die stadt als stadion

weder der berner bundesplatz, noch der benachbarte waisenhausplatz sind ein fussballfeld. es ist kein rasen in der stadt, auf dem ein spieler gegen einen torwart einen elfmeter schiessen könnte. und doch ist das publikum da. so zahlreich wie noch nie. die meisten sind heute orange, von oben bis unten. die wenigsten sind blau, wenigstens des t-shirts wegen.

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die farbenlehre ist ganz nützlich. wenn der schreie von der orangenen seite kommen, dann sind die hupländer im angriff, und wenn sich die stimmen in blau anschwellen, waren die tifosi im gegnerischen strafraum. wobei niemand in der stadt ernsthaft damit rechnet.

diese signalsprache lernt man rasch, wenn man nicht in der vordersten reihe ist und keinen blick auf die mega-leinwand werfen kann. denn so bleibt man auf dem laufenden, wie das spiel im weit entfernten berner wankdorf real steht. dort ist ja die prominenz, und es sind die elite-fans anwesend.

für die vielen normalen supporterInnen, die sich kein ticket leisten oder keines ergattern konnten, ist die stadt das stadion. die zuschauerzahl multipliziert sich so fast ins unendliche. genauso wie die gefühlswallungen der anhängerInnen. denn alle sollen heute dabei sein dürfen, wenn gefühle ausbrechen, freudentränen fliessen, trauer die menge erfasst.

mit emotionen wartet man jedoch nicht, bis das abendliche em-spiel beginnt. denn die wahrhaftigen fans sind seit dem morgen in der stadt. sie haben die cafes gestürmt, vielleicht in einem souvenirladen geschmöckert, sicher einige biers getrunken, um ich im nahen stadtpark ausgzuruhen

schon über mittag waren sie wieder auf der gasse. haben gelacht, getanzt und sich gefreut. fliegt ein ball durch die luft, sammelt sich die energie in der masse spürbar. denn jeder möchte den kopfball kicken, der zum entscheidenden tor führt. und wenn er misslingt, applaudiet die menge rundherum lachend. denn die stimmung ist mehr ausgelassen als auf angriff angestellt.

wo ein brunnen ist, kommt es unweigerlich zur männershow. schon steht der berner söldner auf dem peiler im holländer-nationaldress wache, und sein hund hat einen italiener-tanga über die ohren gestreift erhalten. im brunnentrog toben sich die oranjer aus, bis selbst das wasser die farbe ihren hosen annimmt.

unter dem druck der masse scheint nun die stadt zu schwanken. wenn die fans auf der terassenrestaurant in fahrt kommen, schwappt die stimmung schon mal über die ganzen plätze. dann vereinigen sich die vielen stimmen zum kollektiv. damit jeder in der stadt weiss, wer die lufthoheit inne hat.

public viewing ist in bern neu. das phänomen mit grossleinwänden, fanzonen und massenaufläufen ist erst im 21. jahrhundert aufgekommen. 2002 wurde es in südkorea kreiiert. und seither globalisiert sich die bewegung. sie erfasst die menschen aller kontinente, die bei grossen sportereignisse freiwillige zu botschafterInnen ihrer länder werden.

getreiben wird die bewegung allerdings durch den kommerz. breitflächige werbung wacht über den massen. plakate und schaufenster reizen die blicke, und artikel, die dazu da sind, identifikationen zu schaffen, finden in der aufkommenden trance reissenden absatz. nichts ist dem zufall überlassen, selbst wenn überall volounters die arbeit verrichten.

zu zehntausenden sind vor allem die holländer heute in bern. nie wurde die stadt in so kurzer zeit so umfassend schnell und gründlich besetzt. immerhin, die allermeisten kickerfreunde sind friedlich, scheuen sich letztlich doch, eine schlechte falle zu machen. und fürchten wohl auch die zahlreich patroullierenden sicherheitskräfte.

unmittelbar vor dem ominösen spiel gegen den weltmeister strömen die holländer aus allen richtungen in die altstadt. die kramgasse füllt sich, und der kornhausplatz gehört im nu den flachländern. selbst über die aarebrücke dehnen sie sich aus, soweit das auge reicht. kein stehtplatz ist heute nicht besetzt heute!

sie freuen sich, dass sie aus der stadt ein stadion, aus den strassen schauplätze und aus den trottoirs tribünen gemacht haben, ohne dass wirklich jemand weiss, wer eigentlich gewinnt oder verliert. selbst wenn in der aufgekommenen stimmung nie jemand daran gezweifelt hat, dass holland 3:0 siegen würde.

stadtwanderer

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