das dilemma der stadtberner fdp

da bootet die fdp ihren bisherigen gemeinderat stefan hügli aus, indem sie ihn nicht mehr als mitglied der kommenden berner stadtregierung nominiert. nur ein jahr zuvor hatte sie ihn vorgeschlagen, damit er als fdp-vertreter neues mitglied eben dieses gemeinderates werde. zwischenzeitlich hat die partei ihre strategie jedoch geändert: statt die minderheit in der rotgrün geführten exekutive des bundesstadt zu mimen, will sie neu, gemeinsam mit svp und cvp, eine bürgerliche alternative anführen, diese mit barbara hayoz im stadtpräsidium vertreten und gemeinsam mit beat schori und reto nause gegen zwei vertreterInnen der ehemaligen rotgrünen regierung die berner politik bestimmen.


vormals im (rampen)licht der fdp, heute in ihrem schatten: die wiederwahl von gemeinderat stefan hügli beschäftig das lokale politbern. dabei geht es weniger um seine person, als um eine ganze menge taktischer überlegungen (foto: stadtwanderer, anclickbar)

ganz schön riskant, dieses spiel, würde ich da sagen … so riskant, dass ich mich in den nächsten tagen umsehen und umhören werde, was die einschätzungen so sind, und auch gerne ihre kommentare zum dilemma der fdp bei den kommenden wahlen lese!

die vorentscheidung der fdp

die 120 fdp-mitglieder waren sich gestern denn auch alles andere als einig. 68 votierten für den wechsel zur erhofften wende, 51 wollten an der doppelkandidatur mit den bisherigen hayoz und hügli seitens der fdp festhalten. die mehrheit war für eine bürgerliche dreierliste, die den bürgerInnen, die drei bürgerliche vertreter haben wollen, keine personelle auswahl an kandidatInnen lässt. die minderheit votierte für eine fünferliste, die sowohl parteipolitische wie auch eine personelle auswahl zulassen würde.

für die dreiliste sprach an der fdp-versammlung, dass man nur so die beabsichtigte wende herbei führen könne. zudem seien die chancen von barbara hayoz grösser, das stadtpräsidium übernehmen zu können, wenn die bürgerlichen parteien geschlossen antreten würden. gegen eine auswahl wurde vorgebracht, dass das der so signalisierte machtanspruch arrogant wirke.

zugunsten einer fünferliste wurde argumentiert, die fdp verzichte ohne eine auswahl freiwillig auf eines der beiden bisherigen mandate. aus der mitte der anwesenden wurde zudem vorgebracht, der rückzug hüglis gefalle nur der svp; diese wiederum sei selbstverschuldet nicht mehr in der stadtregierung, habe sie doch ihrerseits vor vier jahren die bisherige bäuerin ursula begert fallen gelassen, um den schliesslich erfolglosen beat schori portieren zu können. die fdp, die gerade im kanton bern stets betont habe, unabhängig von der svp auf die erfolgsstrasse zurückkehren zu wollen, diskreditiere sich so gleich selber.

ob der fallengelassene stefan hügli sich das vorgehen seiner partei, die er vormals als fraktionspräsident im stadtrat vertrat, gefallen lassen will, wird er erst im herbst entscheiden. sicher spielt da eine rolle, ob jimy hofer, der parteilose, den bürgerlichen aber nahe stehende kleiunternehmer aus der matte, kandidiert oder nicht. der ex-freisinnige berner bund behandelte das desavouierte mitglied des berner gemeinderates heute ausgesprochen zurückhaltend und kritisierte im kommentar den fdp-stadtparteipräsidenten, thomas balmer, deutlich.

die szenarien

was nun kann bei den diesjährigen berner exekutivwahlen geschehen?

– stadtpräsidium: es stehen sich zwei anwärter gegenüber, der bisherig alexander tschäppät und die herausfordererin barbara hayoz. mit weiteren bewerbungen wird aktuell nicht gerechnet.
– gemeinderat: für die sechs sitze im gemeinderat kandideren momentan je drei rotgrüne (die bisherigen tschäppät, edith olibet (beide sp) und regula rytz (grünes bündnis) und drei schon erwähnten bürgerlichen kandidatInnen, allenfalls erweitert um hügli und hofer, gegenüber. im rotgrünen lager ist noch unklar, ob auch eine kandidatur der grünen freien liste mit aufgenommen wird oder nicht.

also kann man aus heutiger sicht folgende varianten für den ausgang der stadtberner wahlen aufstellen:

– szenario 1: die totale wende: barbara hayoz löst alexander tschäppät nach nur vier jahren als stadtpräsident ab, und die bürgerliche liste macht drei fünftel der stimmen, sodass sie inskünftig drei exekutiv-mitglieder stellt.

– szenario 2: die wende nur an der spitze: es kommt zur wende im stadtpräsidium, nicht aber im gemeinderat. barbara hayoz obsiegt persönlich, die bürgerliche gemeinderatliste falliert aber. die fdp-stadtpräsidentIn wäre dann vor der schwierigen aufgabe, eine mehrheitlich rotgrüne stadtregierung nach aussen vertreten zu müssen.

– szenario 3: die wende nur in der regierungsmehrheit: es kommt zur wende im gemeinderat, nicht aber im stadtpräsidium. der sp-mann alexander tschäppät wäre dann gefordert, seinerseits eine regierungsmehr vertreten zu müssen, der er selber nicht angehört.

– szenario 4: die wende bleibt ganz aus: möglich sind auch szenarien, in denen die wende ganz ausbleibt: tschäppät wurde dann weiterhin einer mehrheit aus sp und grünen vorstehen, doch gibt es verschiedene varianten für die bürgerliche minderheit: die wahrscheinlicheren varianten sind dann:

a. die parteien stellen entsprechend ihrer parteipolitischen grösse je einen gemeinderat; die würden dann wohl hayoz und schori heissen.

b. der schon letztes mal umstritten gewesene schori fällt bei den bürgerlichen wählern durch; umgekehrt schwingt der cvp-mann oben auf, sodass die bürgerliche zweiervertretung wohl hayoz und nause heissen würde.

c. denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich sind die fälle, dass es hügli im alleingang gegen seine partei wieder schafft, und die personelle zusammensetzung des berner gemeinderates exakt die gleich wie bisher wäre.

d. nicht ganz auszuschliessen, aber doch am unwahrscheinlichsten ist, dass es jimy hofer schafft, neben barbara hayoz als parteiloser in die stadtregierung einzuziehen.

hoffen und bangen

niemand weiss im moment genau, was passieren wird. weder die eine noch die andere seite scheint über wahlumfragen zu den parteien und kandidatInnen zuverfügen. es wird vertraut, dass die hoffnungen, die man hegt sich auch erfüllen. dass ist politisch nicht unüblich, basiert aber auf beiden seiten mehr auf der absicht, als auf der analyse.

in den überlegungen zur wende ist entscheidend, dass man von bürgerlicher seite mehr stimmen macht als von linker seite. dagegen gibt es im moment einen recht harten einwand: trotz 6. oktober 2007, das heisst trotz der kontroverse um den bewilligten svp-umzug und die unbewilligte gegenveranstaltung des bündnisses gegen blocher&co und trotz der kontroverse um die in der folge ausgebrochenen krawalle in bern, kam rotgrün bei den nationalratswahlen unverändert auf eine mehrheit.

wäre die wende im november 2008 sicher hätte sich die fdp gestern sicher nicht so schwer getan, einen entscheid zu fällen. die kandidatur des bisherigen stefan hügli wäre sicher auf wenig gegenliebe gestossen …

bliebt also nur der vorläufig einzig sichere schluss, dass alles unsicher ist, – und die fdp auf die ganz hohe karte setzt, fast alle zu gewinnen oder fast alles zu verlieren. ein gesicht dürfte sie aber so oder so verloren haben. dasjenige von hügli oder ihr eigenes.

stadtwanderer