für die “sternstunde geschichte” unterwegs

im herbst 2010 wird im schweizer fernsehen die zweite staffel der “sternstunde geschichte” ausgestrahlt. die aufnahmen hierzu finden diese woche im bergell statt.

untitledwarten auf sendung: roger de weck, sternstunde-moderator (und srg-generaldirektor in spe), mit dem stadtwanderer vor der sternstunden geschichte sendung zu “der freisinn und seine gegner” (foto: nathalie wappler)

ende jahr wird roger de weck seine verpflichtungen als journalist aufgegeben haben, um sein neues amt als generaldirektor der srg anzutreten, zu den prominenten auftritten vorher gehört die von ihm 2009 begründete tv-serie “sternstunde geschichte”. im september 2010 wird man sie, an vier auf einander folgenden sonntagen, sehen können.

“schweizer gemeinsinn – schweizer gegensätze”, “die deutschschweizer – und alle anderen”, “der schweizer geschlechterkampf”, “nationale souveränität und internationale verpflechtung” heissen die vier themen. diskutiert werden sie mit prominenten historikerInnen aus der schweiz. zu ihnen zählen regina wecker, simona boscani leoni, jakob tanner und urs altermatt. die fragen stellen neben roger de weck thomas maissen, als forschender historiker gegenwärtig in den usa, und der stadtwanderer aus bern.

und so bin ich im zug nach stampa unterwegs, wo im imposanten palazzo castelmur die vier diskussionrunden der sternstunde geschichte aufgezeichnet werden. ich freue mich auf den abstecher ins reformierte, italienischsprachige bündnerland, wo seit menschengedenken der nord/süd-verkehr durchgeht und so stets frischen wind in die enge talwelt bringt.

stdtwanderer

ps:
die sendungen der sternstunde geschichte erscheinen ab dem 29. august 2010 an 4 aufeinander folgenden sonntagmorgen (statt der sternstunde philosophie)

das starke dutzend

halbjahresbilanz zum stadtwanderer: kein monat brachte so viel traffic wie der april 2010. 90000 besuche wurde in diesen 30 tagen registriert, gegen 150’000 seiten wurden im gleichen zeitraum aufgerufen.

verweisende websiten sind zwischenzeitlich eindeutig am wichtigsten für den traffic auf dem stadtwanderer. an zweiter stelle finden sich die ratings in suchmaschienen, die vor allem über bilder zu besuchen führen. erst auf platz drei folgen die direktzugriffe.

abstrahiert man davon, zeigt die nachstehende übersicht, was in den ersten sechs monaten des jahres 2010 am meisten interessiert: kirchenfragen, reiseerlebnisse, burgundische geschichte, schwedische heiraten, steuern zahlen in bern, ueli der pächter und ali kebap. einen teil davon habe ich selber gesetzt, häufig bringt es grosse nutzungszahlen, wenn man medienthemen kommentiert, oder medienbericht blogthemen warm halten.

zirka 3000 aufrufe: kirchenmarketing und zukunftsbewältigung
zirka 2600 aufrufe: grenzerfahrungen
zirka 2400 aufrufe: wenn zeitalter sterben
zirka 2100 aufrufe: der stadtauswanderer
zirka 2000 aufrufe: lob für meine kommentatorinnen
zirka 1900 aufrufe: besuch auf der glungge – dem unsterblichen bauernhof der schweizer filmgeschichte
zirka 1800 aufrufe: i have to say sorry!
zirka 1600 aufrufe: steuern zahlen in der stadt bern und in den nachbargemeinden
zirka 1500 aufrufe: meine morgige rede vor der burgunder-ausstellung
zirka 1400 aufrufe: victoria!
zirka 1300 aufrufe: herodot – der vater der geschichtsschreibung
zirka 1100 aufrufe:ali kebap – new in town!?

bei weitem nicht alle beiträge, die in diesem semester führend waren, haben ich 2010 geschrieben. einige sind viel älter, bis aus der startzeit des stadtwanderers.

und noch was: von heute an habe ich ferien – werde aber unverändert berichten, so aus stampa in graubünden, wie auch aus holzhausen in schweden.

stadtwanderer

mit der arena in der arena

rollentausch: für einmal lud nicht die “arena”-redaktion des schweizer fernsehens ihre gäste ein (zu denen ich gelegentlich auch gehöre). vielmehr war ich der gastgeber, der das macherInnen-team der freitäglichen politsendung in die antike berner arena einführte.

P7031466es fehlt nur der schriftzug mit dem wochenthema. sonst hätte es eine arena wie im schweizer fernsehen werden können: reto brennwald und marianne gilgen in der berner arena aus antiken zeiten (foto: stadtwanderer)

es war ein rollentausch mit konsequenzen: marianne gilgen, die reaktionsleiterin, bestimmte für einmal das thema nicht. und reto brennwald, der moderator hatte kein mikrophon. keine person im hintergrund gab über einen ohrwurm tempo vor, und niemand, der nicht sichtbar gewesen wäre, konnte ein neues stichwort für die verhandlungen geben. denn es fehlte die tv-kamera!

diskutiert wurde auch nicht, ob die schule definitiv am ende und was dagegen zu tun sei, wie am freitag abend. denn dieses thema ist gesetzt, und die positionen sind bekannt gemacht. zudem hat man bernhard pulver, den berner erziehungsdirektor mit eigenem, populärem stil, schweizweit kennen gelernt.

gestern samstag ging es mir mit der stadtwanderung für das arena-team um den “berner raum”, seine geografische struktur, die folgen für den verkehr, der mittelalterlichen strassenbau und die stadtgründungen durch die zähringer, den stadtbrand und die wirtschaftsförderung, den müsternbau und das kapellensponsoring, die expansion der stadt bis nach dijon und vor die tore mailands, der niedergang bis zum einmarsch der franzosen und die demokratisierung der machtpolitik mit der volksherrschaft, die ihre weisheit aus der entscheidung vieler ableitet.

spontan setzte ich am ende doch noch zu einem plädoyer an: 1848 rang man sich nur zu einer wahldemokratie durch, bei der die (männliche) bürgerschaft die beiden parlamentskammern bestellen konnte. immerhin, die über die erste verfassung wurde abgestimmt, womit der kern für den ausbau zur abstimmungsdemokratie gelegt worden. stets abgelehnt wurde, auch die regierung durch das volk wählen zu lassen, – zurecht wie ich meine!

natürlich kann man die verfassung der kantone dafür zitieren, in denen das alles der fall ist. doch sind sie mir zu kleine politische gebilde, um wirklich gute beispiele für die schweiz zu sein. geeigneter ist das beispiel kaliforniens, wo man den gouverneur (gegenwärtig republikaner) und das parlament (gegenwärtig demokratische mehrheit) separat wählt, und wo man auch in sachfragen abstimmen kann. die budgetpolitik, die wichtigste überhaupt!, zeigte jüngst, was man gelegentlich auch aus der schweizer geschichte kennt: dass es bei zu viel demokratie zu wechselseitigen blockierungen der entscheidungen auf den verschiedensten ebenen kommen kann.

der weg dazu hatte unsere wandergruppe bis vors bundeshaus geführt. vorangegangen war eine tour durch die altstadt und ein besuch beim bärenpark. da war schon mal zeit, über die zukunft der arena das eine oder andere wort zu wechseln. denn die kritik schwelt, wegen der themensetzung, der personenauswahl und wegen der wirkung, welche arena-diskussionen auf das publikum haben. deshalb habe ich die wanderung auch in der enge-halbinsel begonnen, dort wo das römisch-gallischen brenodurum stand, die vorläuferstadt des modernen und mittalalterlichen berns. wenn ich mich nicht ganz täusche, ist das das älteste politische symbol im berner raum, – auf sand gebaut, mit steinen umgeben, und genau deshalb so wendig und beständig wie die politik.

stadtwanderer

penalties

„penalty“ schreien die gäste im berner restaurant schlüssel entgeistert. denn die partie ihrer lieblinge aus spanien steht in der zweiten halbzeit 0:0. und paraguay – ausgerechnet dieses paraguay! – bekommt einen strafstoss wegen eines rüppelhaften spanischen fouls zugesprochen.

P7031469strassenszene in der berner altstadt (foto: stadtwanderer) die spannung steigt in se- kundenschnelle, als der paraguayaner anlauf nimmmmmmt —- und verschiesst.

jetzt ist der jubel im strassenpublikum unbeschreiblich. alles klatscht!!! die kommentare sind entsprechend: „espagna!, espagna!“, dröhnt es durch die ganzen gasse. vorbei sei es nun mit paraguay, sagt man mir, geboten habe der aussenseiter aus lateinamerika bisher nichts. dafür komme spanien in den halbfinal, und der europameister werde dort die deutschen eliminieren, ist man sich an den tischen nebenan einig.

nur einen angriff später kommt es noch dicker: auch ein spanier wird beim angriff aufs gegnerische tor unliebsam vom ball getrennt, sodass es nur eine reaktion gibt.

„penalty, penalty, penalty“, hört man wieder in der ganzen gasse.

doch jetzt, jetzt ist es ein strafstoss für spanien! genauso, wie man es sich erhofft hatte.

einer der helden aus iberien nimmt anlauf, trifft den ball genau und versenkt ihn wunderbar im tor. “sensationell, sensationell!”, wird nun von der wolke sieben aus kommentiert.

das geschrei ist unschreiblich. spanien führt, paraguay ist out, das ist nun nicht mehr nur erwartung, nein, nicht einmal mehr meinung, sondern schlichte realität.

doch dann dies: der schiedsrichter wird von spaniern umringt, denen das entsetzen anzusehen ist. denn der unparteische gibt das eben bejubelte tor nicht.

“warum nur?”, steht den gesichtern im publikum ins gesicht geschrieben. die tv-zeitlupe klärt: die spanier rannten zu schnell los, noch bevor der ball berührt worden war, wollten sie beim toreschiessen einzeln nachhelfen. doch das ist nicht erlaubt.

die entscheidung ist hart, aber korrekt.

und so kommt es zur wiederholung des elfmeters, ohne dass ein goal gefallen wäre.

der zweite anlauf endet, wie man es an den tischen nebenan schon mal befürchtet hatte. in die rechte ecke zielt der spanier, und der torhüter hechtet genau in diese. jetzt ist er der held, der alles hält.

die vuvuzelas geben vor, während und nach der penaltiy-kaskade den ton an. doch jetzt aggresvitität liegt in der luft, und die enttäuschung in der gasse ist zum greifen. denn es ist unverändert 0 : 0 zwischen spanien und paraguay. aller dramatik um die strafstösse im sekundetakt zum trotz.

ich merke: das ist nicht meine sache, ich zahle und gehe weiter …

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ps:
ok, ich war noch nicht zuhause, das hupten sich die autos mit spanierfahnen durch die gasse. ich wusste: für sie hat es doch noch geklappt.

spuren eines autonomen gottesstaates

bischof kurt koch wurde heute erzbischof in rom. unvergessen ist seine kontroverse mit dem röschenzer pfarrer franz sabo, während der er forderte, das recht der kriche über das des staates zu stellen. ein hauch des autonomen gottesstaates, der dem basler bistum zugrunde liegt, kam damals zum ausdruck. nachzeichnen kann man diesen auch in der eigentümlichen wahl des bischofs, bei der das eigene domkapitel und nicht der papst entscheidet.

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der basler bischof kurt koch, zum erzbischof für ökumene nach rom berufen, braucht einen nachfolger, dessen wahl weltweit ein unikum ist.

die stadt basel hatte seit dem 5.jahrhundert ihren eigenen bischof. 999 wurde er durch schenkung des burgundischen kloster moutier-grandval nicht nur seelsorger, sondern auch reichster grundherr insbesondere im juragebiet. der kaiser stützte den basler bischof als seinen vasallen gegen den papst, als ein ebenso epochaler wie fürchterlicher streit über die vorherrschaft über die bistümer mit geistlichen und weltlichen grundlagen entstand.

markanstester vertreter dieses mischtyps aus oberpfarrer und reichsfürst zugleich war bischof burkard von fenis im 11. jahrhundert. ganz kaiserlich eingestellt, begleitete er heinrich iv. in seiner berühmten reise nach canossa. das söhnte sich dieser mit dem papst aus, um weltlicher herrscher in deutschland zu bleiben. burkard sicherte seinem bistum in der folge viele privilegien, sodass ein veritabler lokaler gottesstaat entstand. zwar legte 1122 der papst die hand auf die wahl des basler bischofs, doch seine starke stellung als oberster seelsorger und reicher grundherr sicherte ihm und seiner diözese autonomie.

geblieben ist bis heute die geistliche herrschaft des basler bischofs, während die weltliche schrittweise verloren gegangen ist. zuerst wurde man durch die habsburger bekriegt, dann wandten sich die basler bürger von ihrem vormaligen stadtherrn ab. der bischof emigrierte nach pruntrut, wo sein feudalreich als ländliches exil bestand hielt, während das domkapitel vorerst in freiburg, dann in arlesheim für die seelsorge seiner pfarreien zuständig blieb, und die wahl des bischofs selber entschied.

das revolutionäre frankreich bereitete dem alten bistum ein unschickliches ende. zuerst wurde das elsass kirchlich französisch, dann besetzen die truppen aus paris auch die ländereien. nach den niederlagen von kaiser napoléon auf den europäischen schlachtfeldern entschied der wiener kongress 1815, das bistum als territorialstaat ganz aufzuheben und seine gebiete den eidgenossenschaft zuzuschlagen, ohne daraus einen eigenen kanton zu machen. dafür stärkten die konservativen herrscher in wien den neuen basler bischof als oberster hirte seiner pfarreien. 1828 erhielt er als bischof von basel mit sitz in solothurn die katholiken beider basel, des aargaus, schaffhausens, des thurgaus, berns, luzerns und zugs zugeteilt. 523 pfarreien sind das heute, 1 million katholikInnen gehören zur kirche.

gewählt wird der nachfolger von kurt koch genauso wie dieser gewählt wurde, und genauso wie es seit langem brauch ist. denn das domkapitel, bestehend aus vertretern der kanton nimmt die wahl des bischofs vor, auf die die kantonsregierungen einfluss nehmen, bevor der papst die wahl bestätigen kann. dieses weltweite unikum ist genauso wie das rechtsverständnis, das in der röschenzer kontroverse bei bischof koch aufblitzte ein relikt aus dem autonomistischen gottessstaat, der im hochmittelalter unter dem oberhirten und reichsfürsten burkard entstand, in der reformation gekappt und nach der französischen revolution zerschlagen wurde, als kirchliches wesen im bistum basel aber unverändert weiter lebt.

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