Im Berner Regierungsviertel

Morgen ist Start meiner neuen und (vorerst) letzten Saison als Berner Stadtwanderer. Neu ist auch mein ausführlicher Halt im Berner Regierungsviertel, um den Uebergang Bern von der burgundisch-kaiserlichen zur bernisch-eidgenössischen Position zu beschreiben.

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Berner Rathaus, zirka 600 Jahre das Zentrum der Berner Politik

Wir befinden uns hier im Regierungsviertel von Bern, nicht der Bundesstadt, sondern der Stadt Bern. Bis 1803 waren Stadt und Kanton nicht getrennt. «Stadt und Republik» sagte man nach der Reformation, davor war es einfach «Stadt».
Nach dem Tod der Zähringer wurde Bern eine Königstadt. Der König besass die Stadt, in der er einen Verwalter einsetze, um die Steuern einzutreiben. Aus dieser Funktion erwuchs der Schultheiss, eigentlich der Schuld-Heisscher oder Steuereintreiber.
Seit 1298 verstand sich Bern als Reichsstadt. Den König, jetzt ein Habsburger, anerkannte man nicht mehr, die Zugehörigkeit zum Kaiserreich blieb jedoch unangetastet.
1415 erhob König Sigismund von Ungarn, auf dem Weg Kaiser zu werden, Bern zum Reichsstand. Damit war man ganz oben angekommen, besass das Gericht über Leben und Tod, und man konnte selber entscheiden, mit wem man gegen wen Krieg führte.
Doch ist das nur die Hälfte der Geschichte. Die andere handelt von den Beziehung der Stadt zu den Eidgenossen. Diese formierten sich angesichts der Reichskrisen im 13. und 14. Jahrhundert. Bern mit ihren Verbündeten von Solothurn bis Sion hatten eine solches Bündnis, Zürich auch, und rund um den Vierwaldstättersee gab es eine Eidgenossenschaft.
Das erste Bündnis von Bern mit der Innerschweiz datiert von 1323. 1353 wurde es erneuert. Diese Datum gilt gemeinhin als Beitritt Berns zur Eidgenossenschaft. Das ist eine nachträgliche Uebertreibung, denn mit Zürich verbündete sich Bern erst 1421.
Diese Eidgenossenschaft erkämpfte sich 1499 einen autonomen Status im Kaiserreich. 1648 wurde die Eidgenossenschaft unabhängig vom Reich.

Vor der Bar «Karl»
1292 ordnete die Stadt ihre inneren Verhältnisse neu. Dem Schultheiss, damals meist ein von Bubenberg, umgeben von einem (kleinen) Rat, wurde ein grosser Rat beigestellt. Der kleine Rat erledigte die täglichen Geschäfte, der grosse war, würde man heute sagen, sein «sounding board».
1294 anerkannte König Adolf von Nassau den Grossen Rat. Vor allem legte er fest, dass Bern bei Abwesenheit eines Königs, den Schultheissen selber bestellen konnte. Nur 4 Jahre später machte Bern damit ernst. Mit der Wahl von König von Albrecht I. von Oesterreich wandte man sich vom Königtum ab. Den Schultheissen bestimmte man in der Folge meist selber.
1324 erwarb man mit Laupen erstmals ein Reichspfand. Das führte mit Freiburg, der Stadt im Besitz der Habsburger, zum Lokalkrieg. Die drei Schlachten gewann Bern 3:0. Damit war man im Aaretal topgesetzt.
Die Stärke nutzte Bern nach der grossen Pest. Schnelle expandierte die Stadt zum Stadtstadt. Der Kaiser liess 1365 offiziell zu, dass die Stadt Bern Reichslehen erwerben, später auch verkaufen, konnte. Man war jetzt eine Art Herzog.
1384 eroberten die Berner die kyburgischen Besitzungen und kaufen sie Burgdorf und Thun. 1388 annektierten man Nidau. Damit war der Landadel verdrängt. Von nun an verwaltete der Stadtadel die Landbesitzungen.
An die Privilegierungen Berns durch Kaiser Karl IV. erinnert seit neuestem die Trend-Bar «Karl». Sie steht dafür, dass die Reichsstadt nur eine Stadt war, welche die Landgrafen links und rechts der Aare verdrängt hatten.

Vor dem Rathaus
Im 15. Jahrhundert war die katholische Kirche in der Krise. Es gab drei rivalisierende Päpste: in Avignon, in Rom und in Pisa. König Sigismund von Ungarn versammelte die wichtigen Kirchenleute in Konstanz. Die bisherigen Päpste wurde abgesetzt, und einer neuer Papst wurde bestimmt.
Zuvor hatten sich die Habsburger verspekuliert. Sie hatten auf einen bisherigen Päpste gesetzt, diesen sogar entführt, damit man ihn nicht absetzen konnte. Doch fand man ihn in Freiburg im Breisgau in einem Kloster, beschützt von Habsburgern. Jetzt wurde die Reichsacht über sie verhängt. Bern wurde angehalten, die habsburgischen Besitzungen in Brugg zu erobern. Das geschah in einem kurzen Feldzug 1415. Die Zürcher nahmen Baden, und die Luzerner die freien Aemter. Die verschiedenen Eidgenossenschaften im Westen, Osten und Süden wuchsen jetzt erstmals zusammen.
Symbolisch für die mächtige Stadt Bern weihte König Sigismund das Rathaus ein. Es ist der wichtigste Zeuge aus dem Spätmittelalter. Es ist quasi der in Sandstein gehauene Repräsentant des Stadtstaates des 15. Jahrhunderts.
Das Bündnis mit Zürich war nicht konfliktfrei, schliesslich kam es zum ersten Krieg unter Eidgenossen. Bern und die Innerschweizer waren auf der siegreichen Seite, Zürich verlor. Doch in Bern opponierten die Oberländer; die Märsche beispielsweise nach Regenburg waren ihnen zu weit. Es war das erste Mal, dass es einen Stadt/Land-Konflikt in Bern gab.
1450 wurde die Eidgenossenschaft neu geordnet. Die Mitgliedschaft war jetzt exklusiv. Manche Historiker sagen, dass sei der eigentliche Beginn der Eidgenossenschaft.
Die geeinten Eidgenossen expandierten schnell. Zuerst im Osten bis Konstanz, dann im Westen gegen Dijon, und schliesslich im Süden gegen Mailand. Keine dieser Städte konnte jedoch dauerhaft eingenommen werden. Doch die Eidgenossenschaft wuchs. Der Rhein bildete die natürliche Grenze nach Norden und Osten. Der Kaiser gewährte nach dem Schwabenkrieg der Eidgenossenschaft Reichsautonomie und der französische König bezahlt viel Geld, dass man ihn in Italien nicht mehr störte.

Vor dem Vennerbrunnen
Die Pest führte zu einer sozialen Neuordnung. Alle, die Schutz versprochen hatten, kamen in Bedrängnis. Der Stadtadel musste Bern verlassen. Nun bestimmten Händler und Handwerker die Geschicke der Stadt. Es brauchte die Intervention von Kaiser Karl, dass der Stadtadel nach 15 Jahren zurückkehren durfte. Die Rivalitäten zwischen Stadtadel und Bürgern blieben jedoch.
Als erstes schlug der erstarkte Stadtadel zu. Er verbot 1373 die Zünfte, wie das wohl seit 1292 der Fall gewesen war. Erlaubt waren nur Gesellschaften, wo alle Burger Zwangsmitglieder waren. Das bewährte sich um die Handwerker wirtschaftlich und gesellschaftlich zu kontrollieren. Anders als in Zürich blieben sie in Bern von der Politik ausgeschlossen. Ihre Aufgabe blieb auf das Steuer- und Polizeiwesen beschränkt.
Politisieren konnten einzig die Venner. Sie waren die Quartiermeister in den Stadtvierteln. Uns sie stammten aus je einer der privilegierten Gesellschaften, den Bäckern, Metzgern, Gerbern und Schmieden. Und sie nominierten die Kandidaten für die Räte. Die Grossräte wählten sie auch, nur die Kleinräte wurde von den Grossräten bestimmt.
Einmal gelang den Stadtadeligen vor vorgängige Regelung der Wahl nicht. 1470 wurde Metzgermeister Peter Kistler Berner Schultheiss.
Die Stadt war im Umbruch. Dank höfischer Kleidung unterschieden sich die Stadtadeligen von den Burgern. Peter Kistler untersagte das als erstes.
Keine Schnabelschuhe, keine Schleppen und keine Pumphosen war mehr erlaubt. Der Stadtadel revoltierte. Demonstrativ marschierte er in den verbotenen Kleidern des Sonntags ins Bern Münster ein. Vor das Sittengericht wurden die Herrschaften gestellt, das sie für einen Monat aus der Stadt verbannte.
Die Umwälzung am Ende des 15. Jahrhunderts liess sich nicht vermeiden. Doch siegten nicht die Handwerker, vielmehr der Geldadel, der sich über den Landadel in der Stadt erhob!

Vor der Staatskanzlei

Der Durchgriff der Stadt aufs Land gelang mit der Reformation 1528. Diese entmachtete die katholische Kirche, immer noch dem Bischof von Lausanne unterstellt. Jetzt griffen die Städter nach den Pfründen, denn die Pfarrstellen auf dem Land waren den Berner vorenthalten. Parallel hierzu etablierten sich die Landvögte als städtische Führungsschichte auf dem Land. Auch in diese Aemter kamen nur Städter, genauer nur Grossräte.
Bern entwickelte sich so zum politisch-religiös-administrativen Zentrum der Region. Der Bedarf an Führungskräften war viel grösser als in einer Stadt wie Schaffhausen. Da reichten die Zünfte um die Stadt zu führen, in Bern musste man die Kunst der Staatsführung beherrschen.
Eeinzig die Bündner sind seither mit Bern vergleichbar. 1534 nannten sie sich als erste Republik oder Freistaat. Damit imitierten sie das benachbarte Venedig. Und sie zeigten an, eine entfeudalisierte Gesellschaft geworden zu sein. Bern ging nicht ganz soweit. Von einer Republik sprach man hier erst Ende des 16. Jahrhunderts, Damit zeigte man an, anders als ein Fürstenstaat zu sein. Gleichzeitig verknüpfte man den Gedanken der Republik mit dem der Souveränität. Man war zum eigenständigen Gemeinwesen geworden.
Bis heute gibt es die Mischung aus bernischem Selbstbewusstsein und anpassungsfähigem Stadtadel. Seit diesem Jahr regiert der Grüne Alec von Grafenried die Stadt. Er ist der fünfte Schultheiss, pardon, jetzt Stadtpräsident, seiner Familie.

Stadtwanderer

Republik Bern

Auf der Spur meiner letzten Stadtwanderung vor der Weltreise.

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In der allgemeinsten Form wird der Begriff der Republik mit “Staat” gleichgesetzt, allenfalls dem modernen Staat wie ihn die Französische Revolution resp. die Reformation hervorgebracht habe. Anders als im benachbarten Ausland der Schweiz ist der Begriff weitgehend unüblich geworden. Seit 1848 spricht man vom Bundesstaat, nicht von der Bundesrepublik. Unser dieser Staat heisst auch nicht mehr Helvetische Republik, sondern Confoederatio Helvetica. Nur in einigen Kantonen, direkt an Frankreich angrenzend, ist es üblich geblieben “du canton et république” zu sprechen.

Wolf Linder, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern, ist meines Wissens der letzte, der versucht hat, die Lage der Schweiz als Zustand der Repubblik zu analysieren. Ausgangspunkte sind die Globalisierung und Europäisierung. Sein zentraler Befund ist, dass internationales Recht immer mehr das schweizerische bestimme. Das führe zu einer Verlagerung der Gewichte in Richtung Exekutive, und es schwäche die Legislative, das Parlament und die Volksrechte. Globalisierung sei zudem gemeinschaftsfeindlich, produziere soziale Gegensätze, verändere die Parteienlandschaft und polarisiere das Konkordanzsystem. Zwischen Globalisierung, Nationalstaat und Demokratie herrsche es ein fragiles Gleichgewicht, alles aufs Mal bekomme man nicht.
Geht es Linder fundamental um den zeitgenössischen schweizerischen Staat, vertritt der Historiker Thomas Maissen einen ganz anderen Begriff der Republik. Den Spezialist für die frühe Neuzeit interessierte seinem Buch über die “Entstehung der Republic” namentlich das Werden des Staatsverständnisses rund um den Souveränitätsbegriff. Er stellt das als Prozess dar, an dessen Anfang Theoretiker der Souveränität ausserhalb des Kaisertums standen. Reichsteile wie die Schweiz hätten den Verband schrittweise verlassen und sich nach 1648 zunehmend unabhängig definiert. Sprache, Titel und Symbole, wie sie im 17. Jahrhundert üblich geworden seien, würden diesen Emanzipation aufzeigen. Denn so haben man sich zunehmend als souveräne Republik verstanden, geschützt durch Staatrecht und Völkerrecht.
Maissens Gegenspieler ist der kürzlich verstorbene Berner Historiker Peter Blickle. Denn für ihn ist Republik kein souveräner Staat, sondern der “Superlativ des Kommunalismus”. Diesen versteht als Gegensatz zum Feudalismus, der von Monarchie und Adel geprägt sei und durch Privilegierung von Ständen und Ländern praktiziert worden sei. Kommunalismus definiert er als bewusste Absetzung hiervon, als Entfeudalisierung, dank dem Gemeindestrukturen in Städten, aber auch auf dem Land entstanden seien. Das sei kein Phänomen der neuesten Zeit, sondern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Früher Ausdruck dieser Entwicklung sein die Republik Graubünden im 16. Jahrhundert, dem Höhepunkt des Kommunalismus. Es finde aber auch in den reformierten Städte der Neuzeit. Angefangen hat der Prozess mit der Zurückdrängung des Reichsadels, aber auch der Reichskirche, die Inbegriffe feudaler Herrschaft gewesen seien.
Nicht vergessen werden darf, dass das alles auf dem römischen Gedanken der Republik basiert, dem Gemeinwohl von Cicero. Untergegangen ist es im Kaisertum der Antike und des Mittelalters. Wiedergeboren wurde es von Macchiavelli an der Wende zur Neuzeit. In den italienischen Städten hat es noch besten überdauert. Nicht zuletzt deshalb strahlte die repubblica von Venedig über Chur bis in unsere Gegenden.

Ich bin dabei meine wohl letzte Berner Stadtwanderungen vor der Weltreise durch Monarchien und Republiken der Gegenwart zu konzipieren. Lanciert wird sie am 12. April 2017. Der Anlass ist klar: Es ist die Ausrufung der Helvetischen Republik im Jahre 1798 in Aarau, verknüpft mit der Einführung der ersten gesamtschweizerischen Verfassung, die alte Republik Bern stützte und in die neue überleitete.
Noch ist es mein Geheimnis, für welche Neo-Republikaner ich diese Tour mache.
Soviel sei einen Monat im Voraus schon gesagt. Es wird ein Streifzug durch die Teile der Berner Geschichte mit republikanischem Charakter sein. Der Startpunkt wird auf dem 16. Jahrhundert liegen, und das Ende zeichnet sich Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Denn das republikanische Bern ist mehr als das mittelalterliche, aber weniger als das demokratische. Es ist geläutert vom katholischen Feudalismus, aber nicht aufgeklärt durch den demokratischen Liberalismus und Sozialismus.
Ich werde berichten.

Stadtwanderer