berns burgergemeinde (in der fremddarstellung)

die stellung, das wirken und die herrschaft der berner burgergemeinde sind umstritten. deshalb unterscheiden sich die selbst- und fremddarstellungen erheblich. heute: die aussensicht, die katrin rieder in ihrer vieldiskutierten doktorarbeit skizziert hat.

700 seiten stark ist die dissertation der historikerin katrin rieder. sie in 70 blogzeilen abzuhandeln, ist nicht einfach, aber allemal ein versuch wert.

drei zugänge zum thema verschafft einem die jüngst publizierte doktorarbeit. die institutionengeschichte, die geschichte des netzwerks der burger und die geschichte des ungebrochenen konservatismus.

das soziale und symbolische kapitel der bernburger
für die kulturwissenschafterin rieder sind das soziale und symbolische kapital der burger entscheidend. sie stellen in bern ein weitreichendes netzwerk dar. die zugehörigkeit verspricht vorteile für berufsleute wie juristen, architekten oder denkmalpfleger. denn die burgergemeinde besitzt einen drittel des städtischen bodens, vergibt bauaufträge, bestimmt bei der stadtentwicklung mit und definiert, was schützenswert ist und nicht.

die anerkennung durch das netzwerk kann auch künstlerInnen und kulturschaffenden vorteile bringen. der kulturpreis ist für hiesige verhältnisse ausgesprochen gut dotiert; an zahlreichen ausstellungen, veranstaltungen und publikationen zur berner geschichte beteiligen sich die burger finanziell.

der eintritt ins netzwerk ist allerdings nicht gratis. bürgerliches leben, guter leumund und ein ansehnliche einkaufssumme sind die voraussetzungen, wenn man nicht durch heirat bernburgerIn wird. doch die mitgliedschaft in der burgergemeinde alleine bringt noch nicht das erwünschte netzwerk. massgeblich ist der zugang zu informellen gruppen wie die grand société, die bogenschützengesellschaft oder den johanniterorden. denn da trifft sich der kern der bernburger, der in gesellschaft und wirtschaft in position ist.

überhaupt sind nach rieder die 17000 burgerInnen gar nicht das entscheidende. sie profitieren von den privilegien bei der altersvorsorge, auch ohne zum engeren kreis der einflussreichen zu gehören. gesteuert wird die burgergemeinde, schreibt die historikerin, nicht durch die formaldemokratischen strukturen, sondern durch die informellen, vordemokratisch geprägten.

damit ist man nahtlos beim symbolischen kapital, das die bernburger mit ihren traditionsbewusstsein pflegen. es ist das überleben des konservatismus trotz der moderne. dass burgergemeinden auch unter demokratischen verhältnissen entstehen konnten und sich auch halten, interpretiert die historikerin rieder als unvollständigen sieg der liberalen, demokratischen und sozialen kräfte im 19. jahrhundert. deshalb habe sich das selbstverständnis der gnädigen herren bis in die gegenwart retten können: das bewusstsein, von besonderer herkunft zu sein und dies mit ausgeklügelten stammbäumen zu beweisen. das gestalten von familienbanden und heiratsverhalten, um in zentrale positionen zu gelangen. und natürlich die pflege der sprache, des unverwechselbaren sozioloektes der bernburger.

adeliges selbstverständnis ist nach rieder nicht parteigebunden, kennt auch verschiedene weltanschauliche richtungen. sie beinhalten rechtskonservative, reaktionäre und autoritäre elemente, deren gemeinsamkeiten die innere ablehnung von demokratie, gleichheit und freiheit sind. sie bauen auf der vorstellung eines starken staat auf, das hierarchisch-ungleiche im leben betont und über dissidente, die gefährlich werden können mit sozialkontrolle reagiert.

die öffentliche reaktion bei der publikation
die dissertation von katrin rieder hat bei ihrer veröffentlichung in bern hohe wellen geschlagen. tagelage beschäftigten sich die berner medien mit dem buch, und die burgergemeinde ging in die gegenoffensive über.

umstritten waren vor allem drei folgerungen, die sich aus der herleitung ergaben:

. die nähe gewisser exponenten der konservativen bernburger zu den antidemokratischen fronten der 30er jahre, die selbst dann kein thema waren, als die gleichen personen später ins präsidium der burgergemeinde aufstiegen;
. der einfluss auf die stadtentwicklung, bei der, wie die veränderungen im vilettenquartier zeigt, nicht die bewahrung des äusseren wichtig war, sondern die realisierung der interessen als grundeigentümer;
. und der ausscheidungsvertrag zwischen bürger- und burgergemeinde, der für den reichtum der burgergemeinde wesentlich ist.

das alles führte die historikerin dazu, am ende ihres die auflösung der burgergemeinde zu postulieren. dass sie das zu beginn des wahlkampfes in der stadt machte, wurde automatisch als politische wertung gelesen, und füllte die leserbriefspalten in ungewohnt heftiger art und weise.

ganz unabhängig davon lohnt es sich aber, die generellen these zur herrschaftsform des konservativen netzwerkes, das bin die gegenwart existiert, zu diskutieren. auch auf dem

stadtwanderer

katrin rieder: netzwerke des konservatismus. berner burgergemeinde und patriziat im 19. und 20. jahrhundert, zürich 2008.