sozialpsychologie der erdbeer-jogurths

wir sitzen in senné vor dem haus der slowakischen vogelschutzorganisation vor ort und stärken uns mit einem währschaften frühstück. denn danach soll es hinaus in die sumpfgebiete. vorher aber schweifen meine gedanken zwischen erdbeeren und sozialpsychologie umher.

jahoda1937
marie jahoda, oesterreichisch-britische sozialpsychologin und pionierin der sozialforschung

das frühstück kurz nach sechs morgens ist reichlich. kaffee und tee werden gereicht, brot wird geschnitten, die butter taut langsam auf, der salami riecht fein, und das gemüse war eben noch auf den ständen des lokalen marktes ausgestellt.

mich interessieren vor allem die jogurths. vanille und erdbeer stehen zur auswahl. ich bin unschlüssig, nehme aber eine mit der aufschrift “jahoda”. der spezielle name gab wohl den ausschlag, denn er einnerte mich an die berühmte österreichische sozialpyschologin marie jahoda, die anfangs der 30er jahre in mariental ausserhalb wiens die arbeiterInnen befragte, die allesamt aus der eben geschlossenen textilfrabrik entlassen worden waren.

das buch “die arbeitslosen von mariental” ist als klassiker in die sozialwissenschaften eingegangen. mit damals noch wenig erprobten methoden untersuchte das team um marie jahoda, wie menschen auf arbeitslosigkeit reagieren. es kam zum schluss, dass die meisten nicht rebellieren, sondern resignieren. sozialwissenschaftern ist das heute meitens klar; politikerInnen nicht immer.

marie jahoda war damals mit paul lazarsfeld verheiratet. beide waren jung zu ihrem doktortitel gekommen und hatten sich der sozialforschung verschrieben. beide waren sie jüdischer herkunft und mitglied der sozialdemokratischen partei.

1933 kamen sie wegen den nazis in schwierigkeiten. paul ging wie viele in die usa, während marie ins gefängnis kam. 1934 wurde ihre ehe geschieden. paul blieb in den vereinigten staaten, wurde begründer quantitativer methoden in der wahl- und kommunikationsforschung und hatte mehrere professuren als soziologe inne. marie emigirierte nach ihre entlassung aus der haft nach grossbritannien, wo sie, die pionierin qualitativer methoden in der sozialforschung, die erste frau wurde, die einen lehrstuhl für sozialpsychologie leitete.

das jogurth mit der aufschrift “jahoda” schmeckte fein. erst als ich über meine wahren gründe, warum ich es gewählt hatte, erzählte, lachte meine begleitung. denn “jahoda” ist auf slowakisch keine marke, sondern heisst ganz einfach erdbeere.

marie hätte gesagt: mit quantativen methoden hätte man diese spezielle entscheidung nie bestimmen können, dafür muss man die lebensgeschichte der menschen kennen, die handeln. in meinem fall hätte ich ohne das versehen eher auf vanille gesetzt.

stadtwanderer

kontraproduktive krähenjagd

wie man krähen nicht verscheuchen kann. der bericht aus der stadt michalovce in der slowakei.

michal
der stadtpark von michalovce mit den umstrittenen krähennesten (foto: stadtwanderer)

das kreischen hört man von weitem. zuerst vermutet man stimmen einer grossen, mächtigen vogelkolonie. doch dann macht einem die penetranz skeptisch. so laut? und so kontinuierlich? – das kann doch gar nicht sein.

der besuch des stadtparks von michalovce ist voll von gegensätzen. eine kleine kirche steht im zentrum. rund herum hat es bäume, die das gotteshaus um mindestens das doppelte überragen.

der park ist alles andere als lauschig, denn die vielen krähen verschmutzen ihn kräftig. die gehsteige müssten längst gewischt werden, die bänke hätten es auch dringend nötig.

beides hängt zusammen: denn die riesigen bäume mitten in einer stadt sind der tummelplatz für krähen. seit vielen jahren nutzen sie den ort, um zu nisten.

diesen frühling hat man eine firma beauftragt, die nester in luftiger höhe zu zerstören. doch der schuss ging hintern hinaus. zwar gab es einen auftrag, sagen die lokalen vogelschützer, aber keine gesetzliche grundlage für die aktion.

das problem mit den krähen in michalovce kann man nicht lösen, indem man sie vertreibt, ist die philosophie der tierliebhaber. vielmehr sollte man ihrer meinung nach die bänke überdachen und die wege wischen.

davon will die stadtverwaltung nichts wissen. statt unerlaubte nesträuber auszuschicken hat sie sich entschieden, die krähen mit lautsprechern zu bekämpfen. aus diesen tönen schrecklich-laute vogelstimmen, welche die krähen in alle winde zerstäuben sollen.

doch auch diese idee ist nicht mehr als ein bumerang. die schwarzen vögel stört der lärm nicht; sie seien dieses jahr eher zahlreicher gekommen, um zu nisten, heisst es von seiten der vogelstatistiker.

dafür bleiben die spaziergänger im stadtpark ganz aus. verdreckte bänke und betörendes gekreische lädt niemanden mehr zum verweilen mitten in michalovce ein.

stadtwanderer

jalta im grossen – jalta im kleinen

von aussen ist unser hotel in michalovce grün eingefärbt. das gilt auch für die meisten teppich im allgemein zugänglichen bereich im innern. bei lift ändert sich das aber, denn dessen interieur ist ganz in rot gehalten. genauso wie der sitzungsraum, den man zum frühstückstreff umgestaltet hat. die stühle der wichtigen konferenzteilnehmer sind knalligem rot. hier tagten vor 20 jahren sicher noch die funktionäre der tschechoslowkischen kommunisten.

jalta
hotel jalta in michalovce, wo wir während unseres aufenthaltes in der ostslowakei untergebracht waren (foto: stadtwanderer)

wem das hotel heute gehört, kann ich nicht zweifelsfrei eruieren. die tafel am eingang verweist schemenhaft auf eine chemiefirma. privat dürfte die aber kaum sein, liegt doch in der bar die “pravda” im ostslowakischen lokalformat auf. am ehesten wird sein, dass die chemiefirma unverändert der öffentlichen hand, dem staat oder der stadt, gehört und dieser damit der eigner im hotel jalta ist.

im frühjahr 1944 trafen sich auf der damals sowjetischen krim drei der bedeutenden staatsmänner ihrer zeit.. franklin d. roosevelt, winston churchill und josef stalin. ihr ziel war die regelung der grobverhältnisse nach dem krieg in europa. allgemein rechnete man damit, das der weltkrieg einzig in japan seine fortsetzung finden würden, was den amerikanischen präsidenten und britischen premier veranlasste, stalin einzubinden.

bei der deutschland war man sich in jalta rasch einig: sturz des naziregimes und aufteilung in besatzungszonen, die von den alliierten erobert und verwaltet werden sollten. weniger klar verteilt waren die vorstellungen bei der neugestaltung europas, denn die sowjetunion bestand auf einem breiten schutzschild von satellitenstaaten entlang seiner westgrenze.

die gesamte tschechoslowakische republik, deren vorläufer organe in der k.u.k monarchie ins europäische zentrum ausgerichtet waren, kam in jalta in den sowjetischen einflussbereich. die rote armee befreite das land von den nazis, betrachtete es aber in der folge an den europäischen osten angebunden. 1968 bestätigte sich diese annahme mit der militärischen besetzung drastisch.

erst 1989 wurde die enge anlehung an die sowjetunion mit dem zerfall des eisernen vorhangs aufgelöst. 2004 trat slowakei, die sich 1993 von tschechien getrennt hatte, mit anderen mitteleuropäischen staaten der eu bei, und anfang jahr wurde schliesslich der euro eingeführt.

vieles, was in den letzten 20 jahren wieder aufgebrochen ist, wurde im hotel jalta in michalovce noch nicht verarbeitet. das rechnen in euro fällt sichtbar schwer, den die krone ist unverändert überall angeschrieben. und es zählt in der ostslowakei ein jeder cent. am empfang ist man zwar freundlich, ja ausgesprochen jugendlich-westlich angezogen. doch schon an der bar versteht man kein wort englisch, und mit der service-ausrichtung happert es ziemlich flächendeckend.

durch die grossen politischen entwürfe im osten wie im westen unbeeindruckt geblieben scheint nur die absolut patente zimmerfrau zu sein. als mein chip aus dem fotoapparat spickt und ausgerechnet im schmalen schlitz zwischen holzbalustrade und steinmauer des salons verschwindet, weiss sie sofort rat. sie demontiert mit einigen handgriffen das gestell, weisst den herbeigerufenen, hilflosen hausmeister an, an welcher schraube er drehen solle und befreit im nu meinen chip mit allen fotos, die ich im stadtwanderer veröffentlichen will.

chapeau, madame, sagt sich da im 4. stock des roten hotel jalta von michalovce der

stadtwanderer

der maibaum

der empfang in michalovce war lebensfroh. denn am übergang vom april zum mai ist in der slowakei was los.

maibaum
volksfest am vorabend des 1. mai in michalovce, im zeichen des maibaumes (links), (foto: stadtwanderer)

ein paar starke jungs aus michalovce trugen den maibaum durch die fussgängerInnenzone an die zentrale stelle mit dem brunnen. dort stellten sie die mit farbigen bändern geschmückte, lange birke als sichtbares zeichen des festbeginns auf. dann er tönte blasmusik von der bühne, und bald schon begannen die lebensfrohen einlagen.

selbst die ganz kleinen mädchen kam, mit streng gebündeltem haar, um zu singen und zu tanzen. die etwas älteren hatten sich schon mal ihre lippen dickrot gezogen. sie warben auf der bühne um die sportlichen jungs mit hut. die hauptsache ging jedoch ab, als die erwachsenen tanzten, in gruppen, zu zweit, bisweilen aufalleine. einmal sogar mit puppe, welche den nachwuchs symbolisiert.

in der vorersten sitzreihe freute sich der stadtpräsident über die gelungene aufführung. hinter ihm sassen die familien, deren nachwuchs auf der bühne faszinierte. selbst einige roma hatten platz genommen und zu zeigen, dass auch sie sich freuten.

zwischen bühne und publikum blieb ein wenig platz. den nutzten die muntersten und den kleinkindern. bei den grösseren reichte das kinn schon mal über die bühnenkante. und die kleinsten unternahmen die ersten schritte der werbung gegenüber dem anderen geschlecht.

wenn man in diesen tagen michalovce verlässt, wird man in den bauerndörfer rund herum über an die sitten im wonnemonat erinnert. kein haus an den ausfallstrasse, in denen eine junge frau mit freund oder verehrer lebt, hat keinen maibaum im garten nicht. denn der erinnert an den wonnemonat, den monat der liebe, die in gegenden wie jener von michalovce jedes frühling einzug hält.

stadtwanderer