“schreien nützt nichts!”

sie hielt das beste referat, obwohl sie kein wort sagte. denn helene jarmer, die grüne abgeordnete zum nationalrat aus wien, hörte nichts, spricht nichts, und führte den versammelten politberaterInnen europas trotzdem vor, wie man wahlkämpfe führen und gewinnen kann.

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helene jarmer, gehörlose politikerin in österreich, am kongress der eapc in wien

“ihre angelobung im nationalrat geriet zu vielbeachteten lektion in der gebärdensprache”, sagte helene jarmer am kongress “emotions in politics and campaigning” durch ihre interpretin. vorher habe man im österreichischen parlament das problem der gehörlosen ignoriert. doch seither würden alle sendungen aus dem nationalrat mit gebärdensprache übersetzt. bingo!

“schreien nützt nichts”, war damals ihr slogan. er hat die politikerin landesweit bekannt. dass kommunikation mehr als reden ist, weiss die tempramentvollen sonderpädagogin gut zu vermitteln. den verblüfften politberatern aus ganz europa zeigt sie ohne wenn und aber: ihr standort auf der bühne ist nicht hinter dem rednerpult, sondern mitten im geschehen, was die referentin souverän macht. für den bericht aus ihrem leben braucht sie auch kein manuskript, was gerade nach abgelesenen vorträgen durch professoren erfreut. und schliesslich setzt politikerin jarmel bilder auf der leinwand genauso wie ihre körpersprache viel bewusster als die meisten anwesenden ein, um sich mitzuteilen.

die gebärdensprache, die ihr hilft zu verstehen, was andere sagen und mit der sie geübten interpretinnen mitteilt, was sie andern sagen möchte, ist dabei alles andere als international. vielmehr kennt sie nationale eigenheiten – und sogar dialekte. besondere probleme ergeben sich mit namen, etwa im parlament. wolfgang schüssel, der frühere övp-chef und dann ministerpräsident, habe sie stets mit dem “mascherl” gleichgesetzt, das er früher trug und ihn unverwechselbar gemacht habe. und so zeigte ihre gebärde für ihn schnell mal die form einer fliege. für viele der anderen politikerInnen habe sie aber neue zeichen erfinden müssen, was man sehr geschätzt habe.

“schauen sei gehörlosen ins gesicht, wie allen anderen menschen auch”, gibt die 39jährige wienerin allen anwesenden auf den weg. ohne übersetzung verstehe sie zwar nichts; ohne ihre person müsste man aber auch nichts übersetzen. und so könne sie wenigstens einen teil ihrer emotionen in diskussionen direkt vermitteln. das fällt einem auch nicht schwer zu verstehen. denn: “genauso wie es unter menschen mit gehör langweiler gibt, finden sie solche auch unter gehörlosen.” dass helene jarmel nicht gehört, wird einem rasch klar, wenn man ihr zusieht um zuzuhören.

jarmels botschaft bleibt einem nach dem referat tief sitzen. und trotzdem macht man einen dummen fehler, wenn man herzhaft klatscht. denn auch das hört die gehörlose politikerin nicht. mit den händen in der luft wackeln, bedeutet sie dem publikum, und als es das macht, nimmt sie es mit sichtbarem dank mit auf ihren weg.

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