Murten als Scharnier der Reformation in den Sprachräumen (Teil 6 meiner Stadtwanderung)

Es kommt nicht oft vor, dass die Schweiz globalgeschichtlicher Taktgeber war. Doch beim Calvinismus ist das so. Ihren Ursprung hatte die Reformation 1517 in Wittenberg. Martin Luther begründete da den neuen Glauben. Zürich folgte, Bern und Basel zogen nach. Derweil blieb die Reformation in der heutigen französischsprachigen Schweiz weitgehend aus. Erst 1530 änderte sich das. Während die Lehre Zwinglis stets im Schatten des Luthertums blieb, zog Guillaume Farel, Prediger in Murten, Calvin nach, der die Weltreligion begründete.
Man kann Murten durchaus als Scharnierstelle zwischen zwei grossen reformiatorischen Bewegeungen sehen, die je ihren sprachkulturellen Hintergrund hatten.

1526 beschloss Freiburg von oben herab, beim alten Glauben zu bleiben. Anders entschied sich Bern, wo man sich dem neuen Glauben anschloss. Was würde Murten tun, das seit 1484 unter der gemeinsamen Herrschaft der beiden Orte stand?
Freiburg bestand nach hergebrachtem Recht darauf, die Bevölkerung zu befragen. Bern willigte unter der Bedingung ein, einen Reformpredigers einzusetzen. Dieser sollte die neue Lehre auch in Murten bekannt machen.

Den Verkündern der neuen Botschaft fand man in der Person von Guillaume Farel, Gelehrter aus Paris, der bereits in Strasbourg, Metz und Lausanne gepredigt hatte. In Neuenburg hatte er 1530 erfolgreich die Reformation durchgesetzt.
Das sollte er nun auch in Murten erreichen!
Die entscheidende Volksversammlung sprach sich mit einer knappen Mehrheit für die neue Lehre aus. Bern hatte sich durchgesetzt, wenn auch mit etwas Glück: Denn von 1525 bis 1530 war Bern an der Reihe den Schultheissen zu stellen, der bei der Meinungsbildung kräftig nach half.

Reformator Farel blieb nicht in Murten. Er predigte ab 1532 in Genf und führte da 1536 gemeinsam mit Jean Calvin die neue Lehre ein. Gott sei allmächtig, der Mensch ein Nichts, predigte er. Nur ein absolut gottesfürchtiges Leben sollte belohnt werden.
Die moralische Strenge der Erneuerer teilten nicht alle. Bereits nach zwei Jahren wurden Calvin und Farel in Genf wieder ausgewiesen. Farel liess sich definitiv in Neuenburg nieder, Calvin kehrte nochmals zurück, um sein Lebenswerk doch noch zu vollbringen
Am Ende seines Lebens zerstritt sich Farel mit seinem Glaubensbruder. Wegen der beabsichtigten Heirat mit einem 18-jährigen Mädchen, was der sittenstrenge Calvin nicht billigte.

Mit der Reformation löste sich die Stadt Murten von ihrem katholischen Hintergrund. Das hatte auch mit der geteilten Herrschaft zu tun. Freiburg stand in der Folge Savoyens und es wurde für die zivile Verwaltung und das militärische Aufgebot zuständig. Bern wiederum pflegte die Kultur. Zuerst war das der reformierte Glauben, dann aber auch die deutsche Sprache.
In der Eidgenossenschaft pflegte Murten mit der mehrfachen Grenzlage die aufkommende Neutralität. An den Konfessionskriegen des 17. Jahrhunderts beteiligte man sich demonstrativ nicht.

Heute stellt sich die Frage, ob Murten ein Vorbild für die verfahrende Situation in Moutier sein könne. Könnte Murten gar Modell für Moutier werden, wie es der Genfer Politikwissenschafter Nenad Stojanović kürzlich vorgeschlagen hat?
Die vermittelnden Kultur hat zweifelsfrei was für sich. Mehr Respekt für anders Gesinnte würde auch Moutier gut anstehen.
Dennoch bleibe ich skeptisch. Die Herrschaftsteilung in Murten war die Folge einer gemeinsamen Eroberung. Zwar übernahm die Eidgenossenschaft das vormals savoyische Murten, doch zog sie sich schon wenige Jahre danach zurück. Sie überliess es den Eliten in Freiburg und Bern ziemlich autokratisch einen modus vivendi zu finden.
Das ist in Moutier undenkbar. Wenn schon müsste die Stadt ganz der Schweiz gehören, während die Kantone sich in die Verwaltung teilen würde.
Schliesslich lehrt uns Murten die unschöne Seite der Neutralität von oben kennen zu lernen. Sie besteht in der Kontrolle, ja Repression nach Innen.

Wir müssen dazu nochmals an den Platz, auf dem ich erklärt habe, warum Murten eine Zähringerstadt sei!