hauslehrer hofmeister hegel

wem ist hegel kein begriff? der schlage unter georg wilhelm friedrich hegel, 1777-1831, nach. und mache eine erstaunliche entdeckung: der grosse philosoph des deutschen idealismus lebte von 1793 bis 1796 als hauslehrer der familie von steiger in bern und in tschugg. eine erkundungsreise des stadtwanderers, was er dabei trieb und wie es ihm erging.


junkerngasse 51: das traditionsreiche haus der von steigers 1793-1806, den hausherren von georg hegel, während seinen berner jahren als hauslehrer (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

der revolutionäre funke


am 20. september 1793 bestand hegel das abschlussexamen in tübingen. dort hatte er am “stift” theologie studiert. als georg mit dem studium angefangen hatte, war die pariser bastille gestürmt worden; volksaufstände erschütterten das land, der kampf gegen den adel und dessen feudalsystem begann, frankreich zu erschüttern. die menschenrechte wurden erklärt. die nationalversammlung tagte, und die bürgerInnen übernahmen die herrschaft.

auf den jungen studenten wirkte das faszinierend. georg schloss sich einer verbindung von kommilitionen an, die sich als revolutionäre verstanden, ja, selbst jakobiner nannten sie sich, noch bevor der könig hingerichtet, und die republikanische verfassung in kraft trat. doch damit war man noch lange nicht am ende. die montagnards, die revolutionären hinterbänkler in der nationalversammlung übernahmen die macht, und stützten die gemässigten girondisten; die aufstände der bauern beginnen sich gegen die revolutionäre selber zu wenden.

georg hegel beendete in diesen tagen sein studium der theologie. er geht nach stuttgart, um sich bei seinen eltern zu erholen. fast wäre sein theologisches studium wertlos geworden. denn am 7. november 1793 überstürzen sich die ereignisse in paris: der konvent erklärt das christentum für abgeschafft! man ersetzt den gregorianischen kalender mit all den katholischen feiertagen durch den revolutionären. es lebe das fest der vernunft, ruft man in paris aus.

derweil befand sich georg hegel auf dem weg nach bern. in stuttgart hatte ihm der wirt seine lieblingswirtschaft eine stelle vermacht. hauslehrer sollte er werden; aber bei einem partizier!

immerhin war man allseits protestantisch, lutheraner der deutsche student, reformiert der dragonerhauptmann, bei dem hegel einheurte. die förderung der bildung beider kinder des hauses wurde ihm für drei volle jahre übertragen. im winter würde man in der stadt leben, an der soeben erworbenen junkerngasse 51; im sommer aber würde man auf der campagne der familie in tschugg sein, die man geerbt hatte. da würde hegel hofmeister sein, – und er würde genügend zeit für sein selbststudium haben.


steigerhaus: campagne der von steigers, in der georg hegel im sommer als hofmeister lebte (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die geistige nahrung


3841 bände umfasste die bibliothek der familie von steiger. mit dem amtierenden schultheissen war man nicht direkt verwandt; aber man kannte sich allseits, in der kleinen hauptstadt der republik. das meiste an büchern im steigerhaus war zur politischen philosophie aus der antike und aus dem mittelalter. der grossvater von karl friedrich, dem hausherren, war der erste berner schultheiss aus der familie und hatte sich interessiert resp. engagiert; der bestand hielt den vergleich mit jeder anderen privatbibliothek auf diesem gebiet aus.

hegels anwesenheit im patrizischen bern entbehrte nicht einer gewissen ironie. in der familie von karl friedrich von steiger war man zwar für neue, liberale ideen einigermassen offen. man kannte die kritiken am bestehenden system. doch blieb kein zweifel, dass man selber ein zentraler teil des alten, konservativen systems war, von dem auch der junge hegel schlecht, aber gerade recht profitierte.

kam war hegel in bern, spürte er seinen widerstand gegen die lokale aristokratie. er schloss sich gedanklich bald den waadtländischen oppositionellen an. so übersetzte er die schriften von jean-jacques cart ins deutsche und versah sie mit einem wohlwollenden kommentar. eine regelrechte abrechnung mit der berner oligarchie war das!

doch hegel sagte in seinem herrenhaus niemand nichts davon; erst 1798, als die französischen truppen das ancien régime gestürzt hatten, wurde das buch gedruckt, – und über 100 jahre blieb unerkannt, wer und wo die übersetzung besorgt und die kommentare verfasst hatte.

einer der aufkommenden politiker war hegel nicht. er war eigentlich immer noch student. er wollte professor werden. doch fehlte ihm dazu das geld; viel verdient hatte er mit seiner famosen anstellung nicht, jedenfalls würde es nicht reichen, um eine universitätskarriere anzustreben.

dafür las der student umso mehr. ausgiebig war das studium von montesquieus “esprit des loix”, aber auch die denker der naturphilosophie, der politischen philosophie und der aufkommenden ökonomischen und sozialen fragen wie grotius, hobbes, hume, leibniz, locke, macchiavelli, rousseau, spinoza, thucydides und voltaire gehörten zum stoff, von dem hegel nun lebte.

zwischenzeitlich war die revolution in frankreich, mit dem man in bern auf vielfältige art und weise verbunden war, nicht still gestanden. danton, der warnende revolutionär, war guillotiniert worden; danach war robespierre zum eigentlichen diktator aufgestiegen, – bis auch er von den revolutionären hingerichtet wurde. danach lage der konvent in den letzten zügen.


die alpen: hegels sehnsucht im sommer 1796 (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die selbstzweifel

hegel genügte das leben auf der tschugger campagne bald nicht mehr. im sommer 1795 verschaffte er sich erstmals abwechslung von seinem leben als hofmeister. er reiste nach genf, das sich der revolution angeschlossen hatte. das gab dem jungen philosophen auftrieb, denn im sommerlichen tschugg plagten ihn selbstzweifel. angesichts des lebens bei den verhassten aristokraten soll er bisweilen zynisch, bisweilen auch depressiv gewesen sein.

im winterlichen bern gefiel es hegel besser; er hatte anschluss gefunden an intellektuelle kreise. nach dem besuch von des philosophen johann gottlieb fichte 1793 in der hauptstadt der alten republik hatte sich unter der leitung des schriftsteller johannes baggesen ein diskussionszirkel zusammengefunden, der die prinzipien der französischen revolution und ihre folgen für theologie und philosophie behandelte. kontakte ergaben sich so auch zum “politischen institut” der berner akadamie, an dem die kantianer joseph ith und philip albert stapfer unterrichteten. besonders befreundet war hegel damals mit dem maler sonnenschein, ebenfalls am politischen institut tätig.

1796 überbrückte hegel den sommer in tschugg mit einer ausgedehnten reise ins berner oberland, von der er in seinem tagebuch ausführlich berichtete. schliesslich nutze er seine kontakte mit ehemaligen kommilitonen und mit jungen autoren wie hölderlin und schelling, die er sich im briefwechsel erarbeitet hatte, um seine rückkehr nach deutschland vorzubereiten.


tschugg heute: der philosophische garten als teil einer klinik (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die revolution ist tot, ihr geist aber lebt weiter

die revolution in frankreich hatte zwischenzeitlich ein neues, bürgerliches gesicht erhalten. es regierte das direktorium in paris. ihm stand der mächtige rat der 500 gegenüber. und dieser wusste, dass man im krieg, in dem man sich mit der aristokratischen opposition befand, nur dank den armee überleben würde. und hatte sich vor allem einer empfohlen: nabulione buonaparte, der korse, der auf den feldern der artillerie und der politik von sieg zu sieg eilte, und die verbliebene revolution jetzt mehr stützte als hegel.

im oktober 1796 verliess hegel, reich an eindrücken aus der steiger-bibliothek, seine stelle als hofmeister und hauslehrer in der bernischen repubik. der tod seines vaters nach seiner übersiedlung nach frankfurt vermachte hegel ein kleines vermögen, mit dem er seine promotion berappen konnte. seine beispielslose karriere solle mit der eines philosophieprofessors in berlin enden. unterbrochen wurde sie aber in jena, wo hegel eine vorläufige stelle als professor angenommen hatte. 1806 beendete er seine phänomenologie des geistes mit dem besuch des einzugs französischer truppen in die stadt. vor dem chaos, das jetzt entstand, verzog er sich aber nach bamberg, nürnberg und heidelberg, bis er endlich als nachfolger von fichte 1818 nach berlin berufen wurde.

der hauslehrer von bern war nun zum populären universitätslehrer georg wilhelm friedrich hegel avanciert. der unterrichte keine kinder mehr, und der hatte auch seine selbstzweifel abgelegt. er war jetzt der öffentliche star des preussischen staates, dessen jugend und staatsbeamte er in philosophischen fragen beriet. mit dem weltgeist der dragonerpferde hatte er sich zwischenzeitlich arrangiert.

der revolutionäre geist, den die bibliothek von tschugg im doktoranden hegel genährt hatte, entzündete sich erst dessen tod wieder: karl marx, der linkshegelianer unter den deutschen philosophen, nahm den faden auf, und berief sich ausdrücklich auf die politische theorien, die hegel auf der berner campagne eher heimlich als öffentlich entwickelt hatte. nur musste man sie zuerst noch vom kopf auf die füsse stellen, das heisst von der theorie in die praxis überführen!

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