Der Tod des Elefanten mitten in Murten (Teil 1 meiner Stadtwanderung)

Vorbemerkung
Im September 2018 machte ich in Murten eine Führung für alt Bundesrat Kaspar Villiger. Organisiert hatte sie Daniel Eckmann und Annemarie Lehmann. Daraus ist eine amüsante und lehrreiche Geschichte des Städtchens geworden.
Hier die Premiere!

IRGENDWO IN MURTENS RATHAUSGASSE

An diesem Tag geschah ungeheuerliches in der Stadt Murten. Aufgeregte Menschen trieben durch die Gassen. Kanonendonner ertönte. Dann war es still.
Der Elefant war tot.

Ich beginne meine Führung durch Murten nicht mit der Schlacht von Murten 1476. Eine Historikerin aus Murten erzählte mir einmal, sie habe es satt, darauf reduziert zu werden. Also starte ich mit dem Jahr 1866 und der rührendsten Lokalgeschichte des Stedtlis 150 Jahre danach schrieben die Freiburger Nachrichten folgendes:
«1866 gastierte ein amerikanischer Zirkus in Murten und zeigte Kunststücke mit Elefanten. Einer der Elefanten tötete seinen Wärter und brach aus. Das Tier rannte unkontrolliert in der Altstadt umher, zerstörte Kutschen und Fenster und versetzte das Stedtli in Angst und Schrecken. Die Murtner konnten den Elefanten nicht unter Kontrolle bringen und sahen keinen anderen Ausweg, als das Tier zu erschiessen. Da herkömmliche Gewehre den Dickhäuter nur kitzelten, forderten die Murtner in Freiburg eine Kanone an und erschossen das Tier.»
Heute weiss man, dass Elefantenbullen aggressiv werden, wenn sie die Geschlechtsreife erlangen. Damals begnügte man sich damit, das erlegte Tier dem Metzger zu überstellen, denn Elefantenfleisch war in unseren Breitengraden ausgesprochen rar.

Es ist üblich geworden, zur Popularisierung der Historie kürzeste Geschichten zu schreiben. Stephen Hawkins, Einsteins Nachfolger unter den Physikern, hat die kürzeste Geschichte der Zeit verfasst. John Hirst schrieb die kürzeste Geschichte Europas.
Die allerkürzeste Geschichte Murtens lautet: «Murten: erstmals als Hof «Muratum» erwähnt, von Zähringern als Stadt gegründet, von den Savoyern beherrscht, von Karl dem Kühnen belagert, von Napoléon dem Kanton Freiburg zugeteilt.»
Das besser zu verstehen, ist die Absicht meiner Führung. Wir machen eine Wanderung im doppelten Sinne: durch Murten und durch die Zeit!
Hier das Programm: Muratum gehörte zum untergegangene Königreich Burgund. Murten wurde von den Zähringern gebaut. Es gehörte dem römischen Könign, bevor es für lange Zeit an Savoyen ging. Deren Nachfolger waren die Berner und Freiburger gemeinsam, die hielten sich Murten als Untertan. Heute gehört Murten zum Kanton Freiburg. Einmal wollte man sich vom ihm trennen und marschierte los. Erfolglos!
Murten war immer an der Grenze: zuerst zwischen deutscher und französischer Sprache, dann zwischen der Reformation im deutschen und im französischen Sprachraum. Die Grenzlage prägte das Städtchen. Es erlebte die schrecklichen Hexenverbrennungen – und den Krieg: 1476 mit der Schlacht von Murten, 1802 während dem Stecklikrieg. Genau 200 Jahre später ist Murten dank der Juragewässerkorrektion ein Ferienparadies mit ihrer wunderbaren Riviera.
Viel geholfen hat mir bei der Aufarbeitung der Geschichte Murtens das wunderbare Buch «Murten» von Markus F. Rubli und Heini Stucki. Ohne dieses Werk wäre die heutige Führung nicht möglich geworden. Allerdings ist mein Zugang anders. Ich werde nicht nur Lokalgeschichte, auch europäische und schweizerische Historie präsentieren. Und sie bekommen meine Biografie mit, soweit diese in Murten spielte.

In Murten habe ich 1977 meine Rekrutenschule absolviert. Das damalige Hotel Engel diente als Kantonement.
Die Schweizer Armee und ich wurden keine guten Freunde. Ich erspare ihn deshalb den Bericht zu den 17 Wochen hier. Nur so viel: Am Ende der Rekrutenschule schwor ich mir auf dem Schulhausplatz in Murten:
«Nie wieder Krieg. Nie wieder Krawatte!»
Das sollte Folgen haben!
Als mich 1992 das Schweizer Fernsehen auf Herz und Nieren prüfte, ob ich als TV-Kommentator für die eidgenössischen Abstimmungssonntage tauge, gewann ich den kleinen Wettbewerb gegen drei Kollegen. Werner Vetterli, damals in der Chefredaktion von SRF, später für die SVP im Nationalrat, hatte das Verfahren unbestechlich geleitet. Sein Gehilfe, Balz Hosang, teilte mir das Ergebnis sorgenvoll mit: Zwar sei mein Talent klar geworden, und man würde mich gerne engagieren. Doch der weisse Rollkragenpullover in der Probesendung gehe gar nicht. Das sehe aus wie #AndiGross im Parlament.
Mir schwante, ich würde eine Krawatte tragen müssen, um TV-Analytiker zu werden.
Ich wusste: niemals!
Nach längeren Verhandlungen einigten wir uns auf einen «Zischtigclub». Ich mit einer bunten Fliege. Ich bestand.
Geleitet wurde der Club damals von Ueli Heiniger, ein bunter Hund aus Murten.
Trotzdem lieb ich unschlüssig und ging nach der Sendung auf ein Bier. Im Niederdorf stellte ich, gerade mal 35 Jahre jung, fest, dass sich erstmals Frauen über 50 umdrehten. Nicht wegen mir, aber wegen der Fliege!
Am anderen Morgen telefonierte ich mit dem Studio Leutschenbach. Es sei ok, ich nähme den Job, sie bekämen die Fliege.
So entstand mein Markenzeichen für die 25 Jahre dauernde Kommentierung im Fernsehen. 7 Wahltage waren dabei, 77 Volksabstimmungen dazu. In einem Land mit sieben BundesrätInnen eine ganz runde Sache!
Doch bin nicht in Murten, um aus meinem Leben zu plaudern. Ich will die Stadtgeschichte erzählen. Wir machen 10 Mal halt, jedes Mal gibt es ein Häppchen Infotainment.
Am Ende wissen Sie trotzdem mehr: quasi «10vor10» für Murten-Interessierte.
Nun los!

Foto: Naturhistorisches Museum Bern