leben wir schweizerInnen nun im eidgenössischen “dritten reich”?

die schweiz hat sich entschieden. sie will die definitive personenfreizügigkeit mit der heutigen europäischen union. 59,6 prozent waren dafür. dagegen war vor allem die svp, und die hat ausgesprochen mühe, sich mit der niederlage abzufinden. so vergleicht christoph blocher jene, die zur mehrheit gehörten, mit der gefolgschaft für hitler.

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minderheit als pflicht, weil die mehrheit manipuliert wird wie in einer diktatur, ist die polarisierende botschaft auf teleblocher.

mit dem nationalsoszialismus ist nicht zu spassen. die nsdap brachte sich 1933 unter adolph hitler mit fragwürdigen methoden an die macht in deutschland. sie errichtete den führerstaat, eine totalitäre diktatur. sie legitimierte den radikalen antikommunismus, antisemitismus und antidemokratismus als politsiche ideologie. das nationalsozialistische deutschland entfesselte den zweiten weltkrieg, und es verübte den holocaust, der zu den einzigartigen verbrechen an der menschheit zählt. nach der niederlage deutschlands 1945 wurde der nationalsozialismus in seinem heimatland verboten.

ein “nazi” zu sein, gehört zu den schlagkräftigsten diskreditierungen, die man bis heute dem politischen gegner unterstellen kann. teile der radikalen linken arbeiten damit, wenn es um die rechte geht, und teile der radikalen rechts schrecken davor nicht zurück, der linken “sozialfaschismus” zu unterstellen.

in den letzten jahren ist es selbst in politisch gemässigteren kreisen nicht mehr verpönt, im privaten gespräch wie im politischen schlagabtausch damit zu hantieren. jetzt eskaliert die verwendung sprunghaft. in seinem eigenen fernsehen vergleicht christoph blocher jene, die mit der mehrheit stimmten mit der gefolgschaft von adolph hitler. hier die sentenz:

«Nehmen Sie diktatorische Strömungen wie das Dritte Reich. Natürlich, wenn alle hinstehen und dem Hitler zujubeln, dann gehören sie immer zu den Gewinnern». interviewer matthias ackeret erwidert, das sei doch nicht vergleichbar. blocher: «Doch, das ist insofern vergleichbar, weil viele denken, sie müssten zur Mehrheit gehören – und ja nicht zur Minderheit.»

was geschieht hier, frag’ ich mich da? sind nun alle nazis, die mit der mehrheit stimmen? ist der volkswille, wie er sich bei volksentscheidungen äussert, nationalsozialistisch manipuliert? das jedenfalls ist die unterstellung, die mich zu folgendem nachhaken führen: haben unsere politischen institutionen, mit denen wir in volksabstimmung über die politische ausrichtung entscheiden, total versagt? gibt es in der schweiz keine meinungsäusserungs- resp. informationsfreiheit mehr? sind wir nicht mehr fähig, uns frei zu entscheiden? ist das gleichheitsgebot zwischen den bürgerInnen obsolet geworden, sodass ausgewählte uns unwidersprochen sagen müssen, was sache ist und was nicht? können wir überhaupt nicht mehr stolz sein, auf unser wahl- und abstimmungsrecht?

der sinn von volksabstimmungen besteht darin, dass sie eine institutionelle regelung sind, konflikte in der gesellschaft politisch verbindlich zu regeln. das habe ich drei tage vor der abstimmung über die personenfreizügigkeit in einem vortrag in kirchlindach bei bern gesagt. zu dieser regelung gehört, dass die verfahren der entscheidfindung eingehalten werden, weil, diese die entscheidung selber legitimieren. entscheidend ist dabei, dass die jeweilige minderheit in der sache die jeweilige mehrheit anerkennt, denn nur so kann sie sich, bei der nächsten entscheidung, in der man in der mehrheit sein kann, darauf berufen, legitimiert zu sein, den konflikt in ihrem sinn zu regeln. wer das nicht mehr akzeptiert, vergibt sich das recht, im einem weiteren fall, die mehrheit repräsentieren zu können.

und deshalb die frage: kann man die mehrheit in einer volksabstimmung ungestraft mit der anhängerschaft der nazi vergleichen? leben wir in der schweiz wirklich im eidgenössischen “dritten reich” ? – oder braucht es gegen solche anpassungsunterstellungen den entschiedenen widerstand der citoyens und citoyennes?

stadtwanderer