mein 1968

1968 – da war ich 11 jahr alt. und mega sportbegeistert. das hat mich politisiert. auf meine ganz bestimmte art und weise. daraus ist mein ’68 – und genau 38 jahre her!

der unverstandene protest

selber war ich ein mässig guter läufer, wenig ausdauernd, denn mein husten aus der kindheit plagte mich vor allem im winter. aber ich war einigermassen schnell. und reaktionsstark. das prädestinierte mich zum sprinter. für ein paar medaillen als junger leichtathlet sollte es in den folgenden jahren reichen.

im oktober 1968 hatte ich nur einen wunsch: mir meine ersten olympischen sommerspiele am fernsehen ansehen zu können. ich verfolgte schon vorher über zeitungen die die sprinter aus den usa, die hürdler aus cuba und die mittelstreckler aus kenia. sie waren meine ersten stars.

warum die studenten in mexico kurz vor der eröffnung der spiele demonstrierten, verstand ich nicht. umso mehr ärgerte ich mich über ihre gewalttätigkeiten. genauso wenig wie ich, duldete die polizei den aufstand der strasse nicht. sie schlug in tlatelolco brutal zu und erschoss zahlreiche studenten. wie der mexikanische präsident war ich froh, dass die spiele termingerecht am 12. oktober 1968 beginnen konnten.

das sportliche vorbild

ich wurde in diesem unvergesslichen oktober 1968 voll bedient: 100 m mit dem sieg von jim hines in der weltrekordzeit von 9,94; 400 m mit dem sieg von lee evans in der weltrekordzeit von 43,8; und dann die 200 m, meine strecke: sieg von tommie smith mit dem fabulösen weltrekord von genau 19,83. damit wurde er der schnelleste mensch auf allen strecken überhaupt.

die fakten, die zahlen, die sieger prägten mich: mit tommie smith hatte ich ein faszinierenden vorbild gewonnen. 1,91 war er gross, 84 kilo war er schwer, und 2,8 meter mass seine schrittlänge, wenn er in fahrt kam. das alles konnte ich auswendig, selbst wenn mir dabei auch bewusst wurde, nie ein solcher modellathlet zu werden!

der verstandene protest

doch dann kam der schock: gemeinsam mit john carlos, dem dritten im olypmischen 200 m final, erhob tommie smith die schwarz bandagierte faust zur us-amerikanischen nationalhymne. noch heute läuft es mir kalt den rücken hinunter, wenn ich mich an den 17. oktober 1968 zurück erinnere.

dann ging alles schnell: noch während der siegeszeremonie wurden die beiden us-sprinter aus der amerikanischen mannschaft ausgeschlossen! mein held, von bekloppten ami-sportfunktionären in die wüste geschickt! wie konnte man nur!, musste ich wissen.

aber ich bekam keine antwort. sicher hat mein amerika-bild damals schweren schaden genommen; sicher bin ich seither schlecht zu sprechen, wenn ich nur schon das wort “funktionär” höre.

aber ich weiss, dass ich in sekundenschnelle begriff, was soziale ungerechtigkeit ist, und wie nationalstolz und sozialer zorn zusammen hängen. denn diese siegerehrung hat mich politisiert. mit sympathien für benachteiligte gruppen. und der ausschluss hat mich scokciert, mit antipathie für sturheit, überlegenheit und rassismus. dass tommie smith am letzten tag der spiele – heute vor 38 jahren – auch noch auf lebzeiten für olympische spiele gesperrt wurde, gab mit den rest.

der sportsmann des jahrtausends

ein vorbild ist er geblieben, dieser tommie smith. mein 68er idol. gesehen habe ich ihn nie. verfolgt habe ich seinen werdegang schon. soziologie studierte er nach dem tiefen fall, um zu verstehen, was ihm angetan wurde. bis zum professor am santa monica college stieg er auf. das hat sogar mich bewegt. wie er, wollte ich soziologie studieren, um zu verstehen, was falsch gelaufen ist, wenn soziale proteste ausbrechen.

1978 begann die rehabilitierung von tommie mit der aufnahme in die amerikanische “hall of fame” der leichtathlektik, und 1999 erreichte sie mit der verleihung des titels “Sportsman of the Millennium Award” ihren höhepunkt erreichte.

eben, ein vorbild, nein, mein vorbild, seit den berüchtigten oktobertagen des jahres ’68.

stadtwanderer

Röschti-Brücke

tja, folgende zuschrift habe ich auf meinen artikel zum röschtigraben erhalten. von einer person, die unbedingt anonym bleiben will. der beitrag ist aber so stark, dass ich ihn nicht nur als “comment” bringen möchte, sondern gleich als eigenen “gastbeitrag”. die bilder sind von mir ergänzt.


alte Darstellung des Viaduktes von Grandfey, erbaut zwischen 1857 und 1862 (foto: museum für geschichte und kunst, freiburg i.ü.)

“Der Viadukt von Grandfey ist schon technisch ein Meisterwerk. Er wurde kurz nach der Gründung der Schweiz gebaut. Er erschliesst das Uechtland für den Zugverkehr, denn er verbindet Freiburg mit Bern. Ohne die gewaltige Bürcke würde es keine so direkte Verbindung vom Lac Léman an den Bodesee geben.
Die Brücke ist 333 Meter lang, und über 80er Meter hoch. Sie musste nur einmal ganz überholt werden. Sie bietet auch Fussgängern und Velofahrern einen geschützten Durchgang.
Davon sollte man mehr sprechen, statt immer vom Röschtigraben. Denn die Brücke verbindet über die Sprachgrenze. Sie ist eine richtige eidgenössische Tat.
Unbekannter Gesamtschweizer”


geschützer durchgang auch für den einfachen landverkehr über die röschtibrücke (foto: gemeinde düdingen)

da sag ich als ehemaliger freiburger nur noch: herzlichen dank, hätte schon längst selber auf die idee kommen können!
stadtwanderer

rideau de roesti – röschtigraben

fast kein abstimmungswochenende vergeht, ohne dass die frage nach den sprachkulturellen unterschieden in den abstimmungsergebnissen gestellt wird. eine ausstellung des bieler museums schwab geht nun den vielfältigen erscheinungsweisen, aber auch den tieferen ursachen des röschtigrabens nach, – bleibt aber auf halbem weg stehen. ein report von der vernissage.


hochgespielt: den “röschtgraben” kann man nicht mal übersetzen, den auf französisch sei er ein vorhang, le rideau de rösti, suggeriert die ausstellung

die problematik

die kultur der modernen direkten demokratie in der schweiz entwickelte sich in den letzten 175 jahren auf kantonaler und nationaler ebene schrittweise. sie ist historisch gesehen “jung”. die kultur des eidgenössischen bewusstseins entstand seit dem 14. jahrhundert mit dem starken hang zu regionaler autonomie. geschichtlich betrachtet ist sie von “mittlerem” alter. die grundlagen aber, die sich an einem abstimmungstag mit sprachregionalen gräben äussern, sind allesamt älter: sie stammen aus der konfrontation von gallo- resp. raetoromanischer und germanischer kultur, die im 5. bis 7. jahrhundert begann und bis heute dauert.

am ende der römischen herrschaft auf dem gebiet der heutigen schweiz, an der wende vom 4. zum 5. jahrhundert, wanderten nacheinander burgunder, alemannen und langobarden ein. sie integrierten sich sehr unterschiedlich in die vorherrschende römisch-keltisch resp. römisch-raetische kultur. bei den burgunden kam dies einem recht raschen aufgabe des germanentums zugunsten der römischen tradition gleich. bei den langobarden verlief der prozess viel langsamer, aber weitgehend vollständig. nur bei den alemannen versagte fast vollständig. sie entwickelten sich in opposition zur mediteran-lateinischen welt weiter.

doch genau diese alemannische kultur ist die basis, auf der die alte eidgenossenschaft im spätmittelalter entstand: als rechtsform, um den lokalen handel auf nicht-adelige art und weise zu sichern, als stadt- und landkultur, die es so nur in der reichsprovinz gab, als militärischer zweckverband, nicht als politischer staat und später als selbstverständnis der protestantischen zentrem gegen die katholischen umländer. doch die herrschaft der alten eidgenossenschaft beschränkte sich nicht nur auf die deutschsprachigen gebiete. sie erstreckte sich auch auf teile jener regionen, die sich in der französischen resp. italienischen kultur entwickelt hatten, hielt sie jedoch als untertanengebiete.

erst mit dem fall der alten eidgenossenschaft unter französisch revolutionärem druck entwickelte sich das selbtverständnis der mehrsprachigen schweiz, das ein produkt des frühen 19. jahrhundert ist und von der freisinnigen grossfamilie im modernen bundesstaat als eine der unverwechselbaren identitäten des sonderfall schweiz gepflegt wurde. mit dem zerfall der fdp seit den 90er jahren des 20. jahrhunderts wieder zum problem wurde.


relativiert: der röstigraben vor dem hintergrund der weltpolitik, karikatur aus der ausstellung

die einladung

ein perfekt zweisprachiges buch von laurent flütsch, das als katalog des musée romain de lausanne-vidy entstanden ist, und den titel „rideau de rösti – röschtigraben“ trägt, geht genau diesem problem mit vielfältigen zeugen ihrer zeit nach:

. zunächst mit karikaturen, die fast alle aus der gegenwart stammen, das heisst, die publizistische verarbeitung rideaus de rösti namentlich in der romandie vorführen,
. dann mit volkskundlichen übersichten, speziell aus den 50er jahren des 20. jahrhunderts, die eine bilanz der alltagskultur dies- und jenseits des saane/sarine ziehen,
. ferner mit ein paar exzerpten aus der zeit des jungen bundesstaates, die den aufbau und zerfall zeitgenössischer eidgenössischer kultur am beispiel des frankens positiv und des ersten weltkrieges negativ aufzeigen, und
. und schliesslich mit archäologischer funden aus der zeit vor der kartoffel, die sich speziell mit der regionalen verbreitung von töpferwaren, alltagskleidern und beschäftigen.

momentan zu sehen ist die wanderausstellung, die auf dem buch flütschs basiert, in der zweisprachigen stadt biel/bienne, genauer gesagt im dortigen museum schwab. sie wurde am wochenende eröffnet und bietet den interessierten verschiedene zugänge zum gleichlautenden polit-kulinarischen thema: einmal als quiz im eingang, das sich mit der entwicklung des bilinguaalismus in der uhrenmetropole beschäftigt, vor allem aber als führung durch den (engen) röschtigraben, sinnbildlich als furche in der landschaft dargestellt: links bekommt man jeweils die französischsprachige perspektive vorgeführt, und rechts kann man sich das gleiche aus deutschschweizericher optik ansehen. der trick der ausstellung dabei ist verblüffend: es beginnt nur vordergründig mit den verschiedenen sprachen, es endet am schluss einer jede erläuterung bei der sichtweise der anderen sprachregion. das verbindet, wo auch immer man anfängt!

selber habe ich mich als freiburger mehrfach in dieser ausstellung wieder gefunden. manchmal habe ich mit über meine eigenen unkenntnissen gewundert. so beim alemannischen grittibänz, den es bis in die frühe nachkriegszeit in der romandie nicht gab, und der als beleg für eine eher barbarische kultur der alemannen vorgeführt wird; so beim arbeitsverkehr, der in der lateinischen schweiz signifikant höher mit dem privatwagen geleistet wird, und als zeichen des materialistischen bewusstseins in der romandie gilt; und so bei der nusstorte und dem birewegge, die, wie mir nicht präsent war, ihre ursprünge in den verschiedenen sprachregionen haben. besonders angesprochen gefühlt habe ich mich als historiker aber, als es in der ausstellung die vorgeschichte der sprachregionen ging, den zahlreichen wanderbewegungen, aus denen im schweizerischen mittelland seit langem ein gemisch aus verbindenden und trennenden alltagskulturen entstanden sind.


perfekt bilingue: der ausstellungskatalog der edition infolio

die bewertung

trotz diesem lob für das spezielle projekt, sei mir eine enttäuschung am ende der ausstellung und der buchlektüre erlaubt: eine durchgehende geschichte der beziehungen zwischen den räumen, die heute zentral zur schweiz, europäisch gesehen aber immer zu den rändern verschiedener grosskulturen gehörten, bekommt man leider nicht. nur zu gerne hätte man am schluss der vorführung eine erläuternde übersicht über die 7500 jahren nachbarschaft, die in der ausstellung und im buch angesprochen werden, die einem die wechselhaften phasen des zusammenlebens mit höhen und tiefen sichtbar gemacht hätte.

sicher wäre es hierfür nötig gewesen, die zeit vom 8. bis 18. jahrhundert nach christus, die weitgehend ausgeblendet wird, mehr informationen und eindrücke vermittelt zu erhalten. denn genau in dieser zeit vollzieht sich die unterschiedliche ethnisierung der mittellandgesellschaft, beginnt die ausbildung der sprachgebiete und setzt ihre verfestigung durch kirchen, staat, schulen und medien ein, bis napoléon dem anachronimus der deutschschweizerischen herrschaft über „die lateiner“ ein jähes ende bereitete.

damit bleibt die zentrale frage offen, was denn, trotz des evidenten röschtigrabens, die schweiz bis heute zusammenhält? ist es die immerwährende herrschaft über die alpen? sind es die verdienstmöglichkeiten vom soldwesen von damals bis zum bankenplatz von heute? oder ist es die drohende marginalisierung der drei randregionen, wenn sie in ihren umliegenden sprachkulturen aufgehen würden?

vielleicht ergibt sich die antwort hierauf auch nicht intellektuell. dann wäre die ausstellung nur der magnet, um anschliessend in die stadt biel/bienne zu gehen, gleihc zwei restaurants zu besuchen, das eine mal eine rösti, angerührt mit öl, das andere mal eine röschti, gemacht mit butter, zu bestellen, und sich mit der jeweiligen bevölkerung in seiner und ihrer sprache über das zusammenleben am berühmten vorhang/graben zu unterhalten. denn auch das bildet!

stadtwanderer

biel/bienner ausstellung

ausstellungskatalog:
laurent flütsch: rideau de rösti – röschtigraben. infolio édition CH, gollion 2006, 2. auflage.

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