finale! – finale? – finale!

letzte station meiner stadtwanderung zur demokratiegeschichte in der schweiz

station 9: “vom freisinn zur parteien- und direktdemokratie”
station 8: “die referendumsdemokratie”
station 7: “typisch schweizerisch”
station 6: “schnelle und snelle im werdenden bundesstaat”
station 5: “der liberale umschwung”
station 4: “politisierte philosophen”
station 3: “der gar nicht so harmlose stecklikrieg”
station 2: “der untergang des alten bern”
station 1: “politische kulturen und politische herrschaften”

die konsensdemokratie

finale! – die konsensdemokratie der schweiz ist aus dem geist des zweiten weltkrieges entstanden. der parlamentarismus war durch das vollmachtenregime weitgehend ausser kraft gesetzt worden. 1939 fanden angesichts des ausbrechenden weltkrieges gar keine parlamentswahlen statt; das alte parlament delegierte einem ausschuss die voll macht, in seinem namen zu entscheiden. auch die direkte demokratie war während des krieges ausser kraft gesetzt worden. es gab keine volksabstimmungen, – auch in der schweiz nicht! schliesslich wurde der klassenkampf zwischen fabrikehrren und arbeitern durch die sozialpartnerschaft moderiert. die arbeitnehmer, wie die arbeiter hiessen, verzichteten auf den streik; die arbeitgeben, wie man die fabrikherren nannte, auf aussperrung. vielmehr sprachen man, dem vorbild in der lebenswichtigen maschinenindustrie von 1937 folgend, regelmässig miteinander und verhandelte die verschiedenartigen interessen unter sich. 1943 wurde die bürgerliche regierung umgestaltet; der erste sozialdemokrat, der berner professor max weber, wurde in den bundesrat aufgenommen.

nach dem zweiten weltkrieg wäre die landesregierung gerne zu einem erweiterten system von vor 1848 zurückgegangen. eine volksinitiative, welche die wiedereinführung der direkten demokratie verlangte, empfahl man zur ablehnung. ein repräsentatives system, gestärkt durch den verfassungsmässigen verbandseinfluss, wurde angestrebt. der zivilgesellschaftliche diskurs sollte bleiben, aber nicht durch volksrechte im willensbildungsprozess institutionalisiert sein.

regierung und parlament wurden eines bessern belehrt. 1947 entschied sich das stimmvolk, zur direkten demokratie zurückzukehren. es hat damit dem beweis erbracht, dass volksrechte, einmal eingeführt, nicht ohne besondere not zurückgenommen werden können! nun stellte sich also die frage nicht, ob ein parlamentarisches system der repräsentativen demokratie durch institutionalisierte volksmitsprache ergänzt werden solle oder nicht. es stellte sich die frage nach dem mix von volksrechten und konsensdemokratie. die antwort war – und ist! – nicht eindeutig, aber mehrheitlich! ich will mich erklären!

die zauberformel

1953 trat der einzige sozialdemokrat im bundesrat nach einer verlorenen volksabstimmung zurück. er sah keinen handlungsspielraum mehr zwischen bürgerlicher mehrheit in der landesregierung, welche seine finanzpolitik bestimmte, und dem wiederstand unter den stimmenden, die sich darum nicht kümmerten. der bundesrat bestand wieder aus drei fdp, drei kk und 1 bgb vertreter. bis 1959 kombinierte man also die direkte demokratie mit einem regierungs- und oppositionssystem. die sp war keine regierungspartei. Von 1959 bis 2003 änderte man das: die ausgebauten volksrechte wurden nun mit einem allparteienregierung kombiniert, welche die vier parteien, die unter den bedingungen des proporzwahlrechtes entstanden waren, entsprechend ihren wähler-anteilen in der bevölkerung im bundesrat und anderen wichtigen politischen gremien repräsentierte, sie aber auch zu einem gemeinsamen vorgehen verpflichtete. der bundesrat bestand nun aus je zwei vertretern der fdp, der kk, später cvp genannt, und der sp, sowie einem repräsentant der bgb, später svp genannt. 2003 wich man davon einen schritt ab, als man zwar die erstarkte svp zu lasten der geschrumpften cvp im bundesrat stärkte, die proporzionalität im bundesrat aber rein numerisch definierte, nicht mehr inhaltlich. jeder bundesrat, neuerdings auch jede bundesrätin soll die anliegen ihrer partei im bundesrat durchsetzen!

das system der propozionalität der landesregierung wurden 1959 von der damaligen katholisch-konservativen partei. martin rosenberg, der damalige generalsekretär der kk, ging noch jeden morgen höchst persönlich die post abholen. im raum mit den schliessfächern begegnete er am morgen früh gelegentlich dem generalsekretär der sozialdemokraten. das bot gelegenheit, ausserhalb von parlamentarischer und medienöffentlichkeit die informellen postfachgespräche zu eröffnen. dabei wurde 1959 der plan entwickelt, die sp wieder in die landesregierung aufzunehmen, und zwar gestärkt. man vereinbarte nach den parlamentswahlen von 1959, dass die kk zunächst auf einen ihrer bundesratssitze zugunsten der sp verzichten würde; diese sollte dann mit der kk zusammen auch einen fdp vertreter abwählen.

cordergründig waren fdp und kk die verlierer der wahl. hintergründig hatte aber nur die fdp verloren. bis 1959 hatte sie, alleine, oder mit der bgb, die aus ihr hervorgegangen war, immer eine mehrheitlich in der landesregierung gehabt. 111 jahre regierungsverantwortung gingen aber mit der historischen wahl von 1959 verloren. die zauberformel wurde geboren; kk hatte nun zwei handlungsmöglichkeiten: mit den bürgerlichen parteien zusammen konnte sie wirtschafts- und finanpolitik betreiben; zusammen mit der sp, mit der sie auch eine mehrheit hatte, war es aber möglich, sozial- und infrastrukturpolitik zu betreiben. zudem war das system der direkten demokratie nun mit einer ausgesprochenen proporzional arrangierten regierung kombiniert worden.

die erfolge sind beträchtlich: wirtschaftlich war es eine blütezeit; arbeitskräfte wurden mangelware. die soziale sicherheit, vor allem die alters- und invalidenversicherung konnten ausgebaut werden. die staatlichen dienstleistungen wurden modernisiert und fand reichlich nachfrage. Autobahnen erschlossen das land von neuem, und föderten so eine bis anhin unbekannte mobilität auf kleinem raum.

die sozialpartnerschaft regelte wirtschaftlichen interessengegensätze; und die zauberformel vereinigte rund 80 prozent der wählenden im bundesrat. da konnte man sogar das wahlrecht ausbauen: das frauenstimmrecht wurde 1971 eingeführt; das stimmrechtsalter wurden 1991 auf 18 jahre gesenkt. opposition gab es dazu lange nur wenig: der landesring der unabhängigen, in den 30er jahren als partei der konsumenten, finanziert von einem grossverteiler, entstanden, kam als stärkste partei, die nicht im bundesrat vertreten war, nie über 10 Prozent wählerInnen landesweit. die neue linke, die im gefolge der 68er bewegung entstanden war, änderte zwar das wertesystem nachhaltig; parteipolitisch blieb sie aber bedeutungslos. und die xenophobe rechte, die sich an der wirtschaftlich bedingten einwanderung störte, blieb kam dank einer volksinitiative einmal auf fast 50 Prozent; im parlament blieb sie aber non-valeur.

in den 80er jahren entschied der bundesrat die schweiz, die noch im geist des kalten krieges verharrt hatte, zu öffnen. der uno wollte man 1986 beitreten, und für den europäischen wirtschaftsraum als vorstufe zur eu-mitgliedschaft machte man sich 1992 stark. in beiden fällen scheiterten regierung und parlament in der referendumsabstimmung. 2001 gelang es, ein moderateres eu-programm mit den bilateralen verträgen durch parlament und volksabstimmung zu bringen; und 2002 gelang auch der beitritt der schweiz zur uno dank einer volksinitiative, welche auch die regierung befürwortet hatte.

die formel(n) ohne zauber

dennoch ist das parteiensystem der schweiz seit den 80er jahren erschüttert und erneuert worden: die frauen sind als politisch kraft hinzugekommen. zuerst verhielten sie sich eher konservativ, seit mitte der 80er jahren indessen eher progressiver und ökologischer als die männern. sie haben einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass die umweltbewegung, durch die waldsterbedebatte lanciert, mit den grünen partei einen politischen sprecher erhalten hat, der auch auf andere parteien abgefärbt hat. die ökologisierung der politik forderte den widerspruch der autofahrer heraus; 1987 entstand als schweizer unikum die autopartei, die sich später in freiheitspartei umbenannten, aber nicht auch damit ihren niedergang nicht verhindern konnte. seit 1991 setzte die svp, die ehemalige bgb, zu einem für schweizerische verhältnisse einmaligen aufstieg als rechtspolustische partei mit nationalkonservativem wertemuster an. noch ist nicht sicher, ob dieser aufschwung 2003 mit dem einzug des vormaligen oppositionsführer christoph blochers in den bundesrat gestoppt werden konnte.

unsicher ist auch, wie das verhältnis von direkten demokratie, verbandsdemokratie, parteiendemokratie, mediendemokratie und konkordanz inskünftig ausgestaltet sein wird. die meisten politikwissenschafter neigen dazu, einen recht engen zusammenhang zwischen ausgebauten volksrechten, konkordanzregierungen und politischer stabilität zu sehen. nur wenige befürworten ein regierungs- und oppositionssystem, bei gleichzeitig ausgebauten volksrechten. doch gehen die meinungen auseinander, wo konkordanz anfängt und wo sie aufhört. unklar ist, ob es ein gemeinsames regierungsprogramm braucht. offen ist, in welchem masse einzelne mitglieder gesamtentscheidungen mittragen müssen oder auch davon abweichen dürfen. diskutiert wird selbst, elemente des ministerialsysteme in der landesregierung zu etablieren, verbunden mit einem gestärkten präsidium oder einer erweiterten bundeskanzlei. schliesslich wird auch erwogen, die regierung durch das volk wählen zu lassen, um ihr eine vom parlament unabhängige legitimation wie in einem präsidialsystem zu geben. die diskussion ist lanciert, aber noch nicht entschieden. ob das finale schon erreicht ist, wird bezweifelt.

lob der konkordanzdemokratie als basis der direkten demokratie

die frage, was politisch gerecht ist, wird politisch nie abschliessend beantwortet werden können. die frage aber, was ein gutes politisches system ist, kann man sehr wohl beantworten: die schweiz hat sich stark entfernt vom ancien régime, das zwischen der reformation und dem einmarsch der franzosen 1798 galt. 1848 ist mit der demokratisch ausgestalteten republik eine zukunftstaugliche formel entstanden; in der das republikanische eine wertebasis abgibt, das demokratische die institutionen prägt. die schweizerische gesellschaft konnte konnte durch säkularisierung massiv befriedet werden, selbst wenn der weg teilweise kriegerisch war; heute sind politik und staat nicht ganz getrennt, haben aber verschiedene sphären der einflussnahme: der staat ist laizistisch, die Kultur ist ökumenisch. die Individualiserung ist stark vorangeschritten. nationalparteien, die beanspruchen, das volk alleine vertreten zu können, war für die etablierung des bundesstaates wichtig; sie machen heute keinen sinn mehr. selbst der freisinn ist fast ganz verschwunden, hat dem pluralistischen modell der korporativen interessenartikulation und einen auf 5 parteien angewachsenen parteiensystem Platz gemacht. selbst das milizsystem, das die bürger verpflichtete, nebenberuflich ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen, hat seine limiten erreicht: bürgerpflichten wie militär, steuern werden relativiert; die politik ist schon fast ganz zum bürgerInnenrecht geworden. es entscheidet heute jeder und jede einzeln, ob er oder sie, sich politische engagieren will, und es will eine jede, ein jeder seine meinung frei, aber auf sein art äussern können. sei dies in leserbriefen oder dem eigenen blog, sei dies an der urne, per brief oder bald auch durch e-voting.

direkte demokratie ist in besondere weise geeignet, dieser säkularisierten politik und dieser individualisierten gesellschaft entgegen zu kommen. drekte demokratie schafft eine form der gemeinschaft, die politisch eindeutiger ist als der fussball, die misswahlen und der medientenor. direkte demokratie äussert den volkswillen nicht nur diffus, sondern spezifisch. sie ist nicht nur stimmungsdemokratie. Sie ist knallharte demokratie in der sache. direkte demokratie schafft aber nicht von alleine politische stabilität. die rufer nach volksrechten waren revolutionäre, politisch oppositionelle, ausgeschlossene minderheiten. sie ins politische system zu integrieren geschieht nicht von alleine. es braucht den willen beider seite. es bedingt den willen zur mässigung; die schweiz ist nicht um sonst ein hort des pragamtismus. und es braucht ein sinnvolles institutionendesign.

punktuelle direkte demokratie als erweiterung der repräsentativen demokratie hat sich wenig bewährt. sie neigt zum plebiszit, mit unsicherem ausgang wie die europäischen verfassungsabstimmungen zeigten. denn die seltene möglichkeit, abstimmen zu können, macht aus abstimmungen wahlen zweiter klasse: solche, bei denen man gegen die regierung stimmen kann, ohne dass es direkte konsequenzen hat.

die abstimmungsgeschichte der schweiz lehrt. volksabstimmung sind ein volksrecht, das, einmal gewährt, nicht zurückgenommen werden kann. je mehr volksabstimmung man hat, umso einfacher wird es auch. der mittlere grad an zustimmung zur behördenposition hat in der schweiz mit der intensivierung der direkten demokratie nicht etwas ab-, sondern zugenommen!

deshalb braucht ein system der direkten demokratie artikulationskanäle für die opposition; sie braucht sie auch für die regierung. sie braucht vor allem aber eine gesicherte institutionelle basis: die konsensdemokratie des zweiten weltkrieges ist nicht nötig; die konkorzdanzdemokratie, die kulturelle konflikte, gesellschaftliche interessen und politische einflussnahme regelt, ist aber unverzichtbar. sie regelt den sinnvollen zugang vieler und verhindert die einflussnahme vieler, in möglichst vielen fragen, die direktdemokratisch entschieden werden sollen!

finale!

stadtwanderer

vom freisinn zur parteien- und direktdemokratie


station 9 meiner stadtwanderung zur demokratiegeschichte in der schweiz

station 8: “die referendumsdemokratie”
station 7: “typisch schweizerisch”
station 6: “schnelle und snelle im werdenden bundesstaat”
station 5: “der liberale umschwung”
station 4: “politisierte philosophen”
station 3: “der gar nicht so harmlose stecklikrieg”
station 2: “der untergang des alten bern”
station 1: “politische kulturen und politische herrschaften”

bern wurde der legende nach 1191 von gegründet. bis 1831 wurde es, mit nur kurzen unterbrüchen, vom stadtadel regiert. uuerst waren sie ministeriale der zähringer, dann junker oder ritter des königs. schliesslich waren sie patrizier in der bernischen republik, die vor allem aus den kaufleuten, geldverleiher und bankiers hervorgegangen waren und sich den staatsgeschäften widmeten. anders als in zürich, das bereits im 14. jahrhundert eine bürgerlichen revolution hatte, welche die zünfte an die macht gebracht hatte, waren in bern, genauso wie in freiburg, solothurn, luzern und basel adelige und bürgerliche schichten während jahrhunderten unterschiedliche stände mit unterschiedlichen rechten gewesen.

1831 dankten die patrizier nicht freiwillig, aber selbständig ab. sie verzichteten nun auf die ausübung der privilegierten politischen ämter. sie machten den bürgerlichen schichten vor allem ausserhalb der stadt im neu gegründeten kanton platz. ihre politische macht in der stadt schwankte erst in den 1870er jahren; dann wurde auch sie vom bürgertum gebrochen. jetzt, wo man sich politisch auf augenhöhe gegenüberstand, konnten burger, wie sich die partizier nannten, und die bürger, die durch die politische mündigkeit entstanden waren, miteinandern feiern. 1891 bot das 700jährige jubiläum der stadtgründung die möglichkeit, alte gräben zu überbrücken erstmals ein gemeinsames fest zu begehen.

geschichtsfeiern mit politischer absicht

die vorbereitungen zur grossen .feier in der bundesstadt nutzte der bundesrat, um eine weitere, schweizerische spaltung zu überwinden. der gegensatz zwischen dem regierenden freisinn, entstanden in den protestantisch-industrialisierten kantonen, und den katholisch-konservativen in den wirtschaftlich traditionell verbliebenen orten, sollte ebenfalls überbrückt werden. die nationalisierung des bundes war seit der verfassung von 1874 fortgeschritten, und der ausgeprägte föderalismus mit kantonen, die den bund formierten, und solchen, die ihm ablehnend gegenüber standen, erwies sich als hemmender faktor beim aufbau nationaler projekte. 1891 erfand man, in anlehnung an der bürgerlich-burgerliche treiben in der stadt, den 600. geburtstag der schweiz. das eidgenössische justiz- und polizeidepartement verlegte gründung des bundes, seit dem 16. jahrhundert auf das jahr 1307 datiert, per dekret auf das jahr 1291, – präzise auf den 1. august. so konnte man eine doppelfeier feiern! vorbei sein sollten die unterschiede zwischen stadt und land, beendet werden sollte die konfessionelle spaltung, und zwischen den modernen und traditionellen ökonomien sollte mit einem nationalen fest ein werden.

1891 wurde der rein freisinnige bundesrat erstmals umgestaltet. die katholisch-konservativen wurde in ihn aufgenommen. einen der sieben räte sollte sie fortan immer stellen. mehr noch: die referendumsdemokratie, von den verschiedenen oppositionen gegen den freisinnigen machtanspruch erkämpft, sollte nun zu direkten demokratie ausgebaut werden. das volk sollte nicht nur nein zu entscheidungen des parlaments sagen können; es sollte auch ja zu volksinitiativen sagen können, die an das parlament herangetragen wurden; die parlamentarische entscheidung sollte so umgangen werden können.

über die einführung dieses zweiten, wesentlichen volksrechtes wurde nie abgestimmt. Es wurde uns geschenkt. Es gehörte zu den versöhnungsgesten, des freisinns an die bisherige opposition. Alles dank dem bundesfeiertag von 1891!

die arbeiterschaft als neue opposition

die opposition bestand 1891 nicht mehr nur aus den aus der französischsprachigen landesteilen und den katholisch-konservativen wie bei der ersten verfassungabstimmung 1871. massgeblich geworden war nun der widerspruch der arbeiterschaft in den industrialisierten orten.

in der zweiten hälfte des 19. jahrhunderts war die arbeiterbewegung entstanden, welche mit dem fabrikgesetz von 1877 einen ersten schritt zur sozialgesetzgebung erkämpft hatte. man war jetzt gewerkschaftlich organisiert, und man hatte die sozialdemokratische partei als politischen arm. Und man hatte seit 1889 weltweit den 1. mai als tag des sozialistischen internationalismus.

zentrales kampfmittel der arbeiterbewegung war der streik, zum beipsiel hier, vor dem käfigturm, zu deutsch eigentlich gefängnisturm. 1893 kam es hier zu gewaltsamen auseinandersetzungen. die arbeiter verlangten höhere löhne und streikten dafür. Die streikposten wurden ververhaften und ins gefängnis gesteckt. Und die belegschaften wurden durch italienische arbeiter ersetzt, die bereit waren, zu tieferen löhnen zu arbeiten. der protest der arbeiter in der stadt wurde mit militärischen mitteln bekämpft. schweizer militär stand schweizer arbeitern gegenüber; es verteidigte schweizer fabrikherren, die ausländische arbeiter beschäftigten. die nationale stimmung von 1891 war dem klassenkampf gewichen!

für die arbeiterbewegung war das eine schwierige situation. die gewerkschaften waren auf soziale errungenschaften aus; die sp auf politische erfolge. Die gewerkschaften scheuten die zuammenarbeit mit dem bürgerlichen staat; die sp nicht, wenn es um den politischen fortschritt ging.

die linke und die direkte demokratie

da die linke in den parlamenten wegen des wahlsystems schwach vertreten, boten die volksrechte gelegenheit, ausserparlamentarisch, aber institutionalisiert korrigierend einzugreifen. die volksinitiative wurde nun zur politischen waffe der sp: man forderte das sozialrecht auf arbeit. man forderte eine volksbank statt einer nationalbank, und man forderte die einführung des proporzwahlrechtes anstatt des geltenden majorzwahlsystems.

bis heute ist die faszination dieses volksrechtes auf die linke geblieben; sie ist die wichtigste trägerin der volksinitiative geworden. dabei darf man nicht übersehen, dass die erfolge eher bescheiden geblieben sind. nur 9 volksinitiative wurden in der volksabstimmung direkt angenommen; die grossen mehrheit ist gescheitert. ein teil davon blieb ohne wirkung, ein teil hat die parlamentarischen beratungen und entscheidungen beeinflusst.

durch die möglichkeiten der direkten demokratie ist die arbeiterschaft politisch reformorientiert geworden; revolutionäre strömungen hatten in der schweizerischen arbeiterschaft nie grosse unterstützung; man war nicht auf den endsieg aus, sondern auf sichtbare erfolge. Die gewerkschaften blieben immer skeptischer gegenüber der bürgerlichen demokratie: auf den streik als kampfmittel wollte vor allem die gewerkschaftliche linke nicht verzichten.

das proporzwahlrecht und das vierparteiensystem

1918 kam es zum grössten streik in der schweizer geschichte: dem generalstreik am ende des ersten weltkrieges. sieben forderungen wurden nun erhoben: unter anderem die einführung einer kollektiven altersversicherung, der übergang vom männer- zum erwachsenenwahlrecht, und die durchsetzung des proporzes, der mit den mitteln der volksinitiative gescheitert war.

nun sollte die linke politische erfolg haben: 1919 wurde die wahl des nationalrates erstmals aufgrund des proporzwahlverfahrens durchgeführt. für die sozialdemokraten war das ein sieg. sie waren jetzt im nationalrat nicht nur eine viel belächelte aussenseiterkapelle. sie waren jetzt die drittstärkste partei.

doch sie waren nicht die einzige neuerung ihrer zeit. wegen dem proporzwahlrecht zerfiel der freisinn aus der staatgründungszeit letztlich in drei richtungen: in die fdp, nun eine rechte, grossbürgerliche partei, in die sp, eine linke partei, die die arbeiterschaft politisch führte, und bgb, die bauern- gewerbe- und bürgerpartei, welche das kleinbürgertum repräsentierte. Sie verstand sich als neue mitte: gegen den kapitalismus der unternehmer, der bankiers und der fdp, aber auch gegen den sozialismus der arbeiter, der gewerkschafter und der sp. noch heute heisst diese partei auf französisch: union démocratique du centre, kurz udc. wir wissen es: auf deutsch ist sie seit 1971 zur svp, zur schweizerischen volkspartei, geworden, welche in den 90er jahren die fdp rechts überholte und heute eine ausgesprochen nationalkonservative politik betreibt. entstanden ist die bgb im wesentlichen in kanton bern. innert 8 jahren stieg sie zur ersten partei des kantons auf, überholte die fdp um längen. fortan sollte sie den berner bundesrat stellen, und bis heute ist die erfolgreiche abspaltung der svp von der fdp im kanton bern nicht überwunden!

vorläufige bilanz: instabilität nach dem ende der freisinnigen vorherrschaft

die umgestaltung des freisinnigen staates von 1848 war in en 20er jahren des 20. jahrhunderts perfekt. Doch war daraus kein stabiles politisches system entstanden: die demokratie geriet auch in der schweiz in eine tiefe krise.

erstens, man hatte ursprünglich nach amerikanischem vorbild eine parlamentarische demokratie geschaffen, mit regierung und opposition, die auf zwei parteien verteilt war. das das demokratische kriterium, der wechsel der mehrheiten, kam nie zusande. majorzsystem sicherte dem freisinn effizient die vorherrschaft, – bis er zerfiel.

zweitens, der zerfall schrittweise mit dem umbau zur direkten demokratie einher. der alte gegensatz zwischen katholisch-konservativen traditionalisten und protestantisch-liberalen modernisten wurde überwunden, um die aufstrebende arbeiterschaft unter kontrolle zu halten. diese hatte sich wirtschaftlich und politisch etablieren können, die soziale frage aufgeworfen und die staatliche macht angegriffen.

drittens, die linke hat als eine ihrer ersten erfolge das proporzsystem für den nationalrat und die kantonalen parlamente realisiert. damit hat sie zur entstehung eines vierparteiensysts beigetragen. nun hatte man seit den 20er jahren des 20. jahrhunderts drei parteien der rechten und der mitte, die man bürgerlich nannte, die der wichtigsten partei der linken gegenüber standen. die linke war die jetzt die opposition, und die bürgerlichen bildeten zusammen die regierung.

viertens, die schweizerische linke war nicht nur auf nationale wahlen angewiesen. sie hatte, der internationalistischen ausrichtung folgend, die streikmöglichkeit, und sie konnte, typisch schweizerisch, mit den erkämpften und schliesslich geschenkten volksrechten drohen. das ist eine effektive form der opposition, welche das funktionieren der demokratie gar in frage stellte. ein stabiles politisches system war daraus nach dem ersten weltkrieg nicht entstanden, – selbst man bis heute den goldenen zwanzigern nachtrauert!

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