geschichte und poesie …

“wer sind die drei nobelpreisträger, die in bern gelebt haben?”, fragte ich gestern wie so oft zum schluss meiner stadtwanderung. die pointe, die dabei möglich gewesen wäre, verpatzte ich jedoch. deshalb ein nachtrag.

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“geschichte und poesie” von paul robert, mosaikbild über dem eingang des historischen museum in bern (foto: stadtwanderer)

anstatt wie gewohnt “einstein”, “kocher” und dann lange nichts zu hören, bekam ich von leni robert mit etwas kleinlaut die antwort: “de schueldirektr”.

in der tat, die vormalige erziehungsdirektorin des kantons bern von 1986 bis 1990 zielte direkt auf charles-albert gobat, ihrem amtsvorgänger an der wende des 19. zum 20. jahrhundert. für seine bemühungen, zwischen zerstrittenen romanen und germanen zu vermitteln, wurde er mit dem friedensnobelpreis geehrt.

der ort für meine abschlussfrage war entsprechend gewählt, denn niemand geringerer als gobat hat den bauplan für den museumsbau bewilligt. im dankeswort für die stadtwanderung wies mich leni robert darauf hin, dass das grosse mosaikbild “geschichte und poesie” über der eingangstüre des museums von paul robert, einem der sechs maler aus der neuenburger familie ihres verstorbenen mannes, erdacht worden sei.

doch nicht nur das: heute brachte mir bärbi das geschichtsbuch von charles-albert gobat nach hause, das er als regierungsrat verfasst und unter dem für ihn so typischen titel “historie de la suisse, racontée au peuple” publiziert hatte. zu den illustratoren des fast 660 seiten dicken werkes zur schweizer geschichte, das sich an eine gebildetes publikum wandte, gehörte niemand anders als eben dieser paul robert.

eigentlich hätte ich es spüren müssen: selbst wenn sie in verschiedenen zeiten gelebt haben, selbst wenn sie dadurch ganz anderes sozialisiert worden sind, und selbst er ganz bewusst als mann und sie ebenso bewusst als frau politisiert hatten: charles-albert gobat und leni robert haben eine wesensverwandtschaft. sie traten für ihre überzeugungen ein, selbst wenn sie damit ihn ihrer partei aneckten. denn beide “schuldirektorInnen” liessen sich von ihrem umfeld nicht auf das übliche niveau in der berner politik einebnen.

chapeau, mes deux!

stadtwanderer

1986: wie vieles begann, das heute noch wirkt

die wahlen in den berner regierungsrat von 1986 sind unvergessen. gestern trafen sich zahlreiche protagonistInnen und nachfolger dieser zeit zu einer gemeinsamen stadtwanderung.

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der stadtwanderer und sein publikum: die ehemaligen politikerInnen leni robert, dori schär, peter siegentaler, urs hänsenberger und rosemarie bär, aber auch viele andere, wanderten mit, um sich an die wahlen von 1986 zu erinnern (foto: bärbi)

1986 ist in vielerlei hinsicht ein einschnitt gewesen. am 26. april ging in tschernobyl ein atommeiler in die luft und verseuchte weite teile europas. in bern war man gerade dabei, eine neue kantonsregierung zu wählen. die alte befand sich wegen ihrer jura-politik in der defensive, hatte doch eine finanzinspektor unerlaubte zahlungen aus schwarzen kassen des kantons aufgedeckt. im ersten wahlgang wurden svp und sp bedient, die fdp-vertreter jedoch schafften das absolute mehr nicht. in aussichtsreicher position lagen dafür leni robert und benjamin hofstetter von der freien liste. im zweiten wahlgang reichte es für die beiden vom postmateriellen wertwandel inspirierten vertreterInnen der jungen partei. mit leni robert wurde erstmals auch eine frau in die berner kantonsregierung gewählt.

nur wenige wochen davor, am 16. märz 1986, entstand eine andere politische bewegung. die schweiz verwarf an diesem tag in einer volksabstimmung den beitritt zu den vereinten nationen wuchtig. obsiegt hatte ein konservatives komitee, das sich in der folge umbenannte und immer noch existiert: bis heute wacht die auns darüber, dass sich die schweiz von allem, was im ausland geschieht, gründlich fern hält. sie legte damit die basis für das erstarken der svp als neuer rechtspartei, die schweizer werte der abschottung, der bevorzugung einheimischer gegenüber ausländerInnen und bewahrung helvetischer sonderfälle in einer sich rasch wandelnden umwelt propagiert.

1986 war auch für mich ein wendejahr. meine anstellung an der uni bern war unsicher geworden, weil das forschungszentrum für schweizerische politik, wie die arbeitsstelle der politologInnen von damals hiess, liquidiert und die ressourcen der neoliberal ausgerichtete politischen ökonomie angeschlossen werden sollten. ich bewarb mich, beispielsweise als marktforscher für den “tages-anzeiger”, nahm dann aber ein unverhofftes angebot an, als projektleiter am gfs-forschungsinstitut für abstimmungsanalyse eine stelle anzutreten. das gefiel mir, denn in all diesen umbrüchen vom frühjahr 1986 habe ich erstmals ein grosses interview über die schweizerische parteienlandschaft im umbruch geben können; urs paul engeler von der berner zeitung führte es. bei den berühmten berner wahlen von damals hatte ich zudem mit hans hirter erstmals eine hochrechung zu einer volksentscheidung realisiert.

leni robert, die damals bernische erziehungsdirektorin wurde und als eine ihrer ersten amtshandlungen den bestand der berner politikwissenschaft sicherte, bin ich seither mit beobachtender distanz freundlich verbunden geblieben. um der abtrünnigen freisinnigen, die der politik der 80er jahre viel gebracht, ein kanppes vierteljahrhundert danach einmal herzlich dankeschön sagen zu können, habe ich sie, einige ihrer weggefährten und deren politisch nachfahren zu einem rundgang durch bern eingeladen. gekommen sind alt-regierungsrätInnen, alt-stände- und nationalrätInnen aller bernischen regierungsparteien; anwesend war auch lokalpolitikerinnen, lokaljournalisten der ersten garde, und viele andere mehr. besonders gefreut hat mich, dass auch adrian vatter mitmarschierte, damals ein kleiner mitarbeiter von mir, seit einem monat inhaber des berühmten lehrstuhles für schweizerische politik an der uni bern.

herzlichen dank euch allen, es hat mit viel bedeutet, mit den zeitgenossInnen von damals die verfassung der gegenwart zu erkunden!

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