewig wiederkehrende gesang das wochenende an.

die geschichte von kirchberg

die frühesten archäologsichen funde sprechen für einen flussübergang seit 3000 jahren in kirchberg. urkundlich bezeugt ist die gegend seit gut 1000 jahren. der name rüdlingen wird als ort des sippenführers ruodilo interpretiert. die erste erwähnung im jahre 894 bezeugt daselbste eine gerichtsstätte. 922 wurde rüdlingen unter könig rudolf ii. und seiner schwäbischen gemahlin, könig berta, burgundisch. deren tochter adelheid, mitbegründerin des hochmittelalterlichen kaiserreiches im jahe 962, vermachte ihre güter im simmen-, aare- und emmental 994 dem elsässischen kloster selz, das sie kurz zuvor gestiftet hatte, und in das sich die kaiserin zum sterben zurückzog.

100 jahre nach ihrem tod kam selz zum burgundischen kloster cluny, und wurde so zu einem teil des gottesstaates des papstes, der den kreuzrittern im nahen osten als wichtige rekrutierungsbasis diente. auch kirchberg gehört dazu, wurde aber vom 13. jahrhundert an von den einheimischen herren von thorberg verwaltet. diese erwirkten 1283 von könig rudolf von habsburg die stadtrechte, ohne dass der erhoffte aufschwung eingesetzt hätte. so kam der ehemalige klosterbesitz 1429 zu bern, das 1481 die rechte, die noch fehlten, mit geld erwarb, und kurz darauf auf dem kirchberg die heutige kirche errichten liess.

1640 baute man von bern aus den bestehenden fussgängersteg zu einer hölzernen fahrbrücke aus, die 40 hochwasser überstand, bis sie 1865 durch eine eiserne, 1963 durch die bestehende betonbrücke ersetzt wurde. 1965 kam der anschluss an die autobahn n1 hinzu. die beabsichtige fusion zwischen kirchberg und rüdlingen-alchenflüe scheiterte 1973 in der volksabstimmung, obwohl man längst eine kirchgemeinde war und gemeinsam infrastrukturen unterhielt.

die ältesten gewerbebetriebe in kirchbern sind bleichereien, druckereien und der engroshandel, allesamt von unternehmerisch denkenden kaufleuten lanciert, die in burgdorf abgewiesen worden waren. mit ihnen änderte sich die fast ausschliesslich landwirtschaftlich geprägte umgebung. 1871 wurde in kirchberg ein eigener handwerker- und gewerbeverein begründet, die spar- und leihkasse sowie der eisenbahnanschluss eröffnet, was die industrielle entwicklung mit tuchfabriken, webereien und aluminiumwalzwerken einleitete. heute leben gut 5000 menschen in kirchberg, und in rüdlingen-alchenflüe sind es mehr 2000. auf zwei einwohnerInnen kommt eine arbeitsstelle vor ort, verteilt auf 270 betriebe.

die soziologie von kirchberg

eingeladen vom bürger-in-forum kirchberg hielt ich am montag abend einen vortrag in der gemeinde. thema war das verschwinden der mittelstandsfamilien. dass die normfamilie und die kinderzahlen zurückgehen, ist keine eigenschaft des subzentrums an der emme. was den mittelstand betrifft, kommt es auch in kirchberg auf die definition an.

der alte mittelstand mit landwirtschaft und gewerbe ist zweifelsohne vielerorts rückläufig. das hat mit dem wirtschaftlichen strukturwandel zu tun, zum teil auch damit, dass der mittelstand sich immer klar nach oben und unten abgrenzte, die protestantische erwerbsform des familienbetriebs hochhielt und die zugehörigkeit zu gewerbeorganisationen zur voraussetzung für wirtschaftliche tätigkeit postulierte. die neuen mittelschichten – facharbeiterInnen und angestellte – sind demgegenüber wachsend, definieren sich offener via bildung, berufsposition und einkommen. sind flexibler, auch was wohn- und arbeitsort angeht. wer gut verdient, kann aufsteigen, wessen einkünfte sinken, dem droht indessen der abstieg. luxus ist nicht angesagt, ein auto aber schon, und auch auf technische ausstattung zuhause, auswertige ferien, gesicherte altersvorsorge und gute schulen für das kind will man nicht verzichten. viele kinder zu haben, ist gerade bei schweizerInnen mit guter ausbildung kein vorrangiges ziel mehr, bei ausländerInnen mit patriarchalen familienvorstellungen schon noch.

polititisch hat man sich die breiten mittelschichten von der mitte längst losgesagt; heute dominieren bindungen an die svp oder sp, je nach vorrangigem weltbild: rechts ist das die bedrohung durch die migration, links sind es die ungleichen entwicklungschancen. das ist auch in kirchberg nicht anders. bei den letzten nationalratswahlen kam die svp auf 32 prozent, die sp auf 21, wobei die frauenliste stärker abschnitt als jene der männer. mit den grünen machte das linke lager sogar 29 prozent aus, klar mehr als die ehemals staatstragende fdp, die unter einem fünftel der stimmen blieb.

der rückblick auf eine woche eindrücke aus kirchberg

im coop-restaurant, wo ich heute zum mittagessen war, um mit ganz normalen menschen zu sprechen, werde ich von hilfsbereiten frauen, die den betrieb mit verve führen, auf kindergerechte einrichtungen achten, und eine freundliche atmosphäre unter die leute bringen, bedient. das alles wirkte harmonischer als die markantesten voten, die mir vom montag her geblieben sind. denn sie beklagten die privilegien der asylsuchenden, die mehr zum leben hätten, als arbeitenden schweizer nach ihren steuern übrig bliebe, beziehungsweise nervten sich an den superreichen, welche keine gemeinschaftliche verantwortung mehr tragen wollten und damit die mittelschichten ausbluten würden.

und so mache ich mich, voll von eindrücken zu geschichte und gegenwart in kirchberg, an die emme, grüsse im vorbeigehen adelheid, die reformation, die brückenbauer, die händler und gewerbler, die mittelschichtsfamilien und die polparteien nochmals, um in ruhe ein wenig durch die landschaften zu wandern …

stadtwanderer

bieler bilinguisme auf dem prüfstand

es war eine tolle tagung. 180 vertreterInnen aus biel/biennes wirtschaft, gesellschaft und politik kamen zusammen, um sich über die zweisprachigkeit der stadt zu diskutieren. ich habe das einleitungsreferat gehalten. auch weil ich bilingue vortrage. vor allem aber, weil ich seit 12 jahren der zweisprachigkeit in der stadt biel/bienne beobachte.

biel

vor meinem referat nahm mich werner hadorn, bieler lokalpolitiker, zur seite. er hatte seinerzeit angeregt, man möge die probleme im zusammenleben einer mehrsprachigen stadt regelmässig diskutieren und beobachten und zu lernen. dafür unternahm er auch studienreisen entlang der deutsch-französischen sprachgrenze. in strassburg / strasbourg besuchte er das zentrum des bilinguisme und erörterte er mit dem direktor die möglichkeiten von beobachtungsinstrumente. der habe ihn in die bibliothek geführt, und ihm das baromètre du bilinguisme aus strassbourg gezeigt. und genau das wollte er in der folge für seine heimatstadt auch haben.

die arbeiten hierzu, die ich seit 1998 leiste, zeigen im wesentlichen drei sachen: die zweisprachigkeit ist in biel/bienne zu einem teil der stadtidentität geworden. alle indikatoren verweisen im zeitvergleich auf eine bewusstere und positiver eingestelltere bevölkerung. sie legen aber auch offen, dass die minderheit, die französischsprachigen, eine weniger vorteilhafte sichtweise auf das ganz haben als die mehrheit, die deutschsprachigen.

ich habe daraus drei these abgeleitet: erstens, ist die zweisprachigkeit der stadt für die politik und die öffentlichkeit von vorteil. zweitens, bin ich sicher, dass es ohne ohre die pflege der mehrsprachigkeit in wirtschaft und alltag viele nachteil gäbe. und drittens habe ich die bielerInnen aufgefordert, gleichzeitig stolz zu sein, dass sie ein vorzeigebeispiel sind, sich deshalb aber nicht auszuruhen und daran zu arbeiten, dass die ausstrahlung als vorbild zunimmt.

der kritische punkt ist, wie fast überall, die wirtschaft. wenn sprachliche minderheitsposition mit ökonomischer ungleichheit, sprich schlechterstellung übereinstimmt, gibt es schnell explosive problemlagen. in biel/bienne arbeitet man daran, muss man auch. die meisten firmen haben eine leitsprache, in der die dokumente verfasst werden. teilweise werde sie übersetzt, im mündlichen umgang hat sich die mehrsprachigkeit (nicht zweisprachigkeit) schon länger durchgesetzt. vorbildliche firmen bieten sprachkurse an, achten bei der postenbesetzung auch, keine diskriminerungen entlang der hauptsprache zuzunehmen.

das ist umso wichtiger, als der trend fast überall in die umgekehrte richtung geht: die segregation zwischen den sprachgruppen nimmt zu. man lebt vor allem nebeneinander, im schlechteren fall gegeneinander. das ziel müsste anders sein:. so stark wie nur möglich miteinander zu leben.

die zentrale motivation dafür ist, die horizonte zu erweitern, sprachen zu lernen, kulturen besser zu verstehen, und damit einen beitrag zur gesellschaftlichen entwicklung zu leisten. in biel/bienne ist man, habe ich an der tagung gelernt, überzeugt, nicht zuletzt deshalb nicht nur vor ort erfolge zu erzielen, sondern auch ausserhalb der stadt, auf den weltmärkten dank diesem bewusstsein wettbewerbsfähiger zu sein.

que les indicateurs montent avec le prochain sondages du baromètre du bilinguisme.

stadtwanderer

ein jahr vor den parlamentswahlen …

… werde ich sicher nicht sagen, wer gewinnt und wer verliert. gedanken mache ich mir aber, in welchem klima die wahlen stattfinden werden.

Tagesschau vom 24.10.2010

die finanzmarktkrise hat die welt geschüttelt. globale krachten banken in sich zusammen, wirtschaftszahlen brachen weltweit ein, die arbeitslosigkeit stieg allenthalben, die verschuldung der staaten nahm vielerorts zu, und steuererhöhungen werden von zahlreichen regierungen erwogen. auch wenn das alles in der schweiz gemässigter ausfiel, als dies weltweit der fall, ist dabei vieles zerbrochen, was vielen wichtig war: die ubs war nicht mehr garant für stabilität, vielmehr bedrohte sie diese; dem bankgeheimnis wurde die grundlage entzogen, und die managermoral in den internationalen firmen wird vom einheimischen gewerbe und unternehmertum offen in frage gestellt.

gleichzeitig ist unser bewusstsein für gesellschaftlichen konfliktlagen sensibler geworden, denn viele menschen fühlen sich heute unsicher: die migration wird kritischer beurteilt, die schwäche der fast inexistenten integrationspolitik wird klarer benannt, kulturelle entfremdung angesichts neuer alltagskonflikte im öffentlichen raum wird zum thema, überhaupt, das zusammenleben verschiedener konfessionen wird problematisiert. gleichzeitig gibt es verbreitete klagen über die zersiedelung, den kulturlandverlust, und den drohenden kollaps im öffentlichen und privaten verkehr. die öffentlichen finanzen bleiben beschränkt, bildungsoffensiven werden immer seltener und verlaufen immer häufiger im wirrwarr der einzelninteressen, der lange geforderte umbau der sozialwerke ist umstritten, während die krankenkassenprämien ungebremst nach oben schnellen.

das alles heisst nicht, dass wir unsere positive einstellung zur schweiz verloren hätten. mitnichten sogar! genauso wie in vielen europäischen ländern hat auch bei uns der nationale reflex an bedeutung gewonnen. der wunsch nach eigenständigkeit ist wachsend, wenn schon in wirtschaft und kommunikation nicht mehr möglich, dann wenigstens in kulturellen und politischen fragen. die gefährdung kommt aus dem ausland, die lösung liegt im inland. wirtschaftlicher protektionismus, gesellschaftlich kälte und nationalistische frontstellungen haben vielerorts zugenommen. typisch schweizerisch ist es, dass sich das auch auf das zusammenleben der sprachkulturen nachteilig niederschlägt und politische blockierungsgefühle überhand nehmen. gleichzeitig sind immer weniger institutionen in der lage zu vermitteln und gemeinschaftsbildend zu wirken. und massenmedien neigen dazu, das alles zu überzeichnen, um mit der krisendiagnose der eigenen krise entrinnen zu können.

das gemisch, das so entsteht, ist explosiv. der zorn der zeit kann sich daran fast überall entzünden. auch wenn dieser hie und da berechtigt ist, ist er kein guter ratgeber für die unmittelbare zukunft. für diese braucht es ein gemisch aus sensibilität für neue gesellschaftlichen konfliktlagen einerseits, kühlem blut, dort veränderungen einzuleiten, wo sie nötig ist, ohne dabei in hysterie zu verfallen. denn das, was die schweiz ausmacht, ist die zuversicht, für probleme lösungen zu finden, die nicht ideal sind und nicht alle befriedigen, dafür pragmatisch sind und schnell einmal wirken. und genau darauf kommt es an: ob wir die zukunft schwarz oder weiss sehen.

so hoffe ich, dass die klagen auf hohem niveau nicht unterdrückt werden, aber auch nicht überhand nehmen, weil die angst vor der zukunft so zum thema, wird das sie sich produktiv auf die politik und die sicherheit der menschen in diesem land auswirkt.

rendez-vous in einem jahr!

stadtwanderer

schneckenmigration im zeitalter der globalisierung

christoph oberer ist aus dem baselbiet. das hört man, wenn er referiert. eigentlich ist er studierter historiker. doch die leidenschaft des laboranten am naturhistorischen museum basel gilt den schnecken. wenn er darüber referiert, gibt es fast so viele geschichten zuhören wie schnecken hat.

schneckenschnecken wandern nicht, war einer der hauptsätze am heutigen vortragsabend des bernischen vogelschutzes. doch mit der globalisierung werden sie in alle weltgegenden verschleppt. eisenbahnen und autostrassen transportieren nicht nur menschen und güter, auch schnecken. beispielsweise die spanische wegschnecke, die 1960 mit salaten aus dem süden in die schweiz kam und innert weniger als einem halben jahrhundert zur verbreitetsten schneckenart aufstieg.

die neueste folge der globalisierung an der schneckenfront betrifft die kantige laubschnecke, weiss oberer zu erzählen. eigentlich stamme sie aus süditalien, verstehe ich. über den export von wc-schüsseln verbreite sie sich aber in die halbe welt. am liebsten hätte sie betonwände, wo feines moos wächst, das sie liebend gern frisst. in basel würde es schon millionen davon geben. in bern werde sie bald auch in massen auftreten. eine eigentliche plage sei sie schon in den amerikanischen städten. die lonza forsche bereits nach einem effizienten gift gegen den urbanen eindringlich.

oberer schildert das und vieles anderes in eindrücklichen geschichten, die man so nicht jeden tag zu hören bekommt. das ist zu allererst lehrreich. so weiss ich etwa, dass schnecken zu besten nahrungsverwerten gehören. ihr kot interessiert einfach niemanden mehr. es ist aber auch unterhaltsam, der mann mit dem hund, wie er sich vorstellt, weiss auf jede frage aus dem publikum eine eigängige antwort. vielleicht hätte man sich am ende eines langenvortrages eine einordnung aller überraschungen in eine gesamtschau gewünscht, damit auch einem laien wir mir nicht nur die perlen des vortrages, auch sein roter faden bleibt. doch der referent ist sichtbar kein theoretiker, vielmehr ein lebender praktiker.

vor den schneckenplagen können man entweder kapitulieren. oder man können sie bekämpfen, mit heissem wasser oder gefrieren in der kühltruhe, höre ich an diesem abend. neu im kommen sei, mit schnecken zu flüstern. “das ist dein salat, den kannst du haben, doch die anderen sind mir”, sei das motto der gespräche, mit denen sich sogar die schneckenforschung neuerdings beschäftige. das alles sei viel besser, als schnecken zu zerschneiden, was man das lange gemacht habe. denn das bringe gar nichts, ausser neuen schnecken, weil zerschnittene schnecken proteinbomben seien, was andere schnecken begehrten und zu ihrer vermehrung führe.

ein kurios-tolle sache, so ein abend bei den schneckenspezialistInnen, die einen grossen bogen schlagen von traditionellen schneckenkulturen über globalisierungsmigrationen bis hin zu selbstschutzmassnahmen gegen invasive arten. nur politisch darf man das nicht nehmen, sonst würden aus langsam kriechenden schnecken schnell sich bekämpfende hunde!

stadtwanderer

ein wenig wie die kappeler milchsuppe

1499 gestand könig maximilian den eidgenossen autonomie in seinem reich zu. dabei ging es auch darum, ob die parteiungen weiterhin ein fehderecht haben sollten oder nicht. der eidgenossenschaft haben die zugeständnisse wenig genützt. den schon bald darauf brach die grösste fehde unter allen eidgenossen, der konfessionskrieg, aus, der zum grossen und langen schwanken zwischen blockaden und versöhnungen unter schweizern führen sollte.

levrat_pelli_1_5340048_1269938808antipoden des industriezeitalters: die spitzen von sp und fdp, gemeinsam für eine offene schweiz, unterschiedlich in der einschätzung, wie man das erreicht, haben sich wieder versöhnt, nicht zuletzt auf druck der basen, die andere sorgen haben, als streithähnen zuzusehen.

mit der reformation in zürich 1523 nahmen die spannungen zu konfessionellen fragen in der eidgenossenschaft rasch zu. bern und basel folgten 1528 zürich, sodass sich gewichte in den städten zugunsten der neugläubigen zu verschieben begannen. diese weiteten sich sich zur feindschaft, ja zum bürgerkrieg aus, als der reformierte pfarrer jakob kaiser in schwyz bei lebendigem leib verbrannt wurde. zürich wollte das 1529 rächen, bern folgte dem limmatstädtern, und zug stellte sich ihnen entgegen, um die innerschweiz zu schützen. es brauchte die vermittlung von glarus, halb habsburgisch, halb zürcherisch, um ein sinnloses blutvergiessen zu verhindern.

den friedensschluss erzwang aber auch das fussvolk, das offen fraternisierte, während ihre anführer verhandelten. auf der grenze zwischen zürich und zug stellten sie einen pott auf. die zuger brachten die milch, die zürcher reichten das brot. gemeinsam schlürfte man die milchsuppe, während der kompromiss verkündigt wurde: in den gemeinen herrschaften durften die neugläubigen predigen, nicht aber in den orten, die streng altgläubig bleiben wollten. die untertanen sollten selber wählen dürfen, welcher konfession sie anhängen wollten.

seither gehört die kappeler milchsuppe zu den vorzeigemomenten der schweizer geschichte, der nicht nur nach innen, auch nach aussen ausstrahlte. die schweizer, wie man sie immer mehr nannte, gelten seither als raufbolde, die gründlich vom leder ziehen, sich schliesslich aber auch versöhnen können. und nach innen ist die lehre aus dem kappelerkrieg, dass man nicht immer nur provozieren kann, sondern auch den kompromiss suchen muss, um die eigene autonomie zu wahren.

genau an das musste man unweigerlich denken, als man vom communique las, das fulvio pelli und christian levrat zu ihrem fürchterlichen streit über die departementsverteilung im bundesrat heute veröffentlichten. einen “knallharten lügner” nannte sp-chef seinen kollegen von der fdp vor laufender kamera, sodass dieser einen tag später frei-ins-haus-geliefert mit einer verleumdumsklage drohte. was den medienleute als willkommenes spektakel vorkam, ärgerte schon bald die fraktionsmitglieder hüben und drüben, die sich bekämpfen, aber auch begegnen müssen, wenn sie in der sache bisweilen anderer, gelegentlich aber auch gleicher meinung sind. politisch soll man streiten, ja, auf entgleisungen soll man dabei verzichten, genauso wie aufs fischen im juristenteich, war seither ihr motto hinter den kulissen.

ob man zwischen zwischen bulle und sorengo einen pot aufgestellt hat, um fribourger vacherin mit tessiner wein zu schlürfen, weiss ich nicht wirklich. den beim friedensschluss waren die medien nicht zugelassen, und ich konnte auch nicht von ferne vorbeiwandern. registriert habe ich die symmetrie der entschuldigungen, von unangebrachtem ausdruck bis überreaktion. und ich bekenne: ich finde es gut, dass sich die präsidenten der sp und der fdp wieder vertragen. denn ihre verbindung ist nötig, um die schweiz modernisieren, selbst wenn das nur dialektisch möglich ist und auch in zukunft nicht ohne konflikte zwischen antipoden abgehen wird.

stadtwanderer

besuch im ottenleuebad

vor unseren füssen lag der nebel im sensetal. hinter uns war ein bergkamm, auf dem das junge holz, das nach dem lothar-strum gepflanzt wurde, ganz ordentlich wuchs. unmittelbar unter uns war der panoramaplatz von ottenleue. so weit – so klar, doch was bedeutet ottenleue?

panoramatafel-otteleuebad
panoramatafel vor dem ottenleuebad

die verköstigung im garten des ottenleuebads war wunderbar gewesen. eine kalte milchschoggi hatte mich nach der morgendlichen wanderung gestärkt. ein paar jugenderinnerungen kamen auf, und die machten mich zusätzlich fit.

die nachfrage bei der servicefrau ergab, dass das bad seit längerem nicht mehr in betrieb ist. die werbung im hausgang zur toilette verweist auf ähnliches. der stil der 50er und 60er jahre des 20. jahrhunderts dominiert. das kleinkind mit nacktem po wirbt verschämt für nestlé-baby milch und barry, der bernhardiner, tut das gleiche für milka von suchard.

der name ottenleue wirkt noch älter. dass es auf den voralpenterrassen bären gab, ist gut vorstellbar. doch löwen? das wirkt sonderbar. und otto dünkt mich auch kein name, der für den rand der gesellschaft typisch ist.

die sage von h.l., die auf der karte am panoramaplatz erzählt wird, erhellt einen in dieser sache. man wird ins hohe mittelalter zurückversetzt – die zeit der kreuzzüge. otto soll ein bauer aus dem tal gewesen sein, durch das die kalte sense fliesst. begehrt habe er die tochter eines junkers, bekommen habe er sie jedoch nicht. denn der ritter verlangte, einen ebenbürtigen tochtermann zu bekommen und sandte otto nach jerusalem. gesagt, getan! dem vernehmen nach habe otto aus dem sensetal viele moslems umgebracht und das heilige kreuz brav verteidigt, bevor er zum ritter geschlagen wurde. genützt hat ihm das in der heimat indessen nichts. den seine angebetete verstarb, kurz bevor er zurückkehrte, sodass er sich entschied, sich ins tal, aus dem er stammte, in alle abgeschiedenheit zurückzuziehen. auf den terrassen, hoch über dem wasser und wenig unter den tannen, habe er gemerkt, wie lieblich das klima da sei, wie wohltuend die luft wirke und wie günstig sich das schwefelwasser auf seine körper ausgewirke. und so habe er sein herz, das einst einer frau galt, dann wie das von richard löwenherz im nahen osten kämpfte, den wunderbaren weiden am gurnigel geschenkt.

dem bad nebenan, das 1886 aufging, diente diese sage in früheren zeiten sicher. ob’s wirklich genützt hat, kann man bezweifeln. denn die geschichte ist typisch christlich, nicht wirklich unternehmerisch. das gilt nicht nur für das bad im sensetal, es trifft auch auf die ovo zu, die ich genoss. die marke wirkt heimlig, weckte bubenträume, gehört aber längst nicht mehr dem gutgläubigen bern.

stadtwanderer

ordnung und fortschritt – die leitbilder aus dem 19. jahrhundert neu aufgelegt

brasilien, das diese nacht einen präsidenten oder eine präsidentin wählt, übernahm sein motto “ordnung und fortschritt” in die flagge. und ohne ihn hätte die soziologie ihrem namen bekommen. eine kleine hommage an auguste comte, den grossen, umstrittenen, vergessenen und wiederentdeckten wissenschafter aus dem 19. jahrhundert.

DSC00431statue von auguste comte, vor der pariser sorbonne, im gedenken an den begründer des positivismus, was mitte des 19. jahrhunderts noch starkes, wissenschaftliches denken mit wirkungsabsichten meinte.

1815 war in der europäischen geschichte ein wendejahr. kaiser napoléon verlor die schlacht von waterloo. die sieger, der russische zar, der österreichische kaiser und der preussisch könig erklärten die revolution für beendet. basierend auf gerechtigkeit, liebe und frieden leiteten sie die restauration der verhältnisse ein.

august comte, ein junger mathematiker aus montpellier, war mit der schroffen gegenüberstellung nicht zufrieden. er begann eine gesellschaftlehre zu entwickeln, welche die anarchie der moderne heilen sollte, ohne auf die konservativen rezepte zurückgreifen zu müssen: ordre et progès wurde zu seinem lebensmotto.

seine ersten schriften verfasste comte für den radikalen sozialreformer henri de saint-simon. sie setzten auf industrielle – unternehmer und arbeiter – und auf wissenschafter. neue arbeit brachten sie dem jungen mathematiker indessen nicht. denn der alte aristokrat publizierte sie unter seinem eigenen namen.

erfolgreicher war comte zweites werk. 1830 erschien der erste band des “cours de philosophie positive”, innert 12 jahren folgten fünf weitere bände. in ihnen rekonstruierte er drei stadien der menschheitsgeschichte: im ersten, dem theologischen, stellten sich die menschen fragen nach dem grund ihrer existenz; zu ihrer antwort schufen sie gottheiten, die gewissenheiten vermittelten. im zweiten, dem metaphysischen stadium, versuchten die menschen, ohne rückgriffe auf außerweltliche instanzen antworten auf die gleichen fragen zu finden. ins positive stadium treten sie, wenn das warum in den hintergrund rückt, dafür die funktionszusammenhänge entscheidend werden. comte glaubte damit, den leitfaden für den übergang in die höchste phase der menschheitsgeschichte gefunden zu haben.

der führenden wissenschaft für die dritte phase hat er den namen gegeben: er nannte sie soziologie, und er definiert ältere vorstellungen von gesellschaftslehren in seinem sinn um. soziale tatbestände sollten sich auf wissenschaftliche fakten stützen. und wissenschaft sollte stets anwendungsorientiert sein. soziale physik und soziale technik hätte man das auch nennen können. später ging comte noch weiter. im 1851 erschienen “système de politique positive” begründete er die theokratie oder gottesherrschaft neu, denn seine wissenschaft wurde nun zur religion – allerdings mit dem menschen und ohne gott an der spitze der schöpfung.

mit dieser wende spaltete comte seine anhängerschaft: die republikaner, meist französische linke, hielten dem modernen rationalisten comte aus den 1830er jahren die treue. soziologie war und ist für sie die disziplin, die der prognose künftiger gesellschaftlicher entwicklungen dient und politik so auf eine sichere basis stellt. die rechten konservativen wiederum feierten den comte der 1850er jahre, der die soziale harmonie mit hilfe eines neuen glaubens, befreit von alter wissenschaftsgläubigkeit, herstellen wollte.

noch heute steht die statue von auguste comte vor dem eingang zur pariser sorbonne. der umstrittene soziologe ist allerdings weitgehend in vergessenheit geraten. neu gelesen hat ihn jüngst wolf lepenies, der ehemalige rektor der berliner wissenschaftskollegs. er schildert ihn als mischung aus dem griechischen philosophen aristoteles umd dem christlichen apostel paulus. die versuchte klammer über all seine gegensätzlichkeiten habe comte zwischen stuhl und bank fallen lassen, auf denen die gesellschaftstheorien der linken und rechten bis heute ruhten.

régis debray, der frühere mitstreiter von che guevara, hat comte zu seinem 150. todestag wieder auferstehen lassen. anders als marx, meinte er zu seiner hommage an den grossen franzosen in filmform, habe comte das kernproblem der moderne vorausgesehen: die gefährliche illusion, “der Mensch könne sich ohne religiöse Bindungen in der Welt halten.” lepenies selber arbeitet an der zweiten wiederentdeckung comtes: den zeichen, die für die vermittlung von wissen in die massen unabdingbar seien, denn das wort alleine schaffe das nicht.

brasilien weiss das nur zu gut. es hat comtes motto in die nationalflagge übernommen. und brasilien lebt zwischen der hoffnung aus religiöser ordnung und aus materiellem fortschritt. wohl auch diese nacht, wenn der oder die präsidentIn neu gewählt wird, sodass lula da silva für höhere weihen in der weltpolitik aufsteigen könnte. auguste comte hätte es mit sicherheit gefreut.

stadtwanderer

bettag ohne beten

es war 1963. am abend, als wir erfahren hatten, dass john f. kennedy ermordet worden war, betete die ganze familie. für den amerikanischen präsidenten. für den leader der freien welt. für den katholiken. wahrscheinlich waren es nur ein oder zwei vater unser gewesen. eine besonderheit war das nicht. dass vater, mutter, schwester und ich gemeinsam beteten, und dass das gebet einem politiker galt, war jedoch unüblich. soweit ich mich erinnere, lag ein gefühl von krieg in der luft, von weltkrieg. wie ich später erfuhr, wohl eher von verhindertem krieg in der kuba-krise. ich war damals sechs jahre alt, ging in den kindergarten. es gab nur wenige momente in meiner bubenzeit, die mir so direkt geblieben sind. st. nikolaus in fribourg vielleicht, die studenten aus afrika ebenfalls, und die expo mit dem u-boot in ouchy dazu.

447px-Aufruf_bernbettagsmandat von 1832 der tagsatzung

die entstehung des eidgenössischen buss- und bettages ist nicht eindeutig. sicher, 1832 gab es das erste bettagsmandat der tagsatzung, damit das öffentliche leben ruhe. und 1848, ein jahr nach dem bürgerkrieg von 1847, gab es auch einen markanten tag der besinnung. die tradition der bettage ist jedoch älter, stammt aus den 17. jahrhundert und hängt höchstwahrscheinlich mit der bewusstwerdung der eidgenossenschaft als souveräner staat zusammen. noch älter sind gedenktage mit konfessionellem hintergrund, die sich mit der erfahrungen des 30jährigen krieges, von dem die schweiz weitgehend vorschont blieb, zum überkonfessionellen gemeinschaftstag entwickelten. seither ruft sich die eidgenossenschaft nebst der kirche in erinnerung. das kam in der krise von 1797 besonders zum ausdruck. als das ancien régime an der inneren immobilität zusammenzukrachen drohte, war der gedenktag besonders gefragt.

denkt man heute noch an bettag, wie er in meiner jugendzeit kurz und bündig genannt wurde, weil eidgenössischer dank-, buss- und bettag definitiv zu gestelzt war? ich bin mir nicht sicher, denn die bedeutung des gedenktages ist mächtig in den hintergrund gerückt. die schlagzeilen von heute gelten den anstehenden bundesratswahlen, dem amokgelaufenen rentner und der pannen im internet. alles medienaktualitäten von heute. vom versuch, zwischen christen und muslimen, die einander so wenig kennen, dass es schon beängstigend wirkt, ist nirgends die rede. auch nicht, dass die schweiz ohne bankgeheimnis nur so tut, als stecke sie nicht zutiefst in einer identitätskrise. und kaum ein thema, wo die schweiz im ausland vorbildlich wirkt, wird heute diskutiert.

so mache ich mich nach einem kurzem blog auf, hinaus, in den wunderbaren herbsttag. es geht auf den schafmattpass, im grenzgebiet zwischen solothurn und baselland. dort werde ich gebraucht, als grillmeister, nach dem feldgottesdienst am bettag, den die naturfreundInnen für die wandervögel veranstalten. beten werden ich nicht, singen vielleicht, den menschen ein wurst auf den weg geben schon, und sie vielleicht werde ich sie auch ein wenig zum inne halten bewegen.

stadtwanderer

ps:
ein schönes wortspiel gabs heute während der feldpredigt. wanderer seien nicht nur in bewegung, im wanderer steckt auch der andere. und so suchen, folgere ich, stadtwanderer auch andere in der stadt …

hymne als geburtstagsgeschenk?

ist das nun das leicht verspätete geburtsgeschenk an die schweizerischen eidgenossenschaft: parlamentarier-singen zur schweizer hymne?


symbol- statt realpolitik: fussballer, mädels und kinder, die patriotisch mitsingen, sind die neuen vorbilder, statt gewählte, debatten und entscheidungen zum wohl aller, die in der schweiz leben?

für historiker ist klar: monarchien basieren auf der ehre, für die adelige ihr leben risikieren. republiken basieren auf der furcht der subjekte vor dem allgemeinen willen. und demokratie stützen sich auf den patriotismus der bürgerInnen.

doch ist all das heute ein wenig in verrruf geraten. fast wäre man gewillt zu sagen, der staat der gegenwart baut auf dem nutzen seiner mitglieder auf – und ist deshalb so schwach (geworden).

genau das will eine vorstoss, der heute nach dem ständerat auch den nationalrat passierte, wieder wettmachen. denn die parlamentarierInnen werden zur eröffnung von sessionen inskünftig wieder die schweizer hymne vorgespielt bekommen, wie das newsnetz vermeldet. ob sie mitsingen oder nicht, wird ihnen überlassen.

nachdem vor jahresfrist war ein solcher vorstoss aus den reihen der svp gescheitert, weil alle zum gesang verpflichtet wurden. nun hat man darauf verzichtet, und die sache von der waadtländer sozialdemokratin ada marra lancieren lassen. das sei unverdächtig, wurde heute im bundeshaus argumentiert. dafür freut man sich schon auf youtube zu sehen, wer nicht singen kann.

zum unverhofften geburtstagsgeschenk für die schweizerische eidgenossenschaft erlaube ich mir aber eine frage zu stellen: ist das nun die national-, bundes- oder landeshymne, zu der man da mitbrummen wird?

stadtwanderer

der heutige geburtstag der modernen schweizerischen eidgenossenschaft

abgestimmt hatte man eigentlich schon am 6. juni 1848. gemäss protokoll waren 15,5 kantone dafür, 6,5 dagegen. an stimmen zählte man 145’584 auf der ja- und 54’320 auf der nein-seite. doch erst am 12. september hielt die tagsatzung fest, die neuen bundesverfassung sei angenommen. seither gilt dieser tag als gründungstag der zeitgenössischen schweizerischen eidgenossenschaft.

P1010765dr. jonas furrer, der erste bundespräsident der schweizerischen eidgenossenschaft 1848, erinnerungsstatue in seiner geburtsstadt winterthur

das vergessen

von einer geburtstagsfeier ist heute allerdings nichts zu spüren. gut, die heutige “sternstunde geschichte” behandelte wenigstens das thema der nationalen souveränität und der internationalen einbindung der schweiz als staat und volkswirtschaft. kein wort verlor indessen bundespräsidentin doris leuthard heute zum thema, und auf der website des bundesrates findet man ebenso wenig dazu. funkstille, wie schon in den vorjahren!

vielleicht ist es die scham über die art, wie die erste volksabstimmung, mit der die schweizerische eidgenossenschaft zustande gekommen war. bis heute weiss man nicht, wie viele stimmberechtigte es damals gab. man kennt auch die beteiligung nicht. einzig, dass 199’904 gültige stimmen registriert wurden, ist belegt. doch zählte man nicht einmal in allen kantonen gleich. in luzern addierte man die abwesenden zu den befürwortern, ganz nach dem motto, wenn man schon nein sagen durfte und es nicht tat, kam das einem ja gleich. krasser noch war die entscheidung im kanton freiburg. der mehrheitlich liberale grosse rat fürchtete das konservative nein des volkes, sodass er entscheid, die neue verfassung auch ohne volksabstimmung gutzuheissen.

das erinnern
hintergrund dafür war der sonderbundeskrieg von 1847 gewesen. zur verteidigung der föderalistischen eigenheiten souveräner kantone gegen die zentralistische vereinheitlichung zur nation schweiz hatten sich die mehrheitlich katholischen kantone zur wehr gesetzt. nach zwei schlachten der liberalen freischärler gab man den plan auf, in luzern mittels putsch ein liberales regime zu installieren. dafür schlossen sich die kantone luzern, schwyz, uri, nid- und obwalden, fribourg und valais zu einem geheim gehaltenen schützbündnis, dem sonderbund, zusammen. als dies 1846 bekannt wurde, kam es zu proteststürmen in den liberalen kantonen. die stimmung radikalisierte sich. kantone wie st. gallen kippten auf ihre seite, sodass man die nötige mehrheit hatte, den sonderbund per tagsatzungsentscheid aufzulösen.

der luzerner konstantin siegwart-müller appelierte nun ans ausland, insbesondere an die adresse österreichs. im innern machte er vorschläge, die kantonsgrenzen neu zu ordnen: so sollten das berner oberland und das simmental obwalden und resp. dem wallis, die katholischen bezirke des aargaus luzern angegliedert und glarus zwischen schwyz und uri aufgeteilt werden. zudem war ein eigener kanton pruntrut vorgesehen. damit war die konfessionalisierung des konfliktes komplett.

die tagsatzung ordnete darauf die kanton luzern, schwyz, fribourg und valais an, ihre jesuiten, sichtbare aushängeschilder der katholischen, auszuweisen. nach erfolglosen verhandlungen intervenierte sie unter dem genfer general henri dufour in luzern und fribourg militärisch. nach gut 3 wochen bürgerkrieg hatten sie noch vor weihnachten 1947 gesiegt.

im revolutionsjahr 1848 machte sich ein ausschuss der tagsatzung daran, auf den liberalen und radikalen kantonsverfassungen der regenerierten kantone eine bundesverfassung auszuarbeiten. das reformwerk wurde in kürzester zeit fertiggestellt und zur entscheidung vorgelegt, um eine grundlage für einen bundesstaat auf parlamentarischer ebene gründen zu können. anders 1798 war es diesmal keine ausländische macht, die eingegriffen und eine verfassung diktiert hatte. doch handelte man auch diesmal revolutionär: genauso wie der bundesvertrag von 1815 den aufgelösten sondernbund nicht zugelassen hätte, weil er sich gegen andere kantone wendete, hätte der bundesvertrag nur einstimmig aufgelöst werden dürfen.

der krieg und der sieg der liberalen und radikalen hatte dies alles obsolet gemacht. mit der volksabstimmung aber sicherte mobilisierte man die kraft der bürgerschaft und sicherter sich mit ihr auch die legitimation, den bund auf einer neue verfassung aufbauen zu können. der bundesvertrag von 1815, den der wiener kongress verordnet, aber auch garantiert und den die tagsatzung unter einem wechselnden vorsitz zu vollziehen hatte, endet mit der feststellung des abstimmungsergebnisses über die bundesverfassung am 12. september 1848. die unregelmässigkeiten der abstimmung in luzern und fribourg übersah man genauso grosszügig wie die opposition der sonderbundskantone, verstärkt durch ablehnungen der verfassung in appenzell ausserrhoden, zug und tessin. es waren eben revolutionäre zeiten.

aus dieser schweizerischen revolution gingen fünf zentrale institutionen des neuen bundesstaates hervor: die stände, das volk, die bundesversammlung, der bundesrat und das bundesgericht. der nationalrat repräsentierte das volk, und der ständerat machte das für die kantone. und: der austritt aus der schweizerischen eidgenossenschaft war nicht mehr möglich!

die historische würdigung
die historikerInnen würdigen den schritt von 1848 als mutigen fortschritt, der sich neu an der amerikanischen bundesverfassung mit den zwei parlamentskammern ausrichtete. einen eigentlichen präsidenten wählte man indessen nicht. abgestimmt wurde in der bundesversammlung einzeln über sieben mitglieder des bundesrates, die dann, für ein jahr, einen präsidenten aus ihrer mitte bestellten. zum sitz der bundesbehörden wurde bern erklärt. politisch wurde man keine nation wie frankreich, verabschiedete man sich aber auch von den souveränen kantonen nach österreichischem geheiss. über krieg und frieden entschied nun der bund, ebenso über staatsverträge und streitigkeiten im innern. wirtschaftlich orientierte man sich am gemeinsamen raum, und mit dem bundesgericht sollten die rechtshändel letztinstanzlich einheitlich beurteilten werden.

geboren war die schweizerische eidgenossenschaft als bundesrepublik, ohne dass sie diese bezeichnung je angenommen hätte. denn die orientierung an staatsrechtlichen begriffen war nicht das wichtigste, was es jetzt brauchte. vielmehr stand die konsolidierung des bundesstaates nach aussen und innen im vordergrund, denn der revolutionäre funke, der 1848 in halb europa ausgebrochen war, erschloss angesichts der konservativen reaktion der monarchen rasch, sodass die schweiz der einzige staat ist, der von dauer aus ihr hervor gegangen ist.

stadtwanderer

was für ein asterix!?

den schlauen asterix kennt man. den starken obelix auch, und idefix, den hund fürs übersinnliche, muss man einfach gerne haben. doch wo für stehen sie eigentlich: für unsere vorstellung der geschichte? für das leben im kulturellen kunterbunt der gallier? oder für frankreich als nation?

die geschichten der unschlagbaren gallier hat man zwischenzeitlich intus. man geht auf reise, irgendwo auf dem kontinent, um im fremden das eigene zu entdecken, und findet sich so nicht nur in der vergangenheit, sondern auch in der gegenwart wieder.

der film
in “asterix bei den olympischen spielen” geht es von der bretagne nach griechenland. alafolix, ein hübscher jüngling aus gallien, will die olympischen spiele gewinnen, um die bezaubernde prinzessin irina aus athen heiraten zu können. asterix und obelix, dem vorhaben gegenüber anfänglich skeptisch, begleiten ihn, unterstützt von miraculix, damit das vorhaben nicht im desaster endet. mit dem abgeschlagenen brutus, sohn von gaius iulius caesar, haben sie indessen nicht gerechnet. denn auch er will sieger der olympioniken werden. auch ihn treibt der gedanke, die venus der griechen zu bekommen. doch sieht er das alles nur als vorspiel für sein lebensziel, dier machtergreifung in rom, gegen seinen vater.

in diesem wettlauf um sieg und ruhm schenken sich die römer und gallier nichts – genauso wenig wie die helden der olympischen spiele der gegenwart. tolle sportliche leistungen werden geboten, doch ist auch doping mit im spiel, und korruption beherrscht die schiedsgerichte. als das speerwerfen an die griechen geht, setzt brutus aufs ganze. vom ringen bis zum rennen – überall gibt es nun gekaufte siege für die römer. das jedoch ist die stunde von des cleveren sternchens aus gallien, das, vom irritierten publikum unterstützt, die schiebungen vor caesar beklagt, sodass dieser einen ultimativen vergleich ausrufen muss. das legendäre wagenrennen im oval des stadions soll alles entscheiden, sodass hochgerüstet wird, mit technik, taktik und dem berühmten trank der druiden. den nutzen diesmal aber nicht die gallier, sondern die römer, die jedoch nicht merken, dass man ihnen so eine fall stellt. denn der siegreiche brutus wird am ende disqualifiziert, abgeführt und in eine galeere verfrachtet, während der zweite alafolix zu seiner erhofften ehre kommt und irina heiratet, derweil idefix mit ihrem pudel kuschelt, und obelix mit asterix von der nächsten wildschweinjagd träumt.

der streifen, vor gut einem jahr erstmals in den kinos, zählt, gemäss prospekten, zu den aufwendigsten produktionen der europäischen filmgeschichte. in der tat erlebt man die welt der antiken metropolen hautnah, sieht man sich riesigen römischen soldatenheeren gegenüber, und das wagenrennen gleicht fast schon einem grand-prix der formel 1. dafür sorgen promis der gegenwart wie michael schumacher, zinédine zidane und adriana karembeu in nebenrollen, während clovis cornillac (astérix), gérard depardieu (obélix), alain delon (jules caesar), benoit poelvoorde (brutus), stéphane rousseau (alafolix) und vanessa hessler (irina) die hauptfiguren spielen. asterix-vater uderzo wurde beim kinostart vorgeworfen, eine seiner populärsten geschichten für einen lächerlichen action film freigegeben zu haben. in der tat, einige der szenen wirken etwas kitischig, doch das stört die hauptaussage des filmes nicht. denn mit “asterix bei den olympischen spielen” wird der ganze mythos der ruhmreichen gallier gegen alle andern aufs trefflichste zelebriert.

der mythos
entstanden ist der mythos, wie die nzz von gestern erinnert, 1858 im second empire von napoléon iii., als seine archäologen den ort entdeckten, wo die gallier 52 vor christus von caesar definitiv besiegt wurden. “alesia” war den lesern der “commentarii de bello gallico” stets ein begriff gewesen, doch war die stelle der schlacht ums ganze vom siegreichen statthalter roms nur ungenau beschrieben worden. luftaufnahmen der 1990er jahren machten klar, dass es sich tatsächlich um alise-sainte-reine handeln muss, genauso, wie seinerzeit vom grabenden kaiser vermutet.

vercingetorix ergab sich seinerzeit angesichts seiner verhungernden gefolgsleute auf dem mont auxois und wurde als kriegsgefangener in rom erdrosselt. napoléon iii. liessen ihm zu ehren eine überlebensgrosse statue, ja den galliern insgesamt errichten. seither kommen weder populärhistoriker noch franzosen an ihren ersten gemeinsamen helden nicht vorbei, – vergleichbar einem karl martell, charlemagne, philipp ii. auguste, jeanne d’arc, louis xiv. und napoléon bonaparte.

die national ausgerichtete geschichtserzählung zieht eine direkt linie von der vergangenheit in die gegenwart, um die zukunft historisch zu sichern. in frankreich hing sie stark mit der rivalität von frankreich und deutschland des 19. jahrhunderts zusammen, die sich zu kriegsförderndenen gemeinschaftsbildung mit herleitungen von den galliern resp. germanen zu legitimieren suchten. dem hat der archäologe und historiker jean-louis brunaux in seinem buch “Nos ancêtres, les Gaulois” entgegnet, es handle sich um sagenhaften geschichte, sich in erzählungen, comics und filmen eingespielt habe, die historische realität aber übel verkürze.

die aktualität
das alles spiegelt sich, wie die aktualität zeigt, bis heute im verhältnis von sport und politik. zidanes weltmeistertruppe stand einmal symbolisch für die erfolge der integrationspolitik im migrationsland frankreich. seit den blamagen der blauen auf dem fussballfeld, dramatisiert durch einen der migranten, der gerne mit den schönen des süden flirtet und sich ebenso wohl in der wärme des staatspräsidenten sonnt, wenn er nicht gerade ausweisungen der romas anordnet, inszeniert man lieber wieder projektionen der reinen und tapfern gallier, die jede einmischung durch fremde zu bekämpfen wissen, und dabei unschlagbar sind.

stadtwanderer

sprachgrenzschlängeln

von weitem gesehen spricht man gerne vom klaren und tiefen röstigraben. von nahem ist das ganze viele komplizierter. erfährt man beim wandern in der grenzregion oder im buch “Die Röstigrabenroute“.

26435786zjean-françois bergier, der kürzlich verstorbene doyen der schweizer historiker, war skeptisch, wenn man vom röstigraben sprach. denn ein loch entlang der sprachgrenze sah er nie. vielmehr zog er die französische metapher des vorhangs vor, in realität bestehend aus sprachen, mentalitäten und weltdeutungen. der röstigraben kam für ihn vor allem im fernsehen vor, das ihn mit seiner auf sprache und region beruhenden eigenheiten vertiefe, meinte er. für die deutschschweizerInnen wurde die französischsprachige schweiz zur romandie, obwohl genf und sitten, lausanne und fribourg, porrentruy und neuchâtel nur beschränkte gemeinsamkeiten haben. genau das gilt auch umgekehrt, wenn die französischsprachigen via fernsehen auf die deutsche schweiz schauen, und die mit dem allgegenewärtigen zürich gleichzetzen oder von den finsteren kräften aus der suisse profonde bestimmt sehen.

an dieser kritik ist einiges richtig. denn es gibt in der schweiz auch andere gegensätze als die sprachregionen. zum beispiel die der städte, ihrem umland, der berge und der täler. zum beispiel die der offenen und verschlossen kulturen. zum beispiel die der konfessionen, die kollektiv oder individuell ausgerichtet sind. zum beispiel die der schichten, die vermögend oder arm sind. überall, und auch entlang der sprachgrenzen.

der journalist christoph büchi, der viel über die verschiedenen verhältnisse in den schweizer regionen nachgedacht hat, glaubt, die alltagskulturen seien entscheidend, die sich in dialekten und kleidungen zeigten, aber auch im humor, der phantasie und der kunst äusserten. das zentrale an den sprachregionen erkennt er einzig in den grössenordnungen: die deutschsprachige schweiz hat viel mehr einwohnerInnen als alle sprachminderheiten zusammen, die ihrerseits ungleich zahlreich zusammengesetzt sind. das lässt verbreitet eine mischung aus ignoranz- dominanzgefühlen genauso wie abwehrreflexe dazu. deshalb existierten die sprachgrenzen vor allem im alltag der minderheiten.

das mag auch erklären, weshalb traditionelle sprachmischungen seit dem 20. jahrhundert vor allem auf der französischen seite am verschwinden sind. einwanderungen aus der deutschsprachigen schweiz – ein phänomen, das mit der uhrenindustrie zusammen hing – gingen wegen des rückgang an arbeitsstellen zurück. wer blieb, passte sich spätestens in der zweiten generation an, und wer das nicht wollte, bekam den politkulturellen druck der lokalen mehrheit zu spüren, wie es der neuenburger sprachforscher frédéric chiffelle ausdrückt. umgekehrt wird die sprachliche integration in der deutschsprachigen schweiz erschwert, weil man sowohl le bon allemand wie auch das patois, die standardsprache wie auch den dialekt, lernen müsste. spätestens an diesem scheitern die meisten einwandererInnen. begründet werden konnte das lange mit der suprematie des romanischen über das germanische, die sich namentlich bei den französischsprachigen mitbürgerInnen erfreute und wenig integrativ wirkte.

biel/bienne ist die einzige stadt, die ganz generell auf ihre zweisprachigkeit in der mehrsprachigen schweiz setzt, sich kulturellen einflüssen aus paris, zürich, basel und – wenn es sein muss auch bern – offen zeigt, eine verbindung zwischen juratälern und mittelland sucht, reichtum wie armut kennt und verschiedene konfessionen, nationalitäten und ideologien achtet. die stadt ist denn auch das eigentliche zentrum der sprachgrenzregion im westen der schweiz. deren vielfalt zwischen neumühle an der elsässisch-schweizerischen grenze und dem matterhorn im übergangsgebiet der schweiz zu italien kennen zu lernen, ist das ziel des sprachgrenzschlängelns, wie es philipp bachmann in seinem ebene erschienen buch im rotpunktverlag vorschlägt. 22 routen hat er ausgeheckt, die interessierte wanderer stück für stück mal dies-, mal jenseits der sprachgrenze fgehen können, die einen über berge führen und in tälern rasten lassen, die einen mal landschaften geniessen und mal auch städte im kulturmix entdecken lassen.

ich habe das buch “Die Röstigrabenroute” heute in murten gekauft, und es mit gewinn in morat gelesen, auprès du lac, wie man die dortigen gestade am murtensee nennt.

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