galantes bern

eine schöne bescherung, die ich zu weihnachten bekommen habe! ganz wenige geschenke waren es, dafür aber spezielle. das speziellste war ein vergriffenes büchlein von sergius golowin, versehen mit zeichnungen von oskar weiss, zum vielsagenden titel “galantes bern”.

ein beispiel der erzählkunst von sergius golowin

1981 ist der band erschienen, als der jüngst verstorbene sergius golowin, mütterlicherseits ein abkömmling der berner patrizier, väterlicherseits ein sohn aus künstlerischem hause in prag, seine stelle als burgdorfer bibliothekar aufgegeben hatte, um als freier schriftsteller regelmässig über berns vergangenheit zu berichten. nicht die grossen begebenheiten der hisgtorie faszinierten den frühen vertreter der alternativbewegung. vielmehr war er vom leben und lieben in der geschichtsträchtigen stadt und auf ihrem lande angezogen. “galantes bern” nannte golowin das schmale bändchen, das bei ritter adrian von bubenberg einsetzt und in einem grossen bogen eigenwillige figuren aus dem alten bern schildert und hautnah erzählt, was ihre heimlichen abendteuer waren.

in diesem geschichtenband am besten gefallen hat mir die von sergius golowin erzählte sage über die nymphen im alpenland. das früher so verbreitete wie auch beliebte baden – eine spass voll von frivolen begebenheiten – wird in dieser geschichte als späte folge der nymphen auf den inseln des alten griechenlands gedeutet.

dabei kommt die zivilisatorische leistung der griechen zum ausdruck, die um 600 vor unserer zeit das heutige marseille gründeten, und von da aus den handel auf der rhone und ihren zuflüssen aufnahmen. lyon war ihr tor zu gallien, und genf bildete den zugang zum hinterland der rhone. denn meist zählte man die gebiete links der aare zur rhoneseite, während das rechte ufer das rheingebiet markierte.


das geografisch rhonetal samt seinen zuflüssen markiert das traditionelle burgundische gebiet nach der völkerwanderung und während der fränkischen zeit; kulturell zählte das gebiet links der aare traditionellerweise hierzu.

viele kulturelle entwicklungen haben sich seither das rhonetal hinauf ausgebreitet und so ihren weg bis ins mittelländische plateau gefunden. die burgundia gundobads in der völkerwanderungszeit steht genauso hierfür wie das königreich von rudolf II. und berta im 10. jahrhundert. und auch kaiser friedrich I., barbarossa genannt, der mit der heirat von beatrix von burgund das alte arelat im rhone- und saonetal wieder aufleben liess, war ein vermittler von höfischer kultur, die im minnegesang und in der romantischen liebe ihren ausdruck fand. nicht zuletzt kann man die popularität der melusine und selbst den twngherren- oder modefrauenstreit im spätmittelalterlichen bern als ausdruck dieser kulturbegegnungen deuten, die ein permanenter kampf zwischen kampf und macht einerseits, leben und liebe anderseits sind.

sergius golowin präsentierte uns aber keine historische abhandlung. vielmehr erzählt er schwungvoll eine sage, die sich an den bernischen dichter johann baggesen und dessen buch “parthenais oder die alpenreise”, 1819 in leipzig erschienen, anlehnt, und hiesige, provenzialische und griechische begebenheiten mischt, um die kulturzusammenhänge zwischen der ägais, dem ligurischen meer und bädern wie kämeribodenbad aufzuzeigen!

und weil sie so schön ist, – auch um vorgelesen zu werden, im bad oder bett, drucke ich sie in extenso hier ab!


beispielhafte illustration von oskar weiss aus dem buch “galanters bern” (anclickbar)

Nymphen im Alpenland

Zu den Wundern des alten Griechenland sollen schöne Frauen gehört haben, die auf besonderen Inseln im warmem Meer hausten und die man allgemein unter dem Namen Nymphen kannte. Schön gewachsen und mit vollen Haaren, die schier bis zum Boden reichten, tanzten sie am Tag in sonningen Hainen und plätscherten in den Meereswelten herum – ja, sie besassen angeblich die Kunst, auf Delphin-Fischen herumreiten zu können!

In der Nacht, wenn der Mond und die Sterne die Heidenwelt sanft erleuchteten, enpfingen die Nymphen aber, da sie nun einmal kaum etwas so schätzten wie den Austausch von Zärtlichkeiten ohne Ende, ihre Freunde, – all die griechischen Ritter: Die alten Dichter sollen auch nicht müde geworden sein, die leidenschaftlichen Liebschaften dieser Nymphen mit all den Helden wie Achilles, Odysseus und ihren zahllosen Nachfolgern zu besingen.

Nach vielen Jahrhunderten dieses sorglosen Lebens senkten sich düstere Schatten auf das Greichenreich. Mächtige Städte hatten sich gebildet, deren Herrscher mit allen verwerflichen Mitteln um die Alleinherrschaft rangen. Viele dieser Ränkeschmiede gingen bald so weit, sich, um ihre Feinde zu verderben, mit Barbaren in West und Ost zu verbünden, und schon bald zerstörten deren grausame und stumpfsinnige Horden die schmucken Tempel und Landsitze. Für Frauenliebe, zu der man nun einmal eine schöne Umgebung als schmucken Hintergrund brauchte, hatten immer weniger Leute Lust und Neigung – vor allem nicht für die zwar anziehenden, aber so unersättlichen und damit zeitraubenden Nymphen. Die wenigen der edlen Ritter und Hirten, die den Bräuchen ihrer Götter und den einstigen Freiheiten treu bleiben wollten, bestiegen darum ihre Schiffe und suchten sich Ufer, an denen sie von Verfolgungen und Unterdrückungen unabhängig bleiben konnte: Freiheit und Lust beschäftigte sie nun einmal mehr als all die blutigen Spiele über de Möglichkeiten, eine vergängliche Macht zu gewinnen.

Man sagt, dass einige von ihnen nach Marseille und in die anliegenden Gegenden kamen, die man in unserer Zeit Südfrankreich zu nennen pflegt. Die schönen Nymphen, zumindest diejenigen, die nicht von den rohen Barbaren vergewaltigt oder als lüsterne, für das Seelenheil der Männer gefährliche Hexen verbrannt zu werden wünschten, hätten sie dabei gleich mitgenommen.

Die Auswanderung habe auch allen Erfolg gehabt! Während in Griechenland die alte Pracht in Trümer sank und düster gekleidete, traurige Menschen sich nur noch vage an das einstige Leben in ihrer Heimat zu erinnern wagten, wurde das neue besiedelte Land zu einem Eden der Lebenslust. Noch heute erinnert man sich in diesen Ländereien, wie man hier durch vielen Menschenalter in jedem Schloss die Liebe besang, und es gibt dort weder Berg noch Wald, der nach der Sage nicht der Schauplatz wundererbarer Leidenschaften gewesen sein soll.

Doch wie Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und Tod sich ewig abwechseln, wurde auch das neue, zu einem wunderbaren Garten emporblühende Reich des provenzialischen Glücks zu einem Ziel von Neid und Eifersucht jeder Art. Gierige Räuber schlossen sich zusammen und beschlossen, das ganze Gebiet ebenfalls zu unterdrücken und zu plündern: Auf alle Fälle fanden sie es für notwendig, das irdische Paradies nach Möglichkeit völlig zu zerstören – glaubten sie doch, dass von ihnen sonst Gedanken ausgehen könnten, die in ihren Barbarenländern ihre eigenen unglücklichen Untertanen unruhig und freiheitsdurstig machen könnten …

Die Nachkommen der ebenso daseinsfreudigen wie weisen alten Griechen kannten genug der Künste und Wissenschaften, die es ihnen ermöglichten, ihre abergläubischen und bei all ihrer Bosheit beschränkten Feinde abzuwehren. Doch mit der Zeit wurden sie es müde, statt an Fest und Liebe zu denken, stets nur über die Abwehr tückischer Ueberfälle nachsinnen zu müssen. Also verliessen sie den freundlichen Süden und zogen sich immer mehr in die Tiefen des abendländischen Erdteils zurück, zuletzt der Rhone entlang bis in die fast unzugänglichen savoyischen und burgundischen Alpentäler: Auf diesen weisen Stamm vom Mittelmeer führten eben noch lange die Ritter und Hirten unserer Talschaften ihre stolzen Stammbäume und die malerischen Sinnbilder ihrer Wappen zurück.

Ihre Nymphen kamen mit ihnen, auch wenn das Wetter der nördlichen Berge ihrem Treiben viel ungünstiger gesinnt war als die Sonne der morgenländischen Inseln und der mittäglichen Provence. In den Wäldern und um die Quellen der abgelegeneren Gegenden, namentlich auch um die berühmten Bedli des Emmentals herums, betrieben ihre Enkelinnen ihre Künste und wurden auch vom Volke treu gegen alle Rohheiten der Welt behütet: Noch bis in den Anfang des 19. Jahrhundert hinein versicherten darum viele Berner, zumindest in der warmen Jahreszeit gehe es in ihren Landschaften nicht weniger munter zu wie im paradiesischen alten Greichenland.”

tja, da können wir nur noch auf die rückkehr der warmen zeiten plangen ..

stadtwanderer

Sergius Golowin, Oskar Weiss: Galantes Bern. Von Junkern, Hirten und Badennymphen, Bern 1981 (leider nur noch antiquarisch zu erwerben)

ein neuer könner der historischen kartografie

ich bin ein grosser fan von landkarten, und ich bin ein grosser fan von marco zanoli. beides hängt zusammen, denn der historiker zanoli, alias sidonius, zeichnet seit 2004 quasi im alleingang ein neues kartografisches bild der geschichte des schweizer raumes.


beispielhafte landkarte des schweizer raumes zu römischen zeiten (quelle: sidonius, wikipedia, anclickbar)

das kommende internet

internet 2.0 ist heute in aller leute munde. man erwartet, dass das web in seine zweite generation kommt. keine grosse kiesgrube mehr soll es sein, wo man ablädt und rausbricht, wie es gerade kommt. sondern eine persönliche schmuckecke soll entstehen, wo man spezifische leistungen anbietet, die man mit benutzerfreundlichen angeboten und persönlichem engagement fabriziert.

mit dem weltweiten, vielsprachigen internetlexikon www.wikipedia.com zeichnet sich ohne zweifel ein solches element des kommenden internets ab. keine auktoriale redaktion aus fachleuten setzt hier kollegInnen ein, um beiträge, die in jahrelanger arbeit entstehen, zu einem wohleditierten lexikon zusammenfügen; nein, die wikipedia-redaktion stellt eigentlich nur noch die adresse, den technischen rahmen und die formalen empfehlungen zur verfügung. den rest besorgen die interessierten selber: sie schreiben begriffserklärungen; sie korrigieren fehler; und sie diskutieren die ausrichtung von artikeln. zu den eigentlichen stärken von wikipedia zählt, dass durch die zusammenarbeit vieler entwickelt wird: man kann auch nur eigene links als verweise beifügen; es ist möglich, treffende fotos aus der eigenen sammlung einzubauen, – oder man implementiert selbstgemachte karten in bestehende texte.

der sidonius der geschichte des schweizer raumes

genau das macht sidonius (cartographis). wie kein anderer entwickelt er seit 2004 neue landkarten zur schweizer geschichte, die zum besten gehören, was man heute elektronisch haben kann. keine disproportionierten handzeichnungen von gymnasiallehrern bekommt man da zu sehen; auch keine veralteten atlanten aus der mittelschulzeit werden hier unverändert da ins internet gestellt; und schon gar keine karten aus deutschen verlagen mit karten voller fehler, was die schweiz angeht, bekommt man da vorgeführt. nein, sidonius – seit dem grossen historiker der spätantike ist sidonius (apollinaris) ein name, der wie ein gütesiegel für seriosität steht – präsentiert uns formal saubere, modern gemacht und den aktuellen forschungsstand reflektierende karten.

hinter dem pseudonym steckt marco zanoli, selber lehrer am gymnasium, der geschichte, politikwissenschaft und latein studiert hat und der – nach eigenen angaben – “begeistert ist von der Idee eines freien und gratis zur Verfügung stehenden Online-Lexikons.” er kommt aus zürich, vielleicht auch aus dem st. gallischen oder dem bündnerland, spricht alemannisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch und latein. seine hauptinteressen liegen in historischen und geographischen artikeln zur schweiz und deutschland, die er textlich und visuell betreut. sich selber würde er eher “als Vielschreiber bezeichnen, denn als Körnchenpicker.” wenn er sich in einen artikel reinkniet, dann wird er oft stark verändert und erweitert. das kleinediting überlässt er gerne anderen. das weit untertrieben, denn nur selten ist es nötig.

die angebote in der übersicht

sidonius lebt auf seiner page unter wikipedia sichtbar vor, dass er die geschichte der schweiz im räulichen wie im zeitlichen im überblick beherrscht, und sinnvoll her- resp. darstellen kann. so macht er karten über die verbreitung der keltischen stämme in der schweiz, die endlich helvetier, rauriker und tiguriner zu unterscheiden und richtig anzuansiedeln wissen; so zeichnet er behende das königreichreich hochburgund und schwaben, um uns kenntnisreich über die regionenbildung auf dem gebiet der schweiz im hochmittelalter zu informieren, und so symbolisiert er uns die herrschaften der savoyer, der zähringer, der habsburger und der kyburger, wie sie bestanden, bevor das grosse aussterben des adels einsetzte und das werden der eidgenossenschaften einsetzte. doch nicht nur das: sidonius ist auch ein spezialist für regional- und lokalgeschichte: das bündnerland, das tessin, die ostschweiz und selber die westschweiz kommen bei ihm in zahlreichen zeitlichen variationen kartografisch übersichtlich vor.

ich kann nur beifügen: ich bin seit einem jahr ein grosser fan von sidonius/zanoli. das eine oder andere habe ich schon verwendet, und weiteres werde ich noch einbauen, denn marco zanoli ist ein wirklicher repräsentant der neuen internetgeneration, die dank den möglichkeiten des elektronischen kommunikation einen mehrwert für die interessierten nutzerInnen schafft.

stadtwanderer

gugler gewalt

es war an weihnachten 1375. es lag schnee. es war kalt. und es war bedrohlich rund um bern. die heilige nacht war alles andere als friedlich. vielmehr fiel die entscheidung im krieg gegen die gugler. wer das waren und was sie im aaretal wollten, erzähl ich in der nachfolgenden geschichte, – passend zur aktuellen gewaltstimmung rund um die diesjährige weihnachten.


fraubrunnen: szene aus dem guglerkrieg an weihnachten 1375, die fremden truppen von graf coucy sind gut an den kapuzenförmigen helmen erkennbar, die ihnen auch den sonderlichen namen “gugler” eintrugen (quelle: diebold schilling, spiezer chronik, anclickbar)

die anerkannte burgundische eidgenossenschaft

nach dem gewonnenen laupenkrieg und dem friedensschluss mit habsburg 1340 war der aufstieg berns nicht mehr zu bremsen. zwar stoppte die pestwelle von 1348 das bevölkerungswachstum, und auch die herrschaft der schultheissenfamilie von bubenberg wurde vorübergehend erschüttert. kaufleute übernahmen 1350 die herrschaft in bern und sicherten die stellung der stadt durch friedensverträge mit savoyen. die burgundische eidgenossenschaft, im 13. jahrhundert entstanden, wurde ferner durch einen ewigen bund mit biel (1352) gefestigt, und auch dem bund der waldstädte trat man 1353 bei.

1365 anerkannte kaiser karl IV. bei seinem besuch in bern eben diese burgundische eidgenossenschaft, in deren zentrum die stadt bern stand, und sicherte ihr so den wirtschaftlichen aufstieg als regionalmacht zu. zuvor hatten die bubenberg das politische zwischenspiel der händler beendet. ritter johann von bubenberg der jüngere leitete die geschickte der stadt, während die kaufleute ihr erstes festes kaufhaus bauten.

bern holte in dieser zeit im seeland, wo sich die herrschaft der grafen von neuenburg in aarberg in finanzielle nöte geraten war, kräftig aus. selbst mit dem bischof von basel stritt man sich um die vorherrschaft über die stadt biel. und auch nidau geriet, als das dortige grafengeschlecht mit dem guglerkrieg ausstarb, in berns einflussgebiet.

graf enguerrand VII. von coucy

doch dann kam plötzlich alles ganz anders als erwartet: im winter 1375 versammelte sich ein riesiges heer im aaretal. gekommen war es brandschatzend und verwüstend über den jura. angeführt wurden sie von enguerrand VII. de coucy, einem französischen grafen aus der picardie, der mit dem bau des grössten donjons auf seiner burg in der picardie mitten im 14. jahrhundert seinen anspruch auf mehr macht im umkämpften frankreich angekündigt hatte.


chateau de coucy, mit dem gewaltigen donjon in der heutigen picardie, war der ausgangspunkt der eroberungen von comte enguerrand VII., der sich schon als kommender französischer könig sah; sein schloss wurde im 1. weltkrieg zerstört, die überrreste kann aber heute noch besichtigen

enguerrand VII. kam nicht ins mittelland. er hatte den südfranzösischen hauptmann jean de vienne und den walisischen captain owen logoch und ihre insgesamt über 20’000 mannen mitgebracht, die im 100 jährigen französisch-englischen krieg wegen eines vorübergehenden friedens arbeitslos geworden waren.

enguerrand selber stammte mütterlicherseits aus dem haus habsburg, und er erhob anspruch auf den habsburgischen aargau. dieser war 1310 samt den städten bremgarten, lenzburg, aarau, sursee, sempach und willisau herzog leopold I. und katharina von savoyen vererbt worden, und von da an ihre tochter, katharina, der mutter von enguerrand, gegangen. faktisch herrschten aber die herzöge von österreich von wien aus über den aargau.

genau das wollte enguerrand wettmachen. hungrig war er, auf den aargau, während seine truppe im kahlen aaretal auf die nächste mahlzeit hungrig waren. doch der graf liess sich nich lumpen. er postierte sein heer demonstrativ im vorgelagerten st. urban, und seine französischen und walisischen hauptleute nahmen mit gottstatt und fraubrunnen den rückwärtigen raum ein.

der krieg an weihnachten 1375

die militärische bedrohung für bern war offensichtlich. vor den toren der stadt lagen fremde heere, die den anspruch erhoben, ihrerseits über das aaretal und die zuflüsse bis zur reuss herrschen zu wollen. das passte nichts in die expansiven pläne des schultheissen von bubenberg. also organisierte sich der widerstand der bauern in den betroffenen gebieten, der auch die berner und ihre verbündeten, die innerschweizer, erfasste. mit den raubenden, schändenden und mordenden truppen nahm man jedoch nicht die direkte konfrontation auf. doch in nächtlichen angriffen übte man sich im kleinkrieg.


herrschaftsverhältnisse im 14. jahrhundert im mittelland: umstritten während des guglerkrieges die zugehörigkeit von teilen des aargaus, namentlich der städte willisau, sempach, sursee, aarau, lenzburg und bremgarten zu den habsburgischen landen; unbestritten: die 8örtige eidgenossenschaft von 1353 als gegengewicht, das den habsburgern gegen graf de coucy noch zu hilfe kam (karte:wikipedia.com, anclickbar)

höhepunkt dieses partisanenkrieges waren die weihnächtlichen attacken, – an weihnachten. anfangen hatten die innerschweizer am 24./25. dezember in buttisholz; ihnen gefolgt waren die berner nachts darauf in anet (ins), und vom 26. auf den 27. dezember schlugen diese auch in fraubrunnen zu. die klöster, in denen sich die truppen coucys verschanzt hatten, gingen in flammen auf; besonders fraubrunnen wurde arg in mitleidenschaft gezogen, und musste später erneut aufgebaut werden.

der weihnächtliche schlag mit herben verlusten für die fremden besatzer sass. die kargheit des landes im kalten winter trug das ihre zu demoralisierung der truppen bei. so zogen sie sich über den jura zurück, ohne dass graf coucy zum entscheidenden stoss auf den aargau hätte ansetzen können.

gugler – ein name aus unverständnis

habsburg war von den burgundischen und waldstätter eidgenossen gedeckt worden; – noch einmal wird man bald beifügen müssen. denn die luzerner vertrieben ihrerseits 1386 in sempach die österreicher, und die berner rundeten im burgdorfer krieg von 1384 ihre herrschaft im aaretal auf kosten der kyburger bis solothurn ab. enguerrand nutzte die schwäche der fernen verwandten in wien, um sich 1387 nochmals in büren festzusetzen. diesmal konnte er sich gerade ein jahre halten, den bern und solothurn duldeten auch diesen vorstoss in ihre umgebung nicht auf dauer.

in erinnerung geblieben ist die episode coucy nur der name der truppen. die kapuzenförmigen helme seiner mannen waren den barhäuptig kämpfenden bernern fremd. sie übersetzten ihren lateinischen namen, cucullus, in ihre sprache: daraus wurde auf bärndütsch “gugler”; der krieg an weihnachten 1375 fand als guglerkrieg eingang ins berner kollektivgedächtnis, wo er bis heute als geschlechtsname nachwirkt.

stadtwanderer
(in der weihnachtsnacht extra nochmals aufgestanden)

kleine weihnachtsgeschichte zwischen traumwelt, familienwelt und bloggerwelt

„pitbull“ ist der suchbegriff auf google, der meinem blog in den letzten wochen am meisten besuche beschert hat. das hat mich erstaunt! zwar habe ich einen beitrag mit einem bezug zur pitbull-debatte im bundesrat geschrieben, und ich habe über die auswirkungen auf das stadtwandern spekuliert. das thema selber habe ich aber nur im vorbeigehen, beim rücktritt von joseph deiss aus dem bundesrat, aufgenommen.

erklären kann ich mir die nachfrage eigentlich nur durch das klima der gewalt, das momentan unser aller alltag beherrscht. diese nacht hat mich diese stimmungslage selbst im schlaf erfasst. wohl als verarbeitung meines morgendlichen faustschlages vor einigen tagen, träumte ich schlecht.


portrait meiner geburtsstadt: fribourg (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

traumwelt

ich stand an einem strassenzug, der mich stark an eine stelle in buchs erinnerte, wo ich in den 60 jahren lebte und als bub in die schule ging. ich war aber kein junge mehr, sondern ein gestandener mann. und ich wurde rücksichtslos gerempelt. von links kam ein typ, mit einem kinderwagen, und stiess mich offensichtlich zur seite. im ersten moment war ich erstaunt, doch dann bin ich ihm ein paar schritte gefolgt. ich sprach ihn auf den vorfall an, ohne eine reaktion zu bekommen. dafür spürte ich, wie sich meine linke faust ballt.ich erhob meine kampfbereite waffe, schlug aber nicht zu. immerhin hielt ich sie meinem gegenüber unter die nase. dieser schaute mich kurz an, und sagte verächtlich: man wisse ja, dass ich ein randale sei! ich hätte ja schon seine nachbarin verhauen. da war ich schlagartig entwaffnet.

damit hatte ich nicht gerechnet, und ich zottete von dannen. jetzt war ich offensichtlich an der gerechtigkeitsgasse in bern, ganz unten, wo die junkerngasse abzweigt. ich wählte den seitenweg. ich wollte mich zurückziehen, ein wenig besinnen. als ich einige schritte gegangen war, verlief sich die gasse in einen waldweg und dieser endete im dunkel der nacht. doch war auf linker seite eine treppe, die zu einem fenster mit licht führte. ich stieg einige stufen hoch, sah flüchtig eine gruppe junger frauen an mir vorbei runter laufen. eigentlich beachtete ich sie nicht, denn mein auge war ganz auf das licht in den nacht gerichtet. hinter dem fenster entdeckte ich eine bücherei. ich presste die nase ans fenster, und ich las einige der buchtitel, die ich erheischen konnte. es handelte sich ausschliesslich um christliche werke. die letzte der jungen frauen, die an mir vorbei die treppe hinter gelaufen waren, sagte zu mir. „es ist eine grosse klosterbibliothek; sie leihen auch bücher an auswertige aus.“


wohn- und arbeitsort meines verstorbenen grossonkels: fribourg (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

familienwelt

da erwachte ich; und der traum war sofort vergessen. offensichtlich war mir das thema unangenehm. mein überich sammelte sich schneller, als mein ich den traum hätte festhalten können.

ich wusste noch, dass ich etwas spezielles geträumt hatte. beim frühstück erwähnte ich das, ohne mich an den inhalt erinnern zu können. die themen über dem esstisch wanderten, und ich wollte das gespräch auf meinen faustschlag von jüngst lenken, – da machte es unvermittelt click und der ganze traum entlud sich im nu in mir.

wir haben darüber geredet und beschlossen, am letzten vorweihnachtstag einen besinnlichen halt in unserem alltag zu machen, – ganz ohne verpflichtungen; nur für uns und unsere seele.

die innere enge berns haben wir gleich ganz gemieden; dafür sind wir nach fribourg gegangen, haben den samstagsmarkt besucht und einige gassen erkundet. dabei sind wir auf die spuren meiner vorfahren mütterlicherseits gestossen. mein grossonkel lebte als uhrenmacher bei hugentoblers an der rue de lausanne. ich haben ihn als 18jähriger auf einer velofahrt durch die halbe schweiz dort besucht. er hat mir seine junggesellenbude gezeigt, mir all den funkgeräten, die ihn mit der halben welt verbanden, und wir sind zusammen eine fundue essen gegangen.

das ist nun 30 jahre her, und mein grossonkel ist schon lange verstorben. aber ich habe sein haus wieder gefunden. der uhrenladen ist nicht mehr, terre des hommes verkauft jetzt an gleicher stelle waren aus der halben welt. doch den eingang in die wohnung auf der seite erkannte ich unversehens wieder; und ich entdeckte sogar das namensschild, das immer noch am briefkasten klebt und unter den hausglocke angebracht ist. ich war ein wenig gerührt.

danach gings stadtauswerts. an der route de villars machten wir halt, denn jetzt wurden meinen kindheitserinnerungen wach. “da, da bin ich aufgewachsen”, rief ich. wir haben gehalten, und haben “meinen” spielplatz von damals besucht. bambi und bimbo, das kleine reh und der blaue elefant, auf denen ich als knirps geritten bin, stehen immer noch; bimbo aber hat ein ohr verloren! spuren der gewalt, denke ich kurz. wir gehen sogar an der quartierkioso tünterlen; wie damals, als ich erstmals meinem kleinen plüschhasen selber einen fünfermocken kaufen durfte. jetzt gabs caramel von halter, auch seit alters her bekannt.


orte meiner kindheit: fribourg (fotos: stadtwandererIn, anclickbar)

weihnachtswelt

zum abschluss sind wir ins nahe gelegene kloster hauterive“auf der suche nach dem verlorenen paradies”, habe ich im sommer hierzu berichtet. man parkiert in der nähe, macht einige schritte zu fuss, überschreitete eine krete, und manliest ein schild, das einem aufmerksam macht, jetzt in die abtei einzutreten. man wechselt die welt, und man wird angehalten, schönheit und ruhe zu beachten und wahren. selbstverständlich haben wir das auf jedem schritt respektiert.

die stille war wunderbar; die wenigen menschen hier waren wirklich besinnlich: eine familie mit drei kindern, der vater mit einem zerschlagenen gesicht; ein älteres ehepaar, eine mutter mit kind und eine alleinstehende frau. alle waren sie im klosterladen gewesen, und haben ein laib brot gekauft, um teilzuhaben an der christlichen gemeinschaft und sich daran zu stärken.

auch wir sind in den klosterladen gegangen, haben brot gekauft, – vor allem aber tee, – beruhigungstee.


porträt einer gasse: fribourg (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

bloggerwelt

auf dem rückweg war ich müde. ich erinnertee ich mich nochmals an den traum, und den schrecklichen artikel im „blick“ über den pitbull-halter, dessen hund ein kind zu tode gebissen hatte und der gestern vor gericht gestanden waren. erst jetzt wird mir klar, warum pitbull ein schlagwort ist, und warum ich wohl wieder von gewalt geträumt habe. aber ich vergesse alles ebenso schnell, wie ich am morgen meinen traum ausgeblendet hatte.

es ist definitiv nicht meine welt, die der gewalt.
„aber sie ist!“, denke ich mir am abend, vor dem tee und dem stadtwanderer-blog über meiner weihnachtsgeschichte sitzend.

stadtwanderer

die präziose unter den berner chroniken

es ist das speziellste buch, das ich in diesem jahr gekauft und verschenkt habe: die spiezer chronik von diebold schilling. nein, das original vermochte ich nicht zu erwerben, aber eine der nummerierten faksimile ausgaben. über 808 seiten umfasst die schönste der berner chroniken; mehr als 333 kolorierte handzeichnungen von künstlerischer qualität sind in ihr.


das wunderbare buch von innen und von aussen; links: der chronist hält seine arbeit selber fest (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die beiden schillinge


diebold schillinge gibt es zwei, den jüngeren, in luzern beheimatet, habsburgisch gesinnt, wild wie die reisläufer seiner zeit, aber auch ein angesehener chronist; den meine ich nicht.


diebold schilling der ältere (spiezer chronik, 1484) und der jüngere (luzerner chronik, 1513) im stilvergleich

ich meine den diebold schilling, den man den älteren nennt und der der onkel des jüngeren ist, aus einem solothurner haus stammt, berner kanzlist und grossrat war, franzosenfreundlich eingestellt politisierte, aber ebenso wie sein neffe kriegserfahren war.

der ältere schilling also hat dieses sagenhafte werk kurz vor seinem frühen tod im alleingang geschaffen!

die spiezer chronik

in den burgunderkriegen diente diebold schilling seiner vaterstadt, und noch zu amtszeiten von adrian von bubenberg erhielt er den auftrag, die berner chronik von den anfängen bis in die gegenwart aufzudatieren. seine monumentale burgunderchronik schloss er 1483 ab. danach erhielt den auftrag, eine kurzfassung zu schreiben, die er noch vor seinem tod als 40jähriger im jahren 1485 beendete.

der auftraggeber der spiezer chronik war rudolf von erlach, weiland ein ministeriale im dienste der burgunder grafen von chalon, der im burgunderkrieg die seite wechselte, und seine ehemalige vaterstadt, cerlier, als erlach den bernern überreichte. nach dem burgunderkrieg machte er in seiner neuen heimat bern rasch karriere und stieg bis in den kleinen rat des mächtig gewordenen stadtstaates auf, dessen geschichte er neu verfassen liess.


höhe- und tiefpunkte im berner stadtleben: besuch von kaiser karl IV., stadtbrand und wiederaufbau mit freiburger hilfe (fotos: stadtwanderer)

das werk, das diebold schilling noch vor dem buchdruck handschriftlich und handgemalt erstellte, ist nicht nur die prächtigste unter den bern chroniken. sie ist gerade wegen den lust- und schwungvollen illustrationen ein bleibender ausdruck der europäischen buchkunst eine generation vor dem buchdruck und der reformation.

ewig kann man in der spiezer chronik blättern: stationen der berner geschichte, handlungen, parteiungen, taten und emotionen sie danach nie mehr so handgreiflich, plastisch und anschaulich dargestellt worden! dabei darf man nicht vergessen: wer für die visualisierung der chronik steht, weiss man bis heute nicht so ganz genau. jedenfalls, füge ich als grosser fan dieser zeichnungen bei: es war ein künstlicher ersten ranges!

vom privatbesitz zum forschungsgegenstand und wieder in privatbesitz

das original war lange im besitz der familie von erlach, den neuen herren in spiez, die es wie ein staatsschatz hütete. es kam erst ende des 19. jahrhunderts in öffentlichen besitz. der forschung zugänglich gemacht worden ist es 1991 mit ein kommentarband, der nach wissenschaftlichen gesichtspunkten editiert ist.


derbes leben im spätmittelalter: verschiedene strafpraktiken in ihrer zeit (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

und genau davon habe ich profitiert. eine der faksimilierten ausgaben diese wunderbaren buches habe ich, nach langem warten, im letzten winter gekauft. und ich habe es verschenkt, um freude zu bereiten: zum beispiel mir, weil ich einmal ein so altes, seltenes und kostbares buch in meinen händen gehabt haben, und sodann der neuen besitzerin, die es jetzt in ihren kostbaren händen hält. die sind original!

stadtwanderer

der älteste fait divers aus berner landen

heute hat es eine sichere brücke, wenn man die aare von wohlen nach bern überquert. früher hatte es bloss einen kleinen steg, und davor gab es gar nur einen fährbetrieb. dieser hatte im jahre 1311 eines grossen unfalls wegen eine traurige berühmtheit erlangt, die zum ältesten, überlieferten “fait divers” aus der region führte.


fährunglück von 1311 bei detligen: verheerende folgen für 72 menschen, die dabei grad von meinen haus verstorben seien

1414 wurde bern ein vollwärtiger königlicher stand. man war jetzt wer. nur ein jahr später eroberte man im auftrag von könig sigismund den habsburgischen aargau. man beschloss, erstmals seine geschichte umfassend aufzuzeichnen. conrad justinger, der stadtschreiber, verfasste um 1420 die älteste chronik über das werden der stadt bern.

im 15. und und frühen 16. jahrhunderts entwickelte sich in bern auf dieser basis eine chronistik mit eigenem stil, – textlich und bildlich. höhepunkt dieser auch europäisch vorbildlichen entwicklung war die chronik von diebold schilling, “spiezer chronik” genannt. sie bestreicht nicht nur die jahre der gründung der stadt bis hin zu den burgunderkriegen; sie bringt auch zahlreiche plastische bilder zum leben in bern, wie man es um die jahrhundertwende kannte und wie man es sich für die vergangenheit vorstellte. sie sind, wenn man so will, die frühe “berner illustrierte”.

die meisten ereignisse, die berichtet werden, würden heute in einem magazin in der rubkrik politik erscheinen. gelegentlich gibt es aber auch eigentliche “fait divers”, aus dem leben der region gegriffenes in schillings chronik.

das älteste “fait divers” in schillings chronik ist ein grosses fährunglück. datiert wird es ins jahr 1311. betroffen waren 72 menschen, die ums leben kamen. im gebiet der heutigen eymatt bei bern bestand ein fährbetrieb. von hier aus konnte man auch ein boot besteigen, das reiselustige in die stadt brachte. für marktfahrerInnen war das eine beliebte transportmöglichkeit; denn die nydegg war der umschlagplatz für alle güter, die in die stadt hinaus zu markte gebracht wurden.

am 29. juni 1311, am tag von sankt peter und paul, kam es aber zum grossen fährunglück. die marktfahrerInnen hatten einen kahn genommen, der auf der höhe von detligen kenterte. die abbildung zum unglück in schillings chronik zeigt, wie das schwer beladene schiff umgekippte und wie ruderwerkzeuge, schiffsteile und verzweifelte menschen die aare hinter richtung heutigem wohlensee gespült wurden.

der älteste chronist, der darüber berichtete, hält fest: “Niemand wolle die Heiligen und ihre zwölf Boten ehren. Aber wenn man diese nicht anbete und gleichzeitig lüge und betrüge, so müsse man eben solche Unglücksfälle hinnehmen.” diebold schilling, alles andere als ein heiliger, fasste das schon nüchterner als sein moralisiernder vorbild. er schrieb: “am 29. juni 1311 hatte eine grosse menge von leuten aus dem gebiet des frienisberg, die an diesem dienstag in bern den markt besuchen wollten, das fährboot von dettligen bei wohlen bestiegen, als das schiff auf dem fluss auseinanderbrach. 72 menschen sollen bei diesem unglück ums leben
gekommen sein.”

damit hatten man die erst spalte “unfälle und verbrechen” in der “berner illustrierten”. das lebt bis heute in verwandelter form im lokaljournalismus weiter.

stadtwanderer

der mediävisten ihre these, dem illig seine antithese weiterzuführen, wünscht ich mir

teil 1 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter
teil 2 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter
teil 3 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter

heribert illig hat ein spannendes buch geschrieben. er hat das als aussenseiter in einem wissenschaftsbetrieb gemacht, der sich gewohnt war, nur nach internen regeln zu funktionieren. nur schon deshalb ist er angeeckt. aber auch seine botschaft ist starker tobak: bei der greogorianischen kalenderreform sein bewusst getürkt worden, um einen fälschung der europäischen geschichte im 11. jahrhundert zu decken. mit dieser habe man 297 jahre zwischen 614 und sog. 911 frei erfunden. die karolinger habe es in der überlieferten form nicht gegeben, und damit sei auch der frankenkaiser karl nicht der grosse, sondern der fiktive.


sokrates erschütterte mit seiner philosophie die grundlagen des griechischen denkens und wurde dafür mit dem tod durch den giftbecher bestraft – heute folgt die debatte über wissenschaftliche thesen ganz anderen regeln

die debatte findet längst statt

wie steht es nun um diese behauptungen? – illigs aufruf, die geschichte der karolinger zu revidieren, wurde zunächst ignoriert; er selber wurde der lächerlichkeit preis gegeben. aber er ist hartnäckig geblieben. aus seinem aufruf wurde eine these, und aus der aussenseiterdiskussion wurde eine massenmedial breit in feulletons, talkshow und diskussionsgruppen geführte dabatte. 1997 hat sich die paderborner fachzeitschrift “ethik und sozialwissenschaften” nach den üblichen diskursregeln mit der kontroverse beschäftigt.

heute noch zu sagen, illigs auffassung würde nicht zur kenntnis genommen, ist schlicht falsch. dies weiterhin als anlass zu nehmen, um sich als ungerecht behandelter sonderrechte in der beweispflicht herauszunehmen, eigene regeln der argumentationsbewertung und der dialogkultur zu postulieren, ist eine schutzbehauptung, die das rechtfertigt, was der erfolgsautor früher seinen widersachern vorgeworfen hat. alles andere ist richtig: es gibt eine verzweigte debatte über das erfundene mittelalter!

meine bewertung nach tagen und nächten der lektüre

die mit verve vorgetragene these illigs hat auch mich herausgefordert. ich habe sein zentrales buch, “das erfundene mittelalter”, unvoreingenommen und aufmerksam gelesen. ich habe auch auf dem web die standpunkte
pro und kontra illigs these verarbeitet. ich habe in den letzten wochen mehr bücher über die karolinger angeschafft und gelesen, als in meiner ganzen zeit als historiker bisher!

von illigs these bin ich angeregt, aber nicht überzeugt worden. sein beweis, die kalenderreform von papst gregor XII sie willientilich manipuliert, ist nicht erbracht. letztlich hängt es davon ab, welchen zustand man damit wieder herstellen wollte. hier fehlt der belegt, dass das konzil von nicäa den 21. märz als frühlingsanfang fixierte, doch kann auch illig nicht belegen, dass caesar das 370 jahre früher so klar festgelegt hatte. damit aber wackelt der mathematisch beweis der getürkten kalenderreform erheblich. und ohne diesen beweis wirkt die behauptung, es seien nachträglich 297 jahre in der europäischen geschichte in einer gigantischen fälschungsaktion eingeführt worden, wenig stichhaltig.

entsprechend treffen die einwände der astronomen illigs gedankengebäude am härtesten. seit mehr als 2500 jahren kann die astronomie sonnen- und mondfinsternisse zeitlich und örtlich genau vorhersagen; daraus ist die naturphilosophie – die liebe zu wahrheit in unserer natürlichen umwelt – entstanden, die vor grossen katastrophen bewahrt geblieben ist. da erstaunt es schon, wenn seither 300 jahre mehr oder weniger überhaupt niemand aufgefallen wären.

am härtesten hat illig mit seiner urkundenkritik die mediävisten getroffen. das ist denn auch der hauptgrund, weshalb gerade sie sich nach anfänglichem zögern sich auf seine these einlassen mussten. denn illig hat zurecht die zeit des 7. bis 9. jahrhunderts wegen schwachen belegen auf pergament kritisiert. der belesene illig weiss darum, dass man hier wenig verzeichnet und viel umgeschrieben hat, fälschungen selber produziert und vorhandene verwendet hat. und er weiss, dass gerade die schriftlich beschränkt belegte zeit der karolinger nachträglich aus politischen gründen ins legendenhaft überzeichnet worden ist. so schwach die archivalische basis ist, so hoch ist die monumentale überhöhung, und umso nötig ist die kritische auseinandersetzung damit.

logik der forschung und logig der verschwörung

wer nach einer solche erwägung bei der forderung bleibt, die ganze geschichte sei gefälscht und müsse revidiert werden, überzieht den bogen aus publizistischen gründen erheblich. so anregend die geschichts illigs intelektuell ist, so problematisch bleibt sie, wenn sie aus dem feld der kritik heraustritt. wäre das karolingerreich eine insel gewesen, könnte man sich der historografischen staatsstreich noch ausmalen. dem war aber nicht so, denn man stand damals gerade mit der aufblühenden arabischen welt in verbindung. ist nun auch mohammed, der in der fraglichen zeit lebte, fiktiv? schlimmer noch, auch china hätte ins fälschernetz mit einbezogen sein mussen, denn es stand bis ins 2. und aber dem 10. nachchristliche jahrhundert mit der römischen resp. europäischen welt in enger verbindung. 300 erfundene jahre können deshalb nicht nur an einem ende der welt fehlen!

illigs antithese ist meines erachtens heute so populär, weil sie nicht der logik der forschung, sondern der der verschwörungstheorien folgt. diese sind sich immer ähnlich: es sind die mächtigsten, die nach anderen als vorgegebenen motiven handeln; die welt ist zu dumm, um das zu merken; doch eine kleine gruppe von aussenseiter hat die grosse manipulation durchschaut.

kalenderreformen sind ein beliebter ansatzpunkt für solche vorwürfe; der normale mensch versteht sie nicht; nur mathematiker und computisten können sie nachvollziehen. besser noch ist es, wenn die avisierte kalenderreform von einem papst eingeführt worden ist, der an der spitze der gegenreformation stand. halb europa war damals skeptisch; durchgesetzt hat sich die gregorianische kalenderreform weltweit es nach mehr als 300 jahren!

bücher, wie jene von illig sind heute im schwang, weil das lebensgefühl danach ist, wir würden der ganz grossen manipulation aus wirtschaftlichen interessen, die kommunikaiton und kultur instrumentalisierten, ausgesetzt. andere beispiele wie das buch “sakrileg” stehen gleichsam für den aktuellen zeitgeist. und illigs werk hat auch zurückliegende vorbilder: in der deutschen und russischen gesellschaft ist immer wieder mit zeitsprüngen argumentiert worden, um einen teil der herrschenden kultur, die sich ohne diese nur schwer legitimieren liesse, auszuhebeln.

mein wunsch an die mediävisten

illigs antithese zu herrschenden lehre würde ich wünschen, dass sie eine ebenso spannend geschriebene weiterführung von einem insider erhalten würde. ich sähe es gerne, wenn ein auszeichneter fachvertreter der karolingischen geschichte, eine ebenso anregendes und einprägsames buch verfassen würde, das weder der fiktion noch der legende willen verfasst würde, sondern der wahrheit verpflichtet wäre. das habe ich bis jetzt nämlich noch nicht gefunden.

stadtwanderer

schall und rauch

teil 1 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter
teil 2 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter

heribert illigs hebel, mit dem er die nachrömische geschichte europas aus den angeln heben will, ist die berechnung des osterdatums. er unterstellt, dass mit der kalenderreform von papst gregor XIII die astronomischen verhältnisse wieder hergestellt worden seien, wie sie bei der einführung des julianischen kalenders 46. vor christus geherrscht hätten. nicht nur sei der 21. märz wieder der 21. märz geworden: der frühlingsanfang 1582 habe gleichzeitig auch die gleiche konstellation gekannt, wie damals, als der vorläuferkalender eingeführt worden sei.


das konzil von nicäa legt erstmals richtlininien für die christliche kirche fest. die stellare konstellation von damals wieder herzustellen, war die absicht der gregorianischen kalenderreform von 1582

was wieder hergegestellt werden sollte

die katholische kirche hat eigentlich gar nicht auf heribert illigs unterstellung der manipulation reagiert. denn sie teilt seine grundlegende annahmen gar nicht.

richtig ist für die katholische kirche, dass sie im jahre 1582 durch papst gregor XIII den gregorianischen kalender eingeführt habe und dieser für die datierung der katholischen kirche verbindlich geworden sei. richtig ist ferner, dass man damit die berechnung des ostertermines neu festgelegt habe. richtig ist schliesslich auch, dass der frühlich seither am 21. märz des kalender jahres beginne.

ob man damit auch eine astronomische gleichschaltung mit jener bei der einführung des julianischen kalenders gesucht habe, ist für die katholische kirche eine ziemlich verwegene annahme illigs selber. sie macht gerade für die katholische kirche auch wenig sinn. zwar sei julius caesar bei seiner liaison mit kleopatra auf den aegyptischen kalender aufmerksam gemacht worden. er habe den damals geltenden mondkalender der römer durch den sonnenkalender der aegypter ersetzt, was ein fortschritt im kalenderwesen gewesen sei. denn habe man mit dem gregorianischen kalender auch übernommen. ob die katholische kirche aber auch mit diesr kalenderreform eine harmonie der sterne und des frühlings nach heidnischem vorbild gesucht habe, stehe auf einem ganz anderen blatt geschrieben.

vielmehr beziehen sich heute die christlichen kirchen auf das verhältnis von frühlingsanfang und stellarer konstellation im 4. jahrhundert. damals traten die zahlreichen christlichen sekten, die sich im gefolge jesus und als abspaltung vom judentum gebildet hatten, aus der opposition heraus. zwar wurden sie unter kaiser diokletian und seinen unmittelbaren nachfahren verfolgt, doch stützte sich konstantin, ein gegner der tetrarchie von diokletian, auf eben diese christliche bewegung. nach seinem militärischen sieg an der milvischen brücke über den letzten anhänger der tetrarchie, erklärte konstantin 313 im edikt von mailand das christentum als zugelassene religion im römischen reich.

da die verschiedenen strömungen in der christlichen glaubengemeinschaft damals noch keine vereinheitlichte religion bildeten, versammelte konstantin, nunmehr kaiser, die vertreter der kirchen 325 zum ersten konzil in nicäa. bei dieser gelegenheit sind die wichtigsten leitlinien der christlichen kirche gegelegt worden, die über das benachbarte konstantinopel, der neuen kaiserstadt im osten, 380 zur allein gültigen staatsreligion führte.

die andere rechnung

325 lebten die christen im römischen reich nach dem römischen, juliansichen kalender, der auf dem sonnenjahr basierte. sie standen aber vor dem problem, ostern, das höchste fest im kirchenjahr, nach dem jüdischen kalender, der sich nach dem mond richtete, bestimmen zu müssen. daraus ergaben sich drei die regeln:

1. ostern fällt immer auf einen sonntag.
2. ostern ist nach dem jüdische pessah-fest (14. nissan oder vollmond).
3. ostern ist immer nach dem frühlingsanfang (vom 21. märz).

oder vereinfacht: ostern ist der Sonntag nach dem ersten vollmond nach frühlingsanfang.

durch den fehler in der schaltjahrberechnung des julianischen kalenders wanderte der frühlingsanfang von 325 bis 1582 alle 128 jahre um einen tag in richtung sommer, und auch weihnachten verschob sich gleichzeitig richtung frühling. das bemerkte man schon im 14. jahrhundert; damalige diskussionen über kalenderreformen setzten sich aber nicht durch.


cleopatra und caesar, darstellung der leidenschaft von l.l.gerome

nicht caesar oder konstantin, sondern kleopatra und alexandria weisen den weg

nimmt man nun nicht den sternenhimmel während julius caesars liaison mit kleopatra als masstab aller dinge für frühlingserwachen und osterberechnungrn, sondern die zeit des konzils von nicäa, verbleiben bis zur kalenderreform von papst gregor XII nicht 1627 jahre, wie illig annimmt, sondern 1257 jahre. die korrektur von 10 tagen ist bei einem fehler effektiven fehler von 9.8 tage plausibel.

nicht die von illig gestrichenen dreihundert jahre sind nachträglich in die chronologie der europäischen geschichte eingeführt worden. vielmehr ist der referenzpunkt, auf den man sich in der christlichen kirche bezieht, rund gut 300 jahre jünger, als es illig unterstellt. schall und rauch, was man da gegen die kalenderreform von 1582 vorbringt.

unbewiesene behauptung, argumentiert illig unverändert dagegen. denn vom konzil in nicäa sind keine dokumente erhalten, die eine solche kalenderreform belegen würden. immerhin hat aber kaiser konstantin die neuen regeln für die christliche osterberechnung in briefform festgehalten.

unbewiesene unterstellung sagt deshalb die katholische kirche an die adresse illig, denn er kann seinerseits nicht beweisen, dass der frühlingsanfang bei caesar und kleopatra effektiv auf den 21. märz und nicht auf den 24. des monats fiel.

der stadtwanderer fügt bei: kleopatra regierte von alexandria aus und herrschte die damalige welt des östlichen mittelmeeres samt regenten potentaten. und auch konstantin bezog sich in seiner osterregel auf alexandria, denn diese stadt bildete den referenz bei seiner bestimmung des ostertages.

frühlingserwachen in alexandria also ist das unbestrittene mass aller dinge, die zu ostern führen, denkt sich der

stadtwanderer

karl der fiktive

teil 1 der serie: das fröhlich erfundene mittelalter

“bitte nicht!”, donnern die ausgebildeten mediävisten zurück, wenn man nur schon den namen “heribert illig” in den mund nimmt. “das ist doch unwissenschaftlich und längst wiederlegt”, tönt es dann von hoher warte. doch illig lässt mit seiner these zum erfundenen frühmittelalter seit jahren nicht locker, und rüttelt immer mehr am politkulturellen fundament der europäischen geschichte: in seinen bestsellern auf dem buchmarkt befördert er karl den grossen, den frankenkaiser aus dem jahre 800, schlicht zu karl dem fiktiven.


karl der grosse, charles le chauve oder einfach karolingischer reiter: darüber streiten die mediävisten angesichts dieser statue im louvre: frei erfundene geschichte donnert ihnen heribert illig entgegen

die provokation an die adresse der mediävistInnen

streicht man, wie illig es vorschlägt, die jahre 614 bis 911 aus der europäischen chronolgie, weil sie nachträglich erfunden und eingeführt worden seien, entfernt man nicht weniger als den aufstieg und den fall der karolinger aus der noch jungen kontinentalgeschichte. das alleine ist schon eine kampfansage!

die machtergreifung der hausmeier im merowingischen königreichreich hätte demnach gar nie stattgefunden; weiteres wäre die auseinandersetzung zwsichen christen und mohamedanern, die in der schlacht von poitiers gipfelte, frei erfunden; der frankenkönig pippin wäre, wenn man den besagten zeitraum annuliert, gar nicht vom papst als nachfolger könig davids gesalbt worden; für das sakrale königtum eine blamage. und last but not least: karl der grosse, der das untergegangenen weströmische reich hat auferstehen lassen, wäre ganz einfach eine fälschung!

abtreten müssten auch karls kontrahenten, herzog tassilio III, der baier, stammeskönig widukind, der sachse, und auch kalif harun al-raschid würde definitiv ins märchenreich von “tausend und einer nacht” verschifft. damit nicht genug: alle ganz alten dynastien der europäischen adelhäuser wären demnach mehr oder minder getürkt; 25 kaiser, vor allen in byzanz, müssten entsorgt werden, und 50 päpste weniger hätte die römische kirche bis heute.


vor der korrektur des erfundenen mittelalters: gewohnter, aber falscher überblick über die nachrömische europäische geschichte

die provokation an die europäische union

das ist nicht nur für eingefleischte mediävisten und die spezialisten der frühen neuzeit starker tobak. was heribert illig vorträgt ist auch politisch brisant! denn mit karl dem grossen würde der viel zitierte “vater europas” verschwinden. das fundament jener geschichte würde bröseln, die von der europäischen union gerne verwendet wird: die herleitung europäischer gemeinsamkeiten und nationaler sonderungen, die legitimierung staatlicher ordnung über der gesellschaftlichen gliederungen, und die verpflichtende überlieferung resp. christlicher sittlichkeit würden in frage gestellt. so sieht es jedenfalls die überwiegende zahl der feuilletonistInnen.

den minderheitlich kritikern von karl mag das alles recht sein, denn es entfällt so auch die fürchterliche geschichte der brutalen schwertmission, mit massenmorden, verwüstungen und deportationen als schaurige vorbilder für spätere zeiten. illig schliesst sich dem im letzten satz seines buches voll an: “Wir können heute erstmals die Einigung eines Gebietes versuchen, das bislang immer heterogen gewesen ist, und wir sollten dazu auch Mittel einsetzen, die humanem Geist entsprechen.”


nach der korrektur des erfundenen mittelalters: ungewohnter, aber richtiger überblick über die nachrömische europäische geschichte

die herausforderung für die burgunder-fans in der schweiz

selbst wenn die auswirkungen auf des stadtwanderers verehrte burgunder geringer sind, füge ich bei: es gibt sie, und sie sind nicht einfach sinnlos!

die burgundia von könig gundobad aus der späten völkerwanderungszeit wäre gar nie im fränkischen reich untergegangen, um nach dessen untergang auf wundersame art und weise wieder aufzuerstehen. vielmehr wäre die ostgermanische, romanisierte herrschaft im rhonetal frühzeitig mit dem kloster von st. maurice christianisiert worden und direkt in die königsherrschaft der rudolfiner gemündet. normalerweise schiebt man auch hier gut 300 jahre ein, über die man aber kaum etwas weiss. streicht sie, muss man mit illig raten! die drei rudolfe und der eine conrad aus dem 10. jahrhundert wären also viel näher an der eigentlichen völkerwanderungszeit gewesen, die sarazennen würden sich als berberische händler entpuppen, und die madyaren, die das burgunderreich verunsicherten, kämen hunnischen reitern gleich aus dem 5. jahrhundert gleich.

bleiben würde aber die geografische und ethnische nähe von burgunder- und langobardenreich, und adelheid, die burgundische prinzessin und lombardische königin, wäre neu der beleg einer frühen und starken verbindungen beider völker, die mit ihrer heirat mit könig otto von sachen und franken das römische reich ohne fränkisch-karolinigisches zwischenspiel eingeleitet hätte. rhonetal, ligurische küste und po-ebene waren, würden, wie seit den zeiten caesars eine weitgehende einheit bilden.

auch wenn sich illig dazu nicht direkt äussert: das gebiet der schweiz wäre seiner auffassung nach nie fränkisch gewesen. die karolingerherrschaft über zürich, müstair und st. maurice wäre erfunden. aus alemannen und rätiern zu römerzeiten wären mehr oder weniger direkt die kernvölker von schwaben entstanden, die sich parallel zu astrasien und sachsen formiert hätten und dann im neuen römischen reiche aufgegangen wären.

die ganzen legenden über karl den grossen schliesslich, der auf dem zürcher münster abgebildet ist, weil er ich mehrfach in zürich aufgehalten habe, können mit illig definitiv ins reich der erfindungen verschoben werden. wenn er nur karl der fiktive ist, muss man auch nicht klären, ob er je in zürich war, oder ob das doch nur sein enkel karl der dicke war! fiktiv wären nämlich beide …


karl der grosse am züricher grossmünster: bitte abmontieren, denn er ist nicht mehr als karl der fiktive!, sagt buchautor illig

vorläufige bilanz zu illigs these


ganz schön spannend! aber auch ganz schön gewagt, der gedankengang von heribert illig. der wahrheitsbeweis muss erst noch erbracht werden!

audiatur et altera pars, höre auch die andere seite, bleibt ein gut begründeter grundsatz bei der prüfung von kontroversen standpunkten. und genau das erzähle ich im dritten teil meiner kleinen serie über das fröhlich erfundene mittelalter.

stadtwanderer

rodolphe le troubadour oder rudolf der minnesänger

am anfang steht eine berühmte rangliste: sie stellt die wichtigsten troubadoure oder minnesänger vor. doch es ist keine hitparade von heute, – es ist eine übersicht über die könner des faches am ende des 12. jahrhunderts. und an 10. stelle steht rudolf aus dem seeland. ihm ist jetzt in neuenburg eine kleine ausstellung gewidmet, die auf die interessante persönlichkeit aufmerksam macht, ohne aber alle fragen zu ihm auszuleuchten. der versuch einer übersicht, erstellt auf dem heimweg aus eben diesem seeland.


quelle: l. bartolini: rodolophe. comte de neuchâtel et poète, neuchâtel 2006, anclickbar

aufstieg und fall des grafengeschlechtes von fenis


das grafenhaus fenis habe ich soeben ausführlich vorgestellt. ausgehend von cerlier/erlach, ihrem stammsitz seit dem erdbeben von 1117, dehnten sich die feniser grafen entlang der verkehrsachse nach nordosten und südwesten aus. sie wurden bald auch in den seitentälern des juras wichtig, und sie hatten durch heirat eine verbindung ins freiburgische arconciel geschaffen.

das neue zentrum der grafschaft wurde neuenburg, – als castellum novum vom letzten burgunderkönig rudolf III. gegründet, dann seiner frau, der königin irmengard, vererbt, war es im nachfolgekrieg um das burgunderreich fast ganz zerstört. bis mitte des 12. jahrhunderts fehlen nachweise, dass es im kastell noch menschliches leben gab.

neuenburg wird 1154 erstmals wieder schriftlich bezeugt, und zwar als herrschaftsort der grafen von neuenburg-fenis. für die zeit nach 1180 sind umfangreiche bauten mit residenz und kirche auf dem jetzigen schlosshügel bezeugt, während sich am fuss der burg handwerker und händler niederliessen. 1214 ist es soweit: die neuenburger bekommen ihre eigene rechtspersönlichkeit, in form eines stadtbriefes der grafen von neuenburg. doch damit kehrt nicht ruhe ein, sondern beginnt der lange streit zwischen den neuen bürgern und dem alten stadtherren erst recht.

ohne das wichtigste herrschaftliche zentrum am neuenburgersee verliert sich der zusammenhalt der grafenfamilie im transitgebiet zusehends. es entstehen innert kürzester zeit vier seitenlinien, die in neuenburg, nidau, aarberg und strassberg (abgegangener ort bei büren) ihre neuen schwergewichte bekommen. neuenburg bleibt das zentrum der romanen, während die anderen neuenburger über germanisches volk regiert.


stammbaum des grafenhauses von fenis (quelle: lionel bartolini: rodolophe. comte de neuchâtel et poète, neuchâtel 2006, anclickbar)

rudolf, der grosse sänger und kulturvermittler

die markanteste figur, die aus diesem gebiet stammt und bis heute gefeiert wird, ist der minnesänger rudolf. er musizierte und textete, was damals im schwang war. er tat das so hervorragend, dass man sich in fachkreisen bis heute seiner erinnert.

gelobt wird, dass er die provanzialische bewegung des unteren rhonetals aufnahm, und sie in das frankoprovenzialische hochburgund und darüber hinaus vermittelte. populär geworden ist damit in den oberen gesellschaftlichen schichte die romantische liebe, denn in der minnelyrik entbrennt der sänger in liebe zu einer meist höher gestellten frau. er besingt ihre schönheit, wohlwissend dass sie ihm immer versagt werden bleibt.

tugenden wie ritterlichkeit, mässigung und ehre wurden so eingeübt, denn sie reflektierten das im 12. jahrhundert gewandelte verhältnis zur ehe, das trotz christianisierung lange den alten regeln der vorchristlichen gesellschaft gefolgt wird.

gerade im raum der schweiz ist der minnegesang früh und stark aufgeblüht. der manesse-codex aus zürich verzeichnet rund 140 könner des faches, die im kaiserreich lebten. davon haben 30 einen gesellschaftlichen hintergrund im mittelland. an erster stelle unter allen “schweizer” minnesänger steht rudolf, – in der zürcher hitparade an zehnter stelle rangiert und nur vom kaiser, von königen, herzögen und markgrafen übertroffen.


rudolf von neuenburg gemäss manesse-codex und rudolf von fenis gemäss weingarten-verzeichnis

inspirierter oder inspirierender – das ist die frage!

wer nun aber war dieser rudolf? das wissen über ihn ist bruchstückhaft: in der weingart-sammlung wird als rudolf von fenis zitiert, im manesse-codex erscheint er als rudolf von neuenburg. beiden beide anthologien sind erst im 14. jahrhundert entstanden, beziehen sich auf eine zeit, in der man noch kaum geschrieben und selbst der stammbaum von adelsgeschlechtern nur bedingt dokumentiert ist.

folgt man dem manesse codex, ist der minnesänger wohl mit dem rodolphe identisch, der in der zweiten hälfte des 12. jahrhundertes in neuenburg residierte, sohn des stadterneuerers war und am ende seines lebens auch graf von neuenburg gewesen sein dürfte. viel genaueres weiss man über sein leben aber nicht.

nimmt man hingegen das weingart verzeichnis zur hand, könnte der berühmte minnesänger auch rodolphes neffe, rudolf von nidau-neuenburg in frage, der anfangs des 13. jahrhunderts den nidauer zweig der grafenfamilie begründete. doch auch über ihn weiss man ausser dem namen fast nicht, jedenfalls nichts, das für eine grosse tat sprechen würde.

aus sicht der familiensaga mag diese frage der historikerInnen egal sein, denn der troubadour/minnesänger rodolphe/rudolf ist unzweifelhaft einer, der zu ihr gehört. aus sicht des frühen kulturtransfers ist die frage indess etwas heikler:

. hat da ein deutschsprachiger adeliger eine kulturelle tradition, die in seiner zweisprachigen familie von der anderen seite einfloss, aufgenommen und in seiner sprache und für seinen sprachraum zur neuen blüte gebracht? das wäre dann der nidauer rudolf, – ein germanisch inspirierter!

. oder hat da ein frankoprovenzialischer adeliger eine eigene kulturelle entwicklung, dank seiner fähigkeit, sich auch in einer anderen sprache gekonnt auszudrücken, für einen anderen kulturraum erschlossen? das wäre dann der neuchâteler rodolphe, – ein romanischer inspirierender!


modell von neuenburg zur zeit der grafen von fenis-neuenburg (foto: stadtwanderer, anclickbar)

aktuelle ausstellung in neuchâtel mit einseitiger antwort

aufmerksam geworden auf den fall des kulturvermittlers rodolphe/rudolf bin ich durch eine ausstellung in neuchâtel, die momentan im kunsthistorischen museum der stadt zu sehen ist.

eindrücklich werden da die entwicklung der stadt neuenburg dokumentiert, und die rolle der grafen von fenis hierfür dargestellt. schön gezeigt wird auch, wie der troubadour/minnesänger aus dem seeland eine kulturelle tat ersten ranges vollbracht hat, und wie das bis heute nachklingt. man entscheidet sich allerdings einseitig für die manesse-version, ohne die problematik der personellen und räumlichen zuordnung explizit aufmerksam zu machen.

kein grosses verdienst der ausstellung ist es, wenn der ausstellungskatalog fast schon propagandistisch festhält: “Connaiseur intime des formes et motifs de la poésie des troubadours et des trouvères, le comte Rodolphe, sans doute bilingue, est le premier passeur entre les espaces culturels roman et germanique.”

ein grosses verdienst der exposition ist es dagegen, an die bedeutung der feniser grafen zu erinnern. sie zählte ohne zweifel noch zum adel, der über den sprachvölkern der bauern lebte und vermittelnd wirkte. wer das damals so hervorragend vollbrachte und man das um 1200 noch machen konnte, wird wohl für immer ein geheimnis bleiben, das die familie mit ihn ihren untergang am aufkeimenden röschtigraben des spätmittelalters nahm.

grenzwanderer zwischen neuchâtel und nidau

fenis – das burgundische zentrum der kaiserlichen vasallen

wer in vinelz oder in dessen umgebung am bielersee aufgewachsen ist, weiss höchstwahrscheinlich um die hasenburg. von einem keltischen fürstensitz zwischen dem heutigen vinelz und ins ist dann die rede. dieser, heute verlassene burghügel im wald erlebte im hochmittelalter einen zweiten höhepunkt. fenis hiess der ort damals, und er war das zentrum eines rasch aufstrebenden lokalen adelsgeschlechts, dass es bis an die seite des kaisers brachte und im 12. jahrhundert die eigentlichen gegenspieler der zähringer herzöge waren.


fenis – der verlassene burgsitz – findet sich nicht einmal mehr auf den karte von vinelz (quelle: wikipedia, anclickbar)

zerfall der königsmacht, aufstieg des kaisertums im seeland

im 9. jahrhundert zerfiel die fränkische kaiserherrschaft über westeuropa schritt für schritt. neue familien breiteten sich überall aus, um sich auf die machtübernahme im untergehenden karolingerreich vorzubereiten.

zu diesem hochmittelalterlichen adel zählen die welfen, die ursprünglich im heutigen bayern begütert waren. eine seitenlinie der welfen wurde damals herzog in auxerre, einem burgundischen zentrum, dessen herrschaftliche ausläufer bis ins ebenfalls burgundische seeland reichten. vier burgundische könige entstammten dieser nebenlinie (rudolf I., II., conrad und rudolf III.), die zwischen 888 und 1032 das alte burgunderreich aus den völkerwanderungszeiten auferstehen liessen, bis es als unselbständiges königreich definitiv im kaiserreich aufging. das allerdings verlief nicht reibungslos, und so entstand ein lokaler adel der entweder auf die burgundische oder auf die schwäbische seite hielt.

der krieg um das königreich burgund, der nach dem tod des letzten burgundischen königs rudolf III. ausbrach, dauerte offiziell nur kurz; er begann 1032 und endete nach einem strengen winter 1033 mit der machtübernahme durch kaiser conrad II., der sich in payerne die burgundische königskrone aufsetzen liess. gekämpft hatte der kaiser vor allem gegen oddo (eudes), graf von champagnien, der sich, mit dem letzten burgunder könig verwandt, als legitimer erbe des burgundischen königreiches sah. der kaiser wiederum berief sich auf einen erbschaftsvertrag seines vorgängers, der diesen als nachfolger von rudolf III. bestimmt hatte.


dynastie der salischen (fränkischen) kaiser (conrad II, heinrich III, IV resp. V) die im 11. und frühen 12. jahrhunder das römische reich vor allem nördlich der alpen beherrschten

faktisch setzte sich kaiser conrad II. durch, indem er die burgundischen grafen nach konstanz zitierte, und sich dort huldigen liess. oddo akzeptierte nun die vorherrschaft des saliers, liess sich aber als statthalter über die von ihm zerstörten gebiete im seeland einsetzen; dort organisierte er die unter den kriegsfolgen leidende, vor allem hungernde bevölkerung und wagte 1037 nochmals einen aufstand gegen den kaiser. dieser ende für den statthalten indessen auf der verfolgungsjagd in lothringen tödlich.

kaiser conrad II. versammelte 1038 die burgundischen grafen in solothurn, um die herrschaftsrechte neu zu ordnen. an diesem hoftag liess er seinen sohn, den designierten deutschen könig, den herzog von bayern und schwaben, heinrich III., zum neuen burgundischen könig krönen. doch heinrich wurde nur ein jahr später regierender deutscher könig und setzte den bischof von besançon als kanzler über burgund ein.

bereits 1056 verstarb der zwischenzeitlich zum kaiser aufgestiegene, aber noch heinrich III, und es sollten unsichere zeiten ausbrechen; sein ältester sohn, heinrich, war noch ein kind, für das die mutter, agnèse de poitous, die regentschaft übernahm. die kanzlei über burgund, das sie nicht selber verwalten wollte, vermachte sie dem grafen rudolf von rheinfelden.


situation im königreich (hoch)burgund und herzogtum schwaben während des nachfolgekrieges 1032-1038, um die erbschaft der ausgestorbenen burgundischen könige (quelle: wikipedia)

die grafen von fenis als spätburgundisches adelsgeschlecht


lokal waren die seignieurs oder freiherren in der grenzlage zwischen schwaben und burgund von bedeutung. diese waren nicht mehr, wie in zeiten des burgundischen königreiches in bargen (siehe karte oben mit dem bargengau als grenzland) zu hause, dafür aber im benachbarten oltigen oder eben in fenis. auf diese geschlechter stützten sich die könige und ihre kanzler mir vorliebe, sodass sie zu ansehnlichen grafen mit eigenem grundbesitz und herrschaftsrechten avancierten.

spätestens im 11. jahrhundert wurde die hasenburg, der alte keltische fürstensitz, vom grafen ulrich von fenis wieder eingenommen und als herrschaftszentrum ausgebaut, von dem aus man praktisch über die strasse entlang des juras bewachen konnten.

der berühmteste vertreter aus dem feniser grafengeschlecht war burkard, sohn des ulrichs, um 1040 geboren und 1107 verstorben. er durchlief eine vorzügliche karriere in der römisch-katholischen kirche, wurde in eichstätt ausgebildet, war zunächst kämmerer am erzbischöflichen sitz in mainz, und wurde schliesslich 1072 bischof von basel. er war ganz in die reichskirche eingebettet, welche die herrschaft des kaisers vor die des papstes setzte.

fenis und der investiturstreit

1076 nahm der basler bischof burkard von fenis an der synode von worms teil, wo der streit zwischen dem jungen deutschen könig heinrich IV. und papst gregor VII. ausbrach. gestritten wurde darüber, wer die bischöfe einsetzen dürfe. burkard stand ganz auf der seite des königs und votierte für die weltlich oberherrschaft über die bistümer. das papstamt von gregor lehnte er wie der könig wegen eines formfehler bei wahl für ungültig ab.

darob entstand der in den geschichtsbüchern (unter auslassung der bedeutung von fenis!)gut bekannte investiturstreit, indem der papst die suprematie über alle geistlichen würdenträger für sich reklamierte, und sich gar über das vakante kaisertum stellte. wer in worms gegen ihn gestimmt hatte, wurde kurzerhand mit dem bann belegt, was nun auch burkhard von fenis, den basler bischof betraf.


könig heinrich IV. und sein gefolge – unter anderem basler bischof burkhard von fenis – bitte in canossa den papst um lösung vom kirchenbann

könig heinrich konnte sich aus der misslichen lage nur befreien, indem er sich beim papst selber vorsprach, und um vergebung bat. dieser war bereits auf dem weg nach norden, denn die herzöge von schwaben, bayern und kärtnen waren von ihrem könig abgefallen und hatten sich papst gregors herrschaft angeschlossen. die alpen als herrschaftsgrenze wankten!

doch machte der papst des kalten winters wegens in der toscana zwischenhalt. in canossa suchte ihn der gebannte könig heinrich mit bischof burkhard im gefolge auf, um noch rechtzeitig vom bann befreit zu werden.

die kampf zwischen rheinfelden und basel

rudolf von rheinfelden, abtrünniger herzog von schwaben, wurde dennoch und mit duldung des papstes nördlich der alpen zum deutschen gegenkönig gekrönt und führte zwischen 1077 und 1080 krieg gegen den rechtmässigen könig heinrich IV. in diesem krieg eroberte er die herrschaftsrechte rechts der aare und integrierte diese gebiete – seit den zeiten von könig rudolf II. burgundisch – ins schwäbische herzogtum.


rudolf von rheinfelden, deutscher gegenkönig 1077-1080 nahm die burgundischen gebiete rechts der aare in seinen besitz; nach seinem tod wurde er von den zähringern beerbt

das rief zu gegenmassnahmen. um eine ausdehnung des rheinfelder gegenkönigs nach basel zu verhindern, liess burkhard die stadt erstmals mit einer stadtmauer befestigen. könig heinrich förderte seinen getreuen bischof nach mass: er bedankte sich bei burkhard von fenis, bischof von basel, und vermachte nach dem schlachten tod von rudolf von rheinfelden dem basler bischof 1080 die grafschaft härkingen; so versuchte er, die ausdehnung der rheinfelder und ihrer erben über den jura in den alten aargau zu stoppen.

1084 ging es mit dem basler bischof noch steiler nach oben. nachdem burkard heinrich nach rom begleitet hatte, nachdem er dem könig beim sturz des verhassten papst gregor vii behilflich gewesen war, und nachdem heinrich durch einen ihm güpnstig gesinnten gegenpapst zum neuen kaiser gekrönt worden war, erhielt der basler bischof weitere herrschaftssitze im elsass und ländereien in schwaben.

nun bedankte sich burkhard für seine unterstützung und gründete in basel das kloster st. alban, das er den mönchen von cluny übergab, die bei der restituierung der königlich-kaiserlichen machte nach dem streit mit dem papst die fäden gezogen hatten.

erlach als neuer stammsitz

noch vor seinem tod liess bischof burkard den stammsitz seines geschlechts in fenis erneuern. sein herrschaftliches schloss sollte jedoch nicht mehr dort stehen, wo einst der keltischen fürstensitz war und wo sein vater ulrich von fenis noch gewohnt hatte. vielmehr entstand jetzt auf dem ausläufer des jolimont die burg erlach, der vorläuferbau des schlosses. beide burgen, jene von vinelz und jene von erlach, wurden 1117 in einem erdbeben in mitleidenschaft gezogen; danach führten die herren von fenis nur noch ihren sitz in erlach weiter, nicht mehr aber in vinelz. und seither ist der burghügel unbewohnt, und wald, gebüsch und gras wächst über ihn.


schloss erlach heute, von burkhard von fenis und seinem bruder, cuno von fenis, bischof in lausanne, begründet, in seinem heutigen zustand am gleichen ort, hoch über dem bielersee

übrigens: erlach hiess damals noch gar nicht so, sondern cerlier. das war der burgundische name, genauso wie auch fenis burgundischen ursprungs ist, oder was davon im 11. jahrhundert als frankoprovenzialische sprache noch übrig geblieben war.

was fenis genau heisst, weiss man nicht. man bringt es aber immer wieder mit stroh in verbindung. wenn man heute auf dem verlassenen schlusshubel steht, sieht man im wiederum solch getrocknetes gras.

ps:
papst und kaiser einigten sich 1122 in worms mit einem kompromiss in der investiturfrage. das deutsche königreich verselbständigte sich dabei innerhalb des kaiserreichs zusehends, doch der könig behielt die oberherrschaft über die reichskirche. sie sollte von den staufer-kaisern wieder beansprucht werden, während im ehemaligen burgundischen königreich wieder der papst die führung über die kirche übernahm.

die grafen von fenis konnten in der folge weder in basel noch in lausanne das bischofsamt erringen, stiegen aber zwischen neuenburg und nidau, aarberg und valangin zum führenden weltlichen herrschergeschlecht auf.

das rheinfelder erbe wiederum ging nach dem kinderlosen tod von gegenkönig rudolf an die verwandten zähringer, die wegen ihrer papsttreuen haltung von den staufern als herzöge in schwaben verdrängt worden waren. sie dehnten ihren herrschaftsbereich durch kloster- und stadtgründungen sukkzessive von herzogenbuchsee über burgdorf, bern bis murten und freiburg aus und wurden so im 12. jahrhundert zu den mächtigen gegenspielern der grafen von fenis.

stadtwanderer

berner sandstein

ja, was ist das jetzt: sand oder stein? und welche farbe hat er nun: grün oder grau? und wie riecht er, wenn er trocken resp. nass ist? – all das wird in bern seit langem diskutiert, denn der stein hat die stadt geformt, und die stadt hat seinen namen geprägt: berner sandstein symbolisiert wie kaum etwas anderes das äusserliche des patrizischen bern und wird bis heute erhalten.


sandstein-impressionen vom hohen münster hinunter (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

das buch zum stein

im frühling habe ich eine total verregnete tour gemacht. es hätte eine hochzeits-stadtwanderung werden sollen. doch als die trauung vorbei war, begann es unaufhörlich zu regnen. die tour musste spontan gekürzt werden und soweit möglich unter den steinernen lauben durchgeführt werden; sie endete schliesslich vorzeitig im rosengarten. beim aufstieg fragten mich die zahlreichen österreichischen gäste: woher kommt der stein der stadt, der eine so morbide stimmung erzeugt?

was ich damals grosso modo beantworten konnte, kann man jetzt in handlicher form im detail nachschlagen. ganz einfach „sandstein“ heisst das buch, das hansueli trachsel jüngst herausgegeben hat. beim lesen haben einiges hinzugelernt: zum beispiel,

… dass der sandstein vor 25 millionen jahren als eine der letzten schuttablagerungen von alpengeröll entstanden ist und rund um bern eine erdgeschichtlich nur schwer erklärbare entwicklung genommen hat, die sich auf die körnigkeit und barbeitbarkeit des steins vorzüglich ausgewirkt hat;

… dass der sandstein im 13. jahrhundert aus dem stadtgebiet stammte, heute vorwiegend aus ostermundigen kommt, aber seit menschengedenken in der region abgebaut – sprich geschremmt – wird;

… dass man in bern in einem langen prozess gelernt hat, mit dem sandstsein zu bauen und die bisweilen weit vorhängenden dächer der berner häuser entstanden sind, um den speziellen stein vor allem vor nässe und alterung zu schützen;

… dass der aufstieg der “sandsteiner” mit der bautätigkeit im 18. jahrhundert begann und an gebäuden wie dem kornhaus, der heiliggeistkirche und dem burgerspital nachvollzogen werden kann;

… dass aber ausgerechnet die turmspitze des berner münsters, erst im 19. Jahrhundert aufgesetzt, nicht aus berner sandstein ist, sondern aus obernkirchen bei hannover importiert worden ist, weil er seine haltbarkeit besser ist.

ein fotograf als kundiger herausgeber

hansueli trachsel, berner fotograf, der lange für die zeitung „der bund“ gearbeitet hatte, brachte den anregenden und schönen band zum thema “sandstein” heraus. das ist wohl typisch: kein schriftsteller ist es, der ein wortreiches porträt des altstadtcharakters gewagt hätte, sondern ein fotograf, der ohne worte eben diese eigenart der stadt zum sprechen bringt.

trotzdem ist kein reines fotoalbum entstanden, sondern eines, das mit kurzen texten angereichert ist, die sich den verschiedenen fragen rund um den berner sandstein annehmen. hier reden geologen, architekten, denkmalpfleger, historikerInnen, journalistInnen, museumspädagoginnen, kunstaussteller, farbgestalterinnen und stadtkletter über ihr je eigenes verhältnis zum sandstein.

sie alle haben am eindrücklichen porträt der berner altstadt mitgewirkt. sie haben dabei an bekanntem angeknüpft: so wird die bedeutung des grossen stadtbrandes von 1405 für die steinverwendung im fassadenbau erinnert. so kommt auch johann wolfgang goethe zum zuge, der 1779 schrieb, die stadt bern sei „die schönste, die wir je gesehen haben“, denn ihre haut bestehe aus einem „graulichen weichen Sandstein“. doch die autorInnen sind nicht dabei stehen geblieben, denn berichtet wird auch über die archtitekur-, bau-, handwerks- und sozialgeschichte des sandsteinbaus und über die spezielle beziehung der berner und bernerinnen zu “ihrem” sandstein.


gesicht einer stadt: nirgends wo sonst kommt der berner sandstein den menschen so nahe (foto: stadtwanderer, anclickbar)

peter probst, der münsterturmwart, schreibt treffend: „Trockener Sandstein reicht anders als feuchter oder gar nasser; warmer Sandstein wird als ein anderes Material empfunden als kalter oder gar gefrorener. Sandstein kann sehr abstossend, dann auch wieder wohltuend auf die Sinne wirken; Sandstein kann man als toten Stein betrachten, oder man kann zum ihm gar eine Liebe entwickeln. Ich habe im Laufe meines Turmlebens Sandstein wirklich gern bekommen, zeitweise habe ich ihn fast als Teil meiner selbst empfunden.“ und marcelle wenger-di gabriele, die farbgestalterin doppelt nach: „Für mich hat der Sandstein bisher nicht primär eine Farbe, sondern war in erster Linie etwas Bernisches, etwas Herrschaftliches, das sich in vertrauter Formensprache und Farbigkeit in historischen Städten und auf dem Land findet. Ein Baustoff, der sich der Menschenhand gutmütig beugt und in skurrilste Gestalten hauen lässt, die dann gelegentlich gelegentlich von Sakralbauten, aus schwindelerregender Höhe, das Fussvolk angrinsen.”

der niedergang des herrschaftlichen baumaterials

nicht unerwähnt bleibt in trachsels reichhaltigem sammelband, dass der sandstein ausser in bern, wo er verordnet eingesetzt wird, heute ausser gebrauch gekommen ist. der zement der freisinnigen epoche konkorrenziert ihn seit 1880; 1902 wird die steinbruchbahn in ostermundigen, die erste europäische zahnradbahn, mangels nachfrage fürsandstein geschlossen. und 1918 ist der niedergang der aristokratischen steines perfekt: der berner sandstein wird definitiv aus dem zürcher polytechnikum mangels wetterfestigkeit entfernt. sein landesweiter ruft ist ruiniert!

beuschleunigt wurde dieser prozess durch die eisenbahn, die den transport von stein über grosse strecken hinweg ermöglichte, die preise fallen und so auch handwerk und kunst des sandsteinhauens resp. –metzens zurückgehen liess. geblieben ist eigentlich nur der beruf des restaurateurs. wer sich heute beruflich mit sandstein beschäftigt, versucht zu retten, was zu retten ist!

typisch für die geringen zukunftsaussichten der traditionell bernischen bauart ist der schluss des buches, der dem neuen platz vor dem bundeshaus gewidmet ist: dieser besteht aus walser quarzit, der ikone der wellness-architektur, welche einen steinbruch vor ort zu neuem leben erweckt hat. er besteht eben nicht aus sandstein, der verblassten ikone der patrizier-architektur, deren steinbruch vor ort vor allem noch erinnerungsträger ist.


welche farbe hat er nun, der berner sandstein?, ist eine frage, die bern tag und nacht diskutiert wird; meist nennt man grün als antwort (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

“morbid” oder “vielfältig”: die herausforderung für kommende wanderungen

dem stadtwanderer sind denkmäler ganz recht: ihm nützlich sind im neuen buch über sandstein vor allem die kurzen informationen im anhang, die dem sandstein-lehrpfad in krauchthal gewidmet sind, wo man während einer einstündigen wanderung durch verschiedene stillgelegte steinbrüche ein die sandsteingewinnung und –verarbeitung eingeführt wird.

bern wegen seines sandsteins “morbid” zu nennen, wäre mir bisher nicht in den sinn gekommen. “uniform” würde ich die stadtarchitektur indessen schon nennen. das rührt zunächst von den vereinheitlichten hausformen und fassadengestaltungen in der altstadt her. es ist aber auch eine folge des allgegenwärtigen berner sandsteins.

“Ueberraschende Vielfalt“, lautet der untertitel des buches von hansueli trachsel. diese vielfalt inskünftig mit geschärftem blick zu erkunden, ist die anregung, die vom band ausgeht. ich werde sie für meine kommenden wanderungen gerne aufnehmen!

stadtwanderer

hansueli trachsel: sandstein. überraschende vielfalt, stämpfli verlag, bern 2006, 49 chf.

mit meinen neuen favoriten unterwegs (dezember 06)

alle bisherige favoritenlisten ansehen

zur lage der blogosphäre

meine favoritenliste zwingt mich, regelmässig nach neuen und spannenden blogs ausschau zu halten. das ist gut. denn gelegentlich befällt mich das gefühl, ich würde die szene – in der schweiz – nach dreiviertel jahren kennen:

. die totalen blog-insider, mit hohen rankings auf allen listen, laudern gekonnt; doch ich bleibe dabei: das ist nicht mein ding; denn wenn ich das möchte, ziehe ich ein abendbier oder eine schummerbar vor!

. die themenblogs, zum beispiel zu geschichte, politik (nicht politikerInnen!) gesellschaft und kommunikation, sind dafür meine eigentliche lieblinge der blogosphäre geworden; teils hervorragend, leider nicht so zahlreich!

. die blogs aus dem ausland, die einen bezug zu meinem alltag haben, wären wohl die grösste fundgrube, die ich ausbuddeln könnte; aber ich finde irgendwie den richtigen draht zu ihrer suche noch nicht so klar!

. die medienblogs sind schon ganz zahlreich und interessant, aber ich kann nicht mehr metainformation aufnehmen, als ich informationen verarbeiten kann; so bleibt meine energie hierfür beschränkt vorhanden!

. die bern-bezogenen blogs halten sich unverändert in noch engen grenzen (typisch für bern!), sie informieren mich nur selten wirklich besser als die tagespresse!

trotz all diesen widerwärtigkeiten: auch für diesen monat habe ich eine neue, saisongerechte favoritenlisten zusammengestellt: der beste des letzten monats verschwindet automatisch zu den “ewigen” favoriten, und die anderen werden auf grund von nutzung, entwicklung und überraschung neu rangiert.

“für den dezember gut” sind:

1. auswandererblog (vormals 3)

auswanderer-blog
endlich hat es ruedi baumann geschaft, mich voll und ganz zu überzeugen. unermüdlich berichtet er aus der südwestecke frankreichs, schreibt auch viel über die schweiz, sodass er zwar weg, aber eigentlich immer noch da ist. und dann trifft man ihn unerwartet in der buchhandlung, pflegt den gedankenaustausch, und erzählt sich ein wenig über die unterschiede in der bloggerszene der schweiz und in frankreich: ruedi sagt mir, seit er den stadtwanderer lese, müsse er ganz anders durch bern gehen, immer und überall hinauschauen, um zu sehen, was er vorher immer übersah! gut so, antwortete ich ihm, den aufrechten gang üben, ist immer gut, gerade auch für blogger. danke ruedi für deinen unermüdlichen aufrechten gang auch ausserhalb berns!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

2. münstergassblog (vormals 2)

mügablog
unverändert unverändert meine lieblingsbuchhandlung in bern und ebenso unverändert unverändert ein interessanter blog. bücherfreaks wie ich werden in diesem blog-schaufenster angeregt, was sie wissen müssten, was sie lesen sollten, was sie nicht wissen, dass sie es nicht wissen, und über was sie selber mal bloggen könnten. deshalb: unverändert unverändert platz 2!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

3. recherchenblog (vormals 4)

recherchenblog
andy litscher ist ein führenden informationsbrooker und ein führendes mitglied von recherchenblog. nirgends sonst werde ich so gut über die vorteile der blogospäre und des internets für die suche von fachinformationen informiert wie hier. immer wieder gibts auch kleine geschichten, eigentliche trouvaillen, die alles andere als nur trocken-nützlich vorgestellt werden.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

4. bernet blog (vormals 6)

bernetblog
seine schnelle kommunikationswelt, die ich schnell besprochen habe, ist immer noch einer der top kommunikationsgegenstände auf meinem blog. blogger lesen halt gerne sache über blogger, und kein blog liess sich so gut, wie einer über die blogosphäre. die bernet bringen es aber regelmässig fertig, das blog als echten mehrwert in der schnellen kommunikationswelt einzusetzen. profitiere von meinen besuchen immer wieder, und weiss, wie genau sie meine beiträge und mails lesen (und verbessern helfen …)


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

5. lunch over ip (neu)

lunch over ip
bruno guissani kenne ich als journalisten aus den ewr-zeiten. er hat sich danach rasch spezialisiert auf neuen informationsmedien und ein weltweites netz der beobachtung und information hierzu aufgebaut. auf lunch over ip berichtet er regelmässig, top spezialisiert, über die blogosphäre, über das neue web und über die vorteile der neuen informationstechnologien. jeder lunch ist happig, aber nährend! und auf englisch …


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

6. schreiben, was ist (neu)

reklameblog
ok, die weltwoche ist nicht mehr mein leibblatt, aber sie war es lang! ich lese sie aber wieder, wenn auch mit mehr distanz als früher. und ich lese diesen blog über die weltwoche. die wöchtentlich kritik der kritiker vom dienst! tim der grosse, der hauptsächliche autor, ist, seiner eigenen meinung nach ein kreuzritter mit kritischem menschenverstand. und den wendet er mit vorliebe auf die inlandartikel der wewo an; nie verachtend, meist aber erhellend!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

7. der verwerter (neu)

der verwerter
blog mit werbung, nicht meine präferenz. blog mit schlichter grafik, nicht mein blickfang. blog mit inhalt, ja, das habe ich gerne. und hier ist der verwertete inhalt zu fragen der gesellschaft, des lebens heute, der phiolosphie wirklich so interesant, dass ich die schlichte grafik und die werbung vertrage! die entdeckung des monats, die mich, mit den vielen unter- und nebensites (in der gleich schlichten aufmachung) wohl noch eine weile beschäftigen wird.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

8. journalismus – nachrichten von heute (neu)

journalismus – nachrichten von heute
ein eigentlicher news-ticker, jeden tag zahlreiche infos, die man sich nach rubriken sortiert ansehen kann: zeitgeschichte, kultur, vermischtes und deutschland interessieren mich am meisten. betreut wird der blog von stephan fuchs, einem freien journalisten, der für medien recherchen anstellt und deshalb die bedürfnisse seiner zielgruppen so genau kennt, dass auch auch informative werbung aufschalten kann; zum beispiel was man als journi für bücher lesen sollte.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

9. der bildredakteur (vormals 10)

bildredakteur
anregender fachblog, von fotografen, bildredaktoren und menshen mit aug und kopf. berichtet aus der bilderwelt, mit bild und text, erzählt über fotoprojekte, fotobranchen, fotowettbewerbe, fotogaphInnen. war kurz abwesend, dann wieder auferstanden, und erfreut, von mir empfohlen worden zu sein. und jetzt das beste: ich bleibe bei meiner empfehlung vom vormonat für diese site!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

10. kulinarischer adventskalender (neu)

kulinarischer adventskalender
ja, die zeit der einladungen kommt schnell auf uns zu! und wenn man mal nicht weiss, was man kochen könnte, empfehle ich für diese lebenslage der kulinarischen adventskalender. appetitlich gemacht, anregende informationen und übersichtliche tagesmenüs finden sich das in reichlicher zahl. also, besucht nicht nur die blogs der andern, besuchte die andern, und bekocht sie mit rezepten aus den blogs!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

und nun “für immer gut” …

meine top-empfehlung im monat november ’06

wanderer von arlesheim
ich habe den im vormonat schlicht vergessen, aufzulisten! und ich entschuldige mich dafür! das ist aber nicht der grund, weshalb ich diesen blog top setze: er gefällt durch vielseitige, interessante beiträge, die viel konsequenter als bei mir, sich mit einem ort, arlesheim beschäfitgen. das verdient anerkennung und viel lob: platz 1.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat oktober ’06

edemokratie
dieses blog ist seit ich bloge der aufmerksamste zuverlässigste informant zu fragen der politischen philosophie, kommunikation und aktualität


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat september ’06

apropos
einfach der schönste aller schönen blogs …


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat august ’06

today’s strip
es ist unser bevorzugter “bericht aus schweden”, ohne grosse worte zu verlieren, versprüht er viel hintergründige humor. lars mortimer ist der bekannteste schwedische karikaturist, der jeden tag seine website mit einem neuen “hälge”, dem träfen elch aus den schwedischen wäldern, ergänzt. so kann man ganzjahresstimmungen im norden minutiös mitverfolgen.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung in den montaten juni und juli ’06

weiachblog
unverändert unschlagbar das beste, was es für politisch-historisch interessierte stadt- und dorfwanderer gibt. ich bewundere die gabe, auf fast nichts, nichts weniger als eine täglich spannende kolumne schreiben zu können.

stadtwanderer

meinen autonomen nachvollzug nachvollziehen

6. dezember 1992

tag der ewr-entscheidung. knapp “nein” beim volksmehr; eindeutig “nein” beim ständemehr. tiefer röschti-graben. grosse niederlage des bundesrates. kometenhafter aufstieg der nationalkonservativen rechten; svp referendumsfähig – auns aussenpolitisches mass aller dinge.

erste hochrechnung für die srg medien. nein, die verantwortung übernehme er nicht, das sei aufgabe des bundesrates. das bleibt mir von christoph blocher, als ich im tv studio neben im stehe. sehe staatssekretär blankart, mit stoischer miene, und den desorientierten bundesrat am bildschirm.

schlafe am abend ein wenig. ein journalist aus der romandie ruft an und beschimpft mich: “du bist auch so ein toto, ihr seid alle verrückt!” das trifft den romand in mir hart. schlafe nur noch wenig in dieser nacht; bin stark aufgewühlt.

verarbeite das abstimmungsergebnis. konzentration auf innenpolitik, weg von der geplanten europapolitik. beruflich ist mein autonomer nachvollzug ein erfolg.

auch die svp hat erfolg, wachstumsraten wie niemand sonst; europapolitisch sieht sie aber zwischenzeitlich nur die rote karte.


heute sitzungszimmer im volkswirtschaftsdepartement, früher headquarter der staatssekretär mit europa-mission

6. dezember 2006

niemand erinnert sich an die damalige ewr-entscheidung; verschüttet, vergessen, verdrängt.

selber bin ich zu einer besprechung im bundeshaus ost. die neue volkswirtschaftsministerin doris leuthard ruft. werde vom weibel ins sitzungszimmer begleitet, – ins umgebautes büro der frühreren staatssekretäre. hier also sass franz blankhart, als er es vor 14 jahren erfuhr.

erinnerungen werden wach. was ist aus der schweiz geworden? was aus dir?

glaube nicht mehr an den eigenständigen eu-beitritt der schweiz; und katastrophenszenarien als hebel hierzu sind nicht mein ding. war anfänglich gegen die bilaterale. autonomer nachvollzug erschien mir unwürdig. habe das heute für die schweiz akzeptiert, – und komme mir heute manchmal wie der letzte befürworter vor.

weihnachtsgrüsse und büchergutschein, man wisse es, ich lese gerne!

ja, und ich erwandere ich seit drei jahren die stadt. seit christoph blocher bundesrat ist und die verantwortung doch mitträgt.

habe in dieser zeit viele tolle, neue bekanntschaften gemacht, mit aus- und inländischen freunden, interessierten und professionellen. führe sie gerne durch bern und die romandie, die seit jeher europäischer sind oder sich geöffnet haben.

halte selbst als stadtwanderer stets positive vorträge zur direkten demokratie. und blogge gerne dazu: meist treffe man die richtigen entscheidungen. viele meinungen zu einer frage können sich nicht irren, schrieb ich jüngst.

auch der stadtwanderer hat den autonomen nachvollzug nachvollzogen. “du bist gerade dadurch unpolitischer geworden”, sagt mein umfeld.

“ich weiss”, antworte ich, denn mit meinen gefühlen zum 6. dezember 1992 bin ich immer noch nicht im reinen! soweit ist der

stadtwanderer

mein barbora-tag

heute ist barbara-tag. bei mir ist das der barbora-tag. warum erzähl ich gleich!

die heilige barbara ist in unseren breitengraden mit der pest populär geworden. seit dem 14. jahrhundert ist sie die schutzpatronin der sterbenden, und sie wird in der regel mit kelch und turm dargestellt. der kelch ist das symbol für die letzte kommunion, welche die sterbenden von ihr erhalten. im spätmittelalter wurde die katholikin so beliebt, dass man sie zu den 14 nothelfern aufnahm; das waren 2 mal 7 schutzheilige, welche volkstümliche verehrung fanden, dafür in allen schwierigen lebenslagen helfen sollten.


barbara mit der christlichen turm/kelch-symbolik

das märtyrium der christin barbara

der legende nach war barbara die tochter des reichen griechischen kaufmanns diocuros, der in nikomedia, dem heutigen izmid am bosporus, lebte. sie selber soll von überragender schönheit, gelehrtheit und überragendem verstand gewesen sein. deshalb liess der konservative vater die tochter in einen turm einsperren, um sie vor jungen bewerbern zu schützen. anders als ihr vater – ein getreuer anhänger traditioneller römischer sitten – neigte die tochter zum christentum, das damals aufkam, aber noch keine anerkannte religion war. während einer reise des vaters liess barbara den turm, indem sie lebte, umbauen; er erhielt, gut sichtbar, ein drittes fenster. dem vater gestand sie, das als zeichen der christlichen dreifaltigkeit von gott vater, sohn und heiligen geist veranlasst zu haben. selber habe sie die christliche taufe empfangen.


die hinrichtung von barbara von nikomedia durch ihren egienen vater im jahre 306, darstellung aus dem 15. jahrhundert

wegen ihrer abtrünnigkeit von römischen sitten wurde barbara gefoltert, verstümmelt und zur schau gestellt. dabei soll sie von einem engel geschützt worden sein und überlebt haben. der römische statthalter von nikomedia befahl darauf hin 306 nach christus ihren tod durch das schwert, den der vater selber vollstreckte. der legende nach verstarb auch er unmittelbar danach, von einem blitz getroffen.

die christenverfolgung unter römischen kaisern

um die umstände barbaras leben zu verstehen, muss man ihren märtyrertod in die römische geschichte des 3. und 4. jahrhunderts einordnen.


nikomedia, das zentrum der christenverfolgung unter diokletian, wo auch barbara bis 306 lebte, liegt am östlichen bosporus, und heisst seit der osmanischen eroberung izmid (nicht zu verwechseln mit izmir am mittelmeer)

alles begann mit einem paukenschlag. kaiser valerian unterlag mitte des 3. jahrhunderts gegen die perser und verstarb in gefangenschaft. im westen des riesigen reiches brach darauf hin der fast flächendeckende einfall der germanen aus. sonderreiche mit usurpatoren entstanden in ost und west. damit verbunden brach eine massive religiöse krise aus, die den glauben an die traditionellen götter erschütterte.

erst unter kaiser diokletian gelang es, das reich von grund auf neu zu organisieren: höhepunkt dieser entwicklung war die 293 eingeführte tetrarchie, mit dem der senat in rom ausgeschaltet und eine eigentliche monarchie eingeführt wurde. ein kaiserkollegium, bestehend aus je einem augustus in ost und west und je einem stellvertreter, caesar genannt, führte das heer und die verwaltung, resp. verteidigte die jeweiligen grenzen gegen perser und germanen.

gleichtzeitig restaurierte diokletian den alten götterglauben, das eherecht und verlangte, abweichler und ungläubige zu verfolgen. so liess er 303 die christliche kirche neben dem kaiserpalast von nikomedia zerstören und löste damit eine welle der christen verfolgung aus. unter maximinus, dem caesar für den osten, entwickelte sich diese zum religiösen fanatismus. in jeder provinz wachte ein römischer oberpriester darüber, und in jeder stadt gab es einen römischen priester, der den aufkommenden vorstehern der christlichen gemeinschaften paroli bieten sollte. beliebt war es, die ganze bevölkerung zum opfern von tieren und getränken aufzurufen; wer sich widersetzte, risikierte viel: er oder sie wurde verfolgt, gefoltert oder hingerichtet. wer das überlebte, wurde häufig zu zwangsarbeit, vornehmlich in bergwerken, verpflichtet. höhepunkt dieser entwicklung war das jahr 306.

die volkstümliche erinnerung an barbara

die erinnerung an barbaras leid blieb wach. die katholische kirche erreichte nur 7 jahre nach ihrem tod die anerkennung als römische religion. kaiser konstantin stützte sich ausdrücklich auf sie, um das machtsystem von diokletian rückgängig zu machen. kaiser theodosius erhob das christentum am ende des 4. jahrhunderts gar zur einzig anerkannten staatsreligion. und nach dem untergang des weströmischen reiches trat das papstum an seine stelle.

in rom in der kirche st. maria antiqua entstand 705 nach christus das erste bild von barbara. Beliebt wurde sie im 14. jahrhundert, als die pest das heilige römische reich, wie es sich zwischenzeitlich nannte, erschütterte. seither umranken zwar viele legenden die figur barbaras, doch ist sie aus dem volksleben nicht mehr wegzudenken. licht und obstzweig sind zu ihren neuen symbolen geworden.


gothische kirche von kutna hora, im böhmischen bergbaugebiet speziell der svata barbora geweiht

besonders in sachsen, schlesien und böhmen wurde barbara die schutzpatronin der bergleute. wie die heilige in ihrem turm eingesperrt war und nach licht dürstete, dürsten die bergleute bis heute in ihren engen stollen nach dem barbara-licht. in böhmen wiederum heisst barbara barbora. das ist noch viel spezieller!

und das führt mich zu meinem barbora-tag. so werde ich am abend, dem brauchtum folgend, einen zweig von einem obstbaum schneiden gehen, in eine vase mit warmem wasser stellen und hoffen, dass der zweig mit neuem leben erfüllt wird.


obstzweige als volkstümliche barbara-symbolik

die katholische kirche sieht das als beginn des advents, der rückkehr christus, um die welt zu erlösen. selber zweifle ich ein wenig daran, denn die symbolik des turm kann man auch anders deuten: dieser schützte barbara nicht davor, dass sie mit obstzweigen in berührung kam. so stark ist die natur. und das ist das geheimnis des immer wieder erwachenden lebens, das sinnbild für menschliches reifwerden. wie in einem zweig sind auch in jedem menschen vielfältige entwicklungsmöglichkeiten verborgen. es kommt nur darauf an, jene lebensbedingungen zu finden, die die anlagen zum blühen bringen.

stadtwanderer

ps:
zwischenzeitlich habe ich kutna hora und die kirche, die der heiligen barbora gewidmet ist, selber besucht; hier mein bericht.

auch aristoteles wäre für den berner baldachin gewesen

lange habe ich mir überlegt, meine demokratietour durch bern jeweils auf dem bahnhofplatz zu beenden. genau dort, wo gemäss volksentscheid bald der baldachin stehen soll, aber auch genau dort, wo gemäss regierungsstatthalter, dem denkmalschutz mehr gewicht beigemessen werden soll.

ich habe mich anders entschieden. meine demokratiefreunde wollte ich weder verwirren, noch überfordern. die fans der direkten demokratie wollte mit einer hiobsbotschaft nicht voreilig verunsichern, und ihre kritiker wollte ich ebenso wenig mit einer hängepartie aufmuntern, wege zu suchen, volksentscheidungen wieder umzustossen.


platon forderte, dass die philosophen die politik leitenden sollten, denn das volk sei unwissend

der positive entscheid des kantons

nun hat die bau-, energie- und verkehrsdirektion den kanton bern den rekurs des rekurses gegen den volksentscheid gutgeheissen. dieser hatte alleine mit dem denkmalschutz argumentiert, der von lokalen bestimmungen bis zur unesco-kommission für das weltkulturerbe den entscheid des regierungsstatthalters erzwingen würde. damit ist das letzte wort positiv gefallen, ausser die evangelisch-reformierte kirche berns fechte den entscheid des kantons beim verwaltungsgericht an oder die unesco komme auf ihren entscheid zum weltkulturerbe in bern zurück.

merken werde ich mir aber für künftige touren die begründung des entscheides. sie basiert auf drei elementen: dem denkmalschutz, der volksabstimmung und dem öffentlichen interesse. entscheidend ist folgender, vom bundesgericht geschützter satz: massnahmen des denkmalschutzes dürften nicht nur im interesse eines begrenzten kreises von fachleuten getroffen werden, sondern müssten auch von einem grösseren teil der bevölkerung bejaht werden.

bezweifelt wird in der begründung des kantons, dass der kleine kreis von fachleuten eine eindeutige meinung habe, weil andere gutachten als das vom regierungsstatthalter nachträglich bestellte zu einem gegenteiligen schluss gekommen seien. den volksentscheid wiederum sieht der kanton als genügendes indiz, dass eine mehrheit der bevölkerung genau gleich das eigene oder öffentliche interesse über jenes des denkmalschutzes stellt.


aristoteles vertraute darauf, dass sich die meinungen vieler nicht irren, und stellte sich so gegen seinen lehrer platon

meine würdigung

dem kann ich mich anschliessend. platon argumentierte zwar noch, dass die philosophen könige sein müssten, um über den meinungen des volkes im wissen um das richtige weise entscheidung treffen zu können. dieser gedanke lebt heute noch in den köpfen von verfassungsrichtern und regierungsstatthaltern weiter. doch schon platons schüler, aristoteles, stellte den entscheid vieler über jene des einzelnen, wenn sie in kenntnis der argumente dafür und dagegen beschliessen würden und die mehrheit obsiege. das wiederum lebt in der institution der direkten demokratie, den theorie der meisten politologen der schweiz und auch im gefühlt des stadtwanderers weiter.

minus x minus gibt plus, habe ich in der mathematik gelernt. ein entscheid gegen einen entscheid zu einem entscheid gibt wieder den ursprünglichen entscheid, könnte man das ins heutige politische übersetzen. natürlich hätte man das auch einfacher haben können, wäre gar kein aufwisch gegen den volksentscheid erhoben worden, der einen weiteren aufwisch auslöste.

hoffentlich sieht das der evanglisch-reformierte kirchenbund auch so und schliesst sich die unesco-kommission des welterbes dem auch an. sonst habe ich bei meinen ausländischen demokratiefreunde ganz sicher einen erklärungsbedarf!

stadtwanderer

saisonende

nun ist die stadtwanderer-saison 2006 definitiv zu ende! doch keine angst: ich komme wieder. und das mit verbessertem angebot. ich werde dafür den winter hindurch auch hart arbeiten. und auf dem blog über meine neuen einsichten regelmässig berichten …


die letzte tour der saison 2006: demokratiefreunde aus st. petersburg auf der berner stadtwanderung (foto: bianca rousselot, anclickbar)

es war überraschend warm, am späten nachmittag des letzten freitags. nach einige verrregneten touren diese saison stand ein versönlicher ausklang an. zu besuch waren demokratie-aktivistinnen aus st. petersburg. sie repräsentierten die neuen und alten eliten russland, die politik betreiben und sich mehr demokratisierung ihres staates und ihrer gesellschft wünschen. sie waren aus der politik, der sozialforschung, der administration, und sie repräsentierten auch die russische zivilgesellschaft.

ich habe ihnen eine kurzfassung meiner demokratiegeschichte erzählt: wie aus der patrizischen herrschaft des 18. jahrhunderts und der opposition hierzu die liberale bewegung entstand, wie sie demokratievorstellungen in der bürger- und bauernschaft entwickelte und einführte, wie der parteienstaat mit rechten und linken durch die institutionalisierung der bewegungen aufkam, und wie aus den akteuren mit bewegungen und regierung, direkte bürgermitsprache und interessenorganisationen, parteien und parlemaneten ein politsiches system geformt wurde, das beträchtliche leistungen aufzuweisen hat, sowohl in der befriedung der tiefgreifenden politischen konflikte, als auch in der regelung zentraler themen der politik.

die themenführung wurde von vladimir, einem teilnehmer, konsekutiv vom deutschen ins russische übersetzt. brilliant, sag ich da. ich war schlicht verblüfft, wie locker der studierte naturwissenschafter alles übersetzte, und wie gut er sich über die schweiz, ihr politisches system, ihre geschichte und ihre exponentInnen auskannte. ich habe sogar erlebt, dass ich mal eine frage nicht beantworten konnte, was doch eher selten vorkommt: auf besonderes interesse stiess bei unseren teilnehmenden, dass im ancien regime politische ämter teilweise aufgrund einer auslosung verteilt wurden. was der genaue sinn hiervon war, wie das im detail ausgestaltet wurde und was für effekte sich aus dieser lotterie ergaben, konnte ich “freien fusses” nicht ausführen. werde dem aber nachgehen!

dis anschliessende präsentation von bianca rousselot zu eben diesem politischen system fordert die teilnehmenden nochmals. die anschliessende diskussion mit rolf büchi von iri-europe und werner bussmann von der bundesverwaltung war das eigentliche highlight. am meisten intessierte sich unsere gäste überraschenderweise für ombudspersonen im politischen system der schweiz. darin sahen unsere gäste ein möglichkeit, den einfluss der bürgerschaft gegenüber der staatsmacht schnell erhöhen zu können. direkte demokratie ist für sie eher eine mittelfristige perspektive, um die staatsmacht zu steuern.

besonders gefreut hat mich das kleine lob und das kleine präsent, das ich zum abschluss bekommen habe: der jahreskalender über st. petersburg mit sehr schönen bildern der wichtigsten brücken der grossstadt hat mich als symbolischen brückenbauer natürlich angesprochen. und die nachfrage, wie es möglich sei, stadtgeschichte so umfassend zu memorieren und klar zu erzählen, habe ich natürlich gerne gehört.


keine angst, ich mache nur kurz pause. zur stadtwanderer-saison 2007 komme ich in verbesserter form wieder! und auf dem blog berichte ich über meine vorbereitungen (foto: bianca rousselot, anclickbar)

tja, wie man das macht, erzähle ich meinen getreuen blog-lesern ein ander mal! jetzt ist, wie gesagt, saisonende!

eine kurze weile der ruhe wird mir gut tun, um mit vollem elan in die vorbereitung der stadtwanderer-saison 2007 zu starten!

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