Bern, die Brückenstadt, wird eidgenössisch und löst sich vom Kaiserreich (2. Station meiner nächsten Stadtwanderung)

Vor dem Zähringerdenkmal im Nydegg-Quartier
Meine Damen und Herren, ohne es zu ahnen, sind Sie eben über den Ort gewandert, der Bern effektiv den Namen gab. Denn fast alles in der Stadt hängt mit der Aare zusammen. Ihren Lauf hat sie über die Zeit hinweg mehrfach geändert. Vor gut 10000 Jahren wählt sie den jetzigen Weg. Der begrenzt sie in der Kurve, die sie unter uns machte, durch zwei mächtigen Felsbrocken. Egal, ob die Aare viel oder wenig Wasser hat; durch diesen 60 Meter breiten Schlitz muss sie durch.
Brücken über die Aare gibt es erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, belegt ist aber, dass es davor während vielen Jahrhunderten eine Fähre gab, mit der man das wichtigste Hindernis im Mittelland, wie wir den Streifen zwischen Alpen und Jura nennen, überqueren kann. Nun ist Berna nicht nur der Namen einer unserer Jungbären. Es ist, in Analogie zur Germania und Helvetia die allegorische Darstellung des Staates Bern. Und in seiner ursprünglichen Bedeutung meint Berna nichts anderes als “Schlitz”. Bern ist also eine Ortsbezeichnung, der verschiedentlich zu einem Quartier- oder Stadtnamen geführt hat. So gibt es ein Bern in den Niederlanden, ein Berne bei Hamburg und selbst Brno, zu deutsch Brünn, könnte den gleichen Wortsinn haben.

Germanische Einwanderer zwischen Integration und Eigenbrötlertum
Bevor es eine Brücke über die Aare gab, war der Fluss nur schwer passierbar. Deshalb diente er lange Zeit als natürlich Grenze.
Als sich die Römer, die im 2. und 3. Jahrhundert hier schon einmal ein Oppidium, einem Vorläufertyp der Stadt, erbaut hatten, im 5. Jahrhundert über Richtung Süden zurückzogen, füllte sich die Gegend mit germanischen Völkerschaften. Als erste kamen die Burgunder. Das waren keine Weinbauern mit Ländereien rund um Beaune und Dijon, vielmehr war es ein Wandervolk aus dem Gebiet des heutigen Thüringen. Sie hatten sich im 3. Jahrhundert nach Süden aufgemacht, mit dem Ziel, gute Römer zu werden. Trier, die damalige Kaiserstadt nördlich der Alpen, hiess ihre Destinantion. Doch als sie den Rhein bei Mainz überschritten, wurden sie von der römischen Armee gestoppt und militärisch besiegt. 443 wies man ihnen einen neue Aufgabe zu: Sie wurden Grenzwächter der Römer, die weitere Germanen abhalten sollten. Der wichtige Durchgang nach Süden war bei Genf; genau den sollten sie dicht machen, und dafür wurden sie zu Herren zwischen Jura und Alpen, zwischen Genf und Aare gemacht. Saupaudia hiess diese Gegend, uns sie wurde das Kerngebiet der Burgunder.
Mit dem Zerfall des römischen Reiches nach 476 dehnten sich die Burgunder rasch auf das ganze Rhone- Saone- und Doubstal aus, sodass dieses mächtige Flussgebiet im Mittelalter “Burgund” genannt wurde und eine eigenes Königreich bildete. Obwohl ursprünglich Germanen, assimilierten sich die Burgunder rasch mit der spätrömischen Kultur. Sie sprachen spätantikes Latein, wurden vorbildliche Katholiken, liebten die Bischofsstädte, assen vorzugsweise Geflügel und tranken gerne Wein.
Ganz anders waren die Einwanderer, die nur 100 Jahre später in unsere Gegend kamen. Von wo sie stammten, weiss man nicht genau. Alemanii nannte sie die Römer, was so viel bedeutet, wie das zusammengewürfelte gemeine Volk. Aus dem Schwarzwald kommend kamen sie ins Mittelland, als die Römer schon weg waren. Ihre Sprache lernten sie nie; sie blieben bei ihren kleinräumig gefärbten Dialekten. Auch die römische Kirche war ihnen fremd; sie blieben noch lange Zeit Arianer. Ueberhaupt, die Bischofsstädte hassten sie; entweder zerstörten sie sie oder sie liessen sie nach der Flucht des Stadtoberhauptes einfach verkommen. Denn am liebsten lebten die Alemannen im Wald, gemeinsam mit ihren Schweinen und dem Met, einer Art Bier, das sie aus Bienenblütenstaub brauten. Die Aare wanderten sie zwar hoch, doch bevorzugten sie ab Solothurn die östliche Seite.
Zwischen beiden Einwanderungsgruppen kam es anfangs des 7. Jahrhunderts zur grossen Schlacht, und es siegten die Alemannen. Die fränkische Oberverwaltung, die sich im 8. Jahrhundert in der Pampa etablierte achtete darauf, die verfeindeten Germanen mit unterschiedlicher Kulturentwicklung getrennt zu halten. 843, bei der Reichsteilung unter den Enkeln von Karl dem Grossen, machten sie die Aare zur politischen Grenze. Links davon gehörte man zu Burgund, rechts davon zum Schwaben.

Die Zähringer, die Statthalter des Kaisers
Im 9. Jahrhundert zerfiel die Macht der Karolinger schrittweise; erst 962 begründeten die Ottonen das Kaiserreich neu. Schwaben gehörte von Beginn weg dazu; doch Burgund liess sich er erst im 11. Jahrhundert intergrieren. Dabei zerfiel das burgundische Königtum, bis es Mitte des 12. Jahrhundert vom Kaiser neu organisiert wurde. Friedrich I, bekannt als Barbarossa, machte sich selber zum burgundischen König, derweil er die Grafen von Zähringen, in Staufen im Breisgau heimisch, zu Vizekönige machte.
Nun begann die grosse schwäbische Kolonisation Richtung Süden. Denn ohne gute Verbindungswege wäre es unmöglich gewesen, von Staufen aus das westliche Mittelland, ja das riesige Rhonetal mit seinen weitverzweigten Flusszubringern zu beherrschen. Die Zähringerstrasse sollte, so der Plan, den Rhein mit der Rhone verbinden. Zur Sicherung der Strasse baute man meist mit 30 Kilometer Abstand Raststätten, wo man Pferde wechseln konnte, und wo Leute waren, die den Strassenunterhalt besorgten.
Aus diesen Raststätten entstanden zahlreiche mittelalterliche Zähringerstädte: Rheinfelden, Herzogenbuchsee, Burgdorf, Bern, Murten, Thun, Freiburg und Milden, das heutige Moudon, gehören dazu. Dann allerdings war Schluss mit der schwäbischen Kolonisation, denn der Bischof von Lausanne, einerseits Herr über die Seelen, anderseits aber auch über den Boden im Gebiet nördlich des Genfer Sees, stellte sich ihren Expansionsplänen entgegen. Es kam zu mehreren Schlachten, bei denen die Neusiedler aufliefen. 1208 kam die Zähringische Expansion zum Stillstand. Zu allem Uebel starb Berchtold V. 1218, ohne dass einer seiner Nachfahren ihn überlebt hätte.

Die Herrschaft der Savoyer – die eigentlichen Brückenbauer
Heute ist man sich einig: Die Zähringer haben in unserer Gegend Historisches geschaffen. Denn erstmals seit Römerzeiten waren wieder Städte gegründet worden. Freiburg im Uechtland war 1146 die erste gewesen, Bern war 1191 die letzte. Kaiser Friedrich II., der Sohn Barbarossas, erkannte die heikle Lage nach dem Ableben der Zähringer sofort. Er erhob Bern an der zentralen Stelle über der Aare zur Königsstadt, ebenso Zürich an der Limmat. Verwaltet wurden sie zuerst von seinem Sohn Heinrich, dem deutschen König, bevor der Deutschorden nach Bern kam und die kaiserlichen Rechte wahrnahm. Indes, auch die waren nach dem Ableben von Friedrich II. nicht mehr gesichert, denn mit dem Ende der Staufer-Dynastie kam es zum grossen Interregnung. Diese nutzten die burgundischen Savoyer, gefördert vom englischen König, um ihren Einfluss im westlichen Mittelland zu mehren. Faktisch übernahmen sie in Bern die Macht. Sie nutzten die Aarestadt als Sprungbrett für ihre Ausdehnung ins alemannische Gebiet. Dazu verstärkten die offene Zähringerstadt mit einer Stadtmauer, brachten Klöster ins Innere, belebten mit Juden den Handel aus dem Süden, und bauten die erste Holzbrücke über die Aare. In der Folge kam es zum Krieg mit den alemannischen Grafen von Habsburg, in Brugg ansässig, ohne mit einem eindeutigen Sieg einer Partei zu enden. Immerhin, den Habsburgern ebnete das Unentschieden den Weg zur deutschen Königskrone, denn die Kurfürsten fürchteten, denn ihre Positionen im Mittelland ganz zu verlieren.
Mit dem Tod von König Rudolf I. von Habsburg ordnete sein Nachfolger, König Adolph von Nassau, die Verhältnisse im Mittelland neu. Den zerstrittenen Adel drängte er zurück, und er wertete die Königsstädte auf, indem er beispielsweise Bern die Verwaltung seiner Güter im oberen Aaretal überliess. Das wiederum war der Beginn der Territorialbildung gegen den Adel, der das Mittelland prägen sollte. In den 1380er Jahren, als in ganz Schwaben der sog. Städtekrieg tobte, verloren die Städter gegen den Adel nördlich des Rheins. Südlich davon setzten sich die stark gewordenen Städte Bern, Luzern und Zürich durch und vertrieben die Habsburger definitiv aus der Gegend. Kaiser Sigismund besiegelte diesen Wandel 1415. Er machte Bern und Zürich zu freien Städten in seinem Kaiserreich. Man konnte nun über Leben und Tod in der Stadt selber entscheiden, Güter rund herum erwerben und selbständig Krieg führen.

Die grosse Pest und die Allianz Bern mit den Eidgenossen
Einige Jahrzehnte zuvor lag die Stadt noch in ihrer bisher grössten Krise. Denn im Jahre 1348 wütete die grosse Pest auch in Bern. Der Ausbau des bewohnten Stadtgebietes geriet ins Stocken; er sollte erst im 19. Jahrhundert einen neuen Schub erhalten.
In Zürich hatten kurz davor die Zünfte die Macht übernommen, in Bern hielten sich die Junker, wie man den Stadtadel nannte. Mit der Pest wurden aber auch sie aus der Stadt verwiesen, und Bern nährte sich 1353 unter bürgerlichen Führung den Eidgenossen in der heutigen Innerschweiz an. Die waren 1291 entstanden, nach dem Interregnum ihre Rechtsansprüche aufrecht zu erhalten, und hatten sich 1315 in der Schlacht von Morgarten Respekt verschafft.
Kaiser Karl IV., der 1346 die Goldene Bulle, das höchste Gesetz im Reich, erlassen hatte, gefiel die Allianzbildung nicht. Nach Zögern blies er in Bern das eidgenössische Bündnis, forderte aber, dass die Junker in die Stadt zurückkehren sollten. Das machten sie umgehend, und nur 8 Jahre später waren sie fest im Sattel. Sie verboten den Zünften, sich in die Politik einzumischen, was die Macht des Stadtadels bis in 19. Jahrhundert begründen sollte.
Das Bündnis der Berner mit den Eidgenossen sollte sich lohnen. Denn 1476 kam es in Murten zur grössten Schlacht in der bernischen Geschichte. Karl der Kühne, Herzog von Burgund, wollte das alte Burgunderreich wieder herstellen und griff, unterstützt von den Herzögen von Savoyen, die Berner und mit ihnen die Eidgenossen, militärisch an. Hätte er gewonnen, wäre die Geschichte wohl ganz anders verlaufen, doch verlor er diese Schlacht und nur ein Jahre später auch sein Leben.

Die Autonomie der Eidgenossenschaft im Kaiserreich
Der militärische Sieg über den prächtigsten Fürsten der damaligen Zeit machte die Eidgenossen militärisch begehrt. Nun wollte der französische König sie als Söldner, und auch der Papst in Rom warb um sie. Diese Konkurrenz machte die Eidgenossen wichtig, und ihre Wichtigkeit brachte viel Geld in die bisher eher ärmlichen Gegenden.
Das so gestärkte Selbstbewusstsein sollte Konsequenzen haben. Als Maximilian, designierter Kaiser, 1495 zur grossen Reichsreform aufrief, weigerten sich die Eidgenossen mitzumachen. Sie wollten ihre verbrieften Rechte behalten, und der Rechtssprechung des geplanten Reichskammergerichtes wollten sie sich nicht unterwerfen. Ob dem Zwist kam es zum Krieg. Wir nennen ihn den Schwabenkrieg; bei ihnen heisst der Schweizerkrieg. 1499 wurde er entlang des Rheins ausgetragen, und die Eidgenossen setzen sich überall durch. Im Friedensvertrag von Basel anerkannte Maximilian die Autonomie der Eidgenossenschaft im Kaiserreich, und die institutionellen Beziehungen zu Schwaben wurden gekappt.
Die Zähringische Kolonisation hatte aus Bern die Brückenstadt zwischen zwei Kulturräumen geformt, aus der eine regionale Territorialmacht entstand, die sich im Gefolg der Pest mit den Innerschweizer Eidgenossen verband, aber durch einen einflussreichen Stadtadel geprägt wurde, sich im Burgunderkrieg überraschend behauptete und damit die Grundstein legt, um in einer autonomen Provinz des Kaiserreiches eine führende Rolle zu spielen.

Stadtwanderer

Die Berner Bären (Eröffnungsrede meiner nächsten Stadtwanderung)

“Meine Damen und Herren, werte Gäste aus Südbaden!

Ich begrüsse sie. Zwei stunden wollen wir gemeinsam verbringen. In dieser kurzen Zeit will ich hnen Geschichte und Politik der Schweiz am Beispiel der Stadt Bern näher bringen.

Der neue Bärenpark
Wir starten hier beim Bärenpark. Früher hiess er Bärengraben. Die Bären waren in diesem Loch. Doch das entspricht nicht mehr den Auffassungen der artgerechten Tierhaltung, weshalb unsere vier Bären einen eigenen Park erhalten haben. Die Eltern heissen Finn und Björk, ihre Kinder sind Urs und Berna. Bei Urs täuschte man sich allerdings; er war kein Männchen, sondern ein Weibchen. Deshalb nennen wir sie heute Ursina.
In keiner mir bekannten Stadt ist die Symbiose zwischen Mensch und Tier grösser als in Bern. Seit genau 500 Jahren gibt es die Bären ununterbrochen in der Stadt. Damals, als sie hierher gebracht wurden, waren sie eine Kriegstrophäe, welche die Berner Offiziere als Zeichen der militärischen Macht mitbrachten. Seither sind die Bären hier populär geworden. Sie entzücken die TouristInnen; wir alle nehmen Anteil an ihrem Leben, wenn es ihnen gut oder schlecht geht. Und mit Stolz führen wir BernerInnen die Bären auch in unserem Wappen.

Legenden zum Bären in Bern
Der Legende nach haben Bern und Bär den gleichen Wortstamm. In unserem Dialekt ist das noch offensichtlicher als im Standarddeutsch. Denn wir schreiben Brn mit Vorliebe mit einem „ä“. Die Legendenbildung geht zurück auf die Ueberlieferung der Stadtgründung im Jahre 1191. Herzog Berchtold V. von Zähringen hiess seine Mannen, ein Tier im Wald zu erledigen. Das erste, das man töten würde, solle dem Ort den Namen geben. Da stiessen die Dienstmannen des Herrn auf einen Bären, den sie gefangen nahmen und erlegten. Seither ist Bern Bärn, und wir danken es den Jägern, dass sie nicht als erstes ein Eichhörnchen erledigt haben.
Doch auch die germanische Mythologie könnte die Verbindung von Bern und Bär gegründet haben. Gemäss dieser Tradition entstehen aus der Vereinigung eines Bären mit einem Menschen ein neues Volk – zum Beispiel das Bärnervolk. Seit 823 Jahren nennt man die Leute, die hier leben, so. Im 16. Jahrhundert wurde es üblich, von der Republic bernensis, der Berner Republik, zu sprechen. 1803 kamen sie zum neu begründeten Kanton Bern, 1848 zur Schweizerischen Eidgenossenschaft. Seit 1834 sind Stadt und Kanton getrennt, denn vorher gehörte rechtlich alles zur Stadt, nur waren die einen Vornehme, Patrizier genannt, allenfalls Gewerbetreibende oder Hintersassen und damit Gewöhnliche, oder sie waren Bauern, lebten auf dem Land und waren Untertanen der Gnädigen Herren. Im 16. Jahrhundert reichten deren Ländereien bis vor die Tore Genfs und bis Brugg im Wasserschloss, wo Aare, Reuss und Limmat zusammen fliessen. Die grösste Stadtrepublik nördlich der Alpen, quasi das Pendant zu Venedig, war man damals.

Die liberale und soziale Wende
Die 1830er Jahre sind eine der wichtigen Wenden in der Stadtgeschichte. Unser Stadtadel, das Patriziat, dankte ab, verzichtete auf die Jahrhunderte währenden politischen Vorrechte, liess er Demokratie zu, behielt er aber grosse Teile des Vermögens und wirtschaftlichen Einfluss bis in die heutige Zeit. Politisch begann damals der Aufstieg der Bürger. Sie bildeten aus den Dörfern rund herum Gemeinden, die sie der Metropole und den Städten rund herum gleich stellten. Damals war das Land progressiver, die Stadt blieb konservativ, eingeigelt durch die ehemaligen Untergegebenen.
Von diesem Schock hat sich die Stadt bis heute nicht ganz erholt, auch wenn sie politisch längst mit der Tradition des Ancien Régimes gebrochen hat. Denn seit den 50er Jahren des 20. Jahrunderts wird Bern mit einem Unterbruch von einer Mehrheit linksgrüner PolitikerInnen regiert, die gemässigte Bürgerliche auf FDP und CVP als Minderheit in der Stadtregierung aufnehmen. Das ist unsere Form der kleinen Konkordanz, der Zusammenarbeit aller unter Ausschluss der SVP. Die Berner WählerInnen quittieren das mit grosser Regelmässigkeit. Auch unser Stadtpräsident, Alexander Tschäppät, seit vielen Jahren der unbesiegbarer Meister dieses Ortes, ist ein leutseliger Roter.

Bern – die Bundesstadt
Seit Gründung des Bundesstaates über den 22 Kantonen, die seit 1815 auf Geheiss des Wiener Kongresses die Eidgenossenschaft bilden, ist Bern die Bundesstadt. Zu gerne wäre 1848 Rivalin Zürich Hauptstadt der Schweiz geworden. Doch eine Allianz aus Westschweiz und Ostschweiz bevorzugte Bern wegen seiner Bedeutung als Brückenstadt und liess Zürich aussen vor. Typisch für die schweizerische Kompromissfreudigkeit ist allerdings, das man im Gegenzug auf eine eigentliche Hauptstadt verzichtete, und so ist Bern bis heute Sitz von Regierung und Parlament, einem grossen Teil der Bundesverwaltung, während das Bundesgericht ins französischsprachigen Lausanne kam, und Zürich das Polytechnikum, die heutige ETH, erhielt.
Jonas Furrer, unseren ersten Regierungspräsidenten kennen die meisten Leute nicht mehr. Das hat Programm: Keine überragenden Politiker und kein überragendes Zentrum soll das Land haben. So sind wir seit langem plurikulturell, förderalistisch und direktdemokratisch, und wir achten darauf, uns politisch ausgewogen und wirktschaftlich dezentral zu entwickeln. So nennen wir Städte mit 100000 EinwohnerInnen Grossstädte; fünf haben wir davon: Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne. Es folgen einige Mittelstädte mit mindestens 50000 BewohnerInnen. Und wer es auf 10000 bringt, darf nach schweizerischem Recht den Titel einer Stadt tragen. Alles andere sind Dörfer – von denen es knapp 3000 gibt.

Die Schweizer Eidgenossenschaft und ihre Nachbarn
Heute zählt die Schweiz nicht mehr 22, sondern 23 Kantone – nicht weil wir der Tradition folgend weitere Gebiete erobert hätten. Vielmehr wurde der Kanton Jura, dessen Gebiet 1815 dem Kanton Bern zugeschlagen wurde, 1978 in die Unabhängigkeit entlassen und bildet seither den jüngsten Gliedstaat der Schweiz. Ausgerechnet aus diesem Kanton kam vor knapp drei Jahren die (Schaps)Idee, die Schweiz territorial doch zu erweitern. Ein jurassischer Politiker aus den Reihen unserer konservativen Schweizerischen Volkspartei forderte, die umliegenden Gebiete zum Austritt aus der EU und dem Beitritt zur Schweizerischen Eidgenossenschaft aufzumuntern, um die freiheitsliebenden Kräfte in Europa zu stärken. Gerne aufgenommen hätte er die Lombardei, Savoyen, die Franche-Comte, Baden-Württemberg und Vorarlberg. In der Schweizer Oeffentlichkeit blieben die Reaktionen geteilt, und die offizielle Schweiz nahm die grosse Eingemeindungsidee nicht auf. Denn wir wissen zu gut, dass der Wiener Kongress 1815 wesentliche Fundamente der Schweiz festgeschrieben hat: so die Souveränität der Kantone, so die Neutralitätspolitik des Bundes und so die Grenzen der Eidgenossenschaft. Daran rütteln zu wollen, wäre für die Schweiz mindestens so gefährlich wie verlockend, denn es könnte das ganze Gefüge der fragile staatlichen Unabhängigkeit ins Wanken bringen: 2001 entschieden wir in einer Volksabstimmung, nicht Mitglied der EU zu werden. Seit 2000 haben wir, ebenfalls als Folge einer Volksabstimmung, vertraglich geregelte bilaterale Beziehungen mit Brüssel und allen Mitgliedstaaten. Das war unsere Antwort auf den 1992 erneut in einer Volksabstimmung abgelehnten Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum. Genau das möchte die EU heute am liebsten rückgängig machen. 2010 erklärte sie den Bilateralen Weg mit der Schweiz in Europa zur Sackgasse, und seither ringen wir, begleitet von heftigen Steuerstreitigkeiten insbesondere mit Deutschland, Frankreich und Italien, um ein neues Verhältnis zur EU, die uns ganz umgibt.

Stadtwandern in der Einstein’schen Raumzeit
Ein Teil dieses neuen Verhältnisses allerdings jenseits der ganz grossen Politik, dafür nahe bei Geschichte und Kultur, beim Volk und bei den Institutionen, beim Glück und Pech der BernerInnen, ist die heutige Stadtwanderung mit Ihnen, meine Damen und Herren. Lassen sie mich nach dem kleinen warm-up nun loslegen, folgen sie mir auf dem Weg der Schweiz mit 8 Stationen, die stets einen Ort mit einer Begebenheit verbinden, sodass sie sie am Schluss Zeit und Raum erwandert haben.
A propos Raumzeit: Der Begriff stammt von Albert Einstein, 1879 als württembergischer Staatsangehöriger in Ulm geboren, der 1902 nach Bern kam und hier als eidgenössischer Beamter im Patentamt arbeitete und Schweizer wurde. Was er patentiert hat, ist heute in Vergessenheit geraten. Was er aber in den Musestunden seiner Arbeitszeit verfasst hat, gilt heute noch als moderne Physik. 1905 verfasste er in Bern die spezielle Relativitätstheorie, am besten bekannt durch die Formel E=mc2, wonach Energie und Masse äquivalent seien, verbunden durch die quadrierte Lichtgeschwindigkeit. Fünf Abhandlungen legte Genie Einstein damals auf den Tisch, die er allesamt in Bern verfasst hatte; für eine davon, den photoelektrischen Effekt behandelnd, erhielt er 1922 den Nobelpreis, der seinen Weltruf als Forscher begründete, den das Time Magazin an der Milleuniumswende mit dem Titel „The Man of the Twenty Century“ krönte.
Eine kleine Gemeinsamkeit habe ich mit Albert. Wir beide haben am 14. März Geburtstag. Ich bin allerdings 78 Jahren nach ihm auf die Welt gekommen. Immerhin, wir beide haben in Aarau das Gymnasium besucht, und sind nach dem Studium nach Bern gekommen. Und auch ich wollte ursprünglich Physiker werden, um auf den Mond fliegen zu können. Statt meine Jugendträume zu realisieren, habe ich aber Geschichte studiert, und war ich einige Jahre als Politikwissenschafter an der hiesigen Uni angestellt. In Bern arbeite ich seit 1992 als selbständiger Politunternehmer, habe ein eigenes, privates Forschungsinstitut für politische Analysen, mache unter anderem Wahl- und Abstimmungsuntersuchungen für die Medien der SRG, und bin ich seit 2008 an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Bern als Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft tätig. In meinem Berufsleben trage ich normaler eine Fliege, mein Markenzeichen, doch ohne bin ich freier, freier Stadtwanderer von Bern.
Kommen Sie mit auf meine heutige Wanderung!”

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immer wieder und überall die eisenbahnfrage

am 4. juni 2013 führe ich eine leserInnen-gruppe der badischen-zeitung aus freiburg im breisgau durch bern. hier mein plan.

anlass ist eine studienreise in der schweiz, bei der die bundesstadt und mit ihr die bundespolitik im zentrum stehen. nachdem die gäste aus südbaden mit den natinalräten christoph blocher (svp, zh) und martin naef (sp, zh) über die stellung der schweiz in europa diskutiert haben werden, machen sie mit mir eine historisch-politisch-kulturellen stadtrundgang. acht orte – verbunden mit acht themen – habe ausgesucht. nachstehend meine thesen, die ich während der stadtwanderung begründen werde.

begrüssung: vor dem bundeshaus

1. station: der erlacherhof – berns schönstes palais
die französische revolution: vom ancien zum nouveau régime

meine these: das politische system der schweiz kann man nicht verstehen, wenn man seine mittelalterlichen wurzeln verkennt. deshalb treten wir zuerst an einem markanten ort der französischen revolution vom nouveau régime der moderne in das ancien régime der tradition ein.

2. station: das zähringer-denkmal
die schwäbische stadtgründung im zerfallenen königreich burgund

meine these: berns gründung ist eine südschwäbische kolonisation in der burgundisch geprägten gegend. daraus entsteht die bestimmung berns, die brückenstadt an der aare, die landschaftskammern und die mit ihnen begründeten kulturen zu verbindet.

3. station: das rathaus
die eidgenossenschaft und der staat der reformation

meine these: die grosse pest ist der einschnitt in der geschichte. kirche und adel werden geschwächt, die gewerbler wittern ihre chance und schliessen sich mit den innerschweizer eidgenossen zusammen. das ganze bleibt aber episode, denn erst mit dem schwabenkrieg und der reformation kommt es zum definitiven militärisch und theologische bruch mit dem kaiserreich.

4. station: das restaurant zimmermania
der geist der universitäten und die liberale bewegung in der schweiz

meine these: die zweite, bürgerliche revolution in frankreich hinterlässt wie in halb europa auch in der schweiz tiefgreifende spuren. das liberale bürgertum erstürmt die politische macht und entscheidet sich für einen demokratischen staat auf repräsentativer basis.

5. station: das casino
die moderne staatsgründung: volk und stände auf der basis der gewaltenteilung vereinigt

meine these: die schweiz als bundesrepublik: volk (bund) und stände (kantone) bekommen ihre je eigene bedeutung im neuen bundesstaat, der die staatslehre der aufklärung verarbeitet. (zweikammern)parlament, regierung und gerichte sind die zentralen institutionen des neuen politsystems.

6. station: das hotel bern
der generalstreik: der soziale aufstand und die folgen für den staat

meine these: die liberale herrlichkeit zerfällt an ihren eigenen widersprüchen. linke stehen rechte gegenüber, gewerkschaften und sp werden aber angesichts der äusseren bedrohung im zweiten weltkrieg in wirtschaft und staat integriert.

7. station: das bundeshaus
das konkordanzsystem: zusammenarbeit im kleinstaat und darüber hinaus

meine these: die konsenspolitik aus dem zweiten weltkrieg ist längst geschichte. geblieben sind – bis heute – die konkordanzzwänge, ausgehend vom föderalismus, dem verbandswesen und der direkten demokratie. gesucht wird ein erneuertes politsystem, das der konkordanz gerecht wird.

8. station: der bahnhofplatz
volksabstimmungen und ihre konsequenzen: immer wieder und überall diese eisenbahnfrage

meine these: wichtigste eigenheit des politsystem der schweiz ist und bleibt die direkte demokratie. ihre geburt hängt eng mit dem eisenbahnbau zusammen, hat ihn demokratisiert, nicht aber verhindert. hoffentlich so wie auch in baden-württemberg …

bahnhof bern: schluss der stadtwanderung

ich werde berichten.

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