mission ostfront

zwischen 1941 und 1943 sammelten 250 aerzte und krankenschwestern in der sowjetunion erfahrungen in kriegschirurgie. doch war es nur äusserlich ein einsatz des roten kreuzes. innerlich war es ein von nazi-sympathisanten und interessenvertretern der exportwirtschaft eingeleitet aktion. ich gehe noch ein wenig weiter: für mich war es ein teil der schweizer aussen(wirtschafts)politik in bedrängter lage, die mit dem angriff deutschlands auf die sowjetunion entstand.

Unbenanntmein samstag begann harmlos. ich war in der stadt, stöberte in einem buchladen und kaufte schliesslich eine dvd. „mission ostfront“ heisst sie. sie ist dem einsatz schweizer aerzte und krankenschwestern im 2. weltkrieg in der sowjetunion gewidmet. das mteressierte mich, denn dazu hatte ich 1982/3 meine lizentiatsarbeit in geschichte verfasst.
was man so zu sehen bekommt, ist alles andere als harmlos. kaum in sowjetischen smolensk vor moskau angekommen, war man im schwersten ernstfall. amputationen von verletzten beinen und armen standen im lazarett hinter der front in serie an. ein arzt berichtet, er habe als erstes eine operation vorgenommen, die er vorher noch nie gemacht hatte. assitiert wurde er von seinem fahrer, ohne jegliche medizinischen kenntnisse. als dieser das abgesägte bein in armen hielt, sei er gleich in ohnmacht gefallen.

die motivationen der aerzte, krankenschwestern und der organisatoren

erfahrungen sammeln in kriegschirurgie. das war das zentrale motto, mit dem das schweizerische rote kreuz meist junges medizinalpersonal im eigenen land für die mission an der Ostfront anwarb. 250 personen kamen so zwischen 1941 und 1943 während je drei monaten zu einem einsatz.
was anfänglich niemand wusste: ennet der grenze unterstand die schweizerischen aerztemission nicht dem roten kreuz, sondern der deutschen wehrmacht; juristisch war man dem deutschen kriegsrecht unterstellt. sowjetische gefangene zu behandeln, war strengstens verboten. ein srk-historiker von heute rüffelt dies im dokumentarflim als krassen verstoss gegen den humanitären auftrag des roten kreuzes.
frédéric gonseth, filmemacher aus lausanne, hat einen eindrücklichen film zu all dem gemacht, der die zeitgeschichte mit erlebnisberichten, tagebüchern und fotografien vergegenwärtigt. filmmaterial namentlich aus deutschen archiven veranschaulicht die historischen umstände. gezeigt wird so, was man damals wusste, und wie man mit der bis in die jüngsten zeit weitgehend verdrängten geschichte umgeht.
was dadurch authentisch wirkt, stösst jedoch auch auf grenzen. so wird eugen bircher als eigentlicher vater der mission dargestellt. der aarauer chirurg besass ausgezeichnete beziehung nach deutschland, vor allem zu fachkollegen, aber auch zu politikern. er war, wie viele bürgerliche seiner zeit, strikte antibolschewistisch eingestellt, was es ihm schwer machte, sich vom nationalsozialismus abzugrenzen. so legte er seinen divisionärshut nieder, als ihn general guisan vor die wahl stellte, entweder an die ostfront zu gehen, oder weiterhin für den grenzschutz am rhein zuständig zu sein. letztlich war das eine klare ansage, wo der hohe militärkopf stand. im film wird zitiert, was schon damals viele munkelten. bei einem deutschen sieg über die sowjetunion wäre das dritte reich definitiv führende kraft in Europa, und die schweiz wäre gänzlich isoliert, in einem deutschfreundlichen Regime würde er, bircher, eine führende rolle spielen.

meine these: ein teil der schweizer aussen(wirtschafts)Politik in bedrängter lage
bei den recherchen zu meiner lizentiatsarbeit vor dreissig jahren kam ich bezüglich der aerztemission zu einem anderen schluss. entscheidende person war hans fröhlicher, der schweizer botschafter in berlin. 1941 kam er in bedrängnis, als er einen wirtschaftsvertrag zwischen dem dritten reich und der schweiz verhandeln musste, mit dem sich deutschland die waffenproduktion hierzulande sicherte. finanziert wurde das ganze durch einen kredig der schweizerischen Nationalbank; abgegolten werden sollte die schuld in form von naturalien aus eroberungen in russland.
da kam ein memorial von eugen bircher im frühling 1941 gerade recht, das er nach einem besuch an der berliner charité verfasst hatte. professor sauerbruch, sein chirurgenkollege, hatte den schweizer divisionär in den streng geheim gehaltenen krieg gegen die sowjetunion eingeweiht, und der schweizer militär im Generalsrang kehrte mit einer auffällig genauen frontaufstellung in sein heimatland zurück. guisan klassierte das memorial sofort, informierte die behörden, die so bestens über den angriff hitlers auf stalin im bilde waren. das verschaffte zeit, um sich einzustellen.
auf die schweizer elite blieb die voraussichtlich definitive wende im krieg nicht ohne folgen. ein Vertreter der schweizerischen kreditanstalt stellte spenden aus namhaften industrieunternehmungen der schweiz zusammen, die an exporten nach russland interessiert waren. eugen birchen mobilisiert die mediziner, und das srk sammelte das nötig pflegepersonal.
die unterstellung der mission unter deutsches kriegsrecht sollte nicht nur die richtige rotkreuzarbeit vor ort verunmöglichen; sie wirkte sich auch nach der rückkehr der teilnehmerInnen fatal auf. denn die schweiz hatte sich verpflichtet dafür zu sorgen, dass keine details aus persönlichen erfahrungen der teilnehmenden in die Öffentlichkeit gelangten.
das verlangte schweigen durchbrach als erster der Luzerner arzt rudolf bucher, der spätere begründer der rega, der insgesamt 100 vorträge hielt, und auf diesem weg die leitung der mission wegen sympathien zu den nationalsozialisten attackierte, bis sich bundesrat von steiger, der chef des ejpd, auf deutschen druck veranlasst sah, amtich für ruhe und Ordnung zu sorgen.

kleine würdigung

schade, sage ich, das im höchst bemerkenswerten film von swissimage und tsr, gefördert von der pro helvetia und der der migros, die weiteren umstände der aerztemission weitgehend ausgeblendet bleiben, davon vor allem dem westschweizer publikum das erzählt wird, was seit dem rings-bericht ende der 60er jahre dem deutschschweizer publikum bereits einmal gezeigt wurde. stark ist die dokumentation vor allem da, wo sich überlebende teilnehmerInnen vor der kamera äussern. wertvoll ist der film, weil er auch russische gefangen sprechen lässt, die in deutschen lagern arbeiteten und in die schweiz flüchteten. für die nicht spezialistInnen ist so ein zeitdokument einer wenig bekannten episode der schweizerischen verhältnisses zum dritten reich entstanden, das aus fachsicht einer bessern historischen einordnung bedurft hätte.
denn erst so wird die widersprüchlichkeit des damaligen handelns zwischen menschlichkeit und verrat klar!

stadtwanderer

ps: geschrieben hatte ich die arbeit bei prof. walther hofer. korrigiert und preisgekrönt wurde sie von peter maurer, hofers assistent von damals heutiger präsident des ikrk.