leben wir im jahr 1709?

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folge 2: karl der fiktive
folge 3: alles schall und rauch
folge 4: den mediävisten ihre these, dem illig seine gegenthese weiterzuführen, wünscht’ ich mir

„blödsinn“, sagt der volksmund! „richtig“, erwidert der buchautor heribert illig! und er hat damit immer mehr leserInnen; auch den stadtwanderer, der versucht hat, seine argumente zu verstehen, – 1. teil des nachvollzuges!

nein, wir müssen die uhr nicht zurückdrehen. die weltkriege gab es tatsächlich; die soziale und die liberale revolution sind ebenso realitäten. auch die menschenrechte wurden deklariert; und die aufklärung brachte effektiv licht ins dunkel der aristokratischen welt.


heribert illig, kulturhistoriker und systemanalytiker, wird wegen seinen auffassung über die grosse geschichtsfälschung zum frühen mittelalter von den schulhistorikerInnen weitgehend geschnitten

das ist nicht die argumentation von heribert illig. sein standpunkt ist nicht, wir wurde heute wie “damals” leben. heute ist heute, aber nicht so lange seit christi geburt her, wie wir meinen.

nachträglich eingefügte jahre

der erfolgsautor heribert illig vertritt dezidiert die auffassung, dass wir heute nicht 2006 jahre nach mariens niederkunft lebten, sondern nur 1709 jahre danach. denn im sinne von „anno dimini” habe man nicht bei christi geburt zu zählen begonnen, sondern erst viel später.

konkret geht es davon aus, im verlaufe der geschichtsschreibung seien in einer grossen fälschungsaktion nachträglich 297 jahre in die heute übliche chronologie eingefügt worden. und benennt konkret, welcher zeitraum dafür in der europäischen geschichtsschreibung in frage kommt: die spanne von september 614 bis august 911, weshalb im september “911” effektiv erst september 614 gewesen sei und analog der dezember 2006 erst der dezember 1709 sei.

der mathematische beleg

eine reine behauptung? – nein, sag ich mal!

am anfang der gründe, die illig vorbringt, steht nämlich ein mathematisch verblüffender beleg: das astromomische jahr – die zeit, welche die erde für eine volle sonnenumdrehung braucht – dauert nach neuen berechnungen genau 365 tage, 5 stunden, 48 minuten und 46 sekunden. unsere kalender waren aber aus praktischen gründen nie so genau. bei julius caesar, der als erstes in unseren breitengraden das sonnenjahr einführte, ergaben 365 tag und 6 stunden ein kalenderjahr. um das zu bewältigen schob man alle vier jahre einen “schalt”tag ein.

das war aber offensichtlich zu lang, weshalb sich das sonnen- und kalenderjahr kontinuierlich zu verschieben begannen. um damit aufzuräumen, führte papst greogor XIII. 1582 den heute gültigen gregorianischen kalender ein. das sonnenjahr liess er auf 365 tage, 5 stunden, 49 minuten und 12 sekunden festlegen. analog dazu führte eine neue, heute noch gültige, komplizierte regel für die schaltjahre ein.

damit verringerte papst gregor den zeitenfehler von julius caesar von 11 minuten und 14 sekunden jährlich um 10 minuten und 48 sekunden jährlich. sonnen- und kalenderjahr weichen seither jährlich noch 26 sekunden voneinander ab.

um das problem, das sich während der zeit, in der der julianische kalender galt, aufsummiert hatte, zu verringern, griff papst gregor zu einem trick: er übersprang 10 tage. auf dem 4. oktober 1582 folgte offiziell der 15. oktober 1582, womit kalender- und sonnenjahr wieder in übereinstimmung gebracht wurden. ostern war jetzt wieder ostern, weihnachten wieder weihnachten.

doch ganz genau da, setzt der systemanalytiker und computerspezialist illig ein: in den 1627 jahren, in denen der julianische kalender galt, hätte man aufgrund der fehlerhaften sonnenjahrberechnung von julius caesar nicht 10, sondern 12,7 tage weglassen müssen. wenn der papst das aber nicht gemacht habe, sei das erfolgt, weil er wusste, dass der julianische kalender gar nicht 1627 jahre gültig gewesen sei, sondern 297 jahre weniger, sprich 1530 jahre.


illigs sachbücher, hier eines davon, sind ein erfolg der populärwissenschaft: “aberwitzig, ungemein belesen und verwirrend stichhaltig” schreibt die süddeutsche zeitung dazu.

die these illigs

bis jemand das merkte, hat es volle 406 jahre gedauert. seit 1988 weibelt aber der promovierte kulturhistoriker illig mit dieser berechnung durch die populärzeitschriften der geschichte, schreibt er bücher, und sorg zusehend für furore. seine werke sind zwischenzeitlich so gefragt, dass sie in die ullstein-taschenbuchreihe aufgenommen worden sind. aus dem anfänglichen aufruf zum nachrechnen ist so eine eigentliche these gegen die etablierte geschichtswissenschaft geworden; sie lautet: „In der europäischen geschichte bilden 7., 8. und 9. jahrhundert einen künstlichen zeitraum. Er enthält keine reale Geschichte, so dass er ersatzlos zu steichen ist und die Zeiten davor und danach direkt oder mit nur geringem abstand zusammenzufügen sind.“

was das für für die europäische geschichte für weitreichende folgen hat, erzähle ich in den kommenden tages des dezembers 1709 …

zeitenwanderer

heribert illig: das erfundene mittelalter. ullstein-taschenbuch, berlin 2004, 8., auflage
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zeitensprünge

go, doris, go (2)

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teil 1 der serie “go,doris,go”

selbst in die wikipedia hat es doris schon geschafft. chapeau! alle internet.wanderer werden da superschnell dokumentiert. doris’ biografie, doris’ karriere und doris’ positionen. in einer halben stunde ist man informiert:

einmal, dass doris seit dem 18. september 2004 offiziell präsidentin der cvp ist. übernommen hat sie die schlingernde partei jedoch schon vorher, – vorerst jedoch nur interimistisch, weil philipp staehelin in der folge der denkwürdigen bundesrats(ab)wahl von 2003 plitzplötzlich zurückgetreten ist und sie niemand vordrängt. lob ich mir doch, mut gehabt, zugegriffen, schon einmal …

mit doris verbindet mich meine halbe herkunft: das freiamt, von wo ich mütterlicherseits komme. auch erfährt man auf internet: geboren worden ist doris am 10. april 1963 (ich wanderte damals grad von fribourg nach oberwil, baselland) in merenschwand (bei muri), wo ihr papa gemeindeschreiber war. über die mutter erfährt man in der wikipedia nix (dafür umso mehr in der riniger presse: “meine doris ist die beste!”). nach der normalen schule ging sie nach muri an die kanti und studierte in zürich ius, komplettiert durch sprachaufenthalte in paris und calgary.

schliesslich bekomme ich da den raschen aufstieg von doris rekapituliert. politisch aktiv ist doris seit 1993 (damals flog ich im wahrsten sinne des wortes grad von der uni). kantonale parlamentarierin ist sie seit 1997, nationale seit 1999. weit herum bekannt gemacht hat sie unsere kollege, politologe reto nause, der ihren wahlkampf führte und tausende von duschmittel-beutel mit ihrem porträt verteilen liess. die lokalpresse nahms freuig auf, und kreiiert den (inoffiziellen, aber um wirksameren) wahlslogan: “duschen mit doris”. doris hat sich bedankt: sie hat reto nause ins generalsekretariat geholt, wo er jetzt ihren bundesratswahlkampf führt! aargauer-connection!

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weiters kann man per internet erfahren: in bern hat sich doris als wirtschaftsfreundliche anwältin eingeführt, mir hat sie mal an der bar von “chez edi” erklärt. politisiert hat sie deshalb eher rechts der mitte der mittepartei. ihr profil wurden vor allem in fragen der wirtschaftlichen liberalisierung (pro) resp. der finanz- und steuerpolitik (mehr sparen) klar ersichtlich. von rechten positionen etwas abgesetzt hat sie sich damals eigentlich nur in fragen der ausländer- und asylpolitik, wo sie pointiert für eine liberale position eintrat. zum linken flügel der partei hielt sie damals klare distanz in geldfragen und bei der sozialen sicherheit. vom rechten flügel grenzte sich sich einzig in der ausländer- und asylfragen ab.

in der laufenden legislatur hat sich doris gewandelt; sie ist eigenständiger geworden, und mächtiger (siehe “go, doris, go”, 1. teil). zunächst definiert sie das zentrum der politik selber. dann definiert sie die zentrumspartei selber. nicht verwunderlich, dass sie jetzt weitgehend im zentrum der zentrumspartei steht! im parteijargon heisst das neuerdings “liberal-sozial”. grad mal in fragen der gesellschaftlichen liberalisierung stimmt doris deutlich anders als ihre partei. das ist sie modern-liberal-sozial.


quelle: michael hermann, sotomo (anklickbar)

am klarsten neu positioniert hat sich doris in der aussen- und europapolitik, wo sie streng auf kurs mit den öffnungswilligen im land ist. geblieben ist ihr eher rechtes profil in wirtschaftsfragen, neu auch bei themen der inneren sicherheit sichtbar. etwas moderater geworden ist sie dafür in der sozialpolitik, wo sie sie genau zwischen ab- und ausbau politisiert.


quelle: michael hermann, sotomo (anklickbar)

auch im nationalrat spiegelt doris das schweizer volk zentral. sie ist fast ganz genau in der mitte. rechts von ihre sind die ganzen schwizer demokraten, alle svp-volksvertreter und fast alle delegierten der fdp. wäre sie in dieser partei, würde sie mit christa markwalder den “linksliberalen” flügel bilden (müssen). links von ihr sind die evp, die sozis und die grünen. in der fraktion selber, 28 mitglieder hat sie (noch), stimmen 12 linker als sie, und 15 rechter. damit kann man sie nicht mehr dem rechten parteiflügel zuordnen, wie noch 1999 bis 2003.

woher ich das alles weiss? nein, nein, der mann und die frau auf der strasse, denen ich sonst begegne, ist das so detailliert nicht so präsent. dafür wird das leuthard-profil umso klarer, wenn man kollege michael hermann fragt, der das stimmverhalten der parlamentarierInnen regelmässig (elektronisch) registriert. man braucht nur seine hand zur steckdose zu strecken, und schon weiss man, wie mann und frau im bundeshaus stimmen. merci, michi!

internet.wanderer.ch

teil 3 der serie “go,doris,go”
teil 4 der serie “go,doris,go”
teil 5 der serie “go,doris,go”
teil 6 der serie “go,doris,go”