der totengräber (von bern)

fragt man nach den grossen momenten in berns geschichte, erhält man wohl die wahl berns zur bundesstadt der schweizerischen eidgenossenschaft im jahre 1848 oder die besatzung der stolzen patrizierstadt durch die franzosen von 1798 als typische antworten. vergessen gehen dürfte aber der wohl wichtigste einschnitt in der stadtgeschichte überhaupt: die pest von 1349. das könnte sich jetzt ändern.

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nach verschiedenen erfolgen mit historischen themen, die sie in berns gassen als grosse stadttheaterbühne aufführen, haben sich christine ahlborn (skript und regie) und matthias zurbrügg (schauspiel) von mes:arts nun an dieses bedeutsame thema heran gemacht. und eines kann man jetzt schon sagen: trotz des diffizielen themas tod, schaffen sie auch diese aufgabe mit bravour!

ihr “totengräber”, wie ihre neueste szenenfolge heisst, ist als stück abwechslungsreich und spannend, denn als person hat er in den eineinhalb stunden der aufführung alle hände voll zu tun: 60 personen starben in den schlechtesten tagen des jahres 1349 alleine innerhalb der stadt bern, die damals knapp 10’000 einwohnerInnen zählte.

dass es mitte des 14. jahrhunderts seit menschengedenken erstmals wieder soweit kommen konnte, hatte mit der pest aus dem chinesischen kaiserreich zu tun, die sich über handelswege ausbreitete, das schwarze und das mittelmeer erfasste, das rhonetal hinauf kam, zuerst genfs bevölkerung dezimierte, um sich danach in den städten und ländern des mittellandes ausbreiteten.

schneller noch als die bekannte katastrophe machte die kunde über die ursache der pest die runde, was zu vergessenen katastrophe führte: schuld seien die juden, glaubte man im adel und klerus von damals, denen die andersgläubigen stets ein dorn im auge gewesen waren. ausgewiesen wurden sie aus den städtischen gemeinschaften oder mit gewalt umgebracht. so steht das jahr 1348 unverrücktbar für einen judenpogrom, der zum bleibenden einschnitte im verhältnis der religionen hierzulande werden sollte.

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diese dramatischen umstände erlauben es matthias zurbrügg teils historisch abgestützt, teils frei fabulierend, die geschehnisse in der stadt bern behände in verschiedenen rollen schlüpfend als ein-mann-theater aufzuführen. famulus, der berater des schultheissen, die vieles über viele weiss, und einiges darüber hinaus für einige erfindet, ist seine zentrale figur. sie überredet den schultheissen, das geld der juden zu nehmen, um sich dann mit der verbrennung der kreditgeber und ihrer schuldbriefe auf dem scheiterhaufen von der pekuniären schuld zu befreien. sie ist es auch, die den leutpriester vom deutschorden anstiftet, gewalttätig gegen die andersgläubigen vorzugehen. doch sie ist es auch, die nach getanener arbeit miterleben muss, wie dieses sündenbockdenken die pest nicht verhindert, die durch die stadttore einzug hält und nun auch die christen sterben lässt, bis im wahrsten sinne des wortes alles am boden liegt.

matthias und christine wandern mit ihren zuschauerInnen vom berner rathaus auf den münsterplatz, durchziehen die herren- und münstergasse und enden nochmals auf dem münsterplatz. derweil tobt ein kampf zwischen gevatter tod, dem totengräber, den sterbenden, den lebenden und den überlebenden in der berner altstadt, dass es einen als zuschauer immer wieder schauert.

am ende der aufführung kommen alle ritter aus der stadt bern und ihrem umland, die vor angst geflohen waren, in die stadt zurück, um zu feiern, auf ermattete landbwohner überfälle zu verlangen, um sich nach der katastrophe wieder herrschaftlich zu behaupten.

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an diesem mittwoch war die urauffühungen des stückes. die herrliche abendstimmung trug zum guten gelingen bei, das vor allem durch die bewusste themenwahl und ortsangepasste umsetzung überzeugt. von nun an hoffen regiesseurin und schauspieler, jeden mittwoch um 8 soviel publikum wie bei der premiere zu haben.

und der stadtwanderer hofft, dass der schluss bis dann noch etwas verbessert wird. so gelungen die prägnante einführung des schrecklichen ereignisses in die stadtgeschichte unter der statue von herzog berchtold von zähringen im untersten stadtteil ist, so unvermittelt endet die erzähung auf dem münsterplatz. zu gerne hätte ich gehabt, dass man hier einen ausblick gewagt hätte …

… auf das spitalwesen der stadt, das nach der pest beispielsweise durch anna seiler entsteht und mit der “inseln” bis heute in direkter folge weiterlebt;
… auf die (vorübergehende) vertreibung der bubenbergs als schultheissen und die friedensschlüsse im westlichen mittelland, die eine annäherung der nun (vorübergehend) bürgerlichen stadt an die eidgenossenschaft im ganzen voralpengebiet erlaubte;
… auf die vom kaiser beförderte rückkehr des alten stadtadels, der sich mit wirtschaftsförderungsmassnahmen wie dem kaufhaus für die händler spofort und den lauben für das gewerbe etwas später wieder festsetzt und bis jetzt das stadtbild prägt;
… auf die öffnung der stadt für auswertige, lombarden, basler, schwaben, welche die gründerstadt wieder aufblühen lassen, sie kulturell beleben und mit den ideen der renaissance, der bautechnik und des buchdrucks in verbindung bringen
… auf den zerfall der autorität der katholischen kirche, die schutz versprochen, dafür juden umgebracht und trotz alledem die pest nicht verhindern konnte, bis dass die gärung in der kirche in der reformation endete,
… kurz, auf die entstehung der stadtkultur an der schwelle der neuzeit.

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