rudolf braun, pionier der schweizer sozialgeschichtsschreibung, ist tot.

“schauen sie nicht nur auf die parolen auf den transparenten, nein, schauen sie auf die kleidung der arbeiter, und den stolz mit dem sie ihre taschenuhr im gilet zeigen um zu sagen: auch wir sind wer!”, war einer der typischen sätze von rudolf braun in einem kolloquium zur arbeitergeschichte der schweiz, das ich in den 70er Jahren des 20. Jahrhundert besuchte.

nun ist der renommierte schweizer historiker tot. er ruhe in frieden.

seine vorlesungen an der universität zürich waren alles andere ruhig. trotz schwierigkeiten beim sprechen zog braun wöchentlich hunderte von studierenden in seinen bann. behandelt wurde wie nie zuvor die sozialgeschichte des landes. denn braun war zweifelfrei ein grossartiger pionier des jungen fachs.

der basler volkskundler wurde an der berner uni in geschichte habilitiert, lehrte in zürich, berlin und und palo alto. selbst die universität harvard zeichnete ihn für seine forschungsarbeiten aus, bevor er zürich ordinarius für sozialgeschichte wurde.

unvergessen bleibt mir die vorlesung, in der er zum staunen vieler talcott parson, den führenden kopf des ahistorischen struktur-funktionalismus, zitierte, um die charakteristiken des übergangs von der ständischen zur industriellen gesellschaft an der schwelle des 19. jahrhunderts absolut gewinnbringend herauszuarbeiten. seither ist mir unwiderruflich klar, was der unterschied ist zwischen societäten, die auf zuschreibung basieren, und solchen, in denen man durch erwerb weiterkommt.

meine seminararbeit bei rudolf braun sollte die entstehung des 1. mai in der schweiz behandeln. verweisen hat er mich der dozent gemäss seiner vorliebe für den ländlichen raum nach davos. dort sollte ich studieren, wie es zum übergang kam.
“übergang?”, fragte ich ihn erstaunt.
“ja”, antwortete der meister, um meine neugier zu wecken.
so machte ich mich auf in die archive, um zu entdecken, dass man am 1. mai in tourismusort traditionellerweise die stelle wechselte, sich vor den hotels präsentierte, um nach arbeit zu fragen, woraus in der bündnerischen ortschaft schritt für schritt das arbeiterfest mit internationalem anstrich entstand.

letztmals gesehen habe ich rudolf braun bei der beerdigung von erich gruner in der berner nydegg-kirche. nun entnehme ich den todesanzeigen in der heutigen nzz, dass auch er von uns gegangen ist.

nicht ohne bleibenden eindruck hinterlassen zu haben.

stadtwanderer