eine klitzekleine stadtwanderung

ok! sie kennen jicin nicht.
aber sie interessieren sich für die neuere geschichte europas, sagen wir vom 17. jahrhundert mit dem ersten 30jährigen krieg zwischen den konfessionen bis zum 20. jahrhundert, mit dem 30jährigen weltkrieg zwischen den ideologien.
dann kommen sie mit, auf meine kürzeste stadtwanderung in der jiciner altstadt.


der zentrale marktplatz von jicin, der die altstadt gruppiert (foto: stadtwanderer, anclickbar)

die stadt am eingang des böhmischen paradieses

jicin liegt in ostböhmen. wer von hradec kralove, dessen zentrum, nach nordwesten ins böhmische paradies faehrt, kommt unweigerlich in jicin vorbei. vor dem stadtkern wird man gehalten, seinen wagen abzustellen, – und das ist gut so. denn der zentrale platz von jicin, dessen anfänge wie die der meisten böhmischen städte im 13. jahrhundert liegen, ist heute verkehrsfrei. bei der leerstehenden iganzius-kirche stehen einem auch genügend parkplätze zu verfügung. und nach nur wenigen schritten über teils schmucke trottoirs ist man schon im zentrum.

ein grosser, quadratischer marktplatz regiert die szenerie. und er soll zum schauplatz meiner stadtwanderung werden. wer in der mitte steht und sich umsieht, hat arkaden aller art vor sich: grosse, kleine, kreisförmige, ellipsenartie, spitze, runde, farbige und graue. man stelle sich der berner bundesplatz vor, voll von verschiedenartigsten lauben auf allen vier seiten umgeben!

beginnen wir in der oberen ecke. nur schon der wehrturm aus dem 16. jahrhundert zieht unseren blick dorthin. aber auch das palais und die kirche binden unsere aufmerksamkeit. ihr erbauer ist die erste person, die uns hier interessiert.


das palais von herzog albrecht von wallenstein, noch heute ein respektabler bau im stile des böhmischen (früh)barocks (foto: stadtwanderer, anclickbar)

unsere erste hauptperson: der herzog von friedland

geboren wurde unsere erste hauptperson 1583. damals kam der renaissancekaiser rudolf II. nach prag. unsere hauptperson war noch protestantisch, wie 80 prozent ihrer landsleute. 1606 wechselte sie aber die seite, wurde katholisch und vertrat von nun an die sache des toleranten kaisers.

kein geringerer als johannes kepler, der berühmte astronom am prager hof, verfasste unserer hauptperson ein horoskop, das zwei wichtige voraussagen enthielt: bald schon würde die person zu reichtum gelangen, doch 1634 werde zu ihrem schicksalsjahr werden. in der tat sollte kepler damit recht behalten!

albrecht wenzel eusebius von waldstein, wie unsere erste hauptperson korrekt heisst, ist den meisten geschichtsbewussten menschen schlichter als “wallenstein” bekannt. golo mann hat ihn auf deutsch portraitiert und damit das muster der biografie einer historischen persönlichkeit für unsere zeit geschaffen. und so weiss man gemeinhin, dass waldstein 1617 für seine militärischen erfolge in venedig vom kaiser in den habsburgischen adelstand erhoben wurde. und es ist wohl auch bekannt, dass er vor, während und nach der schlacht am weissen berg vor prags toren eben diesen kaiser gegen die rebellierenden böhmischen stände verteidigte. dieser wiederum liess die 27 anführer in prag demonstrativ hinrichten, und verhöckerte die güter der ausgewiesenen protestanten günstig an den treuen adel. so auch an von waldstein, der nun 24 landgüter und jicin besass. 1625 wurde er gar zum herzog von friedland erhoben, und er machte jicin zu dessen zentrum.

das örtliche schloss, das während der erbstreitigkeiten unter seinen vorgängern schon mal in die luft gesprengt worden war, liess er an gleicher stelle von renommierten italienischen architekten wieder auf- und asubauen. die arkaden behielten den frühreren renaissancestil, während die oberen stockwerke im der bauart des frühen böhmischen barocks entstanden. den alten komplex erweiterte er erheblich. pferdeställe kamen hinzu, auch reithallen, ballsäle und ein schlossgarten. und die jakobskirche nebenan liess wallenstein erbauen, und über eine passerelle direkt mit dem schloss verbinden. ausserhalb der stadt legte er eine allee an, die durch 1000 linden zum stadttor zu seinen füssen führte.

wallensteins rassanter aufstieg wurde durch die umstände seiner zeit begünstigt. zwar hatte kaiser ferdinand II. den aufstand in prag niederschlagen können. doch der schwedische könig verteidigte die protestanten mit einer armee auf dem kontinent. und er rückte bedrohlich gegen prag vor. das war sprengsatz. auf wallensteins armee war der kaiser nun angewiesen, und so beförderte er ihn gleich zum oberbefehlshaber über alle kaiserlichen truppen. der ehrgeizige feldherr hatte erfolg, wurden aber nach nur fånf jahren diest aus seinen aemtern entlassen. die kurfårsten hatten druck gemacht, gegen den zu unabhängigen wallenstein.

doch wallenstein liess die sache nicht auf sich ruhen. er verhandelte mit schweden. bis heute ist unklar warum: des friedens willens, um sich zu bereichern, oder um selber böhmischer könig zu werden? – was auch immer, schon zwei jahre danach setzte ferdinand wieder auf den unentbehrlichen wallenstein, um könig gustav II. adolph zu stoppen. zu spät, weiss man heute: in lützen begegneten sich die truppen. wallenstein verlor die schlacht, der schwedische könig jedoch das leben. als wallenstein anfangs 1634 seine truppen einen eid auf ihn persönlich ablegen liess, handelte der kaiser: ein verräter sei er, entschied er. und nur drei tage später wurde der general ermordet.

für das aufstrebende jicin war der tot des stadtherrn eine katastrophe. die stadt sollte ihre besten tage mitten im verheerenden 30jährigen krieg gehabt haben. am palais des herzogs wurde ausser einer späteren dachrenovation im klassizistichen stil nicht mehr weiter gebaut. es steht, wie auch die jakobskirche nebenan, noch heute unverändert vor uns. der zentrale platz heisst heute zwar wallenstein-platz. doch die pläne des herzogs von friedland für das jiciner spital und die hiesige universität wurden ganz sistiert resp. den jesuiten übergeben. diese wiederum wurden ende des 18. jahrhunderts ausgewiesen; ihr kolleg nutzt heute die polizei des tschechischen innenministers.

der krieg von damals ging noch 14 jahre über den tod wallensteins hinaus weiter. die schwedischen truppen drangen bis an die moldau vor. in prag spielten sich 1648 die letzten kriegshandlungen ab, bis man, mitten auf der karlsbrücke, frieden schloss. habsburg behielt die herrschaft über böhmen, – bis zur gründung der tschechoslowakischen republik 1918.


die erinnerungstafel für karl kraus, angebracht an seinem geburtshaus in jicin (foto: stadtwanderer, mit seiner gekonnten übersetzerin im bild, anclickbar (foto natürlich, nicht die übersetzerin …)

unsere zweite hauptperson: der republikanische kritiker

wenn wir nun unter den arkaden rechts herum um den platz gehen, um die geschichte euroaps und der stadt auf der gegenüberliegenden seite weiter zu verfolgen, kommen wir am ehemaligen jüdischen viertel vorbei. seit 2001 wird hier, finanziert von prager juden, die synagoge von jicin rekonstruiert. davor diente das gotteshaus als speicher für kräuter, denn seit alle hiesigen juden 1943 von den nazis nach auschwitz deportiert worden waren, gibt es in jicin keine jüdische gemeinde mehr.

die anwesenheit von juden in der stadt lässt sich bis auf die zeit von kaiser karl iv. zurückverfolgen. damals lebten die geldverleiher und händler noch gemischt mit der christlichen bevölkerung. erst zu beginn des 17. jahrhunderts versuchte man wie anderswo auch, in jicin ein eigentliches judenghetto zu bilden. dass dann ausgerechnet herzog vom waldstein mit jakob bossevi einen der ihren zu seinem kanzler und primas der jiciner jüdischen gemeinde machte, brachte der glaubensgemeinschaft erste privilegen. deshalb liessen sich einige jüdische familien auch an der unteren ecke des wallensteinplatzes nieder. ihre synagoge erhielten die juden ende des 18. jahrhunderts; gleichberechtigt wurden sie aber erst 1867. danach wuchs ihr zahl voruebergehend auf fast 300 personen an.

er, der uns hier in der unteren ecke genauer interessiert, ist der berühmteste jiciner jude. er wurde 1874 am haus an der ecke geboren; eine kleine tafel zeugt heute noch davon. seine eltern waren juden, und er blieb es ein leben lang. die mutter stammte aus einer juedischen arztfamilie, und der vater war ein juedischer unternehmer. man betrieb einen kolonialwarenlanden, bevor man mit der produktion von geklebten tüten begann. damit hatte man erfolg und expandierte man auch. zeitweise mietete man gar das leerstehende gefängnis fuer die wachsende produktion hinzu.

drei jahre nach der geburt unserer zweiten hauptperson verliess seine familie jicin, um sich in wien niederzulassen. für die stadt war das wieder ein schlag, wenn auch weniger bedeutsamt als die ermordung wallenstein. denn der ausgewanderte jiciner sohn sollte in der donaumetropole bald erfolge feiern. ein führenden schriftsteller, dramatiker und dichter sollte er werden. 1922 sollte sein lebenswerk erscheinen: „Die letzten Tage der Menschheit“ hiess der roman, für den der autor von den professoren der pariser sorbonne-universität für den nobelpreis vorgeschlagen wurde.

karl kraus, wie der nominierte hiess, sollte ein führender literat der zwischenkriegszeit werden. berchtold brecht und carel capek wurden von ihm beeinflusst, und mit ihnen sowohl die deutsche wie auch die tschechische literatur während der republik. in seiner zeitschrift „die fackel“, die kraus 37 jahre herausgab, zündete er auch das feuer gegen den krieg, der so sinnlos war, und gegen die bürokratie, die so korrupt war. am meisten schreckte den intellektuellen die kleinbürger, die alles als soldaten alles mitmachten und als beamte alles deckten. sie sollten zur eigentlichen zielscheibe der kritik aus der feder von karl kraus bis zu seinem tod nach einem unfall in einer finsteren wiener gasse werden.

jicin sollte kraus zu lebzeiten nicht loslassen. in seiner abiturarbeit befasste sich der schriftsteller erstmals mit der stadtgeschichte. letztmals war dies der fall, als er über die letzte person, die uns hier speziell interessiert, recherchierte. denn sie wohnte 1866 vorübergehend im gleichen haus, indem der kleine karl geboren wurde. mehr davon erzähle ich aber erst mitten auf dem wallensteinplatz, wo es ein paar bäume und eine kleine säule zur stadtgeschichte umgeben.


mitten auf dem marktplatz: baumgruppe mit skulpturen und einer kurzbeschreibung des aufenthalts von otto von bismarck in jicin (foto: stadtwanderer, anclickbar)

unsere dritte hauptperson: der deutsche machtmensch

er kam 1866 hierher, um seinen sieg über österreich zu feiern. die entscheidungsschlacht hatte vor den toren der stadt stattgefunden. sie war zu seinem gunsten ausgegangen, und sein soldaten schleppten sich ermattet vom kampf in die stadt. sie lagerten überall unter den arkaden, die ein wenig schutz boten.

der ort war für die politikerkarriere, die jetzt ihren steilen aufstieg beginnen sollte, fast schon symbolisch. 1813 schon trafen sich im jiciner wallenstein-palais könig friedrich wilhelm III. von preussen, zar alexander I. von russland und kaiser franz I. von österreich, um die heilige allianz gegen frankreich zu begründen, die wenige tage danach im vertrag von teplice besiegelt wurde und zum sieg der der allianz über napoléon in der riesigen völkerschlacht von leipzig führte.

53 jahre zuvor hatte man hier also schon einmal europäische geschichte geschrieben. und otto von bismark, preussens kanzler und unsere dritte hauptperson, setzte hier an, um eine weiteres kapitel zu verfassen: er hasst den deutschen bund, der auf dem wieder kongress begründet wurde. er wollte ein geeintes deutschland unter preussens vorherrschaft. für diese stritt er sich mit österreich, zuerst als politiker, dann als feldherr. jetzt, wo er in böhmen gesiegt hatte, nahm er frankreich ins visier. ein sieg auch über die französen sollte ein geeintes deutsche kaiserreich begründen. und er, bismarck, würde dessen kanzler sein.

in der tat, all das sollte sich nur innert 5 jahren nach der rede bismarcks auf dem jiciner wallensteinplatz zu seinen truppen ereignen. die schlichte säule in der mitte des platzes erinnert fast schon unauffällig daran.


das museum von jicin: eine fundgrube für weitere recherchen zur stadtwanderung in der böhmischen kleinstadt … (foto: stadtwanderer, anclickbar)

wiedersehen (in) jicin

für uns ist zeit, die kleine stadtwanderung abzuschliessen und jicin wieder zu verlassen. es wird mittag, und es wird heiss. die arkaden bieten uns auch jetzt ihren schutz. unter ihnen schlendern wir wieder zurück, bis zur ignatius-kirche. irgendwo steht da geschrieben, dass man 2001 in jicin den beschluss gefasst habe, die leerstehende kirche und das kollegium der jesuiten neu zu nutzen, – für eine hochschule, die schon wallenstein geplant hatte. religiös, national und ideologisch motivierte krieg haben sie bis jetzt immer wieder verhindert.

zu recht knüpft man im kleinen jicin noch einmal dort an, wo der grosse wallenstein scheiterte, denke ich mir. denn die lauben von jicin haben bestimmt noch viel zu erzählen, prognostiziere ich als stadtwanderer. und die vorhersagen zu jicin treffen bekanntlich immer wieder recht genau ein. wie schon keppler bewies.

ich hoffe, auch sie sind das nächste mal dabei, – und wenn nicht, dann treffen wir uns bald wieder im böhmischen paradies.

ok?

stadtwanderer

Ps:
Ich danke national geographic und dem jiciner museum, die meinen nur einstündigen spaziergang durch die stadt so wertvoll bereicherten.

sprachlose kommunikation

die anschrift am eingang des tschechischen nationalmuseums verspricht eine ausstellung zur mammut-jagd. doch interesssiert im ersten stock der präsentationen vor allem die venus von vestonice. die unverändert mysteriöse frauenfigur, geschaffen vor rund 25´000 jahren, stammt von menschen, die noch keine eigentliche sprache und keine wirkliche schrift kannten, sehr wohl aber haltungen und gesten, vielleicht auch schon mimiken anderer menschen zu deuten wussten.


venus von vestonice, der gegenwärtige publikumsmagnet im prager nationalmuseum (fotos: stadtwandererInnen, anclickbar)

die mammut-jagd des sprechenden abenteurers

mammuts verweisen uns auf weit vergangene, aber schwer definierbare zeiten. es muss mächtige gletscher gehabt haben. das klima muss rau, kalt und feucht zugleich gewesen sein. die flora war dazu passend einfach; sie bot nicht allen tieren alles nötig zu jeder zeit. deshalb wanderten sie in regelmässigen zyklen quer durch die weiten landschaften.

die frühmenschen selber musste eine weite entwicklung zurückgelegt haben, um solches grosswild jagen zu können. sie mussten schon weit zuvor aufrecht gehen gelernt haben, und sie mussten in einem langen prozess einen verstand entwickelt haben. schliesslich mussten sie schon über eine sprache verfügt haben, um sich in gruppen organisieren zu können.

denn nur so war man in der lage, schlagkräftige banden von vielleicht 20 blutsverwandten männern zu bilden, und nur so konnte gegen grossgewachsende tiere bestehen. alleine, einzig mit einem speer, der ältesten waffe des menschen, ausgerüstet, wäre der kampf aussichtslos gewesen. man musste schon die wassertränken der wandernden tiere kennen, und man musste ihnen auch fallen bauen können, um sie dann gemeinsam zu überwältigen.

die zeit, in der die mammutjagd entstand, kannte vor allem das holz, den stein und die knochen als zentrale materiale. der metallgebrauch war noch fremd; und kunststoffe gab es sowieso noch nicht. der stein wurde aber nicht einfach so gebraucht; man hat ihn auch nicht beliebig gehauen. vielmehr hat man die fähigkeit entwickelt, eine idee von einem werkzeug zu haben, gepaart mit der fertigkeit, dieses auch herzustellen: mahlsteine für das getreide entstanden, hacken und beile für das schlagen wurden angefertigt, und klingen für scharfe schnitte und die jagd fabrizierte man bereits planmässig.


tschechisches nationalmuseum in prag: blick nach innen und aussen (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die symbolisierte frauenfigur des sprachlosen künstlers

ob die heutigen menschen wegen den mammuts ins tschechische nationalmuseum kommen, kann ich nur schwer beurteilen. die gut gemachte ausstellung spricht wohl vor allem abenteurer an. die übrigen erwachsene dürften eher kommen, um die mysteriöse venus von vestonice zu sehen. anders als das kräftig gewachsene grosswild ist sie zierlich, zehn, vielleicht 12 zentimenter gross.

wer hat sie geschaffen? ein mann oder eine frau? ist sie ein realbild, oder ein idealbild? stellt sie eine frau während oder ausserhalb der schwangerschaft dar? genaues weiss man ueber die venus von vestonice nicht. und man erfährt es an der ausstellung auch nicht. geradezu sinnbildlich hierfür wird die geheimnisvolle frauenfigur auch nur im dunkeln dargestellt. einzig ein gebündelter lichtkegel wirft ein wenig erhellendes auf sie. fotografieren darf man sie nur gegen aufpreis; dabei bleibt blitzen untersagt. es ist gerade so, als wollte man sagen, man solle der venus von vestonice, einer der ältesten frauendarstellungen überhaupt, ihr mzsterium belassen.

ein gesicht, das uns ihren charakter verraten würde, hat die venus nicht; das haar wiederum ist nur angetönt. dank dem geschliffenen stein wirkt die haut glatt, doch erscheint sie nicht ganz nackt; um die lenden trägt sie einen möglicherweise eine gurt. dennoch überragt der unterleib alles. die beckenknochen stehen kantig heraus, lassen die schulter schmächtig erscheinen. im profil sieht man einen ausholenden hintern, und auch der weit vorstehende bauch wird sichtbar. es mangelt der figur an einer wirklichen taille, die den unter- und oberkörper in zwei gleichwertige hälften teilen würde.

am auffälligsten ist der grossen bauchnabel. wäre die figur lebensgross, hätte sicher ein hühnerei in der ausgedehnten mulde platz. auch die vulva ist sichtbar, wenn auch nur angetönt. riesig sind dagegen die brüste, grossen melonen gleich. sie wiegen schwer. die warze ist fast zu unterst, und das schluesselbein wirkt fast so wie ihre aufhängung. arme und beine schliesslich sind nur angetönt, die hände und füsse fehlen ganz; letztere sind vielleicht abgebrochen.

im dunkeln ist die farbe der venusfigur schwer zu bestimmen. vorherrschend ist das grau. es gibt aber auch weisslich flecken, und je nach lichteinfall schimmert im stein etwas grün oder blau mit. der spiegel hinter der figur reflektiert das wenige licht, das auf sie fällt, so geschickt, dass einzelne teile ihres körpers zu funkeln scheinen.


impressionen aus der mammutausstellung im prager nationalmuseum (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die erklärungsversuche der sprechenden und schreibenden wissenschafterInnen

marija gimbutas, die litauischen archäologin, verfolgt mit ihren forschungen zu den verschienenen figurinnen, die man kennt, die these, dass wir mit den plastiken die grosse göttin, die erste dargestellte gottheit überhaupt, vor uns haben. auffallend sei nämlich, dass im gravettien, wie die epoche, in der die ersten figuren gehäuft entstanden, nur frauen dargestellt werden. sie vermutet, die ersten glaubensvorstellungen hätten mit den mysterien von der geburt, dem stauen über das stillen und des wieder verstörenden menstruationszyklus zusammengehangen. angenommen wird von weiteren anthropologen auch, dass der frühmensch den konnex von geschlechtsverkehr und geburt nicht kannte. unter dieser bedingung muss der geburtsvorgang selbstverständlich als grosses wunder erschienen sein. gebärende frauen müssen viel geheimnisvoller und wundersamere wesen gewesen sein als männer.

ob die menschen im gravettien schon eine eigentliche sprache, die ueber einzelne laute hinaus ging, hatten, ist nicht gesichert. vielmehr geht man heute davon aus, dass sie erst die zweite von drei denk- und verhaltensweisen bekannt haben, die wir heute beherrschen: genannt sei einmal das episodische lernen, wie es heute noch bei affen beachtet werden kann. es besteht ganz aus reaktionen auf die unmittelbare umwelt; es funktioniert vollends in der gegenwart und das gedächtnis besteht nur für bestimmte ereignisse in bestimmten kontexten. alles, was erlernt wurde, geht mit dem tod wieder verloren. sodann sei das mimetische denken und handeln erwähnt, das der aufrecht gehende mensch, der homo erectus, beherrschte. er hatte begriffen, dass das ueberleben in einer gesellschaft geschieht, die sich durch kooperation und koordination auszeichnet. er hatte indessen keine eigentliche sprache, entwickelte aber eine kultur, die auf nachahmung von gebärden bestand. in der entwickelten phase konnte auch die mimik gedeutet werden. das jedoch liess handeln zu, das kreativ war und kreativ beantwortet werden konnte und somit die elementare form der kommunikation darstellt. diese wiederum war nötig, um bewusst zu lernen, und gelerntes wie etwa die beherrschung des feuers und anderer fertigkeiten auch weiter geben zu können.

aus diesem frümenschen ist vor 100’000 bis 200’000 der homo sapiens entstanden. er hat seinen ursprungsort, afrika, verlassen und die ganze welt bevölkert. sein gehirn ist gewachsen, seine kognitiven fertigkeiten haben zugenommen. vor rund 40’000 jahren wurde er im heutigen vorderen orient zum homo sapiens sapiens, dem weisen weisen menschen. diesem immer noch mimentisch denkenden und handelnden menschen gelang es, mit der symbolisierung der natur kunstwerke zu schaffen. die bekannten höhlenmalereien mit tierbildern gehören ebenso dazu, wie die frauenstatuen. eine unverändert stumme welt, die uns ohne sprache und ohne schrift bis heute mehr begeistert als alle höher entwickelte mammut-jägerei.

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