nomophobie

schweden, värmland, ekshärad, moccacino: im café an der zentralen strassenkreuzung des privonzstädtchens bekomme ich einen starken kaffee. und ich nehme mir den “spiegel” zur hand. der leitartikel ist dem neuen ferienproblem (der deutschen) gewidmet: “off” zu sein.

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vorbildlich: meine schwedischen kühe von nebenan verdauen in aller ruhe gemeinsam, was sie eingenommen haben, um im weitestens sinne (wieder) wieder aufnahmefähig zu werden – eben musse haben (foto: stadtwanderer)

von einem neuen menschheitsphänomen ist im deutschen wochenblatt für intelligente die rede: “nomophobie” (no mobile (phone) phobia) heisst sie, die angst, nicht mehr “mobil zu sein”. gemeint ist aber nicht die angst, sesshaft zu werden. nein, es geht darum, angst zu haben, online nicht mehr erreichbar zu sein. beispielsweise, weil man sein handy verloren hat. oder im funkloch sitzt.

natürlich ertappe ich mich, wie ich diese woche im schwarzen loch der mobilfunkgesellschaften dieser welt sitzend, gefragt habe, warum ich keinen anruf aus der schweiz bekomme, nicht einmal eine sms erhalten habe.

bin ich etwa deconnected und verpasse etwas? oder bin ich einfach ganz out? die prüfung der sachverhalte erleichterte mich: ich war stets on, und meine bekufskollegen und familienmenschen kamen ganz einfach eine woche lang ohne mich aus.

bin ich nun krank?, frage ich mich ich denke nein, werde auf jeden fall keinen computerpsychiater aufsuchen. das heisst für mich aber nicht, dass die these des spiegel-essays gar nicht stimmt!

denn maschinen, deren signale eindeutig sind krempeln unser aufmerksamkeitsempfinden nach dem reiz-reaktions-schema um, dass unsere denken ausser kraft setzt und unsere gefühl arg einengt. gefahren blitzschnell wahrnehmen und interpretieren zu können, ist in der wildnis sicher überlebensnotwendig. und chancen intuitiv zu erkennen, mag im alltag von nutzen sein.

doch kündigt nicht jede sms-klingel eine gefahr an, und auch nicht jedes mail ist eine einladung zum spass. deshalb verführen uns die maschinensignale, genauso wie sie uns warnen. gelernt sein will, auszukommen, wie wenn es sie nicht gäbe.

gelernt sein will auch die musse. die römer nannten sie otium. sie meinten damit das dösen, das schmusen und das spielen. das gegenteil davon ist negotium, die arbeit. dabei ist das sprachspiel selber erhellend: der ursprungszustand ist die musse, die durch die arbeit überlagert wird.

wenn, so schliesse ich, die arbeit die musse ganz verdrängt, ist das das problem. und es wird durch die maschinen verstärkt, welche und dabei helfen, ohne das wir uns damit beschäftigen. das lässt dann nomophobie aufkommen: die krankhafte angst, weder geliebt noch gebraucht zu werden, von dem die grosse stille der handys und computer scheinbar künden.

es ist zeit, meinen kaffee im moccacino auszulöfeln, den gedankengang zu beenden und wirklich spazieren zu gehen …

stadtwanderer