Kurzer Prozess mit Hexen – auch in Murten (Teil 7 meiner Stadtwanderung)

Sie hießen beispielsweise Magdalena, kamen häufig vom Land und waren meist Frauen. In Murten ging es Hexen nicht besser als anderswo. Der schrecklichste Teil meiner Führung.
Der italienische Schriftsteller Petrarca bezeichnete die Zeit nach den Römern bis ins 14. Jahrhundert, in dem er lebte, als «tenebrae» oder finster. Er nannte sie das Mittelalter, die undurchsichtige Zeit, die der Humanist überwinden müsse. Das Bild sass!
Das “Mittelalter” als Begriff blieb, und sein Ruf ist heute noch zweifelhaft. Doch ist das, was in der Neuzeit geschah in Europa nicht minder finster. Denn zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert kamen bis zu 60000 Hexen ums Lebens. Vorgeworfen wurde ihnen in aller Regel ein Pakt mit dem Teufel oder ein heidnisches Vergehen gegen die Christenheit. Dafür brauchte es ursprünglich eine kirchliche Verurteilung. Später übernahm der Staat die Anklage, um gegen unangepasste Mitglieder der Gesellschaft vorgehen zu können.


Hexenprozess in der Westschweiz, 16. Jahrhundert (aus: Tagesanzeiger 2.11.2011)

Zentraler Punkt des Verfahrens war das Verhör, das in drei Phasen geschah: zuerst als gütliche Befragung, dann mit Vorzeigen von Folterinstrumenten wie Daumenschrauben oder Steckbank und schliesslich als peinliche Befragung mit angewandter Folter. Ziel war es, so ein Geständnis zu erpressen. Bisweilen wurden auch Proben eingesetzt. Bei der Wasserprobe beispielsweise musste man einen Stein aus einem Kessel mit kochendem Wasser holen. Wenn die Wunde nach Tagen nicht eiterte, war die Probe bestanden, – wenn doch, galt das als Gottesurteil. Lag das Geständnis vor, kam es zu Verurteilung und Hinrichtung. Der Feuertod bedeutete, dass man auf einem Scheiterhaufen lebendig verbrannt wurde. Wurde man davor enthauptet oder erdrosselt, galt das als Gnade.
Zu den Eigenheiten der Hexenprozesse zählte, dass das Verhör und die Verurteilung unter Ausschluss der Oeffentlichkeit stattfand, die Hinrichtigung dagegen erfolgt mit Publikum. Denn sie sollte abschreckende Wirkung haben.
Heute ist alles umgekehrt: Die Verhandlungen vor dem Urteilsspruch sind mindestens teil-öffentlich. Der Vollzug hingegen ist nicht öffentlich. Todesstrafen wurden abgeschafft, wenn auch mit nicht unwesentlichen Ausnahmen. Das hat mit der Zivilisierung der Gesellschaften zu tun. Und mit der Demokratie, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen dieses alte Strafrecht zu wenden begann.

Die Schweiz war in Sachen Hexenverbrennungen in Europa führend. Es sollen 6000 Menschen so den Tod gefunden haben. In der Eidgenossenschaft wiederum war Freiburg führend. Da wurden zwischen 1429 und 1731 rund 300 Hexen verurteilt und verbrannt. Die höchste Dichte findet man im Broyetal.
Auch in Murten kam es während rund 130 Jahren zu Hexenprozessen. Genaue Zahl sind nicht bekannt. Die Anklagen dreht um Formen des Bundes mit dem Satan.
Damit konnte einerseits der vermeintliche Beischlaf mit dem Teufel gemeint sein, andererseits fiel aber auch das unterstellte Verhexen von Kindern und Tieren darunter.
Die erste Hexe, die in Murten umkam, stammte aus Büchslen. Sie war die namentlich nicht bekannte Ehefrau von Bendicht Spack. Die letzte Hexe hiess Magdalena Fornalla und kam aus Sugiez. Zwar waren es zumeist Frauen aus den umliegenden Dörfern, die verdächtigt und verurteilt wurden, doch fanden sich unter den Leidtragenden bisweilen auch Männer und Städter.
Oberster Ankläger Murtens war der Schultheiss. Meist war es ein Auswärtiger, der die politische Macht in Freiburg oder Bern vertrat, und über Leben und Tod entscheiden konnte.
Die Verbrennungen selber sollen mitten in der Stadt stattgefunden haben.

Murten war wegen der politischen Herrschaft besonders exponiert. Denn Freiburg war beim alten Glauben geblieben, Bern zum neuen übergegangen. Die Reformation führte zu internen Kämpfen, die nur knapp entschieden wurden. Das Kirchenwesen in Murten wurde danach von Bern bestimmt. Doch blieb die Umgebung weitestgehend katholisch.
Die HistorikerInnen sehen heute auch einen zweiten Grund. Zentralistische Staaten hatten es einfacher, ihren politischen Willen auch gegen Abweichler durchzusetzen. Dezentral organisierte Staaten wie die katholischen Kantone Freiburg hatten da schon mehr Mühe.
Es war die Zeit der «Gnädigen Herren» aus Bern und Freiburg. Ihr Stil war paternalistisch: fürsorglich, solange man gehorchte, aber aufbrausend, falls man sich nicht anpasste.
Ich mache hier auch kurzen Prozess. So, wie es die Folterer damals taten.
Aber ich mache es nicht im Verborgenen. Denn diese finstere Zeit in Murten wird von HistorikerInnen immer mehr aufgearbeitet.