über den wandel der wahlkämpfe der gegenwart

es war interessantes interview, das drei junge gymnasiastinnen aus wettingen mit mir über veränderungen in schweizer wahlkämpfen führten. nach dem gespräch konnte ich auf berns strassen unverhopfft einen test meiner thesen machen.

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sie sind alle drei keine achtzehn, dürfen am 23. oktober 2011 also nicht wählen. während ihrer projektwoche an der mittelschule in wettingen müssen sie aber ein thema zu den anstehenden wahlen behandeln. manuela furger, tabea dössegger und sina fedier haben sich den veränderungen in wahlkämpfen der gegenwart angenommen.

“die wichtigste veränderung in schweizer wahlkämpfen der gegenwart geschah mit dem 6. dezember 1992”, beginne ich. damals entscheid man über den beitritt der schweiz zum europäischen wirtschaftraum. die antwort war nein, die folge war eine bisher unbekannte polarisierung der schweiz. vorher führten die parteien wahlkämpfe nach innen durch, und die parteieliten verhandelten vor den wahlen die wichtigsten fragen untereinander. tempi passati. denn heute entwickeln die parteien angriffswahlkämpfe, die auf ansprache denkbarer wechselwählerInnen zielen und mit denen sie die wählerschaft mobilisieren wollen. statt positiv über sich zu reden, spricht man seither negativ über andere. man verhandelt nicht mehr, man besetzt themen. man sucht keine lösungen, man bewirtschaftet schwachstellen der politik. es grassieren populismus und verträge mit dem volk werden zelebriert.

die so entstandene polarisierung hat das wahlgeschäft belebt. schweizer wahlkampfe sind spannender geworden. das treiben kennt indessen keine tabus mehr. was die themen angeht, mag man das noch befürworten. umweltzerstörung und migrationsfolgen wurden in den letzten fünfundzwangzig jahren salonfähig. was die institutionen betrifft, sind die veränderungen indessen negativ. denn vor nichts mehr wird beim schimpfen übr andere halt gemacht. das spürt der bundesrat, die nationalbank ein lied dazu singen, und die srg ist fast schon zum normalen politikum in wahlkämpfen geworden.

in der schweiz gibt es keine wirkliche entpolitisierung, bin ich überzeugt. vielmehr dominiert die repolitisierung der nationalen wahlkämpfe. veränderte und neue parteien sind entstanden. die wahlbeteiligung ist gestiegen. zugenommen hat auch die zahl der listen und kandidierenden – bis vor kurzem auch der frauenanteil unter ihnen. die politik mobilisiert heute besser als noch vor einer generation.

mit dieser repolitisierung ist die bedeutung der traditionellen kantonalparteien in wahlkämpfen arg relativiert worden. das spüren cvp und fdp mehr, während sich sp und svp besser auf die veränderungen eingestellt haben. heute werden wählkämpfe nicht in aarau, frauenfeld oder chur entschieden, sondern von den nationalen parteizentralen geführt und gesamtschweizerisch, allenfalls sprachregional adaptiert. die präsidenten sind allgegenwärtig. man interessiert sich sogar für die fraktionschefInnen, generalsekretärInnen und mediensprecher. rankings gibt es über alles und zu jedem, nicht immer zur freude der betroffenen. der werberischen auftritt der parteien wurde vereinheitlicht, er gleicht der markenführung in der wirtschaft. die themensetzung geschieht von oben, und halbgötter unter den politikerInnen kommunizieren die parteiansichten in den massenmedien. bedrängt werden die kantonalparteien aber auch durch die kandidatInnen, die vermehrt eigene kampagnen machen. im besseren fall mit der partei, im schlechteren nur für sich selber. quereinsteigerInnen nennt man das, was bei den politikerInnen, welche die ochsentour durch die parteigremien gemacht haben, meist nicht gut ankommt.

die medien haben sich auf all diese veränderungen eingestellt. sie mutieren selber zum akteur in wahlkämpfen. national ausgerichtete mediengruppen ziehen mit, wenn es ums themensetzen geht oder ums zuspitzen der lage mittels ereignisse. kantonale medien animieren namentlich die ständeratswahlen, die sich einer steigenden beliebtheit erfreuen. hinzu gekommen sind elektronische medien im lokalen, seien es radio oder fernsehen, und das internet in den händen der aktivistInnen. das bild der politikerInnen wird wichtiger. selbst über das aussehen der kandidatInnen spricht man neuerdings. es grasiert aber auch die persiflage und demonatage. die parteipräsidenten in accessoirs aus dem sexshop und die kandidatInnen in der unterwäsche der migros scheinen zu interessieren. und diesmal gibt es eine partei, die sich parteifrei nennt!

überhaupt, medien sind aber nicht einfach transporteure. ein teil des wahlkampfes findet nicht mehr bei den bürgern statt, sondern für die medien, inszenierungen nennt man das. die einen freut’s, zeigen politarenen, machen auf talkshows und bringen porträts zuhauf. andere sind skeptisch. sie haben redaktionsstatuten, die sagen, was politisch erlaubt oder untersagt ist, gewisse von ihne zeigen nähen zu parteien und kandidatInnen, und sind für werbung mehr oder minder offen, was die rasch voranschreitende kommerzialisierung der politwerbung fördert.

sichtbar sind heute vor allem die wahlkämpfe der svp. intensiv sind sie, ereignisorientiert auch, und provokativ, was ihnen hohe mediale aufmerksamkeit sichert. das führt dazu, dass sie im aus- und inland stilbildend wirken, kopiert werden oder man sich auf sie beziehen muss.

ob das alles gut oder schlecht ist, wollen meine jungbürgerinnen gegen ende des interviews wissen? ich bleibe auf solche fragen seit einigen jahren zurückhaltend: man beteiligt sich an politik nicht mehr aus loyalität zu einer milieupartei, aber aus betroffenheit, erwidere ich. auf die zusammensetzung des elektorates hat das zunächst vorteile. es nehmen die interessierten teil. es hat aber auch nachteile, denn mit der individuell variablen beteiligung hat auch das stimmungselement zugenommen.

mich beschäftigen trends wie diese: je länger ein partei in der regierung ist, desto weniger wird sie belohnt, denn umso eher verliert sie wahlen. das trifft ins herz der konkordanz.
oder: die medien bestimmen nicht nur unseren informationsstand, sie legen vermehrt auch unsere mentale verfassung fest, in der wir wählen. ob wir sachlich entscheidend oder emotional aufgewühlt jemanden abwählen, hängt heute weitgehend von medienkampagnen ab.
schliesslich: in der jüngsten generation gibt es ein neues phänomen: immer mehr sind involviert, aber immer weniger wollen wählen gehen. man weiss, dass es politik gibt, aber das ganz bleibt äusserlich.

die zeit fürs inti ist um. mann und frau bedankt sich. ich gehe auf eine tour in die stadt wandern. als erstes begegne ich thomas fuchs auf riesigen plakaten am bahnhof. dann treffe ich den stadtpräsidenten in realität. der steckt mir seine wahlkarte zu: “svp wählt Alexander Tschäppät”. mit “svp” meinte er nicht seine politische konkurrenz, dafür die französische form für “bitte schön”. du musst dich nicht sorgen, sage ich ihm, deine partei schon eher. wenn es auf die wahlen zugeht. der angesprochene kandidat zuckt die achseln und sagt. “Jeder Egoist tut sein bestes für sich und hofft, es nützt seiner Partei.”

stadtwanderer

bolero, die schlacht von murten und stadtwandern mit roger de weck.

bern, münster, gegeben wird das stück “die schlacht von murten”. publikum: roger der weck mit seinem team in der srg-generaldirektion. musik: maurice ravel, regie: der stadtwanderer

IMGP2223während meiner stadtwanderung von gestern wurde es zunehmend heiss. umso mehr freuten sich alle auf den abschluss der tournee mit dem besuch des münsters. auch meine burgundergeschichte sollte dort zum ende kommen. mit der schlacht von murten – die alles, was die berühmten herzöge von burgund in 200 jahren aufgebaut hatten, innert einem halben jahr danach zum einsturz brachte.

ich heisse meine gäste in der von diesbach-kapelle im seitenschiff des münsters platz zu nehmen. roger de weck macht den flügelmann links in der erste reihe, rechts davon und dahinter verteilen sich seine kollegInnen aus der generaldirektion der srg. auch natalie wappler, die kulturchefin von srf, ist dabei, als ich zum tatort des geschehens überleite.

doch da überrascht mich die münster-orgel. unvermittelt setzt musik ein. schon nach den ersten klängen ist mir klar, was hier gespielt werden wird. boléro, von maurice ravel.

du meine güte! komme ich da mit meiner stimme an. auch wenn die trommeln der originalversion fehlen, das ist dramatik pur. so mache ich mir mut, denn ich weiss, es folgen 15 minuten mit einem einmaligen musikalischen spannungsaufbau.

das lasse ich mir nicht entgehen. besser kann die entscheidung im burgunderreich – das 443 in der sapaudia zwischen alpen, jura und aare begann, sich über das rhone-, saone- und doubstal ausdehnte, um in viele einzelteile zu zerfallen, die sich schliesslich gegenseitig bekämpften – nicht in szene setzen.

noch ist die melodie leise. die variantion des themas wird am anfang aa genannt.

auch ich rede leise, spreche über niklaus von diesbach, dem tuchhändler aus bern, der 1450 in die stadtpolitik einstieg. sein geld steckte er in den münsterbau; die pension zum leben bezahlte der franzosenkönig. wer zum neureichen hielt, bekam von ihm die steuren bezahlt. das sicherte bei jeder entscheidung eine stattliche klientel.

die lautstärke der orgel nimmt zu, jetzt kommen die bb-variationen des boléro.

von diesbachs gegenspieler war adrian von bubenberg, der abkömmling der traditionsreichsten junkerfamilie in der stadt. wer ihm etwas verkaufte, musste damit rechnen, dass der edelmann anschreiben liess, mit seinem namen bürgte, aber nie bezahlte. das sorgte für feinde. die mobilisierten die landschaft gegen den schultheissen.

erneut ein cresendo – und wieder er tönt die aa-variation.

jeanne de la sarraz, bubenbergs frau, liebte extravagante kleidung. auch lange schnabelschuhe, den high heels der damaligen zeit. dazu trug sie körperbetonte roben, geschmückt mit hüten mit lange scherpen. das stadtgericht verurteilte sie wegen unsittlichem auftreten.

jetzt wird es schon mächtig laut im münster, denn ein anschwellendes bb-motiv erfüllte den raum. ich redete lauter und (noch) schneller.

die weiber im sack geifern auf berns strassen gegen die frau des schulheissen. doch die lässt sich nicht beeindrucken. demonstrativ marschiert sie mit ihresgleichen in der verurteilen montur im berner münster ein. die provokation ist gewaltig.
die weiber im sack geifern auf den strassen berns.
es folgt eine intrige gegen den schultheiss. zuerst wird er abgewählt, dann aus dem kleinrat ausgeschlossen. er darf keine politik mehr betreiben.

ich muss mich sputen, denn die aa-/bb-variantionen in der musik im münster werden immer kürzer. und die stimmung immer heftiger.

es schlägt die stunde für die familie von diesbachs. sie übernehmen das stadtregiment. sie regeln die grenzstreitigkeiten mit den habsburgern. und sie erklären dem herzog von burgund den krieg. sofort zieht man auf land hinaus, zerstört man den burgundischen besitz in der waadt, und rückt man über den jura richtung beaune vor. in hericourt bahnt sich eine schlacht an. im zeltlager der berner ist man nervös. ein pferd schlägt aus und trifft niklaus von diesbach. er verstirbt im lazaret von pruntrut.

bern ist führungslos. und das im selbstgewählten krieg.

der herzog von burgund sammelt truppen, rückt seinerseits bei pontarlier über den jura vor. in grandson kommt es zum ersten treffen. die berner, verstärkt durch die eidgenossen, stürmen gröllend aus den wäldern. die ritter erschrecken, ergreifen die flucht. 1 zu 0. karl der zu kühne weicht nach morges aus, um sich und seine leute neu zu versammeln. der zweite angriff gilt murten.

die stadt bern gerät in panik, denn von murten aus wäre es nur noch unweit bis zum stolzen zentrum an der aare. eine delegation des kleinrats eilt nach spiez. von bubenberg bittend, sich an die spitze der bern truppen zu stellen. der zögert, den karl, der herzog von burgund, was sein jugendfreund. dann sagt er zu, seine besitzungen in der waadt scheinen ihm gefährdet.

adrian besetzt murten, bevor die burgunder es einnehmen können. das zwingt diese zur anstrengenden belagerung der befestigten stadt, was wiederum dem entsatzheer der eidgenossen die möglichkeit gibt, die burgunder von hinten anzugreifen. die zürcher kommen hinzu, die anderen verbündeten auch.

es ist sommer heiss, aber es regnet in strömen, als sich am 22. juni 1476 mehrere 10000 mann am grünhag unterhalb salvanach gegenüberstehen. die kampf ist heftig. die burgunder und ihre verbündeten verlieren ihn. 2 zu 0.

der herzog flieht erneut, verzweifelt sucht er vor der stadt nancy die entscheidung zu erzwingen. mitten im winter. erneut unterliegen sein mann. 3:0. der prächtige kommt ums leben, zerfetzt von einem wolf wird sein leichnam geborgen.

ich bin erleichtert, die orgel hat voll mitgespielt. 16 variationen des gleichen themas klingen in unseren ohren nach, als ich zum ausblick überleite.

die eidgenossen wurden in diesem jahr nicht nur reich. überall schreit man jetzt nach ihnen, das schnelle geld der franzosen und des papstes lockt.
bubenberg wird in bern nochmals schultheiss, doch sein einfluss schwindet. die jungen männer, die sich in den schlachten bewährt hatten, sind begehrt. es lockt das schnelle geld der franzosen und des papstes. dem söldnertum steht die blüte erst bevor.

… noch einmal das a-thema.

als adrian stirbt, wird er in der schultheissengruft des münsters beigesetzt. seine familie plagen geldsorgen. eine generation später verschwinden ihre spuren in der stadt. adrians leichnam wird exhumiert, niemand weiss, wo er heute begraben liegt.

…. und das finale b.

die kaufleute übernehmen die stadt bern. unter ihnen ist der lombarde von may. er war mit dem zitronenhandel nach bern gekommen. jetzt lockt er die berner jungs gen süden. süss-bittere zeiten folgen

für uns heisst es aber: das mittelalter ist aus, die bolero musik verstummt, genauso wie ich ruhig werde. nur mein herz schlägt noch schnell, vor freude, als das publium klatscht …

stadtwanderer

hier reportagen aus der schweiz

bern hat den bundesplatz, und zürich den paradeplatz. doch das ist nicht die ganze schweiz. unter diesem motto sich eine gruppen jüngerer journalistInnen zusammengeschlossen, um inskünftig unabhängig die vielfalt der schweiz aufs neue zu erkunden.

bild_vernissagedie heute erscheinende nullnummer des magazins hier fällt zunächst durch ein gepflegte layout auf. dabei ist die aufmachung programm. denn das äussere wird von beitrag zu beitrag variiert. genauso wie man die schweiz variieren muss um sie in ihrem ganzheit zu begreifen.

wahrscheinlich mögen die reporter den mainstream nicht. anders als die die weltwoche setzen sie aber nicht auf einen ideologischen antistream, sondern auf beobachtung. erkunden, was ist, erklären warum es so ist, und erahnen, was daraus werden könnte ist die aufgabe der reportage, die man mit dem magazin in wort und bild pflegen möchte.

die nullnummer ist schon ganz anregend. man war beispielsweise am arc lémanique, der vor wachstum explodiert und berichtet über die décrossance. man hielt sich auch im berner jura auf, um zu erfahren, warum man über dem thunersee keinen neuen naturpark will. man ging in den jura, um einen briefkasten hinsichtlich der darin versteckten 164 firmen zu durchleuchten. man war auch in zürich, bei der tochter des sex königs stöckli, die eine gallerie unterhält, durch die und man ins sex-kino kann. und man war in rümlang, um die mutation von lagerhallen zu erkunden.

diese reportage hat mir bei der ersten lektüre am besten gefallen. denn sie greift ein thema auf, das mir bisher entgangen ist. sie stellt eine mutige these an den anfang, die in der folge durchaus selbstkritisch anhand der recherche überprüft wird. konkret geht es um verlassen industriebrachen, in die informatikfirmen einziehen, um ihre server aufzubauen, die ihre gigantischen datenarchive beherbergen. 4 dieser art sind in jüngster zeit entstanden. durchgesetzt haben sie sich, weil die schweiz, wie weiland bei den fluchtgelder, mit stabilität, sicherheit und sauberkeit werden kann. so fragt die reportage, ob auf den bankenplatz schweiz der datenplatz schweiz folgt. die antwort, die er gibt, ist durchaus …

lassen wir das, denn mit meinem kleinen beitrag will ich meine leserschaft neugierig machen. hier, das heute abend in bern erstmals der öffentlichkeit vorgestellt wird, kann man abonnieren. man kann die recherchen auch finanziell unterstützen – selber oder wenn man einen reichen onkel hat, wie es im begleitschreiben des trägervereins “berg und tal” heisst.

ein blick auf die website zeigt, dass im trägerverein berg und tal noch einiges in den kinderschuhen steckt. die gehversuche des jüngsten spösslings in der schweizer magazin-familie sind schon vielversprechender.

ich jedenfalls werde eine weile aufmerksam mit dem neuen “hier” mitwandern, wenn es heisst, mehr über bisher unbekannte ort, authentisches über eigenwillige menschen und spannedes über ihren lebensgeschichten zu erfahren.

stadtwanderer

bern wuchs und wuchs

bern wächst und wächst“, titelt die bz online heute. angekündigt wird eine grosse veränderung, die man mit einer serie begleiten will. das ganze riecht ein wenig nach wahlkampf: die kritischen diskussionen zur migration in den metropolen zürich und genf sollen in der hauptstadt entfacht werden. hier mein kommentar – nicht als politologe der gegenwart, aber als historiker, der die stadtentwicklungen in den grossen zeiträumen verfolgt.

Bevoelkerung_Berndie gründungsstadt (wie heute trachselwald oder schangnau): wie viele einwohnerInnen die stadt bern bei ihrer gründung an der schwelle vom 12. zum 13. jahrhundert hatte, weiss man nicht. man rechnet aufgrund der parzellen- und häuserzahl aber mit 500 bis 1000 personen in der stadt, teilweise weiterhin mit einem wohnsitz ausserhalb.

das landstädtchen (wie heute aarberg): bis 1450 war bern das, was man heute ein landstädtchen nennen würde – eine stadt mit weniger als 5000 einwohnerInnen. die stadt dehnte sich flächenmässig bis 1350 mehrfach aus, dann stoppte die pest die entwicklung. die bevölkerung wurde dezimiert, durch zuwanderung aber rasch wieder ausgeglichen. das regiment führten die junker, die stadtritter aus der gründungszeit, welche wachsam sind, dass das gewerbe zu keinem namhaften politischen einfluss kommt viel veränderungen lässt das nicht zu.

die kleinstadt (wie heute burgdorf): zwischen 1450 und 1830 war bern, aus heutiger warte, eine kleinstadt. die bevölkerung wuchs schrittweise bis auf 20000 einwohnerInnen an, das wachstum verlangsamte sich aber immer wieder. das regiment führen die patrizier, die aus dem alten landadel und dem neuen geldadel entstanden. die stadt zog im 16. jahrhundert die reformation durch; man fühlte sich in der zeit der konfessionskriege von überall her bedroht. im dreissigjährigen krieg baute man ausgedehnte schanzen, und 1643 begann man die aufnahmebedingungen neuer menschen vom land durch eine restirktive einbürgerungspolitik zu beschränken. haupteinschnitt in der geschichte war der einfall der franzosen 1798, gefolgt vom revolution und restauration.

die mittelstadt (wie heute biel/bienne): die revolution der liberalen 1831 krempelt die stadt um. die wirtschaftlichen vorrechte fallen, dennoch wächst die stadt, die 1848 zur bundesstadt avanciert. der bahnhof wird gebaut, die elektrifizierung verändert das stadtgefühl. die industrialisierung bringt den dem bürgertum den grossen aufschwung; es wächst auch das proletariat. aussenquartiere entstehen, um die neuen menschen in der stadt aufzunehmen. am vorabend des 1. weltkrieges zählt man 100000 einwohnerInnen.

die grossstadt: nach dem ersten weltkrieg entwickelt sich bern zu einer grossstadt. bümpliz wird eingemeindet, andere dörfer bleiben selbständig oder schliessen sich wie im falle von köniz untereinander zusammen. nach 1960 flacht sich das wachstum der bevölkerung bei 160000 einwohnerInnen ab. der ausländeranteil nimmt rasch zu, doch setzt die auch die stadtflucht ein. arbeiten in zentrum, wohnen im grünen wird attraktiv. der öffentlichen verkehr zur bewältigung der pendlerströme in den eng gewordenen verhältnissen muss befördert werden. die bevölkerungszahl der agglomeration bern wächst unvermindert, die der stadt entwickelt sich auf rund 125000 zurück. köniz, die stadt als vorort kommt auf 40000 einwohnerInnen und ist die bevölkerungsreichste agglomerationsstadt der schweiz.

die neueste entwicklung: erst seit einige jahren reagiert man in bern auf die veränderungen. eine regionalkonferenz wird gebildet, um überkommunale aufgaben zu regeln. die hauptstadtdiskussion setzt ein, um sich zwischen den metropolen in zürich und genf zu platzieren. und die personenfreizügigkeit lässt die bevölkerungszahl erstmals seit fast 50 jahren wieder etwas anwachsen. bern setzt sich das ziel, in absehbarer zeit 140000 einwohnerInnen zu haben, immer noch 15 prozent weniger als auf dem höhepunkt der bevölkerungsentwicklung. und nicht einmal das ist sicher, dass es erreicht wird, denn gegen die urbarmachung von waldboden regt sich widerstand. und migrationsfragen werden zum politikum (gemacht).

oder wie sagte fernand braudel, der grösste historiker frankreichs im 20. jahrhundert: die zeit hat drei qualitäten – die weisheit der geschichte ergibt sich aus der longue durée, den veränderungen der meere gleichend – der nutzen der sozialwissenschaften entsteht aus dem überblick über flut und ebbe oder der durée conjoncturelle – und das interesse der journalisten konzentriert sich auf die courte durée, dem schaum auf dem wellen.

stadtwanderer

liberalitäten verschiedenster art

ein zitat, das ich irgendwann auf internet fand, hallt in mir nach nach: die dreieinigkeit politischer korrektheit in der modernität sei marktwirtschaft, demokratie und zivilgesellschaft – kurz liberalität (frei wieder gegeben). wir es mit dieser liberalität in der schweiz steht, erläuterte uns ein langer artikel in der nzz am sonntag. ein paar gedanken darüber hinaus.

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zahlreiche ideologieproduzenten beschäftigen sich damit, was liberalität ist. das liberale institut selbstredend, die denkfabrik avenir suisse genauso, aber auch zeitungen wie der tagi und parteien wie die fdp nehmen sich der frage regelmässig an. michael hermann, bekannter politgeograf der uni zürich, versucht sein einigen jahren weiter zu gehen. liberalität soll nicht nur weltanschaulich und programmatisch aufgrund von festellungen und aussagen dingfest gemacht werden. nein, seine idee ist es, liberalität anhand der entscheidungen in der politik zu bestimmen – und das ganze mehrdimensional zu analysieren.

die namensabstimmungen im nationalrat drängen sich da auf. 509 solche entscheidungen, die seit den letzten parlamentswahlen getroffen wurden, lassen sich im weitesten sinn als positionsbezug zu liberalität subsummieren. 403 repräsentierten die ökonomische dimension, 106 die gesellschaftliche. die erste gruppe zielte in den letzten jahren darauf ab, die wirtschaftlichen handlungsspielräume von akteure zu erweitern, sei das durch die wirtschafts- oder finanzpolitische massnahmen: personen- freizügigkeit, agrarfreihandel und abschaffung des verbandsbe- schwerderechtes, reformen der unternehmenssteuer resp. der sozialversicherungen zählen unzweifelhaft zum ersten paket, während der schutz der persönlichen handlungsspielräume, sei das durch garantie von minderheitsrechten oder die ablehnung von präventionskampagnen zum zweiten zählen.

die oberstehende darstellung, von mir entwickelt, um alle informationen zum liberalitätsindex von hermann auf einen blick zu haben, positioniert die parteien im fadenkreuz von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher liberalität. wenig überraschend ist die fdp die liberalste aller schweizer partei (und in ihr die ausserrhödlerin marianne kleiner die liberalste aller politikerInnen), stellt man auf alle 509 entscheidungen ab. nicht so eindeutig sind indessen die antipoden:

die illiberalste partei in wirtschaftsfragen ist die gps, gefolgt von der sp. die polarisierungen zur fdp sind hier ausgeprochen hoch. die mehrheit der gewählten volksvertreterInnen neigt zum liberalen pol. fdp, svp, bdp und glp haben zusammen eine mehrheit. schert die svp aus, was finanzpolitisch wenig, wirtschaftspolitisch aber einigermassen wahrscheinlich ist, braucht es den sukkurs von cvp und sp, um im nationalrat eine mehrheit zu finden.

ganz anders als in wirtschaftsfragen, ist die gps in gesellschaftsfragen die liberalste partei. auch hier ist ihr die sp am verwandtesten. die fdp ist in dieser hinsicht jedoch kein antipode, und von einer wirtlichen polarisierung kann man nicht sprechen. denn nur die svp ist gesellschaftlich illiberal, und nur die gps-politikerInnen verdienen dieses etikett wirklich. deshalb ist die mehrheitsfindung weniger schwierig. gesellschaftsliberale forderungen brauchen sukkurs bei gps, sp, fdp und glp um (knapp mehrheitsfähig) zu sein, es sind aber auch kombinationen mit cvp und bdp denkbar.

die strategieüberlegungen, welche das liberalitätsrating zulässt, sind ganz interessant. sie treffen, würde ich sagen, auch einiges von dem, was im parlament verhandelt und entschieden wird. und dennoch bin ich, wie am letzten sonntag, als ich die neuesten ergebnisse las, nicht ganz befriedigt, wenn ich die liberalitäts-analysen von hermann lese. denn meiner meinung nach behandelt er von der dreieinigkeit der modernen liberalität nur zwei elemente: die marktwirtschaft und die zivilgesellschaft. die demokratie kommt als schwerpunktsthema nicht vor.

für den historiker ist das eigentlich überraschend, denn die demokratie erfuhr gerade in der schweiz, ausgehend von verschiedenen liberalen, radikalen und demokratischen strömungen des 19. jahrhunderts einen kräftigen anstoss. anders als viele theorien der ökonomie und soziologie verstand nämlich der freisinn die entwicklung von wirtschaft, gesellschaft und staat nie als gegensätzlichkeit, eher als einheit. denn es ging darum, auf dem land, wie in der stadt, die menschen zu bewegen, sich für eine neues projekt der schweiz zu engagieren.

das mag heute anders sein, im sinne einer umfassenden liberalität sollte jedoch auch das dritte bein erforscht und im index repräsentiert werden. selbst wenn meine schöne grafik dreidimension schwieriger zu lesen wäre: ich würde sie gerne im sinne einer komplettierung der informationen zu liberalität in der schweiz entwickeln.

stadtwanderer

mein alltäglicher medienkonsum

das maz – die schweizer journalistenschule in luzern – hat mich aufgefordert, meinen medienalltag zu beschreiben. hier mein entwurf, entstanden aus der selbstbeobachtung während der letzten woche.

medienanthropologie_rotsw“es ist nicht ganz klar, wann mein medienalltag beginnt resp. wann er aufhört. denn medien wirken nach, bis in die träume, und die empfindungen der nacht nähren neue bedürfnisse nach medien. doch das wäre wohl eher etwas für eine bericht an ein institut für psycholoanalyse, denn an die schweizer journalistenschule.

wenn ich morgens das haus in hika (hinterkappelen) verlasse, ist mein erstes ämtli, die tageszeitungen aus dem briefkasten zu holen. wenn ich mich im postauto mit niemandem unterhalte, lese ich zeitungen. früh am morgen steht das lokale bei mir zu erst an. momentan ziehe ich den “bund” vor, weil er übersichtlich gegliedert ist. erst dann kommt die “bernerzeitung” dran – lange meine nummer 1. die grossen bilder kommen meinen morgendlichen bedürfnissen durchaus entgegen; den aufbau der seite verstehe ich aber selber nach wochen der umstellung nicht wirklich. wenn ich im postauto nicht lese, schwirren die plakatwände in rascher folge an mir vorbei. bewusst erheischen kann ich nicht viel, unbewusst nehme ich wohl einiges mit. im moment vor allem politisches, sprich stiefel. die werbung der versicherung, die man so aufmerksam lesen muss, bis man sie versteht, ist für meinen morgen höhere magie, die ich nicht raffe.

in der stadt trinke ich, wenn immer möglich, noch etwas, bevor ich zu arbeiten beginne. momentan ziehe ich die piazza-Bar am berner hirschengraben allem andern vor. denn es ist wunderbar ruhig. auf dem Weg dorthin hat es den quartier-kiosk. da schaue ich mir die Aushänge der medienhäuser an und decke mich mit dem ein, was mich anspricht. gegenwärtig sind das immer weniger tageszeitungen, denn die versprechen zu oft mehr als sie halten. seit den sommerferien setzte ich mich wieder häufiger mit deutschen und internationalen magazinen auseinander. der spiegel. die zeit. das sind meine wöchentlichen zeitspiegel. am donnerstag kaufe ich bisweilen die weltwache. im büro angekommen, gibt’s die letzte dossis an frühstücksmedien: die mails, die kommentare zu meinen blogs von vortag, die nzz online und le temps via internet.

von diesem moment an gibt es keine rituale mehr. alles hängt davon ab, ob ich einen bürotag habe, ob ich auswärts bin, ob ich schreibe, ob ich lese. oder unterrichte. mache ich letzteres, fahren ich zug, wo ich gerne lese. bücher vor allem. bisweilen auch aufsätze, die zum thema meines kurses passen. im büro muss ich vor allem berichte meiner forschungskollegInnen lesen. gelegentlich braucht es da sicherheitschecks. dann sind lexika und bandbücher gefragt, wenn es um meine kerngebiete geht. handelt es sich um randbereiche meines xxpertenwissens, ziehe ich wikipedia vor. ich schreibe selber Artikel in diesem wissenskiosk, weshalb ich anderen auch vertraue. allerdings ziehe die englischen beiträge den deutschen häufig vor.
wenn ich schreibe, bin ich mit sekundärquellen zurückhaltender, denn die lenken mich dann zu stark ab. als forscher beschreibt man vor allem seine eigenen untersuchungsergebnisse. grafiken, tabellen, bisweilen auch ganz frische computeranalysen, sind meine nahrung.

in pausen informiere ich mich gerne kurz über das aktuelle geschehen. ich habe eine kleine leseliste, die ich, wenn ich zeit habe, ein- bis dreimal pro ag dturchgehe, um mich über neuigkeiten zu informieren. 20 minuten zählt dazu, newsnetz, die seiten von sf und drs, gelegentlich auch die von tsr und rsr sind da gefragt. parallel dazu mache ich auch mails; häufig hat’s da such links darunter, was man sich aus dem kunterbund des internets ansehen soll.

der mittag ist medienfrei, rede ich mir gerne ein. doch das stimmt bei weitem nicht. bei tollen licht und speziellen momenten fotografiere ich gerne, und kontrolliere ich die bilder nach dem motto: behalten, nicht behalten, behalten. die gründe für die entscheidungen sind nicht immer klar. ausser ich hatte den finger vor der linse. denn die silhouetten der stadt, in der ich gerade bin, sind deutlich interessanter. die stadtwanderung am mittag ist auch ohne das nie medienfrei. das urban zeichnet sich heute nicht mehr durch historische kernstädte aus, vielmehr durch aktuelle kernkommunikationen. über allem steht die werbung. es folgen die autoritativen hinweis- und verbotsschilder. und das kleingedruckte der subkulturen an wänden, ampelmasten und türrahmen interessiert mich mächtig. selbst der boden ist nicht mehr frei davon. genauso wenig wie seitenwände von lastwagen und gepäckträger vin fahrrädern. selbst auf den fussgängerstreifen findet man die scharmützel der guerilla-marketer. nach dem mittag ziehe ich mir gerne etwas weiches rein. ein video. eine tour auf flickr. oder meine fotos von eben. ich habe ein riesiges archiv. das muss meine emotionale befindlichkeit treffen, denn bald schon schalte ich wieder auf den kognitionsmodus muss der inforamtionsverarbeitungsmachine in mir um.

der medienkonsum am nachmittag ist ähnlich wie der am morgen von meinem arnbeitsprogramm anhängig. einen unterschied gibt es aber: wenn der tageskram gemacht ist, arbeite ich gerne an vorträgen und vorlesungen. die sind bei mir ein mix aus dem reich der texte und der bilder. ich lasse mir meine powerpoints auch gerne als diashow vorführen. so stimme ich mich vor allem in themen ein, dich ich noch zu wenig gut kenne, über die ich aber sprechen muss.

am vorabend kann man sich den gratiszeitungen kaum mehr entziehen. sie stapeln sich an jeder ecke. sie unterliegen dem campari-soda, wenn es heisst, vom arbeitstag abschied zu nehmen. und im Postauto nach hause ist es die zentrale lektüre – der andern. ausser für die iphonistInnen. uu denen zähle ich nicht. ich habe ein sehr einfaches handy. das nicht mehr kann als ich. weil ich ein einfach begabter mensch in sachen technik bin. die dinger, die meine sitznachbarn zappeln lassen, wenn sie läuten, gehen mir, ganz ehrlich gesagt, auf den wecker. aber auch das ist ein anderes thema.

das abendessen ist die eigentlich medienfreie phase in meinem alltag. da tausche ich mich lieber aus. wehe, wer mich dann am telefon erreichen will, um mir etwas zu verkaufen! das maximum an medien, die ich da ertrage: das radio, mit vorliebe nachrichten und echo der zeit!

der abend zuhause gehört mir, dem bloggen, selten auch dem fernsehen. wenn ich etwas wirklich sehen will, lege ich mich gerne hin, geniesse landschaften, tiere oder krimis. “schnell ermittelt” auf orf ist mein favorit. der rest ist häufig pflichtstoff, den man sich heute auch problemlos als clips auf internet ansehen kann. bloggend verlasse ich den tag wort für wort, bisweilen bild für bild. es kann auch sein, dass ich ein wenig recherchiere, hängen bleibe, wo ich gar nicht hin wollte, meine neugier mich aber hinführt. nicht selten endet diese medienwanderung vor dem büchergestell, den buchneuerwerbungen des letzten wochenendes, dem zugestellten, bisher unbekannten magazinen, die ich mir einmal ansehen soll und die mein bettlektüre bereichern.

wie gesagt, einen teil meines medienkonsums verarbeite ich des nachts, wo auch der wunsch entsteht, neues kennen zu lernen. gerade dann, wenn man immer am gleichen ort lebt. so ist das halt – mit den medien. sie spiegeln einem realitäten die keine sind, und genau deshalb so real werden.”

stadtwanderer

langsam, aber sicher!?

langsam, aber sicher bewegen sich schnecken. das schneckentempo passt als sinnbild für die entwicklung der politischen rechte für frauen in der schweiz. und dient als leitmotiv für ein comic, der verein gendering zuerst auf französisch und nun auch auf deutsch herausgegeben hat.

gender

neuseeland 1893, finnland 1906, russland und england 1918, deutschland 1919, ecuador 1929, frankreich 1944, senegal und togo 1945 und italien 1946. das sind die vorbilder, wenn um die einführung des frauenwahlrechts in zeitgenössischen demokratien geht. in der schweiz warteten die frauen bis am 7. februar 1971, um mit den männern der schweiz und vielen frauen der welt gleichziehen zu können.

warum so spät?, fragt der comic “langsam, aber sicher”, der diesen sommer in der deutschen übersetzung in den buchhandel gekommen ist. herausgegeben wurde er vom verein gendering.

drei gründe sehen die autorinnen des bilderbuchs, damit mit volkspädagogischer absicht gemacht wurde: erstens, die direkte demokratie, die zementierten geschlechterrollen, und drittens die strategie der frauenbewegungen in der schweiz.

damit tritt der comic mitten ins selbstverständnis der herausgeberinnen. ihre organisation ist als folge der gender studies an schweizer universitäten entstanden und verfolgt das ziel, das wissen, das so erarbeitet wird, für die praxis ausserhalb von forschung und lehre relevant werden zu lassen. damit spricht man eine jüngere generation an, welche den kampf der frauen für gleiche rechte und gleichstellung nicht miterlebt hat, das alles für selbstverständnis hält oder ignorant ist gegenüber aktuellen trends zum backlash.

so wird an eigenheiten des politischen systems der schweiz erinnert, insbesondere an den mehrwert der volksrechte. aufgezeigt wird, welche vorteile damals unter heute gegenüber frauen in der politik existieren. kritisch diskutiert werden aber auch die überzeugungen der ersten generation von frauenbewegungen, wie die strategie der kleinen schritte, die unterschiedlichen interessen der verschiedenen bewegungen und die divergierende wertvorstellungen im hinblick auf die beziehungen zwischen den geschlechtern.

der comic wird da zum geschichtsbuch, präsentiert grosse momente der frauenemanzipation wie der internationale frauenkongress zur weltausstellung von 1893, der internationale frauentag vom 8. märz, zentrale figuren der frauengeschichte wie dr. emilie kempin-spyri, aber auch der alltag der frauen, die sich beispielsweise im bund schweizer frauenvereine oder im schweizerischen verband für frauenstimmrecht engagierten.
die saffa, die erste ausstellung über die arbeit der frauen in der schweiz, die 1928 in bern stattfand, brachte das symbol der schnecke hervor. die botschaft war klar: behutsam und beharrlich will frau vorankommen.

wirtschaftskrise, faschismus und weltkrieg entschleunigen die bewegung, die in der nachkriegszeit wieder an fahrt gewinnt. am 20. dezember 1920 wird das postulat von roten im nationalrat angenommen, dass eine verfassungsrevision verlangt, um diskriminierungen der frauen aufzuheben, erste volksbefragungen in den kantonen finden statt, bis es am 1. februar 1959 zur ersten grossen volksabstimmung kommt, die allerdings negativ ausgeht. “wir haben eine schlacht verloren, aber nicht den krieg …” lautete die losung damals, die zum zweiten anlauf 1971 , der den durchbruch brachte.

sicher, zu eben diesem thema kann mann und frau auch die bücher beispielsweise der historikerin beatrix mesmer lesen. die stärke des comic ist, schnell einen überblick über akteure, stationen, be- und entschleunigungen der entwicklungen zu erhalten, die über die knappen texte den verstand ansprechen, mit den bildern aber auch das gemüt aktivieren.

vielleicht ist das sogar noch wichtiger: denn das weltbild des homo helveticus ist in den letzten 40 jahren in den hintergrund gerückt, jedoch bei weitem nicht aus dem selbstverständnis verschwunden. genau da setzt aber auch meine kritische bemerkung beim neuen geschichtsbuch für praxis an: 1971 ist nicht das ende der entwicklung, eher so etwas wie der erfolgreiche anfang. was danach geschah, zum beispiel mit dem gleichstellungsartikel im schweizerischen recht, mit dem neuen ehe- und erbrecht im alltag, mit der frauenförderung bei wahlen und abstimmungen liesse auch ein weiteres sinnbild entstehen, denn im internationalen vergleich ist die gleichstellung der frauen gerade in der politik spät gestartet, hat aber in ein bis zwei generationen den rückstand auf viele andere länder wettgemacht. die frauenmehrheit im bundesrat seit 2010 ist das wohl beredetste beispiel für die veränderungen in den politischen rechten der schweiz.

unabhängig davon: es ist ein anregendes buch, informativ gemacht und witzig gestaltet, das man als politisch interessierte mit gewinn vor den anstehenden parlamentswahlen lesen sollte!

stadtwanderer

von der schweiz lernen

die neueste schweizer geschichte ist eben erschienen. sie irritiert und fasziniert zugleich.

9783406622069

wenn ein historiker aus schleswig-holstein ein werk über die schweiz schreibt, das im nachwort von der bundespräsidentin ruth leuthard berichtet, fragt man sich, wer im deutschen beck-verlag lektoriert hat. wenn der autor zudem als erstes seinen peer steinbrück zitiert, fürchtet man, eine rechtfertigung für die unwürdigen äusserungen des früheren deutschen finanzministers nachgereicht zu erhalten – und fast schon wäre der schinken kräftig zugeklappt im obesten tablar des hintersten büchergestells im estrich verstaut worden.

“das wäre schade gewesen!”, sagt man sich nach 512 seiten, geschrieben von volker reinhardt, mit dem neuesten zur schweizer geschichte.

die verflüchtigung der mythen und die folgen für die geschichtsschreibung ist das grosse thema des professors für allgemeine und schweizer geschichte an der benachbarten universität fribourg. nach ein paar federstrichen, mit den er die vorgeschichte zu 1291 skizziert, seziert er den gründungsmythos rücksichtslos, um ihn definitiv zu verabschieden – und auszurufen: “Zu den neuen Perspektiven und ihren Ergebnissen!”

dazu gehört, die ereignisse an der wende des 13. zum 14. jahrhundert konsequent im lichte der reichsentwicklung zu sehen: mit den habsburgern, den luxemburgern und den wittelsbacher konkurrenzierten sich drei adelshäuser beim neuaufbau des reiches, das nach dem ende der staufer-dynastie weitgehend in sich zusammengefallen war. für die waldstätte entscheidend war, von kaiser friedrich ii, dem weltgewandten sizilianer, 1231 und 1240 freiheitsbriefe ausgestellt bekommen zu haben, die sie von übergriffen der habsburger als adelige landesherren sicherten, einen reichtsvogt jedoch zuliessen.

werner von homberg, ritter und minnesänger mit stammsitz in der nähe oltens, sieht der autor als diesen verwalter unter könig heinrich vii. aus dem hause luxemburg-böhmen. denn für seinen feldzug nach rom, wo er nach 60 jahren unterbruch vom papst zum neuen kaiser gekrönt werden wollte, brauchte er, wie schon zu frühren söldner und gesicherte rückzugsräume. dafür machte er den erfolgreichen condottiere zum reichsvogt über die waldstätte, der den lokalen clans – den von attinghausen in uri, den ab iberg in schwyz und den von hunwil in unterwalden – ihre überlieferten rechte beliess, wenn sie dafür die söhne ihrer bauern als kampftruppe des kaiseranwärters verkauften.

wer zuhause blieb und etwas auf sich hielt, zog pferde auf, betrieb viehzucht, stellte käse her und verkauft fleisch nach mailand, an den hof der visconti, die zum kaiser hielten. zuhause beanspruchte man dafür immer mehr weiderechte, genauso wie das reichskloster einsiedeln mit den habsburgern als vögte. da alles ging zulasten der allmenden, dem lebensunterhalt der einfachen bauern und hirten. die pauperisierten unterschichten wandten sich, am dreikönigstag 1314, gegen den abt in einsiedeln, reichsfürst in weltlichen sachen, wass herzog leopold von habsburg herausforderte, dem kloster schutz und schirm zu gewähren. bekanntlich scheiterte die aktion, doch verband der angriff die landleute von uri, schwyz und unterwalden, die sich mit dem morgartenbrief am 9. dezember 1315 wechselseitige unterstützung und friedenswahrung zusicherten. in dieser zeit, vermutet der autor, seien vorhandene briefe rückdatiert worden, um die ansprüche als hergebracht zu legitimieren, was zu 1291 geführt habe.

von bedeutung wurde dies, als 1320 reichsvogt werner von homberg in der nähe von genua verstarb, und sein sohn 5 jahre später auch verschied. das königtum im reich war unklar gelöst, mit je einem halbkönig aus den häusern habsburg und wittelbach, was den aufstieg des einfachen adels aus dem gotthardgebiet erleichterte. 1322 setzte sich ludwig der baier durch. vom papst gebannt, konnte ihn nur eine selbstorganisierte kaiserkrönung sichern, die er in rom, vom volk bejubelt, durchführen liess. dafür privilegierte er die reichsvogtei erneut, die nun ohne vogt war, dem kaiserantwärter aber den weg in die stadt am tiber sichern musste. so waren, schreibt reinhardt, “die Führungsschichten der drei Länder Uri, Schwyz und Unterwalden zu einer Einheit geworden, die aus eigenem Antrieb und für selbst bestimmte Zwecke aktiv zu werden gelernt hatte.”

die so entwickelte linie verfolgend, erzählt reinhardt flüssig und und faktenreich die geschichte der eidgenossenschaft. er berichtet, von den bünden mit luzern, zürich und bern, von der verfestigung der eidgenossenschaft durch die schlachten von sempach und murten, von ihrer bedeutung als zünglein an der waage im frühneuzeitlichen europa, von der abkehr der reformatoren von der expansionsidee, von der kirchlichen und politischen spaltung, von der konsoldierung des gewordenen staates im ancien régime, vom zeitalter der modernen revolutionen, der entwicklung der demokratie und der wirtschaft und von von der insel des friedens während den weltkriegen. das ganze endet mit den gegenwärtigen europäischen herausforderung – mit den neuen inneren reibungsflächen, den bilateralen beziehungen und der bangen frage, allein in europa bevor- oder benachteilt zu sein.

die aussensicht, die hier entwickelt wird, dürfte in deutschland und österreich gut ankommen. sie verbindet europäische geschichte mit lokalen ereignissen. genau das führt dazu, diese nicht zu überbewerten und sie in ein grösseres ganzes einzuordnen. genau das gefällt mir an diesem buch, allerdings mit dem preis, gelegentlich oberflächlich, bisweilen auch spekulativ zu verfahren. genau das dürfte bei den hiesigen historikerInnen zu einer zurückhaltenden aufnahme führen, sodass die neueste geschichte der schweiz faszinieren und irritieren dürfte.

gelungen in der schluss der grossen erzählung, der die eröffnung des neuen basistunnels durch den gotthard gewidmet ist. den so erzielten weltrekord in der beherrschung der berge, sieht volker reinhardt als letztes beweisstück dafür, dass “die Eidgenosenschaft mit ihren unterschiedlichen Sprachen und Kulturen wie kein anderes Land Europas die Fähigkeit, sich neu zu denken, zu erfinden und zu positionieren hat, ohne ihre Vergangenheit zu verleugnen.” fast schon als antwort an peitschen-peer mit der bildlichen peitsche folgert er: “In dieser Hinsicht kann Europa von der Schweiz nur lernen.”

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vom versuch, den sonnenuntergang zu sehen

was haben wir in schweden sonnenunter- und -aufgänge gesehen! in der schweiz ist das schon mal ganz anders …

zürich flughafen: wir besteigen den zug nach bern. etwas erschöpft sitzen wir im erstbesten abteil ab. die sonne steht noch hoch im fenster. in schweden würde man sagen, noch zwei bis drei stunden bis zum untergang. hier geht jedoch alles schneller. also stellen wird uns auf eines tolles tagesende ein.

ausfahrt hb zürich: vorortszüge rasen unmittelbar vor uns an uns vorbei. bei dicht gefüllte taktfahrplan den sonnenuntergang sehen zu wollen, ist wohl vermessen. was bleibt ist ein langgezogenes sbbbbbbbbbbbbbbbb.

dietikon: im grossen siedlungsbrei endlich etwas aussicht. die limmat mischt das ghrün der bäume mit dem gelb der strahlen. dann wieder häuser, strassen, unterführungen, lagerhallen, überführungen, sogar ein laster, zahlreiche autos und eine autobahnbrücke. viel schatten liegt über uns.

heitersbergtunnel: nomen non est omen. schlagartiges einnachten. das fenster reflektiert unsere teebecher. schemenhaft sehe ich bärbi, meine sonne für alle fälle, ohne sie anzusehen.

lenzburg: nach der herofrabrik sehen wir die sonne erstmals für eine weile am stück. im innersten erscheint sie weiss, dann gelb, schliesslich goldig. mit dem braun wird ihre aura schwächer. dann wieder nichts. brücke, rampe, strassenbord, wenigstens etwas grünlich.

rupperswil: die abstimmung in der tiefstehenden abendsonne ist toll. die strommasten funkeln, selbst die stellstehenden güterwagen wirken ganz erwärmt. die ferrumfabrik liegt schon etwas im schatten, doch sprüht die sonnen licht zwischen die häuser. am schönsten ist das gelbe haus im gelben himmel. dann bäume, bäume, bäume, in dichter folge.

aarau: “schöööööni” und “dreiiiiiier” im huckeack – ich weiss, wir streifen kurz aarau. hier würde ich jeden winkel kennen, aus jugendzeiten, wenn sie nur nicht überbaut wären. der neue bahnhof glänzt, grau, hellgrün, hellgelb, fast schon seiden. doch braust ein gegenzug an uns vorbei “verschwommenes abendrot in der moderne” könnte das bild heissen. dann wieder tunnel.

gösgen: der rauch aus dem atomkraftwerk steigt weit über die skyline hinaus auf. er wird von der untergehenden sonne fast schon gespenstisch erleuchtet. zuunterst dunkelgrau, dann immer heller, zuoberst fast schon weiss, das sich im himmel auflöst.

olten: die sonne ist untergegangen. der tag ist vorbei. sein nachhallen spiegelt sich noch im bahnhofsdach. was für eine attraktion! danach will ich das auge fast schon abschalten, genauso wie den fotoapparat. doch wäre das alles viel zu früh gewesen. denn die lieblichen momente beginnen erst. pastellfarben, die ganze auswahl!

kurz vor bern: die sonne zeigt sich noch einmal, was für eine schöne überraschung. es ist fast wie im hohen norden, die nächte scheinen ganz kurz zu sein. die weite besticht, der himmel ohne wolken, der jura in der abendlichen finsternis, die fensterscheibe leicht errötet. ein tolles bild! doch dann eine baumgruppe – und weg ist die sonne und mit ihr die hoffnung, dass es schon wieder morgen wird. obwohl bärbi ihre schminkdose hervorkramt, um sich frisch zu machen.

bern: endstation. auch für unseren heimreisetag.

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