imagine all the goals

bild-100.jpg“na also, geht doch”, sag’ ich mir, als ich bern verlasse. und denk mir: was nur wäre möglich gewesen, wenn …

soeben hat die schweiz in ihrem letzten vorrundenspiel den mitfavoriten portugal 2:0 besiegt. die beiden tore schoss hakan yakin, – das eine genial durch die beine des gegnerischen torhüters, das andere mit einem unhaltbaren penalty ins latenkreuz.

im taxi nach hause sind wir schnell beim thema. mein chauffeur hat die 90 minuten während des spiels nicht gearbeitet. er ist ausländer, lebt aber schon lange in bern, gibt er sich zu erkennen.

“zweimal gut für uns”, sagt er: “die schweiz hat gezeigt, was sie kann, und yakin von yb ist der beste in der mannschaft!”

ich nicke, schon bevor mein nachbar sagt, was ich eigentlich denke: “doch kuhn hat wieder den gleichen fehler gemacht wie immer. in seiner besten phase nimmt er yakin einfach aus dem spiel. ”

“damit er nicht noch ein drittes tor schiesst”, kontere ich den gedankengang, “sonst würde er neben dem gewöhnlichen kuhn definitiv zum unsterlichen star.”

man stelle sich nur vor, was geschehen wäre, hätte yakin von anfang an in der standard-formation der schweizer spielen dürften, spinne ich den faden weiter, als ich ausstieg, um mich in den sonntäglichen schlaf abzumelden.

stadtwanderer

foto: stadtwanderer, am anderen morgen, andem der blick genau das thema unseres gesprächs auf die frontseite brachte.

kulturen aus bern – kultur(en) in bern

bild-459.jpgin theaterstück “charta von bern” ist alles verkehrt: deshalb widerspreche ich der these des bühnenschauspiels, dass es keine kultur in bern, nur kulturen aus bern gäbe.

die zuschauerInnen im berner stadttheater haben es diesmal nicht leicht. sie können die schwelle zum theater nur passieren, wenn sie einen ausländerausweis akzeptieren und sich einer leibesvisitation unterziehen. im theater selber sitzen sie dann dicht gedrängt auf der bühne, fast so, wie wenn sie in einem flüchtlingsboot über das offene meer rudern müssten. derweil spielen die darstellerInnen in den weiten sitzreihen. ein rednerpult für politik haben sie vorne rechts aufgestellt, und eine plattform für expertenrunden steht ihnen in der mitte zur verfügung. darüberhinaus diskutieren sie in den vorderen rängen über ihren lebensalltag, oder ruhen sich in den hintern bänken von den strapazen eben dieses alltages aus. denn sie alle sind migrantInnen, während im publikum vor allem schweizerInnen sind.

die unüblichen perspektive auf die integration

das thema der “charta von bern” ist die integation. doch ist es nicht die integration der vorherrschenden ma cht in die vorherrschende kultur, die hier interessiert. vielmehr geht es geht um die integrationsvorstellungen der kommenden, der verweilenden, der gehenden. und deshalb kommen in diesem stück die betroffenen eingebürgerten, einbürgerungswilligen und passantInnen gleich selber zu wort. der “président de la république” ist ein afrikaner aus dem kongo. genauso wie der dunkelhäutige integationsminister, während der viehwirtschaftsminister aus einer der vielen ranches aus lateinamerika stammt. sie alle äussern die hoffnungen, aber auch ihre skepsis jener menschen, um die es bei der integation geht, ohne dass sie sich selber äussern können.

so klagt präsident der republik an, wenn er sich fragt, was denn an europa zivilisierter sei, stammten doch die pädophilen pfarrherren in seiner heimat samt und sonders aus eben diesem europa. der viehwirtschaftsminister, ein erfahrener schafzüchter, wiederum erläutert die prinzipien der lebewesen, wenn er äussert, es gäbe nicht weisse und schwarze schafe, sondern nur schafe. die schafe selber wüssten das am besten. unter den menschen gäbe es aber zwei sorten: jene, die schafe nach ihrer fellfarbe einteilten, und solche, die das nicht machen würden. und der integrationsminister macht sich gedanken über eben jene kulturen unter den menschen, welche diese, je nach ausrichtung, desintegrieren oder integrieren würden.

in den expertenrunden, die aus männern und frauen aus allen fremden ländern, die in allen orten rund um bern wohnen, bestückt sind, geht es dann um eben diese kultur: “was ist berner kultur”?, fragt man sich, ohne eine eigentliche antwort zu erhalten. schliesslich einigt man sich nach einigem hin und her darauf, dass es eine berner kultur gar nicht gäbe. denn das einzig kulturelle in bern sei der fussball, jener von “yb”, und der sei letztlich universell. “was also ist integration?”, fragt des diskussionsleiter bei den fachleuten nach. integation in die kulturen sei, so kommt man der sache dann doch auf die spur, das essen der menschen an einem fremden ort kennen zu lernen, das meist ein essen sei, das aus anderen kulturen stamme, die nicht am ort selber entstanden seien, wo man esse. deshalb, so die quintessenz, sei integration eigentlich überall integration in die allgegenwärtige weltweite multikultur.

“charta von bern”: das spiegelbild auf die integrierte kultur

das theaterstück leitet seinen namen von der “charta von birr” ab, einem schriftstück, das 2007 in birr zum zusammenleben von einheimischen und fremden entwickelt und in alle haushaltungen der aargauer gemeinde birr abgegeben worden ist. die “charta von bern” versteht sich zwar als gegenprojekt, es geht nicht um integrationsregeln der ansässigen für zuwandernde. vielmehr geht es in diesem theaterstück aber keine verpflichtenden gesellschaftsregeln, sondern bühnereife spiegelbilder der lebenslagen in der multikultur: die lebensfrohe senegalesin fragt sich, ob die frauen in der schweiz ihre männer überhaupt lieben würden; sie zweifelt, wenn sie sieht, wie schlecht die frauen die männer ernähren und wie wenig sie sie des abends massieren würden. und der brasilianer, der eine sittenstrenge trachtenfrau aus den alpen imitiert, zeigt dem publikum, wie rasch aus der sittenstrengen kuhschweizerin wieder liebestolle verführerin werden könnten. derweil begrüssen sich die experten aus muri und zollikofen derart rituell überfreundlich, dass man schon auf einen durchbruch in der eigenen kultur hofft. doch der kann nicht zu stande kommen, weil sich die diskutierenden in ihren stühlen so akrobatisch verklemmt hineinzwängen, dass schon die körperhaltungen jegliches aufeinander zugehen in der auseinandersetzung verhinderent. erheiterung im publikum, das hier vorgeführt wird, bleibt angesichts des spiels nicht aus!

intendant marc adam tritt mit diesem stück mutig gegen die momentanen berner befindlichkeit. während vor dem stadttheater im banne des europäischen fussballs völkerverbürderung gefeiert wird, lässt er im stadttheater über die realitäten des zusammenlebens von fremden in der fremde und von einheimischen in ihren heimen nachdenken. da passt die weiche musik von isak biaa bestens dazu, gespielt aus der yb-fane, welche die verschiedenen akte des bühnestücks verbindet, dichte folge der eindrücke aber auch angenehm lockert.

der erfrischende abschluss statt des cüplis in der pause

wie gesagt: in diesem theaterstück ist alles unüblich. so gut das für die dramaturgie des schauspiels ist, so wenig braucht man mit der pointe der aufführung einverstanden zu sein. üblich wäre, dass man mit dem aussage des theaters einverstanden ist, und mit cüplis während der pause darauf anstösst. in der “charta von bern” ist es auch erlaubt, der these, dass es keine kultur in bern, nur kulturen aus bern, zu widersprechen, selbst wenn man sich damit nicht als freund der “charta vonbirr” outet.  denn das theaterstück selber ist ein stück lebender kultur in kulturellen leben von bern. denn kulturen sollen offen sein für andere, ohne sich dabei gleich aufzugeben. das gilt für alle seiten in der kulturbegegnung. und die gibt es am schluss der charta bei erfrischenden getränk unter sesshafteren und wandernden aller art.

stadtwanderer

nächste aufführung: 16. juni 2008 im berner stadttheater

foto: stadtwanderer, beim erfrischenden getränk zur “charta von bern”