ist bern zu eng geworden?

nein, der zibelemärit ist nicht mein thema heute. da hat es zwar auch viele menschen, aber man weiss darum. wenn man das, wie ich, nicht mag, kann man sich einstellen. mein thema sind vielmehr die vielen menschen, ist es im berner alltag heute jeden tag unvermeidlich hat.


“jetzt zuschlagen!” ist die mehrdeutige devise im überfüllten trödlerladen in berns gassen (foto: stadtwanderer, anclickbar)

mein neues stadtgefühl

seit einigen jahren habe ich ein neues stadtgefühl: die innenstadt ist zu klein! besonders wenn die tage kürzer werden, wenn man die sonne immer weniger sieht, und wenn das permanente dunkel über der stadt liegt, beklemmt mich der eindruck, bern sein zu eng geworden.

wenn es dann noch regnet, hat man auf den strassen fast keine chance mehr: schirme über schirme stehen einem entgegen, und sie können auch mal zur bedrohung werden. unter den lauben wirds nur schlimmer: körper und geschenke drängen sich gerade am samstag, wenn man selber etwas zeit für einen bummel hätte, dicht aufeinander durch den engen raum. und selbst die geschäfter sind keine freiräume mehr, denn von da kommt die physische menge in der regel und bedrüngt einem nur noch mehr.

selbst der bus ist voll, wenn man einsteigt. es knurrt der hund von nebenan, und es schubst der kinderwagen, der hinter einem einrollt. und wenn man glaubt, der bus fahre endlich in die länggässe, stösst noch eine ganze schulklasse ins bumsvolle gefährt hinein, wie wenn noch niemand da gewesen wäre.

auch die welle über dem berner bahnhof hat das morgendliche leben in der innenstadt erschwert. wenn der intercity von freiburg ankommt, strömen kolonnen aus ihr hinaus, drängen hinunter zum bubenbergdenkmal und weiter an den arbeitsplatz! wehe dem, der umgekehrtes möchte ..


“boxing day” ist die vielsagende devise eine populären jahresendveranstaltung in bern (foto: stadtwanderer, anclickbar)

mein aha-erlebnis mit mir selbst

wie eng die stadt geworden ist, habe ich letzte woche in bisher nie dagewesener art und weise erlebt. wie so oft stimmte ich mich auf den arbeitsalltag im “cafe glatz” ein. zeitungslektüre, kaffee und gebäck sollen einem den einstieg ermöglich! der ausgang aus dem kaffee ist manchmal erschwert. so lang ist die kolonne der wartenden, die umso schneller platz finden würde, als die gäste, die sich verabschieden möchten, auch hinaus lassen würde. doch die türe ist so eng, dass es immer wieder zu blockaden kommt! dann geht meist gar nichts mehr …

so war es auch an diesem morgen. da stand ein typ genau in der tür, einen kopf grösser als ich, und bedeutete mir körpersprachlich: “no way”. zunächst noch geduldig versuchte ich, argumentierend mir platz zu verschaffen. als dies nichts nützte, drängte ich, schon ungeduldiger!, durch die tür. “schlimm”, murmelte ich draussen, “wenn einer am morgen schon so schlecht drauf ist, dass er nichts sieht, nichts hört, nichts merkt.”

doch als ich auf der strasse stand und die wenigen schritte ins büro wollte, stand er wieder neben mir, wieder einen kopf grösser, wieder körpersprachlich als bderohung. verfolgt er mich nun?

augenblicklich mass ich innerlich seine länge nach und wusste, ich hätte im ernstfall nichts zu bestellen. ohne zu überlegen, griff ich dem ernstfall aber vor: ich habe ihm in meinem eskapismus eine gehauen: ein sauberer kinnhaken, – mit links, denn rechts trug mich meine tasche!

“ausgerechnet”, sagte ich mir, “ich, der harmlose, ich, der friedfertige, ich, der pazifist”. zum ersten mal in meinem leben hatte ich jemanden geschlagen, – und das auf offener strasse!

hätte er nun zurückgeschlagen, wäre ich wirklich verloren gewesen. mein herz raste. meine kniee waren weich. doch sein gesichtsausdruck verriet noch grösseres erstaunen: “du hast mich geschlagen”, sagte er noch, bevor er erschreckt unverrichteter dinge abzottelte.

ich war froh, denn rennen hätte ich nicht mehr gekonnt, wegen meiner aufregung, – und wegen der enge in berns innenstadt. sie ist wirklich dominant geworden, denke ich mir seither!

stadtwanderer