mit den füssen denken

wie oft gehen wir durch häuser, über plätze, durch türen, und über land oder durch gassen, ohne zu realisieren, was um uns herum ist?
wie oft übersehen die kunstwerke im öffentlichen raum, leise botschaften der architektur, verwinkelte gedankengänge der stadtplanung?
wie oft sie unseren sinnen geräusche, farben, düfte, aber auch geschmack und wärme egal?
wie oft leben wir unsbewusst?

stadtwanderer wissen um die antwort: oft, zu oft, ja, viel zu oft!


hilfsmittel der empfingung und des intellekts: die füsse sind beim sinnlichen stadtwandern entschidend!

stadtwanderer haben nicht nur gute schuhe. sie brauchen auch ein cleveres köpfchen. sie begehen mit ihren füssen kulturräume, die sie sich so auch mit ihren sinnen erschliessen und mit ihrem intellekt ein grösseres ganze einordnen. stadtwandern heisst: die füsse aktivieren, den körper öffnen und den geist einsetzen! stadtwandern ist ganzheitlich: es ist gehend beobachten, – und es ist für den füssen denken!

bericht von der ersten offen stadtwanderung

gestern war die erste offene stadtwanderung. keine feste gruppe, nur interessierte: es hatte zahlreiche gäste. es kamen aus der flickr-szene litscher und seine frau heidi sowie jungle jill, der mittelalterverein thun war durch christian und heinz vertreten, simon, der sohn des scharfrichter und seine partnerin, die historikerin christine waren dabei, rosalina, die soziologin des öffentlichen lichts in bern erhellte uns, und hans hirter, mein berufskollege im arbeitsalltag wanderte mit. andere wiederum wären gerne gekommen, hatten aber keine zeit; doch sie wollen ein ander mal dabei sein. ih freue mich jetzt schon auf sie!

das klima in der gruppe war toll. man kannte sich anfänglich nicht, doch man wuchs zum team zusammen. gelegentlich bannte dieses gespannt den ausführungen, dann machte die augen wieder eigene entdeckungreisen. man unterhielt sich, half sich aus, wo mal etwas nicht verstanden worden war, oder machte seine kommentare über die ausführungen des vor-stadtwanderers!

am ende war der komplett geschafft. sein körper war müde; sein geist jedoch inspiriert! genau das war das ziel. er hatte sich die grosse stadttour vorgenommen, und mit einigen ausnahmen auch durchgezogen. 8 stunden, nur durch einerkaffee- und eine mittagpause unterbrochen, sind ein starkes stück!

das wetter spielte mit; der morgen war angenehm kühl, der nachmittag ausgesprochen heiss. der wald an der aare hatte uns am morgen vor früher hitze geschützt; die steinstadt gab sie uns am nachmittag unerbitterlich zurückgegeben.

wir sind zuerst hinab gestiegen an die aare, gleichzeitig auch in die tiefenstrukturen des berner raumes. wir haben dann holztreppen erklommen, so wie in dezenten der gründungsstadt. wir haben den zähringischen gründungsplan rekontruiert, und die erweiterungen der mittelalterlichen stadt gesehen. wie sind über pflastersteine gewandert, wie die menschen, die nach der grossen pest noch lebten. und wir haben, wie das seit der automobilisierung üblich geworden ist, die gehsteige und teerstrassen benutzt.

wir waren in adeligen und bürgerlichen vierteln, wir genossen die atmosphäre der lauben. wir waren im klösterli-revier und in der franzosenkirche. der stadtwanderer stand auf dem rathaus und empfahl dem publikum auf dem platz davor: „bern, du hast ein mission, nutze sie!“. wir haben gesehen, wie verschieden dies der landadel, der einheimische geldadel und die fremden kaufleute das in bern gedeutet und symbolisiert haben. und es ist niemandem entgangen, wie diskret der heutige alter reichtum in bern heute gezeigt wird.

schliesslich haben wir wandmalereien bestaunt, katholische und reformierte, authentische und inszenierte. die moderne öffentlichkeit hat sich uns so erschlossen, bis wir vor restaurants dürstend, das finale im regierungsbezirk der bundesstadt erreicht haben. auch ohne eigene zeitung, die zwischenzeitlich anders wohin verkauft worden sind!


erste offene stadtwanderung (foto: litscher, anclickbar)

das stadtwandern war mehr als ein nicht touristischer fussmarsch durch bern. es war auch eine vorgestellte zeitreise. 1500 jahre ereignisse über und in bern, aufteilt auf 8 stunden und 30 stationen. das gibt 15 minuten pro station realzeit und 50 jahre geschichtszeit pro station. das sind im wahrsten sinne des wortes geschichten am laufmeter!

sie alle, die persönlichkeiten, die im berner raum geschichte geschichte geschrieben haben, kamen vor: albert einstein, emil theodor kocher, charles-albert gobat, könig gundobad, könig brunichile, kaiserin judith, könig rudolf II. von burgund, seine gemahlin, königin berta, natürlich auch ihre tocher, kaiserin adelheid, papst gregor vii. könig heinrich iv., herzog berchtold von zähringen, kaiser friedrich II., comte pierre de savoie, könig rudlof von habsburg, könig adolf von nassau, kaiser karl iv., könig sigismund der ungarn und deutschen, papst martin v., cuno und adrian von bubenberg, niklaus und wilhelm von diesbach, bortolomäus may, huldirch zwingli, niklaus manuel, könig louis xiv., die schultheissen aus dem geschlecht der von graffenrieds, cahterine de wattwyl, samuel henzi, julie bondeli, général napoléon bonaparte, philipp albert stapfter, carl ludwig von haller, sowei ludwig und wilhelm snell. Viele andere müsste man auch nennen, doch muss ich sie auf eine andere tour vertrösten!

gerstern ging um keltische wurzeln in der zivilisation des aareraumes, aber auch um römisch-imperiale herrschaft. es mischten sich die burgunder und die alamannen aus der völkerwanderungszeit mitein. und es triumphierten vorübergehend die könige und kaiser der franken. doch deren herrschaft war nicht von daurer, und in ihrer folge tobte die anarchie des adels: die welfen stiegen im hochburgundischen auf, die zähringer drangen ins aaretal ein, die savoyer markierten gegenwehr von südwesten. selbst die habsburger hinterliessen ihre visitenkarte, bevor frankfurter bankiers einen neuen deutschen könig finanzierten, der sich auf die seite der austrebenden städte stellte: jetzt kam die hochzeit der stadtritter, der junker, dann aber auch der pensionsempfänger, des geldadel, der grosskaufleute von nah und fern. die handwerken, die klosterfrauen und die einfachen leute blieben in bern fast immer ausgeschlossen, und so war auch die reformation in bern keine bewegung der gläubigen menschen, sondern ein staatsakt von oben. dieser stellte die macht der schultheissen und söldnerführer auf eine neue basis, und mächtige, orthodoxe pfarrherren verfügten gelassen über schwache intellektuelle kritikerInnen.

da war napoléon unauseichlich, um einen bruch zu vollziehen mit der geschichte und die bürgerliche revolution in bern von oben her zu inszentieren. jetzt kam bewegung in die sache: wer kann die bauern auf seine seite ziehen, und wie kontrolliert man die arbeiter. burger und bürger finden sich jetzt zum zweckbündnis zusammen, doch es gelingt ihnen nicht, die macht der demokratischen linken zu kontern. alle geschichte ist vergeblich: alex tschäppät regiert die stadt bern 2007!

erste auswirkungen der gestrigen tour

der eine, die andere hatte während der stadtwanderung sein/ihre aha-elebnisse: christian, der doktor des spätmittelalters bekannte sich zu seinen wissenslücken im frühmittelalter; eingefleischte berner wie hans hörten zum ersten mal von lombardischen kaufleuten in bern; heidi will sich hinfort nur noch adelheid nennen; andy wird unentwegt und bewusst zwischen alemannien und burgund pendeln; irene grübelt nicht nur in baustelle des bahnhofs, sondern auch in ihren hugenottischen wurzeln; heinz versucht, seine oberländer familiengeschichte über das 15. jahrhundert hinaus zurückzuverfolgen, und rosalina wird die geschlachtete königin brunichilde feministisch rächen! der sohn des scharfrichters und seine christine schliesslich kündigten an, am 30. oktober mit einem neuen theater bern als bühne verzaubern zu wollen.

dieses datum ist schon fast programm: das keltische jahr geht dann zu ende; es beginnt ein neuer zyklus. der winter soll die menschen nach innen richten und stärken, damit sie nächsten sommer kraftvoll nach aussen leben können. das gefällt mir an diesem tag besonders gut: denn der name bern hat meines erachtens keltische wurzeln, und mein schlitz. das ist der ort, wie die aare an der nydegg durch zwei unverrückbare felsen muss. und auch der bärenkult ist keltisch: die göttin artio, die man aussehalb der stadt in muri gefunden hatte, beherrscht eine bärin. die zähringern haben also weder den bären nach bern gebracht, noch den namen der stadt erfunden. nur ihrer historiker haben uns einen solchen bären aufgebunden! die zähringer haben vielmehr die untergegangene gallorämische stadtkultur im aareraum mit neuem sinn erfüllt, der uns noch immer leben urbane leben ermöglicht.

immerhin! sag ich da, und gar nicht schlecht, soviel erkenntnis durch denkende füsse, füge ich noch an …

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