mein ganz persönlicher eu-beitritt

er sagte es immer klar und deutlich: “wenn die schweiz der eu nicht beitritt, werde ich ganz persönlich der europäischen union beitreten.” ende 2000 bereitete er diesen schritt vor; 2003 wanderte er aus, und bis ende jahr will er eu-bürger sein. doch er ist kein intellektueller schriftsteller, kein manager einer internationalen firma und auch kein pensionär mit realitätsverlust. er ist biobauer. “ausgerechnet!”, höre ich schon munkeln. “pourquoi pas?” würde er erwidern.

der bauer aus überzeugung

geboren wurde ruedi baumann 1947 als sohn von rudolf und lina baumann-röthlisberger im bernischen suberg. dort ist er auch aufgewachsen und dort wurde er auch rucksack-bauer, nachdem sein vater verstarb. 1974 heiratete er Stephanie; fünf resp. sechs jahre später kommt der nachwuchs zur welt. aus dem bauer war zwischenzeitlich ein diplomierte ing. agr. eth geworden, der in der berufswelt rasch die leiter zum “ersten direktionssekretär” der bernischen landwirtschaftsbehörde aufstieg.


vom bauernsohn zum buchautor: ruedi beaumann, wie man ihn in frankreich nennt (foto: stadtwanderer, anclickbar)

1985 verschrieb sich ruedi baumann ganz seiner ersten leidenschaft, dem bauern. den väterlichen hof stellte er mit seiner frau ganz auf “bio” um; und im gleichen jahr verliess er die svp-richtung freier liste; stepahnie engagierte sich bei den sozis. das rot-grüne duo hatte mit der tradition gebrochen, und war drauf und dran, vom politischen tauwetter im kanton bern zu profitieren.

das rot-grüne powercouple

baumann und baufrau wurden 1986 in den bernischen grossen rat gewählt. 5 jahre später war ruedi nationalrat; nur weitere drei jahre danach zog auch stephanie ins nationale parlament ein. Das rot-grüne powercouple war perfekt! ruedi, seit 1989 co-präsident der kleinbauernvereinigung, wurde 1997 gar präsident der grünen partei der schweiz. Und stephanie rückte zur verwaltungsratspräsidentin der berner insel vor.

12 Jahre familienleben im nationalratssaal hatten sie sich selber als limite gesetzt. rechtzeitig haben sie sich nach einer neuen herausforderung umgesehen. den eigenen hof übergaben sie einem ihrer söhne; für sich selber suchten sie eine andere beschäftigung.

einfach war das nicht: gute bezahlte abgangsjobs als politberater sind für linke selten; posten in der landwirtschaftsverwaltung waren zu wenig kreativ; und für das unterrichtswesens waren die biobauersleute aus suberg ihrer zeit zu weit voraus. stephanie und ruedi beschlosesen deshalb auszuwandern: frankreich ist ihre wunschdestination. doch das nahe gelegene burgund erweist sich als zu teuer, die lorraine als aussichtslos, sodass sie die südwestecke anvisieren. toulouse ist ihre startbasis, das verlassene bauerngut „la ouaitte“ in der gascogne wird ihr zielstrich.

der gesinnungsmensch

in seinem buch “bauernland. mein leben” berichtet ruedi baumann seine häutungen: jene aus dem traditionellen bauernmilieu beispielsweise, und jene aus der helvetischen politik, um noch eine zu nennen. es scheint ihn wirklich befreit zu haben. heute steht offen zu seiner jugendsünde, dem leidenschaftlichen traktorfahren, und er erzählt frei von der leber, wie gerne er panzeroberst geworden wäre. der jagd entsagt er zwar heute noch, doch lässt er sie auf seinem grundstück in südfrankreich zu. stopfgänse hält er selber nicht, doch findet er ihre fütterungsart weniger schlimm als die schweinehaltung in der schweiz. und “heizen mit weizen” erscheint ihm ethisch nicht vertret-, angesichts der tiefen Weizen- resp. hohen erdölpreise für nachvollziehbar.


ein leben lang mit ruedi verbunden: stephanie baumann, graugestreift (foto: stadtwanderer, anclickbar)

ruedi baumann ist heute kein lupenreiner ökopolitiker mehr. er steht zu widersprüchen. er ist auch nicht mehr der provokateur der tv-nation. er ist versöhnlicher geworden. zur verwunderung, aber mit bewunderung seiner frau, hat mit mehr als 50 jahren kochen gelernt; und zur gaudi seiner französischen nachbarn spielt er saxophon an volksfesten. menschlicher macht ihn das alles: und “Beaumann” nennen ihn die bauern in der gascogne schon mal; wenn sie das schreiben würde, hätte er nichts dagegen …

heute ist baumann kein mediennaher grüner mehr, dafür ein sympatischer gesinnungsmensch. von seinem journalisten-freund in bern, daniel röthlisberger, gefragt: “fehlt dir die politik?“ gibt es kurz und bündig zum besten: „nein!“. jetzt habe er zeit zum nachdenken und zum bücherschreiben. als politiker fehlte ihm das. überhaupt lobt er die vorteile der freien bauersleute. ein bernischer fürsprecher sei gefangener des kantons und könnte nur mit schweren abstrichen auswandern. er dagegen können sein wissen, seine erfahrung und sein weisheit überall einsetzen, wo es freies land hat.

schweizer, franzose und europäer

auf das politische establishment der schweiz wirkt ruedi baumann nicht mehr mobilisierend. bei seiner buchlesung in bern ist es weitgehend abwesend. nur ein paar alte kämpen von der freien liste sind gekommen, und ein vizepräsident der grünen hat sich kurzfristig in den “stauffacher” verirrt. doch die veranstaltung ist ausverkauft. platschvoll ist der erste stock der buchhandlung an diesem abend. unangemeldete werden zwar nicht abgewimmelt, aber auf den treppen platziert. an die 200 interessierte lauschen gebannt und gespannt der lesung und dem dialog auf dem podium.

“bauernland” ist das buch eines bauers aus berufung. die äusseren umstände stehen auf sturm; sie sind aber nicht so wichtig. denn die innere überzeugung aber steht, und die leitet ihn. biolandwirtschaft ist heute nicht mehr eine politische theorie, sondern ein gesamteuropäische praxis. mit der früheren regierung frankreichs schlossen die baumanns einen vertrag, der sie zu umweltschonendem landwirtschaft verpflichtete. die vorteile daraus, hat die regierung raffarin zwar gestrichen, doch mag der bauermann nicht klagen. „mon président“ nennt er jacques chriac fast schon liebevoll, und provoziert gleich unverfroren weiter: seine kritische haltung zur globalisierung, seine idee der weltweiten besteuerung von finanzströmen und flugverbindungen, hat die volle unterstützung des global denkenden bauern. in der schweiz habe er als oppositioneller gleiches gefordert, in frankreich vertritt der staatspräsident solche konzepte, lobt er chriac. immerhin lässt er durchblicken, dass er noch lieber “ma présidente” sagen würde, und rührt schon mal die trommel die segolène royal, der denkbaren sozialistischen anwärterin auf das höchste amt im staate frankreich.

wenn es geht, möchten sich die baumanns bis ende jahr in frankreich einbürgern lassen. “zwei pässe ist besser als einer”, begründet ruedi diesen Schritt einleutend einfach. beim em-finale “frankreich-schweiz” hätte er soll alle trümpfe in der hand, scherzt der europäer. wo seine heimat ist, lässt baumann ganz bewusst offen. “la ouaitte” nennt er schon mal sein “heimetli”, obwohl es mit 70 ha sieben mal grösser ist als die “inselmatt” in suberg. offen lässt die seit kurzem vorliegende autobiografie auch, wo die baumanns ihren lebensabend verbringen wollen. man spürt die attraktivität der neu gewonnenen freiheiten als auswanderer, man glaubt aber auch die verwurzelung mit den aaretal zu merken.

auswanderer, nicht ausreisender

30 jahre hat er notizen zu seinem leben gemacht, und diese zu jahreschroniken verdichtet, die man im familien- und freundeskreis las. heute ist das private aus ruedis alltag öffentlicher geworden, und die politischen betrachtungen kommen grundsätzlicher daher. wer regelmässig bloggt, hat diesen wandel schon länger miterleben können, denn hinter dem “auswanderer-blog” steckt kein anderer als der buchautor von “bauernland”. 140 seiten hat er gebraucht, um das ins neue gleichgewicht und zuwischen zwei vuchdeckel zu bringen: ein erfolg wie seine persönliche veränderung auch könnte der band werden.

da er der schweiz nicht zutraut, zu seinen lebzeiten eu-mitglied zu werden, hat er seine drohung wahr gemacht und sich seinen traum individuell realisiert: “mymemberschip” ist sein credo. und es würde mich nicht wundern, wenn er von seiner festen basis aus nochmals gsinnungsfreunde des eu-beitritts in der schweiz mit seiner botschaft anstecken würde.


danke für die widmung, kollege wanderer (foto: stadtwanderer, anclickbar)

reisende haben ein ziel; wanderer dagegen sind unterwegs. “la ouaitte” wurde zum ziel von stephanie und ruedi. die entwicklung der schweiz in europa ist ihr ernst gemeinter wunsch!

kollege stadtwanderer!

ruedi baumann: bauernland. mein leben. nagel&kimche, münchen/wien 2006

bauernland. mein leben, ruedi baumann, alias www.auswanderer.blog