weltweiter stadtwanderer-tag

“Walkable neighbourhoods, urban literacy, cities planned for and by people”, das ist jane’s vision. am ersten mai-wochenende soll man dafür weltweit stadtwandern gehen.


jane jacobs, die begründerin der globalen stadtwanderer-bewegung im portrait.

bis vor kurzem kannte ich die community jane’s walk nicht. dann stiess ich beim twittern auf sie. zwischenzeitlich habe ich mich ein wenig damit beschäftigt – und bin begeistert, teil einer grossen bewegeung zu sein, die es seit 2007 gibt und sich seither munter verbreitet.

denn mit urban literacy kann ich mich voll identifizieren. zu deutsch könne man, sinngemäss, von “bildung durch städte” sprechen, was ich schon seit jahren propagiere.

denn städte sind, mit ihren grundrissen und bauten, mit ihrer kunst und werbung, ja mir ihren gesellschaften und individuen, einmalige stätten der bildung. nirgends ist die kulturelle informationsdichte so hoch wie hier. nur muss man lernen, sie zu lesen.

historisch, mit blick auf den schmalen grad zwischen kommender und vergehender gegenwart, ja futuristisch.

zu jane’s vision gehört, dass sie gelebt werden soll. am 5./6. mai 2012 finden weltweit (erneut) die tages des stadtwanderns statt. durch bildungshungrige und teilnehmedurstige, denen es nicht egal ist, wo sie leben, wie ihr leben urban formatiert ist, sondern eingreifen und erzählen wollen.

werde mich beteiligen, an diesem globalen grossereignis!

stadtwanderer

(für einmal) mit bern tourismus unterwegs

ipod und kopfhörer begleiten einem, wenn man mit bern tourismus (alleine) stadtwandern geht. informativ, abwechslungsreich, auf neuankömmlinge ausgerichtet, und doch nicht einfach nur oberflächliches wie in so manch gedruckten stadtführern, ist meine bilanz.

„station a1“. so etwas hat mich bis jetzt abgeschreckt. eine genau vorgeschriebene route beim stadtwandern durch bern. heute habe ich mich trotzdem auf einen doppelten stadtrundgang mit bern tourismus eingelassen – durchaus mit gewinn!

jeder spaziergang hat rund 15 stationen. variante a geht vom bahnhof durch die altstadt zum alten tramdepot, und variante b macht das gleich umgekehrt, meist mit anderen haltestellen.

zwei stunden braucht man für einen weg – und man wir nicht enttäuscht. uu sehen bekommt man das politische bern, beispielsweise mit bundeshaus, rathaus und erlacherhof, aber auch das repräsentative bern mit zytglogge, kaiserhaus und kornhaus. selbstredend fehlen die diversen brunnenanlagen nicht, genauso wenig wie der bärengraben und der bärenpark.

besonders gut gefallen haben mir die einleitenden worte zum bahnhofplatz, dem treffpunkt des traditionellen und modernen berns. für das erste sehen die heiliggeistkirche und das burgerspital, quasi die ost-west-achse, für das zweite der bahnhof und der baldachin, die nordsüdachse, die ihren schnittpunkt mitten auf dem bahnhofplatz haben. Das macht einem gleich zu beginn klar, dass man in berns altstadt vor allem der vergangenheit begegnen, aber auch der gegenwart.

pinggelig will ich nicht sein, aber einige fehler bin ich gestossen. so war die schlacht von novara 1513, nicht 1521, denn die berner, die mit dem bären aus oberitalien zurückkehrten, machten das vor der entscheidung in marignano und nicht danach. Der berner grosse rat tag nicht mittwochs, sondern in sessionen. streiten kann man sich auch, ob die vier männer unterhalb der justitia auf dem gleichnamigen brunnen repräsentieren nach neuer lehrmeinung nicht mehr papst, kaiser, sultan und schultheiss, denn dieser befand sich, bei aller hochachtung nicht in dieser liga; vielmehr stellt die figur den deutschen könig dar, in vielerlei hinsicht der rechtsgarant im bern des 16. jahrhunderts. Streiten kann man sich, ob das bundeshaus der regierungssitz ist. im engeren sinne stimmt das nicht, denn nur der national- und ständerat, und seine organe wie die fraktionen sind da beheimatet; der bundesrat hat seinen sitz fast seit anbeginn im bundesratshaus (heute bundeshaus west genannt), das nur im übertragenen sinne zum bundeshaus resp. bundeshaus-komplex gehört.

das tut den führungen aber keinen abbruch, denn man erfährt dafür viel über stadtplanung (ältestes bewässerungssystem in einer mittelalterlichen stadt), gebäudearchitektur (variable fensterzahl und höhe an der marktgasse, welche die vielfalt in der einheit sichern) und ehemalige stadtmauern (die beispielsweise das heute café fédéral beherbergen). auch die umgebung mit dem gurten, den alpen und der aare als lebens- und aussichtsräume kommt nicht zu kurz. erklärt bekommt man auch wichtige symbole an zentralen gebäuden, wie die figuren an der fassade des bundeshauses, aber an der des rathauses. da ist schon mal von weisheit, mut und kraft die rede, genauso wie von der wahrheit und der lüge in der politik. ja, selber vom wirtschaftlichen und kulturellen leben im traditionsreichen marktort, aber auch kirchenplatz bekommt man das wichtigste mit auf den weg.

der ist so abgesteckt, dass man nichts verfehlen kann, sicher durch das stadtgewussel kommt, und auch ein wenig müde wird dabei. immerhin, die grossen herausforderungen wie der mehrhundert treppentritte auf den münsterturm werden ausgelassen, ebenso der spaziergang von der stadt runter in die matte. wem der standardweg nicht genug ist, der kann exkurse an die uni, auf die schosshalde, einmal durch das münster oder hinauf in den zytgloggenturm anhängen.

als ich ipod und kopfhörer zurückbringe, werde ich freundlich nach meinen eindrücken gefragt. gerne geben sich sie auch hier weiter: informativ, abwechslungsreich, auf neuankömmlinge ausgerichtet, und doch nicht einfach nur oberflächliches wie in manch gedruckten stadtführern.

stadtwanderer

an berns geschichte schreiben

“In seinem Stadtwandererblog, den die Hauptstadtzeitung übernimmt, um neben lauter Zürcher Kolumnen eine Berner Stimme zu haben, mokiert sich der 83-jährige Politanalyst und Bern-Flüsterer Claude Longchamp über den chancenlosen Vorstoss von Stadtberner Grossräten, die einen Halbkanton Bern-Stadt gründen wollen.” wir wahr, was die bernerzeitung (tamedia-verlag, zürich), heute schreibt. ihr einziger irrtum: sie meint, das sei erst 2040 der fall. dabei …

ein wenig stolz bin ich schon. denn zum dritten mal bin ich bestandteil der berner zukunftsgeschichten, welche die bz in unregelmässigen abständen bringt. diesmal gibt es allerdings weder etwas zu erklären, noch zu deuten.

denn die diagnose im dritten szenario (im online-begleittext etwas irrführend als zweites szenario bezeichnet) ist rabenschwarz. burgdorf, die stolze zähringerstadt, die 2012 ihren fachhochschulstandort aufwerten konnte, kam nicht von fleck. denn der fachhochschulcampus biel/bienne verursachte massive kostenüberschreitungen; burgdorf musste warten. überhaupt das ganze konzept scheiterte an den studierenden, die sich mit den verzettelten standorten nicht anfreunden konnten. schliesslich musste sich biel/bienne der fachhochschule nordwestschweiz anschliessen. burgdorf verkam zu schlafstadt. selbst willy michel von der medizinaltechnikfirma ypsomed mochte nicht mehr, verlegte seinen eigenen standort ins steuergünstige obwalden – und sein gertsch-museum musste der kanton übernehmen.

so geht es im ganzen rückbklick schritt für schritt weiter. eine der hauptursachen: die volksabstimmung über zwangsfusionen scheiterte 2012. 2028 kam es noch dicker: auch ursina schwarz, die gemeindepräsidentin von köniz scheiterte mit ihrem fusionsprojekt von bern und köniz zu gross-bern – und wurde abgewählt. sie zügelte in die hauptstadt, wo sie zur neuen stadtpräsidentin gewählt wurde. jedoch: bern und köniz polititiseren seither rücken an rücken. dazu gehört, dass köniz, ostermundigen, ittigen, muri und zollikofen eigene wirtschaftsförderer angestellt habe. erfolgreich sind nicht, indem sie den gemeinsamen standort fördern, sondern indem sie sich gegenseitig die letzten firmen abjagen.

bern muss prunktstück für prunkstück aufgeben: das paul klee zentrum und das kunstmuseum müssen aus spargründen fusionieren. doch aus dem plan, aus dem klee- und ein kongresszentrum zu machen, wird nichts. der erbschaftsvertrag sieht vor, dass eine kommerzielle nutzung der gebäude ausgeschlossen wird. nur die juristen haben daran ihre freude. nicht besser geht es anderen kulturplätzen: das kornhaus ist dunkel, seit es niemanden mehr beherbergt, im stadttheater gibt man stücke zum besten, die man vorher schon in zürich gesehen hat, und aus der markthalle, zu beginn des jahrhunderts das epizentrum des ausgangs in bern, ist eine aldi-filiale geworden. da mag nicht einmal mehr die srg in bern bleiben. das radiostudio hat sie aus der hauptstadt abgezogen, irgend wohin …

nein, meine sehr verehrten stadtwandererInnen, dieses szenario macht gar keine freude!!!

so schrecklich es ist, es nimmt eine entwicklung berns aus den 90er jahren auf, als die stadt den trend zur neuen urbanität zu verpassen schien. die wirtschaft serbelte, die bevölkerungszahlen stagnierten. das kulturelle leben verarmte. rund herum begannen städte aufzublühen, freiburg zum beispiel, inspiert vom arc lémanique, aber auch luzern, dem magneten für die innerschweiz. ungemacht zeichnete sich auch im weiteren umfeld ab. zürich, genf, ja auch basel mauserten sich zu metropolen in metropolitanregionen, mit internationaler vernetzung, neuen wirtschaftszweigen und bevölkerungswachstum.

gott sei dank, füge ich bei, wurde die missliche lage noch rechtzeitig erkannt. die hauptstadtregion ist am entstehen. nun wächst auch bern wieder, und es drängen sich fragen nach dem stadtausbau an den rändern. schritt für schritt päppelt sich die bundesstadt wieder auf. der vektor stimmt wieder, auch wenn ein wirkliches konzept unverändert fehlt, wie sich bern wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell neu positionieren soll. denn zu vieles hängt davon ab, dass man in verschiedenen agglogemeinden unverändert lieber ins land hinaus schaut, und vertraut, der kanton werde es schon richten, dass es allen besser geht, gerade weil man nicht mit dem zentrum kooperiert.

an berns geschichte schreiben, wäre für mich etwas anderes!

stadtwanderer

die kürzeste geschichte europas kurz besprochen

in europa ist der historiker john hirst kaum ein begriff. fälschlicherweise, denn der australier hat eine bemerkenswerte geschichte europas geschrieben.

die zahl der geschichtsbücher über europa ist in den letzten 20 jahren rasch angestiegen. mit dem kumulierten wissen hat in der regel auch die seitenzahl der werke zugenommen. dem setzt john hirst eine radikale alternative gegenüber. der der hat die kürzeste geschichte europas geschrieben. auf rund 200 seiten erzählt er sie zuerst in der kürzestens form, dann in der längeren form.

und lacht dabei immer wieder über seine eigenen pointen!

klar, eine ereignisgeschichte bekommt man so nicht. dafür eine kulturgeschichte aus der fremdperspektive. hirsts buch ist aus seinen vorlesungen an der universität melbourne entstanden. 2009 hat er auch englisch vorgelegt, was ihm wichtig erschien, damit die studierenden, vollgepfropft mit einzelheiten aus dem eigenen kontinent, die spuren eines teils ihrer kultur, die aus europa stammt, wiedererkennen.

nun ist das kleine werk auch auf deutsch erschienen, was der verbreitung der einsichten in unseren gegenden sicherlich dienlich sein wird. das grundschema zur europäischen kultur, das hirst entwickelt, ist einfach und erhellend zugleich:

schematische darstellung der europäischen kulturgeschichte nach hirst

geburtsort ist griechenland, dessen gelehrsamkeit von den römern übernommen worden sei. bewahrt worden sei dies in der römisch-christlichen kirche. unterstützt worden sei es von den germanischen kriegern, die sich im zerfallenden römischen reich eingenistet haben.
erschüttert wurde die mittelalterliche welt durch die renaissance, mit der die klassik zum vorbild erhoben wurde. und die reformation habe den anspruch, das christentum sei römisch, gründlich in frage gestellt.
entscheidend sei, was danach geschah: das experiment habe das weltbild der griechen mit der erde im zentrum zum einsturzt gebracht und den wissenschaftlichen durchbrüchen den weg geebnet. zudem mit der aufklärung wurde die kritik an der religion als aberglaube salonfähig.
seither beherrschten, so hirst zwisch grundströmungen das europäische bewusstsein: die vernunft, und mit ihr der allgemeine fortschritt, auf der einen seite, das gefühl, und mit ihm der nationalismus und die kultur auf der anderen seite.

soweit die kurzform der kürzesten geschichte. sie dien hirst, die längeren formen zu entwickeln: die einfälle und eroberungen der germanen, muslime und normannen, die entwicklung der staatsformen, geprägt durch zahlreiche monarchien auf der einen, republiken auf der anderen seite, die lange anhaltende dualität von kaiser und papst, die aus dem zerfall des römischen reiches entstand und etwas neues entstehen liess, die entwicklung der sprachenvielfalt vom romanischen, germanischen zum slawischen und schliesslich die hohe bedeutung des gemeinen volks der bauern, die während langer zeit in tradition verharrte, durch die landwirtschaftlichen und industriellen revolutionen aber in den hintergrund gedrängt wurden.

hirst unternehme, steht im klappentext, “mit viel Wirtz und Blick aufs Wesentliche einen rasanten Ritt durch Europas Geschichte.” das kann man ohne zweifel sagen. denn das buch ist megaspannend, sodass man dem tempo der autors freiwillig folgt (habe es übers wochenende verschlungen). es irritiert, weil es unglaublich viel auslässt, und es überzeugt, weil ein durchgehaltenes ganzes entsteht.

sicher, man kann dem autor vorwerfen, vor allem allem westeuropa, ja das angelsächsische europa vor augen zu haben. gerade daran ist ja in jüngster zeit viel kritisiert worden, beispielsweise dass der islam für die vermittlung der griechischen kultur in mittelalter viel wichtiger war, beispielsweise dass die entwicklungen in nord und süd nach der reformation widersprüchlich verliefen, beispielsweise, dass zwischen ost- und westeuropa erst heute die konvergenzen wieder zunehmen würden, derweil historisch die divergenzen wichtiger waren. das kümmert den autor auffallend wenig. dafür greift er auffallend starke bilder heraus, etwa die ritter als christianisierte krieger, die im gentlemen weiterlebten, etwa die bauern, die ganz gut ohne zeit auskamen, mit grussformen soziale identitäten geform hätten, etwa die sprachen, deren eigenheiten aus den wanderungen, konflikten und assimilierungen heraus entstanden seien. dass man das latein für eine tote sprache hält, bezweifelt hirst mit dem gekonnten satz, dafür leben die leiche munter weiter!

im vergleich zu anderen kulturgeschichten europas überzeugt das buch, weil es nicht alles und jedes auf die griechen und den papst zurückführt, sondern die rivalitäten der gemanen am kampf, die kraft der franzosen mit der vernunft und die fähigkeit der schotten zur pragmatsichen betrachtung für wesentlich hält. denn das sei es, was europa voran getrieben und zur einzigen kultur geformt habe, die sich über die ganze welt ausgebreitet habe.

zu gerne hätte ich es jedoch gehabt, das buch würde nicht im wesentlichen mit der kulturellen entwicklung um 1800 aufhören, sondern es hätte eine fortsetzung bis in die gegenwart gefunden. viel länger wäre die kürzeste geschichte dadurch nicht geworden, wohl aber etwas komplexer, denn der phänomenale aufstieg europa in der neuzeit erfuhr im 20. jahrhundert eine dramatische wende, die wir heute im aufstieg neuer kontinente wie asien erleben, ohne sie wirklich zu verstehen.

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