switzerland for sale

basel, vor einigen tagen: im theater referierte jakob tanner. geladen hatte “die zeit”, die in der serie “rede zeit” expertInnen zur frage stellung nehmen lässt, wohin die schweiz treibe. ob das gelungen ist, weiss ich nicht, denn man erhielt eher eine antwort auf die frage, wer die schweiz treibe, verbunden mit dem ratschlag an die regierenden, selber treibender zu werden, als getriebener zu bleiben.

tannerjakob tanner, professor für wirtschafts- und sozialgeschichte der neuzeit an der uni zürich, wählte für sein referat einen starken titel: “switzerland for sale: aufstieg und fall eines geschäftsmodells“. die rede strukturierend, setzte er ein zitat von bundesrat philipp etter ein: “Es ist doch etwas Grossartiges, etwas Monumentales, dass um den Gotthard, den Berg der Scheidung und den Pass der Verbindung (…) feiern durfte: die Idee einer geistigen Gemeinschaft der Völker und der abendländischen Kultur.”

die grundlage des geschäftsmodells, das auf den beiden bildern der scheidung und der verbindung basierte, wurde im ersten weltkrieg gelegt. nationale unternehmen schotteten sich gegen ausländische einflüsse ab, sodass die “festung schweiz” entstand. komplementär dazu entwickelt sich die “steueroase schweiz”, die sich dem kriegsverwüsteten europa offen anbot.

diese kombination wurdê erst in den 70er jahren des 20. jahrhunderts mit der wirtschaftskrise erschüttert. seither ist in der bürgerlichen politik sparen beim staat angesagt, und in der wirtschaft ist das rücksichtslose gewinndenken unter den aktionären zur maxime geworden.

das herkömmliche geschäftsmodell schweiz erodierte so. neu setzte man auf steuerflüchtlinge, die den speziellen schutz von mutter helvetia geniessen. zwar rechnete man mit kritik aus dem ausland, nicht aber damit, dass die ausländischen eliten, die gleichzeitig regieren und ihr eigenes geld in die flucht jagen, das huhn, das goldene eier legt, schlachten würden.

doch es kam anders! das ist tanners auffassung zum ende des schweizerischen geschäftsmodells. denn als die kritik mit handfesten sanktionsdrohung angereichert wurde, gerit der bundesrat in panik, und er änderte binnen 24 stunden die richtung um 180 grad. so geschehen am 13. märz 2009, als die nichtverhandelbarkeit des bankgeheimnisses durch die verhandelbarkeit ersetzt wurde.

jakob tanner glaubt nicht, dass die schweiz zur alten normalität zurückkehren könne. weder die steueroase noch die festung schweiz lassen sich seiner meinung nach retten. für das erstere ist der äussere meinungswandel verantwortlich, für das zweite der innere.

denn die restrukturierung der wirtschaft wurde in den 90er jahren zur vorübergehenden leitidee der finanzinvestoren. wer es sich leisten könnte, kaufte firmen, die man schlecht geredet hatte, für ein schnäppchen und machte zwei sachen daraus: der kernbereich reorganisierte man, und verkaufte, was blieb, ins ausland. noch gewinnbringender liessen sich aber die assets verhöckern, die in der bilanz als abgeschriebene posten versteckt waren und in kleine einheiten aufgeteilt bestens verkauft werden konnten.

tanner ist überzeugt: das fenster dieser möglichkeiten, das sich in den 90er jahren öffnete, ist wieder zu. exemplarisch für diese phase der geschichte erwähnte er das ende der alusuisse, einem flagschiff der schweizer wirtschaft. beobachter konstatierten am ende des 20. jahrhunderts einen verkaufsgewinn von 1 milliarde schweizer franken, aufgeteilt auf martin ebener und christoph blocher.

dieser christoph blocher investiert inzwischen als politischer unternehmer in die ruinen des schweizerischen geschichtsmythos’ und als unternehmerischer politiker in die politische propaganda der svp. beides macht er, so tanner, um in der kombination europhobe und fremdenfeindliche kampagnen auf gesicherter basis lancieren zu können.

in das leicht politische klagelied des historikers, der gelegentlich als marxist verschrien wird, mischt sich aber eine überraschende aussage: “Man kommt wohl nicht darum herum, das für schweizerische Binnenverhältnisse erstaunliche Phänomen des Aufstiegsder SVP zur landesstärksten Partei zu personalisieren. Blocher erklärt nicht alles, doch einiges.”

den regierende in der schweiz rät jakob tanner, nicht am alten festhalten zu wollen. denn die verteidigung eines solchen ansatzes führe nur noch von kommunikationspannen zu politpossen. es sei wohl nötig, die schweiz im ausland ungeschminkt zu erklären. dringend sei es aber, die schweiz im inland so zu sehen.

und an die geschichtsinteressierten im publikum wandte sich der historiker, der schon mal in der bergier-kommission hierfür sorgte: wer konfliktscheu ist, sollte nicht geschichte betreiben wollen!