warum ich laizistisch eingestellt bin und es auch bleiben werde.

ich war in genf. im fernsehstudio. es ging um eine sendung zu “religion und politik” in der schweiz. auf dem weg hin und zurück hatte ich reichlich zeit, mir vertieft gedanken zu machen.

anlass für die sendung “faut pas croire” waren die amerikanischen wahlen, der einfluss der protestantischen kirchen namentlich auf die republikanische partei und damit potenziell auf den/die vizepräsidentIn. sarah palins aufruf zum gerechten krieg gegen den irak im namen gottes ist noch in all unseren ohren.

trennung von religion und politik
der vergleich zwischen den usa und der schweiz legt offen, wie weit die trennung von kirche und staat bei uns ist. wir haben zwar landeskirchen, doch nehmen sie nebst religiösen vor allem kulturelle und soziale aufgaben wahr. ihre stellung in der politik ist von untergeordneter bedeutung. das gilt sowohl für die cvp als grösster partei mit einem konfessionell-kirchlichen hintergrund, von dem sie sich aber auch entfernt hat. es trifft aber auch auf parteien wie die evp, die edu und die csp zu, die zwar alle im eidgenössischen parlament vertreten sind, letztlich aber kaum über ihre engere anhängerschaft hinaus ausstrahlen.

unsere prägende kultur ist der laizismus, entanden aus der entzauberung der religiösen welt durch die verweltlichung der herrschaft. er prägt bei uns auch den typischen blick für öffentlichkeit. kirchen sind zwar im bild den städten und gemeinden überall präsent. doch haben sie sich in eben dieser öffentlichkeit weitgehend zurückzuhalten. verstösse dagegen werden sensibel registriert und auch leidenschaftlich diskutiert. das zeigt sich beispielsweise, wenn die schulen in die abhängigkeit von kirchen geraten, oder wenn lehrmittel nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach religiösen gesichtspunkten ausgearbeitet werden.

religion und öffentlichkeit im wandel
genau dieser bereich des öffentlichen, ist heute jedoch wieder in veränderung begriffen. anhänger neuer religionen werden in der schweiz zahlreicher, und sie mischen sich nach ihren selbstverständnissen ins öffentliche leben ein. mit ihnen steigt die aufmerksamkeit für fremde sitten und moralvorstellungen, die für uns als überholt gelten.

genau das verunsichert. kopftuch-debatten und minarett-initiative sind ausdruck dieser verunsicherung. für die protagonisten ist es der kampf zwischen christlichen und nicht-christlichen religionen. was dabei früher gegen die juden gerichtete antisemitismus war, ist die heute die islamophobie, die angst, durch moslems dominiert zu werden. und für menschen, die sich nicht mehr so stark mit der christlichen glaubensgemeinschaft identifizieren, ist eher der kontrast zwischen menschen, die religiös und nicht-religös in der öffentlichkeit auftreten irritierend.

ich bin ganz froh, dass man diese veränderungen diskutiert. denn es finden real veränderungen statt, deren nicht-behandlung das feld für neue fundamentalismen öffnet. und dieser kann sich in der schweiz mit den mitteln der direkten demokratie relativ leicht seinerseits die öffentlichkeit, die medien und die politik beeinflussen.

dagegen verteidige ich den aufklärerischen gedanken, den immanuel kant formuliert hat: dass die individuelle freiheit gross sein soll, aber dort ihre grenzen hat, wo sie die freiheit des andern bedroht. und dass gesellschaften zu garantieren haben, das dies nicht eintrifft.

bilanz 2008
mit dieser motivation bin ich gerne nach genf gereist, ins ehemalige zentrum des calvinistischen gottesstaates, das heute in aller offenheit und öffentlichkeit möglichkeiten und grenzen von religion und politik in der aufgeklärten gesellschaft debattieren lässt.

stadtwanderer

foto: studio der sendung “faut pas croire” im genfer fernsehstudio (aufnahme: stadtwanderer)