kaum zu fassen …

“Der Deutschen Reich. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: gegründet 962 – untergegangen 1806.” so titelt der “Spiegel” – der deutschen spiegel? – fristgerecht zum 200. jahrestag des untergangs des kaiserreiches. der artikel beschäftigt sich jedoch nicht nur mit dem ende, sondern auch dem anfang. und begeht einen krassen fehltritt: otto I. wird als begründer und erster Kaiser mit bild vorgeführt; seite an seite mit seiner ersten frau, edith, die verstorben war, als die krönung stattfand. die wahre erste kaiserin kommt dafür in der 14seitigen reportage gar nicht vor.

das schmerzt den stadtwanderer ganz besonders, denn adelheid ist seine kaiserin. sie war nicht nur lombardische königin, die ihr reiches erbe ins reich des sachsen otto einbrachte. sie, nicht otto, garantierte das römische erbe im reich. denn sie war auch eine waschechte hochburgunderin, die unter anderem über das hauskloster st. maurice d’agaumne verfügte. doch sie ist kaum zu fassen: selbst hierzulande ist sie vielen in vergessenheit geraten. zu unrecht, sagt der stadtwanderer, denn sie könnte gar eine bümplizerin gewesen sein. ein spiegel-bild als zusatz-report.

die magyaren-frage

im 10. jahrhundert gab es eine zentrale frage: wer wird herr über die magyaren? beim zerfall des karolingischen kaiserreiches rief arnulf von kärnten die magyarischen reitertruppen zur hilfe. als “letzter karolinger”, der aber aus einer illegitimen beziehung stammte, konnte er sich er nach 887 nicht gesichert halten. dennoch stieg er 896 zum “kaiser” auf, nicht zuletzt weil er sich auf die auf die asiatischen kämpfer, die sich in der theiss-ebene niedergelassen hatten, stützen konnte. als er starb, verschwanden die magyaren nicht wieder, sondern liessen sich am plattensee definitiv nieder und bauten von hier auf ihre eigene herrschaft aus, die sie mit plünderungen im “kaiserreich” jeden, der sich widersetzte, klar machten.


stammesherzogtümer, die im 10. jahrhundert aus dem ost- resp. mittelfränksichen reich hervorgegangen waren, und das zentrale herrschaftsgebiet der ersten “deutschen” könige darstellten

gegen diese ausfälle stellte sich 926 der sächsische könig heinrich. alles, was damsls rang und namen hatte und von den magyaren überfallen worden war, versammelt er an einem reichstag in worms. könige waren da, herzöge kamen aus allen richtungen, und man schwor, unbedingte treue zu heinrichs plan zu halten, die magyaren zu besiegen. zehn jahre lang wollte man tribute zahlen, um ruhe zu haben. derweil rüstete man aber kräftig auf. das land der germanen wurden erstmals mit burgen versehen, befestigte motten aus holz, die der flucht dienten. sogar notvorräte wurde angelegt, um bei allfälligen belagerungen stand halten zu können.


der mottenbau gehörte zu den leistungen von könig heinrich bei der abwehr der magyaren

933 liess man das befristete stillhalte-abkommen einseitig und vorzeitig auslaufen, denn man fühlte sich nun stark genug. tatsächlich besiegt heinrichs koalition die magyaren in der schlacht von riade an der unstrut. doch heinrich erlag nur wenig später einen schlaganfall bei der jagd, und im sommer 936 starb er in memleben. weil es ihm gelungen war, sein herrschaftsbereich zu konsolidieren, gilt er in der geschichtsschreibung als erster deutscher könig.

das sächsisch-fränkische königtum

bereits 929 hatte heinrich seine nachfolge geregelt. alleiniger erbe sollte sein sohn otto werden. Der für ihn auserwählten frau, edith, der tochter des mächtigen angelsächsischen königs edward, sicherte ein erbschaftsvertrag die einheit des reiches. diese heirat band die sachsen nach norden, und es wäre auch denkbar gewesen, dass sie das zentrum eines reiches über die nordsee geworden wäre, die in erster linie das dänische reich bedroht hätte. doch edith starb 946 bereits, und otto hatte mit liudolf und liutgard bereits zwei kinder, die in der schwäbischen resp. bayrischen provinz regierten oder verheiratet waren.


erweiterung des “deutschen” königreichs durch die heirat von könig otto I. und adelheid, königin der lombardei

zur gleichen zeit wie es einen prominenten witwer nördlich der alpen gab, lebte auch eine ebenso prominente witwerin südlich der alpen. adelheid, königin der lombardei, war jedoch nach dem tod ihres mannes lothar 950 von berengar aus verona gestürzt worden, denn sie weigerte sich, ihn zu heiraten. das aber wäre nach langobardischem recht nötig gewesen, denn das königtum vererbte sich in diesem stamm über die witwe eines verstorbenen königs. berengar usurpierte die macht in der lombardei, und hielt adelheid in der nähe von como gefangen.

otto nutzte diese gelegenheit der machterweiterung und intervenierte in der lombardei. von adelheid gerufen, überschritt er erstmals die alpen, befreite die legitime königin, und er heiratete sie 952 in pavia. berengar wurde militärisch besiegt, doch mit dem königreich der lombardei belehnt, als sich otto und adelheid nach norden begaben. von nun an lebte das königspaar vorwiegend in magdeburg, dass man zum zentrum eines neuen reiches ausbaute. gemeinsam haben otto und adelheid fünf kinder, im jahre 955, als otto, wie sein vater die magyaren in einer schlacht, diesmal aber an der lech bei augsburg, besiegte, sogar zwei! unter anderem kam damals otto II., der nachfolger von otto I., zur welt.

otto, der soldatenkaiser

nach seinem sieg durch seine truppen zum “soldatenkaiser” ausgerufen, sah man in ihm den neuen caesar. sachsen und franken waren gefestigt und unter einer krone, der ostfränkischen vereinigt. die nord-ausrichtung war ganz erloschen, dafür die südost-ausrichtung seines Reiches aufgebaut. die südlichen herzogtümer schwaben und bayern waren nach einem erfolglosen aufstand durch seinen sohn aus erster ehe in seine anhängigkeit geraten. und die magyaren liessen sich nach ihrer niederlage an der lech definitiv nieder, siedelten entlang der donau, wurden christianisiert und bauten nach ottos vorstellungen ein eigenes königreich, das ungarische, auf.


könig otto besiegt 955 an der lech die magyaren und leitet ihre zivilisierung als königreich ungarn ein

intern war otto nicht ganz unbestritten. er musste seine macht vor allem auf seinen jüngeren bruder, brun(o), kanzler des reiches und erzbischof von köln stützen. selst wilhelm, ein unehelicher sohn ottos, war in diesem system als bischof von mainz von nöten. sie bildeten zusammen das rückgrat in der ottonischen reichskirche, auf die sich der könig verlassen konnte.

an die mehr römische tradition knüpfte dagegen adelheid an, die den mauritius-kult, dessen zentrum das burgundische st. Maurice an der oberen rhone war, nach magdeburg mitbrachte. selbst eine teil der gemeine von könig sigimund, dem ersten heilig gesprochenen könig eines germanischen reiches, liess am aus st. maurice nach magdeburg transportieren, um das neue religiöse zentrum zu demonstrieren.

das alles nützte nichts, denn otto erkrankte 958 schwer und stürzte sein reich in einer tiefe krise, die berengar in der lombardei nutzte, um sich zu verselbständigen und den papst in rom zu bedrängen. wie sein vorvorgänger leo III., rief nun auch johannes XII. einen nördlichen herrscher auf, ihn zu schützen. und wie sein vorbild karl der grosse, wurde nun auch otto der grosse begründer eines kaiserreiches mit päpstlichem segen. am 2. Februar 962 wurde er in rom zum kaiser des römischen reiches gekrönt.

das kaiserliche consortium

doch das war otto eben nicht allein. sein spiegelbild war adelheid, fortan nicht nur die (vernachlässigbare) frau des kaisers, wie man in der deutschen historiografie häufig meint. sie war gleichzeitig kaiserin. beide regierten gemeinsam, in einem consortium, wie man es damals nannte. das damals begründete kaisertum war kein deutsches, sondern ein römisches. diese verbindung löste sich erst in der zweiten dynastie, den fränkischen saliern, die sich fortwährend mit dem papst um die vorherrschaft im reich stritten, bis 1157 unter kaiser friedrich I., genannt barbarossa, ganz zerbrach. damals entstand das teutonische kaisertum, das deutsche kaisertum, weil imperium und sacerdotium nicht mehr identisch war.


kaiserkrone, suggeriert, das eine person die macht inne hatte, doch die ottonische dynastie konnte nur dank dem mitkaisertum von adelheid gesichert werden

ein solches denken war den ottonen fremd. nach byzantinischem vorbild, wo es seit konstantin dem grossen immer einen kaiser gegeben hatte, verstanden sie ihre herrschaft theokratisch. sie regierten den staat, indem sie die kirche regierten. denn die kirche war der staat. das war die sächsische tradition seit der christianisierung. südlich der alpen stiess das stets wenig verständnis, denn auch der papst verstand sich als theokrat. ohne adelheids reichtum südlich der alpen, ohne ihre würde als lombardische erbin, ohne ihre macht als eigentliche königin, wäre den ottonen der dauerhafte schritt über die Alpen wohl so wenig gelungen, wie den den schwaben und den bayern und das kaisertum wäre im 10. jahrhundert nicht neu entstanden.


das römische reich und seine nachbarn gegen ende der ottonischen herrschaft

die verbindung zwischen otto und adelheid begründete am 2. februar 962 das, was sich am 6. august 1806 auf druck napoléons, dem kaiser der franzosen, von selber auflöste. der “Spiegel” verschweigt das, weil es auch nicht so recht in das bild passen will: “der deutschen reich”, ist mindestens im 10. Jahrhundert eher “der (mittel)europäer reich.”, in dem sich sächsisch-fränkische und burgundisch-lombardische traditionen verbanden. Otto begründete nur die eine, die vergessene adelheid die andere.

das ist offenbar kaum zu fassen, wenn man nur in den spiegel schaut!

stadtwanderer

ps:
von wo im hochburgund die kaiserin stammte, erzähle ich morgen.