9/12

heute waren die zeitungen voll mit erinnerungen an “9/11”, dem tag als eine neue epoche der weltgeschichte anbrach. ich bin gespannt, ob man morgen ebenso “9/12” gedenken wird, dem tag, als ein neues kapitel der schweizer geschichte eröffnet wurde.

mob182_1268380365bildmontage: der bundesrat von 1848 und das bundeshaus von 2011

1848 ist das geburtsjahr der modernen schweizerischen eidgenossenschaft. und der 12. september ist das eigentliche geburtsdatum. denn an diesem tag wurde die neue bundesverfassung in kraft gesetzt. sie sollte das erste bindeglied werden, um die kantone, sprachregionen und konfessionsgemeinschaften erfolgreich zusammenzuführen und zusammenzuhalten.

sicher, dafür brauchte es zeit. der bürgerkrieg von 1847 wirkte nach. die modernisten und traditionalisten aus den zeiten der französischen revolution standen sich unverändert feindlich gegenüber. die alte konfessionsspaltung blieb noch lange bestehen.

schlimmer noch, die spaltung zwischen wirtschaftlichen aufstrebenden und rückständigen regionen brach eben erst aus, und sie konnte nicht mit der staatsgründung nicht direkt aus dem weg geschaffen werden.

dennoch legte die bundesverfassung von 1848 die voraussetzung für etwas ganz neues. einen solch tiefen einschnitt mit lang anhaltenden folgen gab es vorher nicht, und wohl auch nachher findet man nichts vergleichbares.

fünf institutionen entstanden mit dem 12. september 1848: die nation, die kanton, die bundesverversammlung, neu aus einem national- und einem ständerat bestehend, die regierung mit einem siebenköpfiger bundesrat, präsidiert vom bundespräsidenten und das bundesgericht. alle zusammen formten den bundesstaat, jetzt confoederatio helvetica genannt. abgelöst wurde dadurch der staatsbund mit der tagsatzung über den politisch autonomen ständen, die sich nur fallweise in konkordaten zusammenschlossen.

der prozess, welche die schweizerische eidgenossenschaft begründete, erfolgte schrittweise, und in den verschiedenen kantonen unterschiedlich schnell. der erste vorstoss für eine neue, eigene verfassung scheiterte 1830/1 noch. die kantone, die das gerne gehabt hätten, leiteten in der folge die politische erneuerung bei sich ein, während die anderen bei den verhältnisses seit dem wiener kongress blieben. der sonderbundeskrieg von 1847 schaffte dann die basis für einen neuerlichen anlauf, einen liberale verfassung einzuführen – nun angeführt vom freisinn, der sich als erneuerungsbewegung in zahlreichen kantonen gebildet hatte, aber darüberhinaus als nationale elite in politik und wirtschaft wirkte. ein verfassungsrat entwarf das neue grundgesetz, das die tagsatzung mit ihrer auflösung in kraft setzte, nachdem man in den kantonen darüber befunden hatte.

der politische schwung, der so entstand, die institutionen, die so gebildet wurden, und das rechtsgefüge, das alles zusammenhielt, führten dazu, dass man in der schweiz gerne vom verfassungspatriotismus sprach und spricht. denn die schweiz als staat baut nicht auf bahnbrechneden revolutionen wie in grossbritannien oder frankreich, nicht auf einer einheitlichen kultur auf wie in deutschland oder franzreich, und er ging trotzdem viel weiter als die gebiete, die wie österreich bei der monarchie bleiben.

es fragt sich allerdings, was davon 163 jahre danach geblieben ist!

denn die verfassung ist zweifach mehrfach generell überholt, ohne dass die revisionen die gleich wirkung gehabt hätten wie das 1848 der fall war. uns sie ist in zahllosen anläufen partiell verändert worden, sodass man immer wieder die details kennt, nicht aber den gehalt erinnert.

auch der breite patriotismus von damals ist einem gemisch aus blinder schweiz-verehrung, swissness-freude, internationalismus und gleichgültigkeit gewichen. glokalisierte schweizbezüge stehen individualistischen politikverständnissen gegenüber. wieder gibt es die grenzziehungen zwischen aussen- und binnenorientierung. und wieder polarisieren begriffe wie fortschritt und tradition, wenn sie im politischen gebraucht werden.

an den wahlen, die im herbst 2011 anstehen, will knapp die hälfte der wahlberechtigten teilnehmen. diese weiss darum, und sie wacht streng darüber, das privileg nicht zu verbreitern. weder auf 16jährigen noch auf ausländerInnen. letztes würde wohl soviel verändern, wie die niederlassungsfreiheit von 1848, verbunden mit politischen rechten, die nicht mehr an das kantonale bürgerrecht geknüpft waren.

am schlechtesten mobilisiert erscheint 2011 ausgerechnet die nachfolgepartei des freisinns, die fdp. ihre macht ist seit 1980 stückweise verschwunden. geblieben ist der rumpf der staatsgründungsbewegung. die fortschrittlichen freisinnigen stehen heute links, die traditionellen haben zur svp gewechselt. wer geblieben ist, hofft immer nicht auf rasche karriere in partei und staat, ohne dass klar wir, wofür diese stehen soll. den zwischen iganzio cassis, dem tessiner kantonsarzt, ruedi noser, dem zürcher it-unternehmer, und filippo leutenegger, der politikerjournalisten aus dem irgendwo gibt es keine wirkliche gemeinsamkeit mehr.

eigentlich schockiert bin ich über die wahlabsichten der jungen. die polarisierungen der letzten jahren haben sie bewegt, heute findet davon kaum mehr etwas, ausser in der politwerbung, im guerilla-marketing und auf facebook. das schrägste und die schönsten werden gezeigt, das leben jedoch wird ausgeblendet. jugendparteien haben plattformen, bringen aber keine themen aufs tapet, die von den übrigen politikerInnen diskutiert werden müssten.

ob das reicht?, schreibe ich ganz bewusst als letztes vor dem geburtstag zu 9/12 der schweizerischen eidgenossenschaft.

stadtwanderer