was ist eine metropole? und was eine solche des geistes? hat die schweiz metropolen des geistes? und wenn ja, ist bern eine solche? fragen, die ich mir bei der sommerlichen lektüre eines anregenden buches theoretisch stellte, und sie, bevor ich sie in bern empirisch prüfen werde, meinen stadtwanderer-leserschaft stellen möchte.
gleich zu beginn des buches “metropolen des geistes” distanzieren sich die münchner herausgeber des bandes, der philologe martin hose und der theologe christoph levin, von den gängigen definitionen zu metropolen. denn ein mehr an bevölkerung, ressourcen, kraft, aufmerksamkeit und diversität reiche zwar, um die wahrscheinlichkeit einer stadt als laboratorium der moderne zu bestimmen. all das schliesst aber auch riesenstädte mit ein, wie sie im 20. jahrhundert in asien und afrika rasch entstanden seien, die indessen eher einem mit sich selber beschäftigten moloch glichen als einem zentrum mit ausstrahlung.
definitionen
die editoren einer vortragsreihe an der uni münchen, die zum sammelband von aufsätzen über metropolen des geistes anwuchs und sinnigerweise im inselverlag erschien, ziehen die begriffsverwendung der alten griechen vor: metropolen waren damals mutterstädte, die nicht nur gross wurden und um sich herum staaten bildeten, sondern via kolonisationen pflanzstädte gründeten, über die man nicht nur politisch und wirtschaftlich herrschte, sondern für sie auch kulturelles vorbild war.
im übertragenen sinne gilt das, wenn grossstädte mit ihrer religion, ihrer philosophie, ihrer architektur oder ihrer kunst auf die entwicklung anderer städte nehmen. notwendig ist, dass die zentren jene literatur hervor bringen, die mehr als nur an ihrem ursprungsort wirkung bei priestern, philosophen, künstlern wirkungen entfaltet, die auf politikerInnen und ihr administratives oder wirtschaftlichen umfeld ausstrahlt.
vorbilder
mit diesem originellen ansatz beschäftigen sich im genannten lesebuch 9 autoren mit 8 euroasiatischen grossstädten. konstantinopel ist die jüngste unter ihnen, die selber metropolitanen vorbildern wie rom, jerusalem oder athen folgte. deren wirkungen wiederum ist nicht ohne einflüsse aus babylon, alexandria und theben. nur ch’ang-an passt nicht in diese kette, erlaubt aber einen interkulturellen vergleich von alten metropolen.
die auswahl begründen die herausgeber damit, dass man metropolen des geistes erst an ihrer überragenden und anhaltenden wirkung erkenne. den sprung dazu, machen viele. die landung ist aber nicht immer von erfolg gekrönt. anlass für den take-off zur metropolenbildung im geistigen sinne sind neugründungen wie die von alexandria, ch’ang-an oder konstantinopel, oder es lassen sich katastrophen benennen, wie die zerstörung des tempels in jerusalem, die bürgerkriege in rom, die eroberung von babylon, die angriffe auf theben und selbstverständlich die perserkriege für athen. dies alles muss ganzheitlich bewältigt werden. voraussetzungen dafür sind bibliotheken, museen und galerien, die davon leben, das sich politik und wirtschaft aus dem reichtum, der in ihnen steckt, erneuern wollen.
so ist die these des buches, dass wirkliche metropolen den geist ebenso brauchen, wie der geist auf metropolen angewiesen ist. politische macht, administrative verfügungsmöglichkeiten oder einflussnahmen über handel alleine reichen nicht, auch wenn sie voraussetzungen sind. denn nötig ist, dass der geist, der eine metropole erst zu einem unverwechselbaren zentrum macht, in grossen, mächtigen und einflussreichen städten gedeihen kann.
beispiele aus dem gebiet der schweiz
wenn das alles stimmt, muss die these auf der suche nach weiteren metropolen erhellend wirken. und so fragt man sich, wie die synthese gelautet hätte, hätten sie schweizer, nicht bayrische wissenschafter verfasst.
klar, das alterum mit aventicum als einziger nennenswerter stadt wäre nicht ergiebig gewesen. sie war eine typische pflanzstadt roms. auch das mittelalter wäre, selbst wenn die zahl der städte wuchs, wenig ergiebig gewesen; zu klar waren die städte damals pflanzen in klostergärten oder vorhöfe der adelssitze. erst mit der renaissance, dem humanismus und der reformation entstehen auf schweizerischem boden jene urbanen zentren, welche in der vormaligen peripherie mit durchgangswegen die soziologischen voraussetzungen für metropolen des geistes schufen.
basel, genf, vielleicht auch zürich
basel mit erasmus von rotterdam, aber auch genf mit jean calvin gehören ohne zweifel zu metropolen des geistes in der frühen neuzeit, die vom buchdruck profitierten, universitäten oder akadamien hatten, welche auf die politik ausstrahlten und auf die naturwissenschaften im einen, die religion im andern fall einwirkten. der humanismus aus basel wurde so zum europäischen, der calvinismus interkontinentalen phänomen, der insbesondere auch in der neuen welt fuss fasste.
zürich wirkt da in der frühen neuzeit trotz reformation ausgesprochen provinziell, hebt aber mit der industrialisierung, dem bankenwesen, dem liberalismus und dem ausbau der infrastrukturen im 19. jahrhundert ab, und wird, so könnte man sagen, über wissenschaft, technik, aber auch über das kulturelle schaffen zu einer kleinen metropole des geistes.
und bern?
so bleibt nur noch die bange frage bleibt, ob denn auch bern bern eine metropole, ja eine metropole des geistes war, ist oder auch werden könnte? – spontan denkt man an albrecht von haller, der jedoch gerade in bern kaum wirkungen erzielte. zufriedenstellend ist das nicht. deshalb mein aufruf: sachdienliche hinweise bitte an den stadtwanderer, der sich bald wieder mit verve auf die fährten der geschichte, der kultur, der religion und der politik im genannten stadtraum machen wird!
stadtwanderer