schweizer identitäten: wohin entwickeln sie sich?

in vielem stiften die alpen schweizerische identität. wir sind die mutter der ströme europas und damit mitten drin, und dank uns gibt es verbindungen über und durch die alpen. von aussen her gesehen sind die schweizer häufig ein alpenvolk, von vor- und nachteilen: gleichzeitig gilt unsere lebensweise als urban unverdorben, sind wir aber auch das putzige land zwischen den grossmächten.

1267718343000unser pass und unsere identität: gleichzeitig unverkennbar schweizerisch und von schweizerInnen wie ausländerInnen anerkannt; mehr zum identitätsbarometer 2010 gibt es hier

in dieser optik sind wir nicht selten die erfinder der unmittelbaren demokratie, gleichzeitig auch die zurückgebliebenen im europäischen einigungsprozess. genauso oszilliert das bild vom guten und schlechten: in jedem schweizer steckt ein hirte, der darauf achtet, das die landschaft nicht übernutzt wird, während in jedem hirten auch ein sodomit steckt, wie man einsamen bergler nennt, die es mit tieren treiben. doch wehe, wenn man uns, politisch inkorrekt, kuhschweizer heisst, denn dann zahlen wir es den sauschwaben mit der gleichen münze zurück.

schweizerische identitäten – ich ziehe hier den plural bewusst vor – sind seit der finanzmarktkrise von 2008 und ihren negativen auswirkungen auf die globale krisen gefragter denn je. die globalisierung, ein projekt der wirtschaft, ist diskreditiert. die gier der banken hat zum moralischen zerfall geführt. die einfallslosigkeit der energietechniker beschert uns weltweit verstrahlte umwelten. die bocksprünge an den finanzmärkten hat das wirtschaftswachstum in der westlichen welt gestoppt, und die natur- und zivilisationskatastophen zerstören jeden sachten wiederaufbau der ökonomien.

die öffnung der schweiz, wirtschaftlich und politisch, hat das bedrohungsgefühl verstärkt und verändert. massenhaft beklagt werden nicht mehr die polarisierung und der so ausgelöst reformstau. vielmehr ist die migrationsfrage ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt, aber auch der probleme und problemursachen. am verlorenen sicherheitgefühl sind die kriminellen ausländer schuld. an den hohen wohnungspreisen auch. vergessen geht dabei, dass sie einen viertel der erwerbstätigen ausmachen, uns geholfen haben, die krise besser als andere zu meistern, universitäre forschung auf spitzenniveau zu bewahren und den betrieb der spitäler aufrecht zu halten. unter geht auch, dass danke der zuwanderung die überalterung der schweizer bevölkerung gebremst und damit die ahv gesichert werden kann.

daraus lässt sich keine drang zu einer identität ableiten. die einheit in der vielfalt bleibt die wichigste bestimmung der schweiz. immerhin, diese hat einige gute grundlagen: stolz können wir sein, dass unsere arbeitslosenzahlen geringer sind als im ausland, wir im innovationsrating unverändert weltmeister sind und der ruf der schweiz weltweit gesehen vielerorts gar besser ist als in der heimat selber. denn wir haben eine solide basis mit unserer patronwirtschaft in den vielen kmu-betriebe, verstärkt durch einige international tätige unternehmen. schweizer uhren und angehängte akzessoires strahlen global, und künden von starken marken, die ihren ursprung in unserem land haben.

weil es uns gut geht, sorgen wir uns verbreitet um unsere eigenständigkeit. wo es konflikt gibt, wollen wir neutral bleiben. wo es etwas zu dienen gibt, sind wir aber dabei. wir rühmen uns, wenn es um das zusammenleben von sprachkulturen geht, selbst wenn wir wissen, das die harten gegensätze heute zwischen städter und landleuten auftreten. wir glauben, die einzigartigste direkte demokratie der welt zu sein, selbst wenn das wachstum an volksabstimmungen im ausland gegenwärtig höher ist als im inland. und wir halten konkordanz und sozialpartnerschaft hoch, auch wenn sich arbeitgeber und arbeitnehmer in fragen der sozialwerke unseins sind, und die brunners und levrats in bald keine punkt mehr gemeinsamkeiten haben.

bei allen unterschieden zwischen genf und appenzell, zwischen baslern und tessinerInnen: das nationale ist schweizweit wieder in, schrieb ich vor einige monaten im schlussbericht zum identitätsbarometer, den unser institut seit einigen jahren regelmässig für die credit suisse erstellt. hauptgrund: die swissness schützt uns davor, in der massengesellschaft auf- und unterzugehen.

das war noch vor der abstimmung über die ausschaffungsinitiative für kriminelle ausländerInnen. es war auch vor dem start zum wahlkampf. seither hat sich einiges zugespitzt und ich bin zwischenzeitlich nicht mehr ganz sicher, ob aus der analysierten swissness-welle nicht eine eigentlich nationalistische geworden ist. denn das ist die schwäche aller bestimmung nationaler identitäten: dass sie dazu neigen, sich mit selbstbildern begnügen und sich um fremdbilder scheren. bei einem menschen würde jeder psychologe sagen, das so keine identät entstehen kann, denn die ergibt sich aus der gewachsenen übereinstimmung von wunsch- und spiegelbild. leider gibt es kaum jemanden, der das nationen und ihren politikerInnen so eindringlich sagt.

vielleicht gelingt es morgen, wenn in der arena die schweizer identität an der schwelle zum wahlkampf 2011 diskutiert wird.

stadtwanderer

lachen, selbst lächeln tut der schweizer politik gut.

das lachen ist uns in der schweizer politik der gegenwart abhanden gekommen, sodass infotainment nachgefragt wird. das ist nicht der fall, wenn christoph blocher und peter bodenmann miteinander debattieren, wie heute im berner kursaal. selbst wenn es dabei um das verhältnis der schweiz zur europäischen union geht, denn es paart sich substanz – mit lachen und lächeln.

topelement
quelle: bernerzeitung

den grössten lacher aus dem publikum hatte christoph blocher für sich, als er die vorabend-veranstaltung der berner e.forums so zusammenfasste: er selber und sein kontrahent hätten in der eu-beitrittsfrage immer die gleichen positionen vertreten – er immer die richtige, bodenmann immer die falsche. das wiederum kostete peter bodenmann nur ein kühles lächeln. seine analyse ist, dass die schweizer politik in der regel strukturkonservativ agiere und dann die rechte gewinne, während unser land in entscheidenden phasen ausgesprochen schnell und zeitgemäss reagiere, meist so, wie es die linke es wolle. stichworte dazu fallen einem sofort ein: die zum bankgeheimnis fallen einem spontan ein.

christoph blocher sprach heute abend von der souveränen schweiz – bodenmann von der vernünftigen. die thesen, die beide hierzu vertraten, wurden klar herausgearbeitet. das freute die zuschauer, die mit applausstärken schiedsrichter spielten. der herrliberger chemieindustrielle stellte die unabhängigkeit des landes in den vordergrund, das hauptthema der 700jährigen schweizer geschichte. die werde heute aber von professoren und politikern aus eigeninteresse verraten. aus dem ewr-nein habe man die bilateralen abkommen formuliert, die er akzeptiert habe. doch anders als die eu-beitrittsbefürworter habe er aus den bilateralen 1 keine bilateralen 2 und schon gar nicht bilaterale 3 machen wollen wie der bundesrat. bei gemeinsamen interessen sektoriell verhandeln, sei in ordnung. kolonialverträge mit institutionelle einbindungen, wie sie die eu aktuell verlange, seien eines souveränen staates jedoch unwürdig.

das mochte peter bodenmann in seinem exposé so nicht stehen lassen. seit dem nein zum ewr überhole die eu die schweiz sogar dort, wo sie stärken gehabt habe – zum beispiel beim ökologischen umbau der wirtschaft, wo selbst ein land wie italien bei der förderung erneuerbarer energien weiter sei. profitiert habe die schweiz dafür, wo sie kooperiert habe, wie der personenfreizügigkeit, die zu guten wachstumsraten der wirtschaft, nicht aber zu hohen arbeitslosenzahlen geführt habe. schliesslich sei die zulassung der 40-tonnen-lastwagen für die schweiz ein gewinn gewesen, weil man durch mehrwertabschöpfung gegenüber 28-tönnern die neat finanzieren konnte. weitere fortschritte verspricht sich der briger hotelier von der energiemitgliedschaft in der eu, der öffnung der landwirtschaft und dem integration des bildungswesens ins europäische system.

radio-moderatorin geraldine eicher, die durch den vorabend führte, versuchte die debatte auf die aktualität zu lenken. zu gerne hätte sie über die hintergründe der meinungsdifferenz zwischen der schweiz und der eu bei den anstehenden verhandlungen gesprochen. doch die beiden alphatiere liessen sich nicht so einfach bändigen, selbst wenn sie in weichen sesseln platziert waren. blocher polterte kräftig, vor allem gegen das dubliner-abkommen, das nicht funktioniere, wie die flüchtlingsbewegungen aus nordafrika zeigten. die staaten an der eu-aussengrenze hätten gar kein interesse, ankommende zu identifizieren, profitierten jedoch, wenn sie sie so schnell wie möglich in andere länder abschieben würden. das stimmte sogar bodenmann zu. sein thema war jedoch der plan b. er forderte zwei arbeitsgruppen des bundesrates mit den fähigsten leuten aus dem land. die eine solle die vor- und nachteile des abseitsstehen in europa analysieren, die andere des eu beitritts. so würde man erfahren, was der beitritt koste, aber auch, was der preis für den nicht-beitritt sei. das würde die diskussion versachlichen, statt emotionalisieren.

die paarung des abends war nicht nur der traum der tv-arena-redaktion in den 90er jahren, weil sie ihr rekordwerte bei der zuschauerquote verschaffte. sie überwältigte auch die organisatoren des business-anlasses, der diesmal gegen 1500 gäste mobilisierte und damit die vielleicht bestbesuchteste veranstaltung des wahljahres 2011 auf berner boden bleiben wird. mehr noch, das duo bodenmann/blocher symbolisiert auch ein stück zeitgeschichte: das aufbrechen der europa-frage nach dem kalten krieg, der so ausgelöste umbruch in der parteienlandschaft mit der polarisierung zwischen rechts und links und die veränderung der politischen kultur von der konsenssuche zur sichtbarmachung des dissens’. wenn dabei der chef der politischen rheotorik auf das vorbild an intellektueller analyse trifft, wird das zum besten, was dialektik in der schweizer politik zu bieten hat – selbst wenn alles durch einen kräftigen schuss nostalgie überlagert wird.

es bleibt die frage, wer recht hat? blocher gab die diskussionsthemen vor, bodenmann parierte sie. der züricher hatte auch an diesem abend den nationalkonservativen protest hinter sich, der vor 20 jahren durch die ewr-abstimmung entfacht wurde und seither viele anhänger in gesellschaft und wirtschaft gefunden hat. der walliser konnte auf seine fahne schreiben, in der sache die relevanten weichenstellungen für mehrheiten bei den bilaterale, auf dem arbeitsmarkt und in der verkehrsfrage mitgestellt zu haben. blocher zeigte sich sicher, dass die wende zu seinen gunsten mit der ausschaffungsinitiative gekommen sei, denn jetzt habe man begriffen, dass die kriminalität die folge der eu-annäherung sei – und lachte in bekannter manier breit und laut. bodenmann wähnt sich in sicherheit, dass die schweiz ihre interessen kenne und klug verhandele, sodass das volk auch inskünftig vernünftigen lösungen hierfür zustimmen werde – und lächelte etwas verschmitzt, aber gut sichtbar.

das puiblikum applaudierte am schluss kräftig und lang, mit der rechten wie der linken hand. die apérogesichter wirkten erstaunlich freundlich.

stadtwanderer

des stadtwanderers sechste saison

wer in seinen sechste wanderfrühling steigt, macht das schon seit fünf jahre. so wie ich als kombinierter wanderer-blogger!

Stadtwanderer-Skulptur-Kopflos-Bern
sinnbild dafür, wie man nicht stadtwandern soll: kopflos – meine lieblingsskulptur in bern

ich habe meinen blogger-geburtstag verpasst. es war am 10. märz, vor gut einer woche soweit. in gedanken war ich ganz anderswo, und so entgeht mir weniges – aber die eigene kleinfeier!

der geburi meines blogs ist immer auch der startschuss in die neue saison. 5 jahre mache ich das kombi als spaziergänger und schreiber schon. und das sechste jahr kündigt sich schon ganz ordentlich an:

. am vergangenen samstag gabs eine tour an der alten aare zwischen lyss und aarberg. die geschichte des burgundisch-bernischen grenzstädtchen aarberg stand im zentrum.
. die nächste fixierte wanderung ist am 21. mai. die generaldirektion der srg ist mit zahlreichen nicht-bernerInnen besetzt worden, die bern zu wenig kennen. ich sozialisiere roger de weck und verschiedene seiner mitarbeiterInnen an der spitze der srg an ihrem arbeitsort mit einem ganz speziellen rundgang zum thema “tatort bern”.
. eine woche später führe ich eine delegation aus spiez durch die stadt bern, quasi auf den spuren von adrian von bubenberg, den freiherren von spiez und berner schultheissen im 15. jahrhundert.
. am 10. september gibt es dann eine spezialführung für die volkshochschule wynenthal im aargau. catherine von wattenwyl, die berühmte amazone im 17. jahrhundert in bern, lebte eine weile in der gegend meiner teilnehmerInnen. ich spinne den faden zwischen den beiden orten anhand von personen mit unkonventionellen biografien fort, um zum durchschnitt einen gegenpunkt zu setzen.

zwei weitere tourneen sind in vorbereitung, zum thema flüchtlinge und demonstrationen in bern. mehr dazu, wenn sich das alles konkretisiert.

wer interesse an einer führung mit mir hat, melde sich ruhig. etwa zwei termin habe ich meiner sechsten saison noch offen.

stadtwanderer

berns zug der modernisierung

das passt gut zu meiner aarberger-geschichte von gestern. in seinem zweiten teil zur bernischen geschichte, sucht der preisgekrönte berner historiker und journalist stephan von bergen nach gründen, warum bern mit der industrialisierung den wirtschaftlichen anschluss an zentren wie zürich, basel und genf verpasst.

ch1857
scb – damals noch für schweizer centralbahn stehend – als promotor des frühen eisenbahnbahns von olten nach bern und bieln

“Die Bahn zeichnet die Landkarte der Lebens- und Arbeitsräume neu. Die alte Topogragfie, in der sich Verkehrswege und Siedlungen auf sicheren Anhöhen befanden, wird umgedreht. Die Bahnlinien verlaufen in den Tälern und werten einst unansehnliche Gewerborte auf. Ob ein Dort an eine Bahnlinie zu liegen kommt, entscheidet über dessen wirtschaftliche Zukunft.”

das ist die these, auf der der essay von bergens aufbaut.

in den kanton bern dringt die eisenbahn 1857 vor. die centralbahn baut von olten aus die linie nach herzogenbuchsee und bern. zwei jahre später wird die verbindung nach thun eröffnet, nochmals drei jahre später die nach fribourg-lausanne.

der bau der verbindung von biel über bern nach langnau bringt die wende. das private unternehmen geht bankrott, der kanton muss einspringen. “In Zürich sind finanzstarke Privatunternehmer wie Eisenbahnbaron und Nationalrat Alfred Escher und ein wachsender Bankensektor treibende Kräfte, in Bern Juristen wie Eschers Gegenspieler Jakob Stämpfli”, vergleicht von Bergen die unterschiedlichen Entwicklungen.

die bahn, so seine feststellung, legt mankos des kantons bern offen: seine konzentration auf die agrarwirtschaft, sein schwach ausgeprägtes unternehmertum und sein verharren in kleinen räumen.

christian pfister, emeritierter professor für geschichte an der universität bern, sagt es noch deutlicher: “Die Bahn hat in den ersten drei Jahrzehnten im Kanton Bern nur auf Modernisierungsinselns wie Bern, Biel, Thun, Burgdorf oder Langental industrielle Impulse ausgelöst.”

warum, weiss die geschichtsforschung bis heute nicht wirklich!

schade, sage ich dazu. denn das ist die entscheidende frage. im geschichtsunterricht lehrt man ja immer noch, dass die aarekorrektion in der 2. hälfte des 19. jahrhunderts die wirtschaftsentwicklung geändert, die grundlage für die elektrifizierung gelegt und damit der meilenstein in der wirtschaftsgeschichte war, der 1914 – zurecht – zur in die landesausstellung in bern als höhepunkt der nationalen entwicklung vor den weltkriegen geführt hat.

solange die optimistische und pessimistische sicht der dinge wissenschaftlich nicht geklärt ist, dominieren bilder wie die von rené fritz allemann in seinem buch “25 mal die Schweiz”: während bern in sich ruhe, denke zürich über seinen kreis hinaus, heisst es da. die aarestadt sei “eine art oktopus, der die lebendige kraft der nation aussaugt”. das mag von bergen nicht stehen lassen und kontert: während bern bis heute die berühmte milliarde aus dem finanzausgleich beziehe, bekomme zürich via eth jährlich ebenso viel geld aus der bundeskasse!

stadtwanderer

aarberg – das stedtli auf der aareinsel

heute beginnt die stadtwanderersaison 2011 – mit einem rundgang im seeland und einer ausführung von mir zur stadtgeschichte.

aarberg
ansicht auf aarberg im 19. jahrhundert – noch vor der aarekorrektion

im statistischen sinne ist arberg keine stadt. die leute nennen es auch stedtli. 4000 einwohner hat es heute. viele bekannte sind weggezogen, wie ernst wüthrich, der nobelpreisträger, kuno lauener, der frontmann von züriwest, tanja gutmann, die ex-miss-schweiz, oder cécile bähler, eine unserer tv-wetterfeen.

historisch gesehen ist aarberg sehr wohl eine stadt. ursprünglich burgundisch, kam sie zu bern, erlebte nach der reformation ihre blütezeit als marktort, stagniert aber seit dem eisenbahnzeitalter. als regionales verwaltungszentrum sucht es heute neue wege.

die burgundische stadtgründung
am anfang der aarberger stadtgeschichte steht ulrich, graf von neuenburg. seine vorfahren waren burgundische adelige gewesen. bekannt waren sie als herren von fenis, dem heutigen vinelz am bielersee. nach einem schweren erdbeben, das die hasenburg, den stammsitz der familie, verwüstete, verteilten sie sich auf das dreiseengebiet mit zentrum in neuenburg. ulrichs vater, rudolf, beherrschte mehrere sprachen und wirkte als kulturvermittler zwischen burgundern und schwaben. er war minnesänger im gefolge des kaisers.

zu beginn des 13. jahrhunderts übernahm ulrich die nördlichen ländereien der familie. büren an der aare und valangin im val de ruz waren seine ersten herrschaftszentreum. ulrich gründete auch zwei städte: nidau und aarberg. mit dem bau von aarberg begann er, nachdem die zähringer ausgestorben waren. als ulrich 1225 verstarb, hinterliess er nachkommen und in aarberg eine kleine siedlung mit stadtmauer, zwei eng aufeinander ausgerichteten häuserzeilen und einem gassenmarkt.

die aare hatte zu dieser zeit noch den alten verlauf. sie mündete verlief durch die ebene zwischen frienisberg und dem bergrücken am bielersee. sie war ein wilder fluss, in vielem auch eine grenze. wenige inseln erleichterten den übergang, und auf einer solchen stand alt-aarberg. die frühen quellen nennen den namen in verwandter form, arberc, während die siedlung „opidum“ hiess. das deutet auf eine vorform der mittelalterlichen stadt, mit befestigungen und wasserschutz.

am 1. mai 1271 bestätigte rudolf von aarberg, ein enkel des stadtgründers, aarberg das stadtrecht erstmals schriftlich. der stadt und ihren burgern wurden wald, wiesen und gewässer der umgebung geschenkt. zur herrschaft zählten die dörfer lyss, busswil, bargen und kappelen. man war wer an der aare im seeland!

aarberg wird bernisch
die zeit der stadtgründung war unsicher. das königreich burgund kam 1034 ins kaiserreich integriert worden. das bestand damals aus italien, wo der papst das sagen hatte, und dem kaiser, der nördlich der alpen regierte.

einen wirklichen kaiser gab es seit dem tod von friedrich II. 1250 nicht mehr. dafür erstarkten adelige: in unserem gebiet nebst den neuenburgern die kyburger mit stammsitz bei winterthur. nach deren aussterben 1264 setzten sich die habsburger durch. 1273 wurden sie deutsche könige und kaiseranwärter, die sich daran machten, die verselbständigten burgundischen barone, wie man den burgundischen adel verächtlich nannten, zu unterwerfen. das gelang könig rudolf von habsburg noch kurz vor seinem tod 1291 teilweise.

wirtschaftlich gehören das 12. und 13. jahrhundert jedoch zu den guten. das klima erwärmte sich, die bevölkerung wuchs. das erlaubte es, neue siedlungen zu gründen: aus der regionen erwähnt seien das kloster frienisberg, 1133 entstanden, und aarberg.

ebenfalls aufstrebend war die aarestadt bern, 1191 gegründet. 1293 befreite könig rudolf von nassau, kein habsburger, die stadt vor adeligen übergriffen. er gab ihr eine eigene verfassung und verlieht ihr königliche aufgaben im aaretal. seit 1324 hatte die stadt bern mit laupen ein eigenes untertanengebiet. in den 1330er jahren eskalierte der zwist mit den burgundern. aarberg stellte sich auf ihre seite. 1339 kam es zur entscheidung. bern belagerte aarberg vergebens, gewann aber in laupen.

stadtherr war damals peter von aarberg – ein veritabler raubritter. ihn besiegte schliesslich die pest, die über die rhone nach norden kam und das mittelland 1348 erfasste. man verarmte. das kloster frienisberg verkaufte seine herberge in aarberg, woraus das restaurant krone als gasthof entstand. stadtherr peter wiederum geriet 1351 in finanzielle schwierigkeiten. er verpfändete die stadt an bern, dann verkaufte man sie nach nidau. 1375, nach dem aussterben der neuenburger in nidau, zahlte bern die neukyburgischen erben aus, und nahm so das ursprünglich burgundische städtchen in besitz. kaiser karl iv., der letzte könig von burgund, bestätigte den seitenwechsel. peters sohn, ebenfalls peter genannt, der nichts mehr zu erben hatte, schloss sich den habsburgern an. er war in der schlacht von sempach bannerträger – gegen die eidgenossen. mit herzog leopold verstarb er auf dem schlachtfeld.

1414 regelt könig sigismund von ungarn, kein freund der habsburger und kyburger, auf seinem weg zur kaiserkrönung mit grossen federstrichen neu. den savoyern im süden wies er die alpenpässe zu, den bernern das aaretal. die herrschaft aarberg, erweitert durch affoltern, kallnach, niederried und radelfingen, vermachte er definitiv der stadt, wenn auch als königliches lehen. insbesondere übertrug er den bernern die hoheitlichen zollrechte und damit die verfügung über die einfachen brücken aarbergs.

gleich zweimal brannte die holzstadt aarberg in der folge nieder – 1419 ein erstes, 1477 ein zweites mal. denn man war in die zwistigkeiten zwischen der stadt bern und den burgundischen herzögen in dijon geraten. wie man weiss, gewannen bern und die eidgenossen diese auseinandersetzung auf den schlachtfeldern. in grandson und murten.

die blütezeit des marktortes
der zweite brand blieb nicht ohne weitreichende folgen. aarberg wurde neu gebaut: nun versetzte man die häuserzeilen um je 10 meter nach hinten, sodass in der mitte ein grosser platz entstand. aarberg wandelte sich zum bernischen landstädtchen, wie man es heute noch kennt. zudem wurde der markt aufgewertet, denn aarberg wurde nun zum zentralen handelsplatz im seeland für salz-, eisen- und tuchwaren aus dem burgundischen.

es war eine zeit des aufstiegs, wie man bis heute am ortsbild erkennen kann. 1496 wird erstmals ein rathaus gebaut, das den burgerrat unter dem bernischen landvogt beherbergte. 1526 schloss man das mittelalterliche bargenspitel vor der stadt; dafür baute man den jetzigen kirchturm, das spital und die erste schule. mitten drin trat man zur reformation über, wagte sogar einen aufstand. 1529 hatte aarberg für einen jahr einen schultheissen. bern wusste das in der folge zu unterbinden, und entsandte wieder landvögte. die mehrten das stadtbild durch eine neue brücke und eine neue kirche. zum abschluss der stedtlierneuerung eröffnete man 1610 den neuen sitz des landvogts, das heutige amtshaus.

bis zum ende des 18. jahrhunderts kannte aarberg seine blütezeit. die grossen umwälzungen begannen erst 1798 mit dem überfall der revolutionären französischen truppen, deren besatzung das stedtli in mitleidenschaft zog. 1815, nach der konservativen neuordnung europas durch den wiener kongress, rüstete man in Aarberg auf. rund um die stadt wurden schanzen gebaut. 1830 legt man noch einen zacken zu, unterstützt von konservativen kräften in der schweizerischen armee.

doch sprang der revolutionäre funke aus frankreich auch auf die berner landschaft über. mit den privilegien der patrizier in bern wurde jetzt aufgeräumt. die liberalen wie sie sich nannten, wollten freiheit und gleichheit für alle. um die alte macht zu brechen, gründete man nun überall politische gemeinden, welche die verwaltung in die eigenen hände legte.

die herausforderungen der gegenwart
seit 1801 war aarberg hauptort eines amtsbezirkes. 1832 wurde man auch bernische gemeinde; 1834 kam eine skundarschule hinzu, und 1843 die ersparniskasse. aus untertanen wurden bürger, mit bildung, befähigt zum geschäften und politisieren in den wirtschaften.

das 19. jahrhundert sollte in vielem die wende aarbergs bringen: zum guten und zum schlechten. zuerst baut die junge eidgenossenschaft den hagneck-kanal. mit ihm wurde die aare gebändigt. aarberg ist seither keine insel mehr, und es kann auf die wasserwehr verzichten. fast gleichzeitig wurde die erste eisenbahnlinie im seeland eröffnet. von bern nach biel/bienne. doch machte die nicht in aarberg halt, sondern im bauerndorf lyss, das sich schrittweise zu konkurrenzstadt entwickelte. die verlagerung des waren- und personenverkehr vom wasser auf die schiene verkraftete aarberg nie ganz.

verbesserungen suchte man zur wende vom 19. zum 20. jahrhundert in der industrialisierung der landwirtschaft; die zuckerfabrik steht hierfür. erweitert hat man auch die arbeitsmöglichkeiten, von der traditionellen ziegelei zur modernen betonfabrikation. in aarberg wächst die bevölkerungszahl, und seit neustem besinnt man sich einer langen tradition in aarberg: der führung der verwaltung für den verwaltungskreis seeland.

zwei politische höhepunkte hatte aarberg in jüngster zeit. 2008 feierte die feuerwehr jubiläum, und bundesrat samuel schmid, damals schon bdp bundesrat, höchstpersönlich lobte die tatkraft der liberalen bürger in aarberg, für ihre sicherheit selber zu sorgen. 2010 kam dann auch sein gegenspieler, alt-christoph blocher nach aarberg, um mit einer viel gehörten rede über berühmte seeländer, den wahlkampf der konservativen svp für regierung und parlament zu eröffnen.

selber habe ich meinen weg nach aarberg aus anderen gründen gefunden. 2006 feierte man mit grössen wie moritz leuenberger und benedikt weibel “100 jahre postauto” in aarberg. 1906 eröffnete man nämlich von bern via detligen nach aarberg die erste schweizerische autolinie des gelben riesen. bis heute ist sie eine meistbefahrenen. und auch ich gehörte zu den regelmässigen fahrgästen.

und wir steigen nun in eben dieses postauto, um unserer jubilarin, regula baumgartner, zu ihrem 50. geburtstag alle ehre zu erweisen: irgendwo in bernwest werden wir wieder aussteigen, wenn die wetterfee es erlaubt. machen sie dann einen schönen eindruck, damit die chemie beim feiern stimmt!

stadtwanderer

leben in der risikogesellschaft

ich finde zu allem worte, dachte ich mir. jetzt merke ich, wie sie stocken, wenn ich an die ereignisse in japan denke. mein versuch, mich selbst aufzurichten, vielleicht auch andere anzuspornen, gleiches zu tun.

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vor 25 jahren erschienen, durch den reaktorunfall in tschernobyl berühmt geworden, ist der band über die risikogesellschaft von ulrich beck dieser tage wieder aktueller denn je.

zuerst war die meldung vom erdbeben. wenn sie aus japan kommt, macht das nur beschränkt eindruck. dann trafen die bilder der verwüstung durch den tsunami ein. sie schockierten. schliesslich müssen wir bald täglich zusehen, wie im akw fukushima eine explosion der andern folgt, die newslage mehr verwirrt als klärt, die welt sich aber trotzdem einem ihrer tiefpunkte nähert. was tun?

ulrich beck, der wohl bedeutenste lebende soziologe deutschlands, veröffentlichte vor 25 jahren sein buch “risikogesellschaft”. es war damals schon die treffendste analyse der verkettung von gesellschaft, technik und natur. seither hat es kritiken zuhauf gegeben, wissenschaftliche, politische und mediale. und doch denkt man diese woche unweigerlich wieder an die diagnose becks vor einem viertel jahrhundert.

in einem bemerkenswerten interview mit dem heutigen “bund” nimmt der soziologe stellung zum geschehen in japan. seine überlegung beginnt beim begriff der “naturkatastrophe”. Er suggeriere, das etwas schlimmes passiere, dass der mensch nicht zu verantworten habe. das sei falsch, weil die natur dramatische veränderungen kenne, die im bezug auf die von menschen entwickelte zivilisation zur katastrophe würden. menschliches können, technologische entwicklung und ereignisse der natur seien deshalb augenscheinlich miteinander verwoben.

grosse katastrophen, wie die jetzige in japan, aber auch wie die globale finanzkrise, tendierten jedoch dazu, nicht nur metaphorisch keine verantwortlichen zu haben. versuche, ursachen und wirkungen in solchen situationen miteinander in verbindung zu bringen, würden meist ins leere laufen. das habe nicht zuletzt damit zu tun, dass es nicht gelinge, rechtsnormen zu formulieren, welche folgen auf gründe zurückführen würden, und damit die akteure für ihr handeln haftbar zu machen.

besser funktioniere da der sündenbock-mechanismus. an tschernobyl sei der kommunistischen schlendrian schuld gewesen, lautete die gängige interpretation 1986. die sicherheitsstandards seien in der kapitalistischen welt anders, denn keine firma könne solches wollen, schob man nach. jetzt, wo auch das widerlegt sei, rechnet beck damit, dass man die japanische tragödie zu einem sonderfall, bedingt durch die eigenheiten des pazifischen raums machen werden. doch sei das nur augenwischerei. unübersehbar sei, dass die sicherheitsphilosophie der kerntechnologie insgesamt zur disposition stehe.

die generelle problematik formuliert der soziologe so: risiken sind sinnlich nicht wahrnehmbar. was risikant ist und was nicht, entscheidet der gesellschaftlichen prozess der verarbeitung von risiken. dabei dprften wir nicht einfach auf die individuelle oder kollektive erfahrung abstellen, weil wir inzwischen wissen müssen, das katastrophen drohen, die wir noch nicht erfahren haben und die wir nicht erfahren dürfen. auf diese problematik habe noch niemand eine angemessene antwort gefunden, ihr auszuweichen sei aber ein trugschluss.

ulrich beck schlägt vor, die entwicklung der (un)sicherheitskultur nicht technikern und juristen überlassen. die kritik an ihnen dürfe jedoch nicht einfach ins leere zielen; sie müsse besseren techniken und märkten chancen eröffnen, die helfen, riskante techniken durch weniger riskante zu ersetzen. der deutsche anlytiker unserer gegenwart glaubt, dass durch katastrophen wie die aktuelle der trend hin zu debatten über eine alternative moderne nicht mehr aufzuhalten sei.

meine gespräche heute waren profaner, aber nicht anders. wir müssen uns der risiken, mit denen wir leben, gemeinsam bewusster werden, um vernünftig zu entscheiden, was wir haben, was wir wollen, und was wir ausschliessen müssen. das beginnt bei jedem einzelnen, wird aber unvermeidbar zu einen gesellschaftlichen prozess werden, der, wie es ulrich beck vor einem viertel jahrhundert schon sagte, die grammatik des politisch machbaren neu bestimmen wird.

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der auf- und abstieg auf und von schloss ferrette

heute gab es einen ausflug in den sundgau. das mittelalterliche städtchen ferrette, vormals pfirt, war das ziel. der auf- und abstieg zur schlossruine glich einem gang durch die bewegte geschichte des elsäsischen ortes.

der aufstieg war steil. er führte an der gotischen kirche vorbei. rechter hand streifte man schweren schrittes die häuser des friedensrichter, des bürgermeisters und des örtlichen grafen. dann war es fertig mit dem mittelalterlichen pflaster. man bog scharf nach links, folgte einem holprigen weg aus herd und stein, der im ehemaligen schlosshof mündete. gut 600 meter über meer ist die ruinen gelegen. noch heute bietet sie eine wunderbare aussicht über den sundgau. im norden sind die hügelzüge weich, im süden wirkte der jura schon rauher.

rauh ging es in ferrette auch während der französischen revolution zu und her. denn die erbosten bauern und bürger des elsässischen städtchens schleiften das schloss, auf dem seit dem westfälischen frieden gefolgsleute der französischen könige hausten. sie alle trugen den titel eines grafen von pfirt, den die franzosen dem kaiser in wien nach dem 30jährigen krieg abgenommen hatten. die habsburger waren, wie könnte es anders sein, durch heirat albrecht ii., dem königssohn, mit johanna, der erbin von pfirt, wie ferrette früher hiess, in seinen besitz gekommen. und so ist auch das schloss entstanden: die oberburg wurde im 12. jahrhundert von einem friedrich von ferrette voller zuversicht in einer properierende phase der geschichte gebaut, die unterburg liess erzherzog maximilian errichten, nachdem der ort in den burgunderkriegen gelitten hatte.

vom städtischen charakter des französischen ortes in früherer zeit zeugt heute vor allem das rathaus. es ist, wie in den chroniken steht, in einem rot aus ochsenblut gehalten, und es fällt noch heute als markantes gebäude am schlossweg auf. das tor am stadteingang steht indessen nicht mehr, und auch sonst ist einiges heruntergekommen in ferrette. typisch dafür ist, dass das “st.bernhard”, das restaurant unmittelbar neben der gotischen kirche, selbst am sonntag zu hat. krankheitshalber vorübergehen zu, steht auf der tafel geschrieben, die früher wohl das sonntagsmenü ankündigte. dieses reicht man an diesem tag bei den asiaten als take away, und im “collin”, von wo es noch nach dem bekannten traditionsteller mit sauerkrauf, wurst und speck riecht. die serviertochter, die uns am place charles de gaulle bedient, macht ihre sache bestens, friert aber ein wenig, wenn sie auf die terrasse kommt – vielleicht, weil ihre nylonstrümpfe eine lange fallmasche haben.

der berühmteste zeitgenosse ferrettes ist prinz albert von monaco, dessen vorfahren den örtlichen grafentitel vor den revolutionären franzosen gerettet haben. kümmern tun sich die grimaldi, ausser bei ausgewählten repräsentativen anlässen, wo graf albert auftaucht, um den ort nicht. die bilder des konservativen bürgermeisters françois cohendet strahlen nicht viel zuversicht aus. von beruf war der heute 67jährige masseur. seit der pensionierung massiert er die politischen seelen der knapp 1000 einwohner, die man in der cluse noch zählt. aggressiv wirbt dafür der front national. die drei telefonnummer für alle fälle sind auf jedem plakat: jene der polizei, der feuerwehr und des parteisekretärs. ob hilft, zweifle ich. denn die unfälle, die ferrette geschadet haben, liegen weit in der geschichte zurück.

so steil der aufstieg auf den felssporn, so steil wirkt auch der abstieg des provinzstädtchens. schade, denke ich mir. doch weiss ich, dass der ort schrägen charme bewahrt hat, und seit einem viertel jahrhundert kehre ich gerne immer wieder in den pittorseken ort im südlichen sundgau zurück.

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die andere stichwahl

geladen hatte der trachtenverein wohlen. gekommen waren 250 personen, die meisten aus meiner wohngemeinde wohlen. es wurde getanzt, gesungen, gegessen und getrunken – und zwischendurch gabs das theater “stichwahl”.

“aerger für herger” war das motto des volkstheater. matthias herger, berner nationalrat der stadtlandpartei, wollte seit langem kantonalpräsident seiner partei werden. die belastung durch die politik war hoch, das eigene unternehmen lief schlecht. eine eigentlichen durchbruch erwartete der gut 50jährige durch seine wahl – weniger für die partei, mehr für sich! das sah patrizia bichsel, eine dreissig jährige anwältin unter den parteimitgliedern genau umgekehrt. frischer wind durch frische leute sollte der partei neues leben einhauchen – mit ihr als präsidentin.

dramatik kam in die aufführung, als die hintergründe der stichwahl ausgeleuchtet wurden. denn herger war im vorjahr nicht mit seiner parlamentskommission in die ukraine gereist, sondern in seine heimatgemeinde, wo er sich in seinem ferienrustico auf eine liebschaft einliess. überrascht wurde er dabei von seiner erwachsenen tochter, denise, die sich danach entsetzt ins auto stürzte und unter mysteriösen umständen einen schweren unfall baute, der ihre persönlichkeit entstellte. das verhältnis hatte herger ausgerechnet mich bichsel, seiner parteikollegin, die nun gegen ihn antrat.

die wahl fand im tagungszentrum der heimatgemeinde von herger statt, gerade neben dem rustico. mit der ankunft der familie herger rekonstruiert sich die familiengeschichte, die trägödie um ihre tochter und liebschaft des mustergatten, von der nicole, die ehefrau, erst am wahltag erfährt. eilends geht sie ins wahllokal, wo sie mit der nebenbuhlerin anstösst, allerdings mit sekt, den sich vorher mit schlafmittel präpariert hatte.

so kommt es zu einer dramatischen stichwahl. herger gibt sich selbstbewusst, der parteivorstand stützt ihn, ebenso seine ehefrau, und die sonntagspresse, die beeindruckt ist, das in diesem wichtigen moment die familie herger samt tochter vereint anwesend ist. bichsel wiederum taumelt schlaftrunken ans redepult, hat nur eine vergraulte ex-nationalratskandidatin hinter sich, sagt wenig, und als sie ausrasten und die ganze wahrheit auspacken will, setzt man sie in die hinter reihe der parteimitglieder.

dr. fernando plüss, dem parteisekretär, bleibt nur noch, die stichwahl gemäss statuten durchzuführen. doch lässt er nicht die parteimitglieder entscheiden, sondern das publikum. das erhält wahlzettel, wie es sich gehört, bestimmt werden stimmenzählerInnen, wie man das kennt, und dann wird ausgemehrt.

es gewinnt die herausfordererin patrizia bichsel, die dreimal mehr stimmen macht, als der anfängliche favorit, matthais herger.

als der vorhang fällt, wähnt man sich in einem stück realität. unverkennbar gespielt wurde hier die traditionsreiche bernische svp. es mischen fast unzertrennbar das politische und das gesellschaftliche. in diesem gibt es das öffentliche und das private. dieses wiederzum zerfällt in echtes und getäuschtes. all diese ebene verleihen dem geschehen auf der bühne spannung.

regie führte wie jedes jahr bei den aufführungen des wohlener trachtenvereins annemarie schädeli. sie scheint die mentalität der landleute gut zu kennen, ohne ihr milieu mit dem theater zu brüskieren. die fassade, von der man am anfang wenig überrascht kenntnis nimmt, bröckelt mit jedem schritt, mit dem man auf die entscheidung im machtkampf zugeht. das macht das stück, durchwegs von laienschauspielerinnen gespielt, lebensnah.

an ende war ich froh, nur gast im wohlner räberhaus gewesen zu sein. denn die analyse wäre mir nicht leicht gefallen. in der stichwahl habe ich mich nämlich enthalten, nicht weil ich neutral bleiben wollte, sondern weil mich beide protagonistInnen des stücks politisch nicht überzeugten.
die unterhaltung am abend – einem stück begegnung zwischen stadt und land – habe ich dagegen ausgiebig genossen.

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steht die schweiz unter dem diktat der agglomerationen?

der schock über die volksabstimmung zur waffen-inititive sitzt tief. es ist nicht einmal das ergebnis, das dies bewirkte, zeichnete sich die ablehnung gegen das ende des abstimmungskampfes immer mehr ab. vielmehr war es der stadt/land-gegensatz der einfuhr. denn nach seit dem letzten november gehen eigentlich alle volksentscheidungen zugunsten des mobilisierten landes aus.

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die bevölkerung, die in den ruralen gebieten lebt, geht seit mitte der 90er jahre zurück. es wachsend die urbanen gebiete. agglomerationen im engeren sinne sind jene in der nachkriegszeit rasch gewachsenden gebiete zwischen dem land und den kernstädten.

am kommenden dienstag gibt es auf drs2 einen themenschwerpunkt. berichtet wird über den stadt/land-gegensatz in der schweiz. porträts von menschen städterinnen und landschäftlern werden gesendet. experten aus architektur, gesellschaft und politik kommen zu wort – und der stadtwanderer!

ein grösseres interview mit meiner analyse zu abstimmungsergebnissen, neuen polaritäten, entscheidenden mehrheiten, tieferliegenden motiven und generellen antagonismen kommt im “kontext”. doch es geht nicht nur um eine übersicht zu volksabstimmungen, es geht auch um grundsätzliches: bildungsunterschiede, verkehrsinvestitionen, lebensweisen zwischen stadt und land.

der titel der sendung lautet vor der aufnahme: “steht die schweiz unter einem agglo-diktat?” das war sicher als provokation gedacht, und auch mit einem fragezeichen versehen. selber bin ich skeptisch mit der damit verbundenen aussage: zwar stimmt es, dass die agglomerationen in der schweiz 50 prozent der einwohnerInnen, auch der bürgerInnen ausmachen. doch äussern die agglomerationen keinen einheitlichen willen, womit das diktat entfällt.

das werde ich im interview zu begründen versuchen.

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erdöl-schock 1973 – und heute?

revolution in tunesien und ägypten, bürgerkrieg in lybien. was bedeutet das für uns? – eine erinnerung.

sriimg20060604_6779261_2es ist eine schwache, aber lebhafte erinnerung. die autobahnen waren leer. wir spazierten über brücken und sahen erstmals die weite der schnellstrassen durch unser land. denn kein lastwagen, kein personenwagen störte das bild.
fantasien kamen auf, was man damit alles machen könnte: rollshuhstaffeten, velorennen, oder gar die rückführung der strassen in natur wurden diskutiert.

erinnert wird hier an das jahr 1973. den ölschock. ausgelöst durch den jom-kippur-krieg, den aegypten und syrien gegen israel führten. der westen unterstützte die angegriffenen, die erdölfördernden staaten reagierten mit der drosselung von erdöl, um den westen in schach zu halten.

als erste massnahme führte man vier (?) autofreie sonntag ein. die bildeten die unterbrechung des rhythmus, an den man sich mit jeder eröffnung eines stücks autobahn immer unweigerlicher gewöhnt hatte. so wollte man energie, das erstmals zu einem knappen gut wurde, sparen.

ob das wirtschaftliche etwas genützt hat, zweifelt man heute. im sinne der politisierung war der einschnitt wirksam. auf der einen seite setzten wird und mit arabischen staaten auseinander, damals vor allem aegypten und saudi-arabien. beide genossen in der folge einen schlechten ruf. auf der anderen seite eroberte die vorstellung der grenzen des wachstums unser denkvermögen. vorher hatte ich glaube ich nie gehört, dass erdöl endlich sei.

im nachhinein ist es einfacher abzuschätzen, was der erdölschock von 1973 alles auslöste: zum beispiel die suche nach anderen energiequellen wie der kernenergie, aber auch erneuerbarer energieträger. müll(wieder)verwertung kam auf, genauso wie die diskussion über wärmedämmung. ja, selbst solch einschneidende massnahmen wie die einführung der sommerzeit kamen auf. im ersten anlauf wurde dies in einer volksabstimmung abgelehnt, aus ökonomischen gründen von der politik dann doch eingeführt. auf der anderen seite ist die inflation in folge steigener energiepreise ein thema. massnahmen gegen die verringerte kaufkraft wurde zu einem zentralen thema der politik. erfolgreich eingeführt wurde in der schweiz ein preisüberwacher. schliesslich änderte man die ganze geldpolitik, die darauf ausgerichtet war, die teuerung in den griff zu bekommen.

warum ich mich heute erinnere? – bei meiner morgendlichen schoggi vor dem gang in die stadt, habe ich in den zeitungen gestöbert und die neuigkeiten aus spanien gelesen. wegen den steil ansteigenden treibstoffpreisen, darf man ab nächster woche nur noch 110 stundenkilometer auf den spanischen autobahnen fahren 15 prozent des erdöls und 11 prozent des diesels will man so sparen. für spanien, das seinen energieverbrauch extrem durch importe deckt, scheint das unentbehrlich.

und selbstredend frage ich mich, ob das bald auch in der schweiz ein thema wäre. zum beispiel des angelaufenden wahlkampfes. dem stadtwanderer wäre es recht, wenn er mit seines gleichen auf den strassen mehr platz bekäme.

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das www der berner geschichte

waschen, wählen, weitersagen: das ist das motto einer kleinen ausstellung über berns moderne zeit in der berner stadt- und universitätsbibliothek, die gestern eröffnet wurde. vorbereitet wird damit das erscheinen des fünften und letzten bandes der grossangelegten geschichtsreihe zu bern in buchform im mai 2011.

bernsmodernean der gestrigen vernissage war man überzeugt: geschichte der moderne lässt sich anhand von geständen des alltagslebens erzählen. drei davon standen im zentrum der ausführungen: die waschmaschine, die wahlurne und das wähltelefon!

die waschmaschine hat im 20. jahrhundert (nicht nur in bern) vieles verändert. den waschvorgang selber, die sozialform des gemeinsamen waschens. weitgehend geblieben ist dagegen die rollenverteilung zwischen den geschlechtern. die ausstellungsmacherinnen wählten deshalb das bild eines mannes, der verstohlen wäscht, weil sein hemd kusslippen enthält.

die wahlurne hat einiges verändert. zwischen 1831 und 1993 wurde bern mit vier verfassungsänderungen demokratisiert. die politische rechte wurden sozial- und geschlechtermässig erweitert. geblieben sind aber burgergemeinden, und nicht realisiert wurde das stimmrecht für ausländerInnen und jugendliche. symbolisiert wird dieser vorgang durch den mann auf dem plakat, der ja zum frauenstimmrecht, im kanton bern 1968 eingeführt, sagt. auch er hat lippenstift auf der wange.

auch das wähltelefon beschreibt den wandel der beziehungen. man kann vieles weiter sagen, obwohl man bedenken hat, dass das fräulein, das die verbindungen herstellt, mithört, und es und seine kolleginnen am schluss am meisten weiss. die berner firma hasler war führend in der produktion von telefonapparaten, bis die modernisierung an ihr vorbeizog. deshalb steht ein nostalgisches bild im zentrum: ein iphone aus der gegenwart, das aber eine wählscheibe auf dem display hat.

der rundgang durch die ausstellung bietet zu den drei themen einiges an informationshäppchen, auch weniges an bildmaterial. das ganze ist als einstimmung gedacht, denn in kürze erscheint der fünfte und letzte band zur berner geschichte. er wird, auf 600 seiten, und mit zahlreichen abbildung, den wandel der moderne im kanton bern beleuchten.

sympatisch und nett war die veranstaltung gestern. geschichten wurden erzählt; die geschlechterfrage scheint dabei die historikerInnen der gegenwart so erfasst zu haben, das mir anderes zu kurz kam. in der vormoderne war bern eine führende stadt und ein führender stand in der eidgenossenschaft. warum ist er das nicht mehr, wird ja landauf, landab debattiert. ein klärungshinweis dazu hätte ich gerne auch gehört. denn die nachmoderne welt droht zu einer gigantischen virtualität zu werden, die an keinner grenze mehr halt macht. das www berns wird man noch verfassen müssen!

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frauen in politischen ämtern: höhepunkt in den städten überschritten

1993 löste die nichtwahl von christiane brunner in den bundesrat eine welle aus, von der frauen bei wahlen profitierten. ihre untervertretung verringerte sich sukzessive. doch seit einiger zeit ist wieder gegenteiliges feststellbar.

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im bundesrat hat es seit neuestem vier frauen. damit ist die mehrheitlich der sieben mitglieder weiblich. die statistik der schweizer städte von 2011 weist nach, dass ähnliches in den städten bern, lyss, und zofingen der fall ist, sowie in muri bei bern als prominentestem vorort. alles in allem sind es orte im weiteren umfeld von bern.

das alles darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die zahl der stadtexekutiven ganz ohne frauen grösser ist. in verschiedenen westschweizer gemeinden wie mancy, vernier, thonex und versoix kann man das mit der eigenheit in verbindung bringen, dass die regierungen nur drei mitglieder zählen. in wetzikon, bülach, wohlen, rorschach und st. moritz gibt es jedoch sieben mitglieder, und alle sieben sind männer. vergleichbares findet sich in davos, ebikon, oftringen, prilly und val-de-travers, wo die stadtregierung fünf mitglieder zählen und keine frau dabei ist. etwas schematisiert kann man sagen, männerbastionen in stadtregierungen kommen in der ost- und zentralschweiz am ehesten vor.

abstrahiert man von solchen regionalen eigenheiten, interessieren die grossen entwicklungslinien in der vertretung von frauen in stadtbehörden. da die schweizer stadtstatistik seit den 80er jahren konstant erhoben wird, eignet sie sich auch, um einen zeitgeschichtlichen überblick in dieser hinsicht zu geben.

das jahr 1993 ist das entscheidende, für die frauenvertretung in den städtischen exekutiven. unschwer erkennbar ist der zusammenhang mit der nicht-wahl von christiane brunner in den bundesrat. vor allem in den grossen städte führte der so ausgelöste effekt zu einem sprunghaften anstieg von frauen ist stadtregierungen. 1994 wurde ein rekordwert verzeichnet, der seither nicht mehr erreicht worden ist. die auswirkungen auf die mittelgrossen städte waren bescheidener, aber nachhaltiger, und in den kleinen städten ging es bis 1998, bis ein wendepunkt erreicht wurde.

fast alle indikatoren zeigen, dass der höhepunkt bei der frauenvertretung zwischen 2006 und 2008 erreicht wurde, seither verlaufen die mittelwerte rückläufig, ausser für die kleinsten städte. oder anders gesagt: frauen haben es wieder schwerer, an den massgeblichen stellen der stadtpolitik einsitz zu nehmen.

ähnliches lässt sich auch beim wichtigsten vergleichsindikator, dem frauenanteil in stadtparlamenten, sagen. auch hier bildeten die grossen städte lange den lead, als es aufwärts ging. und bei ihnen wurde 2007 der höchste wert gemessen. seither verringert sich die zahl der frauen in den stadtparlamenten wieder leicht. das gilt auch für die mittelgrossen städte, wo der kippunkt 2006 war, während es nicht sicher ist, ob die trendwende in den volksvertretungen der kleineres städte schon eingetreten ist.

auf jeden fall kann hier eines klar festgehalten werden: die letzten 3 bis 5 jahre brachten nur noch in einzelfällen eine verbesserte frauenrepräsentation in den stadtbehörden. mit der entwicklung der grundstimmung richtung konservative grundhaltung gehen auch die wahlchancen von frauen in regierungen und parlamente zurück. wenn das selbst in den städten der fall ist, und das insbesondere bei den trendsettern, ist von auszugehen, dass sie gleich auch in den agglomerationen und auf dem land abzeichnet oder schon der fall ist. das wäre dann auch ein fingerzeig, was am grossen wahltag im herbst passieren kann!

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