über immer mehr immer weniger entscheiden zu können.

im kurs der gemeindepolitikerInnen zur politischen theorie blieben wir eigentlich bei der ersten frage stehen: was ist eine demokratie? dabein entwickelten wir einen gedanken, der aus der eigenen erfahrung stammt, und sehr wohl mit den vorstellungen führender politikforscher der welt standhalten konnten.

Global Networkdie erste antwort an diesem abend war noch etwas verhalten, aber typisch: wenn das volk entscheiden kann, und die politiker doch machen können, was sie wollen! danach sprudelte es antworten: wenn man wählen, ja wenn man auswählen kann. wenn man abstimmt, in der sache entscheidet. wenn alle gleichberechtigt sind. wenn ethik und moral gewährleistet sind.

ich habe versucht, die antworten auf eine grosse schiefertafel zu schreiben – vorsortiert, ohne das unterschiedungskriterium direkt zu nennen. doch waren rechts alles verfahren, die auf institutionen basieren, und links waren alle werte und soziale grundlagen, welche diese institutionen gewährleisten.

in der diskussion dieser beiden richtungen der demokratietheorie merkten wir bald. die schweiz hat ausgebautete institutionen der demokratie, ja der direkten demokratie. wenn die so festgelegten verfahren der entscheidung funktionieren, halten wir die ergebnisse für demokratisch hergestellt und damit korrekt, egal, was dabei herauskommt. das entspricht letztlich dem denken des österreichisch-amerikanischen ökonomen joseph schumpeter, der die demokratie in radikalster art und weise als rine methode definiert hat.

das gegenstück dazu ist die materielle demokratietheorie. sie ist bei uns unterentwickelt. beispielsweise wurden die grundrechte in unseren verfassungen des 19. jahrhunderts nur beschränkt aufgenommen, und sie galten anfänglich beispielsweise für die juden nicht. vor einem jahr, bei der abstimmung über die minarett-initiative, kümmerte sich die mehrheit nicht um so solche grenzziehungen demokratischer entscheidungen. auch das ist typisch schweizerisch.

die entwickler des grundrechtskataloges in der schweiz waren die gerichte, es war nicht das volk. unter ihrem einfluss sind sie in die geltenden verfassung vom 1. januar 2000 aufgenommen wurden. und exponenten unter unseren (ehemaligen) richtern gehören heute zu den wichtigsten verteidigern der grundrechte, im namen des universalismus und der demokratie.

john keane, ein australischer politikwissenschafter, äussert sich – zufällig oder nicht – zu unserer thematik vom donnerstag abend im heutigen “magazin“. auch er unterscheidet zwischen demokratie als institution, und demokratie als geist. ersteres hätten die griechen erfunden, wie ich es auch gesagt habe. letzteres, nimmt keane an, sei mit der ausbreitung des denkenden menschen entstanden.

demokratie, so ist keanes definition, ist nicht, wenn man wählen oder (wie in der schweiz) abstimmen kann, sondern wenn die macht möglichst aufgeteilt in einer gesellschaft vorkommt. die krise der repräsentativen demokratie, die er diagnostiziert, sei eine krise gegen die konzentration der macht im parlament der nationen, weil diese angesichts der rasanten entwicklungen der globalisierten wirtschaft über immer weniger immer mehr zu entscheiden versuchten, während die bürgerInnen spürten, dass die politik zu immer mehr immer weniger zu sagen hätten.

keane glaubt, dass eine neue form der demokratie aufkommt, die monitory democracy, wie er es nennt, die beobachtete und kontrollierte demokratie, in der nicht neue institutionen des staates entstehen, aber neue formen der zivilgesellschaft. deren träger sind akteure, die parlamente und die regierung kontrollieren und kritisieren, grenzüberschreitend vernetzt sind, global kommunizieren, und lokal agieren.

soweit kamen wir in unserer theoriediskussion nicht ganz. die symptome waren aber aufgezeichnet. die bürgerInnen bringen sich ein, wenn die behörden machen was ihnen passt. aber sie wollen nicht mehr in die institutionen. sie wollen, dass ihre interessen einfliessen, wo und wie auch immer.

beachtlich, würde ich sagen, für einen kurs unter bernischen gemeindepolitikerInnen, die bereit sind, sich nach einem arbeitstag politisch weiter zu bilden, und durchaus ebenso spüren, wie die essenz der politik, ja der demokratie, die an den nationalstaat geknüpft ist, ins wanken geraten ist, ohne dass sich eine eindeutige alternative hierzu abzeichnet.

stadtwanderer