Freiburg. Lüthy. Kanisiusbuchhandlung. Und die Aufklärung.

In seiner fundamentalen Diskursanalyse behandelt der französische Historiker und Philosoph Michel Foucault den langsamen Wandel von gesellschaftlich vorherrschenden Deutungsmustern. Dabei geht es namentlich um die Wissenschaft, welche dir Religion ablöst. Ein Beispiel.

Das alte Bahnhofbuffet in Freiburg
Vor einem Dritteljahrhundert hatte ich mit anderen im damals imposanten Buffet des Freiburger Bahnhofs eine lange Sitzung mit Geschichtsprofessor Urs Altermatt der Uni Fribourg. Es ging um die Ausgestaltung eines SNF-Forschungsprojekts zum kommenden politisch-kulturellen Wandel.
Wir entschieden uns, von der konstanten und gebundenen politischen Beteiligung auszugehen und zu fragen, was angesichts neuer Symptome daraus werden würde.
Eine der erwarteten Folgen war, dass die politische Partizipation nicht verschwinden, aber fallweise und damit punktueller werde. Klassische Parteien mit loyalen BürgerInnen an der Basis werden an Bedeutung verlieren. Gruppierungen, die neue Strömungen in der Gesellschaft mit ihren aktiven Menschen aufnehmen, werden dafür aufstreben. Das werde zwar nicht die Stabilität der alten Parteien garantieren, dafür Fester mit aktuellen und umso interessanteren Einsichten in die Gegenwart eröffnen.

Zögern vor der Buchhandlung Lüthy
Vis-A-vis des Freiburger Bahnhofgebäudes findet sich heute die Buchhandlung «Lüthy». Daneben steht «Kanisiusbuchhandlung».
Auf Internet präsentiert sich die Buchhandlung so: «Das siebenköpfige Team um Gilberte Graf und Johanna Jutzet steht den Kunden mit persönlichen Buchempfehlungen zur Seite. Besuchen Sie unsere Kinderbuchabteilung, schmökern Sie in unserer Auswahl an Romanen, und finden Sie aktuelle Sachbücher und Fachbücher oder einen guten Reiseführer – so wie das grösste Angebot an englischen Büchern in der Region.»
Im ersten Moment hatte ich Bedenken, die Buchhandlung zu besuchen. Nicht das Frauenkollektiv schreckte mich. Vielmehr ließ mich der Untertitel zögern.
Denn in den 1960er Jahren, als ich noch in Freiburg lebte, war Kanisisus die führende katholisch-konservative Buchhandlung für Literatur. Von da kam auch der Index. Darauf standen Bücher, die man nicht lesen durfte. Meine Familie kannte den Index auch Jahre nachdem wir von Freiburg weggezogen waren.

Der Jesuit Kanisisus
Peter Kansisius, 1521 in Nijmegen geboren, starb 1597 in Freiburg. Dazwischen machte er eine mustergültige katholische Karriere während der Gegenreformation. Früh trat er dem neuen Orden der Jesuiten bei, später machte er ihn zur bestimmenden Kraft der katholischen Kirche gegen die Protestanten in Deutschland.
Den angebotenen Bischofsstuhl von Wien lehnte er ab, betätigte sich aber als Prediger im Stephansdom. Papst und Kaiser empfahlen ihn deshalb als Domprediger in Augsburg. Das nahm er an. 1580 kam er nach Freiburg im Uechtland, um das Gymnasium St. Michel zu gründen. Es sollte zur Eliteschule für die französischsprachige katholische Schweiz avancieren.
Kansisius wird gelobt, den Augsburger Religionsfrieden von 1555 respektiert zu haben. Seine Kritik an den Reformierten war gemässigt. Umso heftiger waren seine Aussagen zu Hexen.
In seinen Augsburger Predigten machte Kanisius Frauen, die nicht konform lebten, für das zunehmend schlechte Wetter und wachsenden Missernten seiner Zeit verantwortlich. Er warf ihnen auch Kindsmord und Kannibalismus vor. Augsburg, bis anhin humanistisch, kippte und löste in Mitteleuropa eine neue Welle von Hexenverfolgungen aus.

Gelebte Aufklärung
Ich war froh, im «Lüthy» einer zeitgenössischen und weltoffenen Buchhandlung zu begegnen. Die Rubrik «Religion» im oberen Stock befindet sich fast ein wenig versteckt um die Ecke rechts. Papst Franziskus steht da nicht unerwartet im Mittelpunkt. Gut sichtbar ausgestellt ist das Buch des Vatikan-Insiders Andreas Englisch, der über die konservative Gegnerschaft des heutigen Kirchenführers berichtet.
Besonders interessiert hat mich die benachbarte Abteilung „Aktualität“ mitten in der grossen Bücherwand. Sie bietet so ungefähr alles, was man heute als interessierte ZeitgenossIn liest. Mitten drin findet sich auch das Buch «Klima und Gesellschaft in Europa», das die beiden Berner Klimaforscher Christian Pfister und Heinz Wanner jüngst veröffentlicht haben. Damit haben eine neue Wegmarke für die historische Klimatologie gesetzt.
In diesem Werk findet sich auch die heutige Einordnung von Kansisus’ Predigten. Denn seine Zeit war die der kleinen Eiszeit. Das Klima kühlte sich merklich ab. Gletscher wuchsen. Dörfer verschwanden. Die landwirtschaftliche Produktion ging zurück. Hunger breitete sich aus. Und es kamen verheerende gesellschaftliche Spannungen auf. Statt sie zu erkennen und anzugehen, suchte die damalige Kirche nach Schuldigen, und fand sie namentlich bei Frauen. Und Kanisisus mitten drin!

Mein Lob
Dem engagierten Frauenkollektiv im «Lüthy» gebührt meine volle Anerkennung. Sie beteiligen sich aktiv an der Erneuerung vernünftiger Sichtweisen auf die Welt. Unvermittelt wurde ich an Michel Foucault und seine historische Diskursanalyse erinnert!
Voraussetzung dafür war wohl der politkulturelle Wandel. Unsere damalige Forschungshypothese, wonach vorherrschende Parteien einen Funktionsverlust erleiden würden, bestätigt sich gerade in Freiburg eindrücklich. Die Grünen waren jüngst die große Gewinnerin in der früheren CVP-Stammlande. Alte Seilschaften wurden durch neuen Netzwerke abgelöst, Priesterdünkel durch Frauenpower ersetzt. Und religiöse Deutungsmuster werden von wissenschaftlicher Aufklärung widerlegt.
Gerne wäre ich auf ein Bier ins Bahnhofbuffet nebenan gegangen. Am liebsten mit dem Lüthy-Team. Aber die Halle steht nur noch in meiner Erinnerung. Darum: auf ein virtuelles Prost!

Das Herzstück des sonderbaren Freiburger Mediensystems

Das Mediensystem des Kanton Freiburg entstand aus der Opposition zum Bundesstaat. Ironie der Geschichte: Die Freiburger in Stadt und Kanton stimmten anfangs Jahr anders als die Schweiz klar für das Medienpaket des Bundes. Warum?

Der Boulevard de Pérolles

Wenn die Medienwissenschaft von einem “Mediensystem” spricht, meint sie die publizistischen Aussagen, ihre organisatorischen Voraussetzung und den politischen, ökonomischen und sozialen Rahmens, in dem das alles staatfindet. Meistens geht man davon aus, dass das nationalstaatlich bestimmt wird.
Mit dieser Definition ausgerüstet, war ich gestern in Freiburg i. Ue., meiner Geburtsstadt. Auch nach dem Wegzug meiner Eltern war ich als kleiner Junge immer wieder für Ferien dort. An Sonntagen ging ich mit meiner Cousine meist in die Kirche der Paroisse du Christ-Roi, dem kirchlichen Zentrum des bahnhofnahen Pérolles-Quartiers.
Was mir als damals nie auffiel, fiel mir gestern wie Schuppen von den Augen: Kirche und Medien bilden eine Einheit. Denn tritt man aus der Kirche, steht man umittelbar vor der «Gruppe Saint Paul», dem eigentlichen Zentrum der Freiburger Medienproduktion.
Bekanntestes Produkt des Verlags ist die Tageszeitung “La Liberté”. Hinzu kommen die “Freiburger Nachrichten” und zahlreiche Lokalzeitungen. Die Liberté kennt einen WEMF-beglaubigte Verkauf von rund 35000 Stück und eine Verbreitung von etwas weniger als 40000 Exemplaren. Das sichert ihr eine Reichweit von fast 100000 LeserInnen und die Nummer 1 im Kanton.

Das alte katholische Milieu

Ausserkantonale könnten meinen, eine Zeitung mit der «Freiheit» im Namen sei liberal. Nicht so im Kanton Freiburg!
Die Liberté entstand 1871 mitten im Kulturkampf zwischen Konservativen und Freisinnigen. Sie war ganz bewusst ein Frontblatt der Katholisch-Konservativen – gegen den freisinnigen Bundesstaat gerichtet. Liberté meinte die Freiheit, die katholische Heilslehre massenmedial verkünden zu dürfen.
Gegründet wurde die Liberté am 1. Oktober 1871, dem gleichen Tag wie das “Vaterland” in Luzern entstand. Sie waren die ersten katholischen Tageszeitung. Sie sollten die Politik der katholischen Kurie verteidigen.
Georges Andrey, früher Mediengeschichtler an der Uni Fribourg, nennt die Liberté im Standardwert zur Medienlandschaft der französischsprachigen Schweiz im 19. Jahrhundert eine veritable Kriegsmaschine (“machine de guerre”), gegründet von einem Chorherren, später geführt vom Pauluswerk und beeinflusst vom Piusverein.
Für den Historiker hat die Zeit von 1848 bis 1921 trotz drei unterschiedlichen Regimes im Kanton Freiburg eine Gemeinsamkeit: Man bevorzugte eine gelenkte Demokratie (“democracie gouvernée”), die den Eliten mehr vertraute als dem Volk. Für dieses habe man die Meinungspresse erfunden, nicht zur Volksbildung, aber zu propagandistischen Beeinflussung.
Geprägt wurde die Entstehungszeit durch den Versuch der Freisinnigen, den Bundesstaat von 1848 zu zentralisieren. 1872 scheiterte eine erste Verfassungsrevision an der doppelten Opposition der welschen Föderalisten und der katholisch-konservativen Kantone. 1874 nahm man einen zweiten Anlauf, der bewusst den föderalistischen Einwänden aus welsch-liberaler Warte entgegenkam, gegenüber der katholisch-konservativen Gegnerschaft aber hart blieb. Er fand die nötige Mehrheit. Selbstredend stimmte der Kanton Freiburg zweimal Nein, mit je knapp 80 Prozent.

Das bestehen gebliebene Pauluswerk

Die Formel des Pauluswerkes war lange einfach und klar: Die Priester führten die Redaktion. Die Schwestern machte die Druckerarbeit. Beides geschah kostengünstig. Es war eine Aifgabe Gottes.
Entstanden war das Pauluswerk in Italien vor dem Ersten Weltkrieg. Es hat sich in über 50 Länder ausgebreitet. Stets verfolgt es die Absicht, den päpstlichen Standpunkt der Politik durch Massenmedien zu verbreiten. Ihre kirchliche Approbation erhielt die Organisation kurz nach dem Zweiten Krieg durch Papst Pius XII.
Doch hatte sich die katholische Welt seither nicht zuletzt mit dem zweiten Vatikanischen Konzil stark geändert. Die Gesellschaft wurde offener, pluralistischer. Im Kanton Freiburg verlor die CVP 1966 die Mehrheit im Kantonsparlament und damit die politische Vorherrschaft über den Kanton. Etabliert haben sich seither ein bürgerliches und ein rotgrünes Lager mit einer Regierung nach Konkordanzmuster.
Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Mediensystem. Seit 1970 führen professionelle Journalisten die Chefredaktion auch die Liberté. Mit ihnen kam auch liberale und kirchenkritische Standpunkte ins Blatt. Das machte es möglich, dass auch nicht eingefleischte Katholiken alter Manier die Liberte lasen.
Neuerdings fehlt es dem Pauluswerk an Nachwuchs und damit an Schlagkraft. Das Buchprogramm müsste veräussert werden. 2014 musste man auch das Akionariat öffnen. Seither gehören je 15 % der Freiburger Kantonalbank und dem Energiekonzern Groupe E., der sich grösstenteils in staatlichem Besitz befindet. Die Organsiation ist halbstaatlich geworden, ebenso finanziert.

Die neue Berechtigung

Selbst wenn man aus liberaler Sicht über das Freiburger Medienmodell stutzen kann: Alle kontaktierten Medienkenner des Kantons betonen, verlagsmässig sei man ein Sonderfall, doch funktionierten die Produkte wie andere auf dem heutigen Medienmarkt. Trotz offensichtlichem kirchlichem Hintergrund sei die journalistische Unabhängigkeit im normalen Masse gewährleistet.
Gesagt wird immer wieder, man identifiziere sich mit dem Verlagshaus, weil es dem nur mittelgrossen, zweisprachigen Kanton zwei verschiedensprachige Tageszeitungen sichere. Angesichts der brüchigen Identitätsbildung entlang der Sprachgrenze sei dies für die Identitätsbildung im Kanton ein geradezu essentieller Vorteil.
Die Rolle bleibt ambivalent: Medienwissenschaftler Roger Blum klassierte Mediensystemzwischen den Polen eines Lautsprechers und eines Widersprecher. Lautsprecher war die Liberté einmal. Wdersprecher wird sie nie werden. Sie ist etwas dazwischen. Sie kennt ihre ursprüngliche Klientel, weiss um die heutige politische Landschaft im Kanton und sucht ihre Leserschaft. Der Verlag setzt bewusst auf Zweisprachigkeit und hatte alte Grabenkämpfe überwunden. Arrangiert haben sich die Kirche und der Staat.
Die obige Definition der Medienwissenschaft muss mit dieser Erfahrung präzisiert werden. Die Rahmenbedingungen der massenmedialen Produktion sind nicht nur politischer, ökonomischer und sozialer Art. Sie sind es auch kulturell-konfessioneller Hinsicht. Das gilt ganz besonders in der Schweiz, die nicht nationalstaatlich, sondern föderalistisch geprägt bleibt. Denn das Mediensystem Freiburgs wird eindeutig kantonal bestimmt.
Auch wenn es nach Ironie der Geschichte aussieht, dass ausgerechnet Freiburg 2022 klar für das Medienpaket des Bundes stimmte. Es hat seine Gründe.

PS
Mitte Juni 2022 mache ich für Medienschaffende eine Stadtwanderung zu Medien im Kanton Freiburg. Dazu veröffentliche ich hier ein paar impressionistische Schlaglichter.

Meine Angebote als Stadtwanderer

Seit 2004 bin ich Stadtwanderer und mache Führungen vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in Bern. Die Pandemie hat alles ein wenig durcheinander gebracht. Doch jetzt bin ich wieder voll im Schuss. Hier meine Uebersicht zu den Standardangebote.


Mein Motto: nie mehr kopflos durch Städte wandern!

Klimawanderung: von der Eiszeit zur Heisszeit

Wie der Aaregletscher den Raum formte, die ersten Siedler, den Wald rodeten, der Adel Städte gründete, die Pest alles Schöne vermasselte, die kleine Eiszeit Bauernregeln und Kornhäuser entstehen liess und wie die Industrialisierung Wohlstand und Umweltbelastungen brachte. Damit kippt die alte Formel, war gleich gut, denn jetzt wird die Hitze zu Belastung.
2 Stunden
Start: Rosengarten
Ende: Bahnhofplatz

Barock-Wanderung: Burger, Barock und Bourbonen

Der Berner Barock ist eigen: von der Reformation geprägt, ist er ganz in Sandstein gehauen. So bestimmt er vor allem das Altstadtbild. Im Zentrum der Wanderung stehen die Fassaden der Gebäude, wo es darum geht, was man sieht und was verdeckt wird. Der riesige Einfluss von Louis XIV., der Streit der Franzosen- und der Niederländerpartei in der Burgerschaft kommen genau so zur Sprache wie typische Rundfenster, Dachgiebel. Es mischen sich Architektur- und Sittengeschichte des 17. und 18. Jahrhundert. Garantiert lehrreich und schockierend zugleich.
2 Stunden
Start: Innenhof Burgerspital
Ende: Hotel de Musique

Jugend&Politik-Wanderung: Jugendstile über die Zeit

1513 stürmten die Jungs aus Köniz die Stadt Bern. Die Klimastreikbewegung ist dagegen vergleichsweise harmlos gewesen. Ich zeige, wo das Jugendparlament im Ancien Regime, die Restaurants der Studentverbindungen, die Debattier-Keller der Non-KonformistInnen und die Buchhandlungen der 68er waren. Klar gemacht wird, wie Jugend als soziologische Phänomen mit dem Jugendstil Ende des 19. Jahrhunderts entsteht und seit dem 20. Jahrhundert (auch von mir) wissenschaftlich untersucht wird.
2 Stunden
Start: Zytglogge Turm
Ende: Generationenhaus

Demokratie-Wanderung: Aristokratien demokratisieren

Bern war im 18. Jahrhundert eine Patrizierstadt, paternalistisch regiert, wenn man gehorchte mit dem Schwert bestraft, wenn man protestierte. Dem setzten die revolutionäre Franzosen und die Demokratie ein jähes Ende. Zur schrittweisen Demokratisierung trugen in der Folge liberale, demokratische und sozialen Bewegungen bei. Ihre neue Rolle fand Bern als Bundesstadt, dem unbestrittenen Politzentrum der Schweiz mit Regierungsviertel und Bundesplatz als Schaubühne für allerlei Opposition im Land.
2 Stunden
Start: Kreuzgassbrunnen /Altstadt
Ende: Bundesplatz

Ochsentour: auf der Spur des Verfassungsvaters Ueli Ochsenbein

Er war Regierungspräsident von Bern. Er war Präsident der Verfassungskommission der Tagsatzung. Er war 1848 erster Bern Bundesrat. Und er war sechs Jahre danach erster abgewählter Bundesrat. Ueli Ochenbein ist heute kaum mehr ein Begriff, obwohl er der Verfassungsvater des Bundesstaats war. Ich hole ihn mit seiner Geschichte in die Gegenwart zurück, zeige, wo unser Grundgesetz beriet, wo er sich für das Bundesstaatsmodell lobbyierte, wo gewählt wurde und wo er regierte. Die Wanderung ist mehr als nur eine Biografie. Sie zeigt die Stunde Null des Bundesstaats.
1,5 Stunden
Start: Erlacherhof
Ende: Noumi Bar, Hotel Bellevue Palace


Lobbying-Wanderung: Vorhöfe der Macht

LobbyistInnen sind nicht mehr draussen, aber auch nicht ganz drinnen. Sie sind ein Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Und sie werden immer mehr. Ich zeige, wie sie auf Parlament, Regierung und Verwaltung Einfluss nehmen, wie sie sich in ausserparlamentarischen Kommissionen einnisten, Clubs für informelle Treffen gründen und für die Grünen genauso wie für Economiesuisse arbeiten und ich stelle die Frage, ob so auch in der Schweiz in den USA der 1970er Jahre diagnostizierte powerelite entsteht.
2 Stunden
Start: Hotel Bellevue
Ende: Geheimplatz

Angebot in Murten

Stadtgeschichte: Ein Kunterbunt vor Ort

Murten gilt als Juwel unter den Schweizer Kleinstädten, aber auch ein bisschen ruhig. Das war nicht immer so. Da wurde der savoyische Stadtherr Gegenpapst, da kam es zur Schlacht vor den Toren Murtens, da verbrannte man Hexen im Innern der Stadt und da unterrichtete ein revolutionärer Lehrer aus Zürich die jungen Mädchen. Vor allem aber sicherten mutige Unternehmer und Ingenieure die Stadt durch die Seeland-Korrektion vor Flut und Krankheit.
Alles kompakt erzählt, in der Kleinstadt, die das alles beherbergt.
1,5 Stunden
Start: Mauritius Kirche vor der Stadt
Ende: Französische Kirche

Neu in Freiburg

Medienplatz Freiburg/Fribourg

Mitten im Zentrum der Stadt Freiburg steht der Equilibre, der Bau des Ausgleichs im beginnenden 21. Jahrhundert. Doch war Freiburg in der Geschichte nicht immer im Lot. Auch wegen den Massenmedien im polarisierten Kanton. Anfänglich dominierte die Liberté als Kriegsmaschine der Katholisch-Konservativen. Heute behauptet sie sich als kantonal führenden Forumszeitung. Wie sich um sie herum ein kantonal spezifisches Mediensystem herausgebildet hat, erkundet die Stadtführung. Sie zeigt auf, wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf die Organisation von Medien in Vergangenheit und Gegenwart ausgewirkt hat resp. auswirkt.
1,75 Stunden
Start: Equilibre
Ende: Place Python

Neu in Aarau

Helvetiopolis

Die Provinzstadt wird 1798 unvorbereitet erste Hauptstadt der Schweiz. Die Jahre der Helvetischen Republik markieren einen der tiefsten Einschnitte in der Schweizer Geschichte. Ich zeige, wo die Franzosen ein Nationaltheater planten, wie die helvetischen Behörden tagten, warum des Experiment scheiterte und die napoleonischen Kantone wie der Aargau entstanden und wo die neuen Institutionen wie Regierung, Parlament und Kantonsbibliothek untergebracht sind. Ich habe selber fast 20 Jahre da gewohnt, und erhelle unterwegs auch mein Aarau.
2 Stunden
Start: Alte Kanti
Ende: Dach des Kunsthauses

Ich führe in aller Regel nur Wanderung für Gruppen durch, minimal 8, maximal 20 Personen durch. Interessierte melden sich via Messenger bei mir zur Fixierung eines Themas, eines Datums und der Konditionen.
Ich bin bis Mitte Juli weitgehend ausgebucht, danach in den Sommerferien, und führe weitere Wanderungen gerne ab dem 5. September 2022 durch.

«Die Umwelt wirkt auf uns zurück»

Im neuesten “NZZ Geschichte” schreibt Sabine Höhler: «Die Natur kommt ohne den Menschen aus. Sie ist das, was ausserhalb von uns ist. Die Umwelt hingegen ist sozial gewordene Natur; sie ist eine Natur, die immer auf den Menschen bezogen ist.» Was ist damit gemeint?

Das Jahr ohne Sommer in Europa, ohne Monsun in Indien

Das illustriert die Umwelthistorikerin mit zwei treffenden Beispielen.
1815 explodierte der Vulkan Tambora auf Indonesien. Eine ungeheure Aschewolke verdunkelte den Himmel. Augenzeugen berichteten von einer Naturkatastrophe mit unmittelbaren Wirkungen für die Region. Davon erfuhr man weltweit wenig.
Trotzdem erlebten die Menschen in Europa die Folgen intensiv. 1816 ist das Jahr ohne Sommer. Denn die Sonne war andauernd verdunkelt. Es regnete ununterbrochen. Ueberschwemmungen, Kälte und Frost waren allgegenwärtig. In der Schweiz gab es die letzte umfassende Hungerskrise. Noch dominierten religiöse Deutungen, wonach es sich um eine Rache Gottes gehandelt habe.
Erst in der umwelthistorischen Rückschau konnte man das Jahr ohne Sommer als vulkanischen Winter interpretieren. Denn eine global verstandene Umwelt braucht Vergleiche, räumliche und zeitliche. Das wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts möglich, als Dampfschifffahrt, Telegrafie und Massenmedien die Welt zusammenwachsen liessen.
Anders reagierte die Menschheit auf den Vulkanausbruch von Krakatau 1883. Auch das war in Indonesien. Und auch das war ungeheuer. Doch war man nun vorgewarnt. Forscher und Laien konnten das Ereignis in Echtzeit verfolgen. Damit war von Anfang an klar, was die Ursache der neuen Umweltkatastrophe war.
In Indien wurde der Vulkanausbruch von 1815 anders interpretiert. Denn es blieb der Monsun aus. Dürre breitete sich aus, das Trinkwasser wurde rar, und es brachen Seuchen aus. Eine Jahrhundert-Pandemie nahm ihren Lauf. Denn durch den Ueberseehandel breitete sich die Cholera nach Zentralasien, Afrika und Europa aus.
Auch das blieb nicht ohne Auswirkungen selbst auf die Schweiz. 1869 war das Jahr der Cholera in unserem Land. Im Kanton Zürich beschleunigte sie das Ende der repräsentativen Demokratie, welche durch die direkte Demokratie mit Volksrechten gegen die Vorherrschaft des grossbürgerlichen Freisinns abgelöst wurde.

Von der Miasma- zur Bakterien-Theorie

Europa reagierte mit dem Aufbau einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Grossbritannien ging 1831 mit dem ersten Gesundheitsamt voraus. Dieses definierte die Seuche als Folge einer unhygienischen Umwelt, der sich der Staat vor allem in den Städten annehmen müsse.
1854 entdeckte der britische Arzt John Snow, dass sich die Krankheit nicht zufällig verbreitete, sondern von lokalen Hotspots aus. Und diese stammten aus verunreinigten Wasser aus der Themse.
Das entkräftete die vorherrschende Miasma-Theorie, wonach faule Luft für die Ausbreitung von Krankheiten entscheidend war. Nun kam die Bakterientheorie und mit ihre die moderne Epidemiologie auf.
Speziell Grossstädte wurden deshalb zu den ersten Regulierungsobjekten der Umweltpolitik. Diese wurde nun technisch verstanden, und sie hatte hohe politische Implikationen, vor allem auf die Entstehung des Gesundheitswesens und der Hygiene als Lehre des (Ueber)Lebens.

NZZ Geschichte: Alles hängt zusammen. Die Entdeckung der Umwelt. Nr. 40, Mai 2022

Stadtwanderung: Warum Aarau 1798 zum Revoluzzernest wurde

In der Alten Kanti Aarau habe ich von 1973 bis 1977 mein Gymnasium absolviert. Mir war damals nicht bewusst, dass es die erste, nicht-kirchliche höhere Schule der Schweiz gewesen war.


Foto: Marcel Wüthrich

1802 gegründet, 1804 bezogen, steht das Gebäude wie kein anderes für eine der wichtigsten Neuerung, welche die Schweiz der Helvetischen Republik verdankt: die laizistische Schulbildung!
Das hatte mit der Rolle der Stadt bei der Staatsneugründung von 1798 zu tun: Denn Aarau war der Ort, wo 1712 die Parität der christlichen Konfessionen und damit ein lang anhaltender Frieden zwischen Reformierten und Katholiken beschlossen wurde, wo ab 1762 die neu entstandene Helvetische Gesellschaft tagte, die über Reformen des Staates und der Wirtschaft nachdachte, und wo erste Unternehmen des Indienne-Drucks ihren Sitz hatten.
Trotzdem war Aarau nie über den Status einer minderwertigen Munizipalstadt unter bernischer Herrschaft hinausgekommen. Das machte die politisch rechtlosen Bürger der Stadt für die Ideen der Französischen Revolution besonders empfänglich. Aarau war in den Frühlingstagen des Jahres 1798 das Revoluzzer-Nest der alten Eidgenossenschaft.
Auf dieser Basis wandere ab sofort unter dem Titel “Helvetiopolis” durch Aarau und erzähle die Entwicklung der Stadt vom Untertan zu einem der führenden Zentren des Liberalismus in der Schweiz. InteressentInnen für eine Tour melden sich via Messenger bei mir und bringen am besten gleich eine kompakte Gruppe mit.

Stadtwanderung #Ochsentour

Ueli Ochsenbein ist unser Verfassungsvater und im Schwarzen Loch der Geschichte verschwunden.

Ueli Ochsenbein war 1848 der erste Berner Bundesrat. Zuvor wurde der vormalige Berner Regierungspräsident resp. Stadtpräsidenten von Nidau in den Nationalrat gewählt, den er als erster kurzzeitig auch präsidierte.

Seine eigentliche Leistung bestand darin, Vorsitzender der Kommission der Tagsatzung gewesen zu sein, welche die Bundesverfassung ausgearbeitet hatte. Dabei hatte er sich für die Schaffung eines Bundesstaats stark gemacht.
Ochsenbeins politische Karriere endete 1854 jäh, als er nicht mehr in den Nationalrat gewählt wurde, was damals Voraussetzung für die Wiederwahl in den Bundesrat war. Auch sein weiteres Leben war nicht frei von verschiedenen Schicksalsschlägen.
Ochsenbein und seiner staatspolitischer Leistung ist meine Stadtwanderung „Ochsentour“ gewidmet. Beleuchtet werden die historischen Umstände, Ochsenbeins Aufstieg und Fall, die Entscheidungsfindung sowie die unmittelbaren Folgen der neuen Verfassung.
Es ist geplant, die Führung im Rahmen der 175 Jahr-Feier des Grundgesetzes im Sommer 2023 anzubieten. Dafür machte ich gestern schon mal einen Probelauf mit VertreterInnen aus Politik und Parlamentsdiensten.
Es hat Spaß gemacht! Und ich arbeite daran.

Fotos: Benjamin Michelet

Burger.Barock.Bourbonen – Finale: Hotel de Musique (aka DuTheatre) oder die Ambivalenzen des Berner Barocks

Wir stehen hier von dem Höhepunkt des Berner Barocks. Bauen wollte man ein Stadttheater. Entstanden ist ein Konzert- und Ballhaus. Das spiegelt gleichsam das Drama des Berner Barocks.

Barock? Den Zeitgenossen kein Begriff
1751 begann Denis Diderot mit der Herausgabe seiner « Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers ». Einer der vielen Artikel der Enzyklopädie ist dem Barock gewidmet. Da wird gesagt, die Zeitgenossen des Barocks hätten den Begriff nicht verwendet. Er sei portugiesisch, barocco, und für eine unfertige Perle verwendet worden.
Vom Barock sprach man erst, als der Klassizismus als Baustil des aufgeklärten Bürgertums entstand, und alles was vorher gebaut worden war, zur Vergangenheit des Absolutismus’ gezählt wurde.

Das Hotel de Musique, auch Du Theatre genannt
Wir stehen zum Schluss vor dem «Hotel de Musique», das populär ausgedrückt «DuTu», «DuTheatre» genannt wird. Das kam so:
1766 plante eine Gruppe fortschrittlich denkender Patrizier, in Bern ein Stadtheater zu errichten. Dafür gründet man eine Aktiengesellschaft. Auch das war eine Innovation. Man erwarb vier Parzellen und plante. Die Obrigkeit stand vor einem Problem: Bewilligen und die Aufruhr zulassen, oder verbieten und erneut als Unterdrückerin dastehen?
Man wählte einen Zwischenweg: Der Bau wurde bewilligt, der Zweck nicht. Einzig Konzerte und Tanzabende durfte man hier durchführen. Das tönte nach Wien und war weniger verdächtig.

Zwei Seiten des Dramas
Gebaut hat es der damalige Stararchitekt Niklaus Sprüngli. Er hatte in Paris studiert und er hat in Bern einige der schönsten Profanbauten in Bern erstellt. Sein Interpret im 20. Jahrhundert, Kunsthistoriker Paul Hofer, schrieb, es zeige zwei Baustile. Die bekanntere Westseite sei spätbarock, die Ostseite hier, frühklassizistisch. Auch ich dachte das vor einigen Wochen.
Bei meinen Vorbereitungen für diese Wanderung habe ich die grossangelegte Buchreihe der Uni Bern zur Geschichte von Stadt und Kanton gelesen. Sie widerspricht Paul Hofer. Es sei unwahrscheinlich, dass der gleiche Architekt eine Fassade so, die andere so gebaut habe. Vielmehr habe man in Paris den Studenten gelehrt, die Fassade müsse ausdrücken, was im Gebäude geschehe. Sprüngli habe demnach ausdrücken müssen, dass man hier eigentlich Theater spielen wollte. Doch sei die Bewilligung zum Drama geworden, das zwei Ausprägungen habe: die Komödie und die Tragödie. Die Westfront spiegle mit ihrer Verspieltheit die Komödie, die Ostfront mit ihrer Strenge die Tragödie.

Komödianten und tragische Figuren
Unsere Führung durch das 17. Und 18. Jahrhundert, durch den Berner Barock und durch die Zeit mit und gegen die Bourbonen zeigte Licht und Dunkel im damaligen Leben der Stadt. Glänzend waren das Kornhaus, das Beatrice von Wattenwyl Haus und der Erlacherhof. Elendiglich waren die Geschichten vor der französischen Kirche, dem Mayhaus und beim Gesellschaftshaus zu Kaufleuten. Ein Staatsmann war Willading, ein Komödianten waren Gabriel May und Hieronymus von Erlach und die Tragödien betreffen Catherine Perregaux-de Wattewyl und Samuel Henzi!
Die bereits zitierte Buchreihe der Uni Bern nennt das 17. Jahrhundert «Berns mächtige Zeit», das 18. Jahrhundert «Berns goldene Zeit». Bewunderung für den Aufstieg von Stadt und Republik Bern sprechen daraus.

Das Ende und der Neuanfang
Doch dann kam der jähe Sturz der stolzen Stadt, als sich die französische Revolution auch hier breitmachte. Sie markiert den Wandel von der aristokratischen Republik zum bürgerlichen Kanton, später zur liberalen Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Ironie der Geschichte: Als Bern 1848 Bundesstadt wurde und er nun radikal gesinnte Regierungsrat dem Bund Gratisräume anbot, hatte man die noch gar nicht. Um das erste Parlament beherbergen zu können, musste man auf das Hotel de Musique zurückgreifen. Honi soit qui mal y pense, man habe da Theater gespielt!

Was Fassaden zeigen, was sie verdecken
Das meiste, was die heutige Altstadt ausmacht, entstand am Ende des 17. Jahrhunderts und wurde in den folgenden 100 Jahren gebaut. Ich war mir der Zusammenhänge lange nicht bewusst. Zu interessieren begonnen habe ich mich, als ich zu Weihnachten 2021 ein Buch zu Bern und seinen Bausteinen geschenkt bekam.
Ich plante umgehend eine Führung dazu und habe wie ein wilder Pensionär gearbeitet.
Das Vorhaben habe ich einige Mal geändert, bis die jetzt Fassung vorlag. Auch sie ist aus Sandstein geformt worden, der sich bekanntlich leicht bebauen lässt. Und so wird sich auch diese Fassung fast sicher weiterentwickeln.
Bleiben wird nur das Motto. Es geht um Fassaden! Was man dabei sieht, und was verdeckt wird!

Dank
Ich bedanke mich, dass sie bei der virtuellen Premiere dabei waren. Heute Abend ist die effektive Premiere. Wenn es nicht zu fest regnet (doch würde auch das passen: Es war die Epoche der kleinen Eiszeit, kalt und nass!)

Burger.Barock. Bourbonen – 9. Station: Der Erlacherhof, das Doppelleben des Schultheissen und der Tod des Rebellen

Wir stehen vor dem Erlacherhof. Heute ist er der Sitz des Berner Stadtpräsidenten. Hier geht es aber um den Schultheissen Hieronymus von Erlach, der den Hof erbaute und ein doppeltes Doppelleben führte.

Spätbarocke Pracht
Manche sagen, der Erlacherhof sei das schönste Stadtpalais in Bern. Es sei von europäischen Niveau. Ich finde, sie haben recht!
Gebaut wurde es in der Mitte des 18. Jahrhunderts im Stil des Berner Spätbarocks. Schon der bemalte Sandstein spricht dafür. Er gibt dem Gebäude einen leichten Touch. Auch die beiden Seitenflügel wirken harmonisierend. Dazwischen ist der Hof, der eine Ehrenrunde zulässt. Das war, wenn man mit der Kutsche vorfahren und wenden konnte. In Bern ist das einmalig.
Nirgends in der Stadt Bern gehen Platz und Fassade so gezielt ineinander über. Es ist ein Zusammenspiel. Auch das passt, denn Spätbarock war die Fassade nicht nur die Aussenwand, es war die Fortsetzung des Vorplatzes.
Die Fassade selber ist dreigeteilt. Der Mittelteil hat auf der Dachhöhe das obligate Wappen des Erbauers. Balkone werden angetönt. Säulen stützen sie.
Auf der Frontseite hat der Erlacherhof sieben Fensterachsen, auf der Rückseite sind es neun. Auch das ist einmalig. Da geht der Bau in einen Garten über, schöngemacht, aber nicht ganz so prächtig wie beim von Wattenwyl-Haus.

Schultheiss Hieronymus von Erlach
Die Idee für den Bau hatte Hieronymus von Erlach. Davor hatte er bereits Schloss Thunstetten und Schloss Hindelbank erbauen lassen. Seine Karriere krönte er mit dem Schultheissenamt. Davor war er wie so viele militärisch aktiv gewesen.
Kurz war von Erlach für Frankreich tätig gewesen. Dann erhielt er das Angebot, Anna-Margareta Willading zu heiraten, die Tochter des reichsten Berners Johann Friedrich Willading, der ebenfalls Schultheiss gewesen war.
Allerdings musste sich von Erlach von Frankreich lossagen, denn der Schwiegervater war ja der Anführer der anti-französischen Partei. Hieronymus baute deshalb ein Berner Regiment für den Kaiser in Wien auf, das er als Oberst befehligte. In der österreichischen Armee stieg er bis zum Generalmajor auf. Den Kaiser kannte er persönlich, der machte ihn zum Kammerherr und Reichsgrafen.

Das doppelte Doppelleben
Eigentlich könnte man die Biografie hier abbrechen, wäre da nicht noch ein für die Zeitgenossen unbekannte Zwischenfall gewesen.
Denn als Hieronymus in Frankreich war, schwängerte er Françoise Trouette de Montrassier. Er musste die Katholikin heiraten, und zwar nach ihrem Ritus. Nur ein Jahr später verliess er sie und die Tochter, um den Heiratsantrag aus Bern einzulösen.
Doch als Hieronymus für Oesterreich militärisch aktiv wurde, erstattete ihm der französische Botschafter einen Besuch ab. Entweder würde er ihm ab sofort Informationen liefern, oder das gut gehütete Geheimnis aus der Jünglingszeit würde bekanntgemacht. Bigamie wäre ausreichend gewesen, um seine Karriere zu ruinieren.
So spionierte er im Spanischen Erfolgekrieg als österreichischen General für Frankreich. Einmal lieferte er vor einer Schlacht am Rhein die entscheidende Information, die zum französischen Ueberrschungssieg führte.
Seine Tätigkeit als Spion geschah unter dem Kürzel «Gen. d’E». Das stand für «General d’Elcin». Niemand kam damals auf die Idee, dass es auch «General d’Erlach» hätte heissen können. Erst ein graphologischer Vergleich machte 1934 klar, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. Sein doppeltes Doppelleben sorgte in Bern für erhebliches Erstaunen.
Es war so, wie wenn man dem Patrizier nachträglich die obligate Perücke abgezogen hätte.

Der Tod des Reformers Henzi
Weniger Glück hatte ein Zeitgenosse von Hieronymus. Sein Leben endete 1849 mitten in der Stadt durch das Schwert.
Die Rede ist von Samuel Henzi. Seine Familie gehörte zu den patrizischen Verlieren der Bankenkrise, die danach abgestiegen war. Samuel versuchte alles mögliche, reüssierte aber nirgends. Da schloss er sich ausgeschlossenen Gewerblern rund um eine Indienne-Druckerei an der Aare an.
Gemeinsam plante man Reformen. Zürich war ein Vorbild. Der schriftgewandte Henzi verfasste ein Memorial, das die Burgerelite des Machtmissbrauchs bezichtigte.
Zu den Hauptforderung zählte die Einführung einer Gemeindeversammlung, von der die politische Macht ausgehen sollte. Das war im Keim demokratisch!
Samuel wurde vorerst verbannt, dann begnadigt. Aus dem Neuenburgischen zurück brachte er ein Theaterstück mit, das er im Sinne der Aufklärer unter dem Titel «Grisler ou l’ambition punie» verfasst hatte. Es war eine Neuauflage des Tellendramas. Nur spielte es nicht in der Innerschweiz, sondern in Bern. Es zielte auf das Patriziat. Gessler stand für die lüsternen Burger. Und die Bauerstochter, an der er sich vergriff, war gleichsam die jungen Frauen, die mann missbrauchte.

Samuel und Mitverschworene wurde in einer Nachtaktion gefasst, und in einem kurzen Prozess verurteilt. Drei bekamen die Todesstrafe, die anderen den Landesverweis. Henzi gehörte zu jenen, die ihr Leben etwas ausserhalb der Stadt lassen mussten.
In der Eidgenossenschaft wie in Bern gilt das 18. Jahrhundert als unruhige Zeit. Der „Burgerlärm“ von Agentin & Cie, wie es die Etablierten nannten, sollte der schärfste, aber auch letzte Aufstand der innerhalb der Burgerschaft sein.

Burger.Barock.Bourbonen – 8. Station: Gesellschaft zu Kaufleuten und die große Berner Bankenkrise

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Kaufleuten. Die Fassade ist ein Durcheinander. Die Zeit, während sie entstand, war es auch. Bern erlebte gerade ihre bisher grösste Finanzkrise.

Die Krämergesellschaft
Kaufleute ist irreführen. Die Gesellschaft organisierte vor allem Tuchhändler und Schneider. Eigentliche Kaufleute fanden sich in der Gesellschaft zu Mittellöwen zusammen.
Die Parzelle, wo wir stehen, gehörte der Gesellschaft seit 1596. Deshalb geht man davon aus, dass das jetzige Haus, das man ab 1720 baute, ein Neubau war.
Die Fassadenarchitektur ist wild. Es fehlt die Strenge des Frühbarocks. Und von der aufkommenden Leichtigkeit des Hochbarocks merkt man nichts. Verwirrend sind die Aufsätze über den Fenster. Sie sind verschieden, aber nicht künstlerisch. Renaissance ist das auch nicht.
Am besten nennt man das einen Mix!

Der Schuldenberg von Louis XIV.
Der Wirrwarr steht für die Bauzeit. 1715 starb König Louis XIV. die Ursache. So strahlend der Sonnenkönig zu Lebzeiten war, so desaströs war sein Nachleben.
Der designierte Nachfolger Louis XV. war noch ein Kind. Es brauchte einen Regenten. Man wählte Philipp II., Herzog von Orleans.
Der Staatshaushalt war hoch verschuldet. Das rief nach einem Sanierer. Es empfahl sich der schottische Oekonom John Law.
Beide mussten die harten Jahre nach dem Tod des Königs richten.

Papiergeld als trügerische Hoffnung
Laws Plan bestand in der Schaffung von Papiergeld. Die Wirtschaft sollte wachsen, die Schulden verschwinden.
Dafür gründete Law die Mississippi-Gesellschaft, die Aktien für die neuen Kolonien in Uebersee herausgab. Man rechnete mit fabelhaften Gewinnen. Law stieg zum Liebling der Pariser Schickeria auf.
Law selber profitierte. Halb Nordamerika gehörte ihm via Aktiengesellschaft. Er soll sogar reicher als alle anderen Franzosen gewesen sein.
Doch änderte sich das schnell, als die Blase Mitte des Jahres 1720 platzte. Law musste aus Paris flüchten.
Alles wurde noch schlimmer, als auch in London die ähnlich gelagerte Südsee-Kompanie Pleite ging.

Der Bankrott der Berner Privatbanken
Beides traf Bern hart. Denn die Stadt war im 17. Jahrhundert reich geworden. Ihr Haushalt erzielte regelmässig Ueberschüsse. 1710 hatte man begonnen, damit Fürstenhäuser zu finanzieren. Die Stadt wurde zum Wirtschaftsfaktor in England und den Niederlanden.
Dafür spezialisiert war die Bank Malacrida & Cie. Die Malacridas war reformierte Flüchtlinge aus dem Bündnerland gewesen, welche die Bank in enger Verbindung mit dem Berner Patriziat gegründet hatten.
Der Kurssturz fiel auf sie zurück. 1721 wurde die Privatbank zahlungsunfähig, Sie musste Liquidiert werden. Das dauerte volle 11 Jahre. Wo sie angesiedelt war, weiss heute niemand mehr.

Die Polarisierung
Der Geldverlust war erheblich. Betroffen waren zahlreiche Privathaushalte. Den grössten Abschreiber soll Christoph Steiger gemacht haben, im Krisenjahr zum Schultheißen gewählt.
Die Krise polarisierte. Wer verlor, stieg ab.
Ein Teil der Burgerschaft rebellierte. 1721 setzte er durch, dass das Los den Zugang zum Rat entscheiden sollte. Damit wollte man Korruption vermeiden.
Sogar ein generelles Bankenverbot erwog man in Bern in der Krise, ohne es zu beschliessen.
Zwei Jahre danach rebellierte auch die Waadt. Jean-Daniel Davel, vormals Offizier in Berner Diensten, nutzte die Abwesenheit der Landvögte, die in Bern Reformen berieten. Er eroberte den Lausanne. Propagiert wurde die Unabhängigkeit von Bern. Den Anführer der Aufständischen exekutiertem die Berner kurzerhand.

Nachgeholter Hauch von Exotik
Nur die Krämer bauten ihr Gesellschaftshaus fertig. Stilecht wurde es nicht. Der gleiche Werkmeister sollte nur wenige Jahre danach die wunderbare hockbarocke Heiliggeistkirche-Kirche bauen. Das sagt alles.
Ein Hauch von Exotik brachte ihr Mitglied Johann Wäber nach London und Bern. Als John Webber wurde er zum bekannten Maler, der mit dem Entdecker James Cook auf Seereise ging. Als erster Schweizer betrat er australischen Boden. Zweimal landete er in Honolulu war und selbst die Beringstrasse bereiste er. Von überall brachte er seine gemalten Bilder mit.
Südsee-Feelings gab es trotz Bankenkrise!

Burger.Barock.Bourbonen – 7. Station: Das Beatrice von Wattenwyl Haus, der Sumpf von Villmergen und das Stadtpalais von General Frisching

Wir stehen vor dem Beatrice von Wattenwyl Haus. Es gehört heute der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der es für Staatsempfänge und wichtige Politanlässe dient. Es steht auch für die wichtigste Etappe im Gleichgewicht der Konfessionen in der Schweiz nach der Reformation: der Schlacht von Villmergen.

Die Frontseite lohnt sich kaum mehr, betrachtet und eingeordnet zu werden. Es ist früher Berner Barock aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Wir kennen das. Umso interessanter ist die Rückseite mit hochbarocker Fassade und riesigem Garten.
„Beatrice von Wattenwyl-Haus“ heisst es, weil ihr Mann es 1934 dem Bund verkaufte und bestimmte, es müsse den Namen seiner verstorbenen Frau tragen. Gebaut wurde es zwischen 1695 und 1710 in mehreren Schüben von Samuel Frisching, der hier drei Liegenschaften nebeneinander besass.

Innovative Architektur des Hochbarock
Neu war damals der Gebäudetyp. Den wir stehen hier vor dem ersten Stadtpalais. Bekannt sind solche Bauten als Wohnsitze von begüterten Patriziern oder als städtische Zweitsitze von reichen Landadeligen.
Neu ist auch, dass ein auswärtiger Architekt am Werk war. Joseph Abeille war Franzose, der in Genf lebte, und hier erstmals beigezogen wurde.
Die Elemente der Rückseite kennen wir teilweise, teilweise nicht. Die Fassade ist dreigeteilt, der Mittelteil mit Dachgiebel und Wappen der Familie. Bekannt sind die Lisenen zur Gliederung der Vertikalen. Ungewohnt ist aber, dass die Fassade teilweise bemalt ist. Das macht sie leichter.
Neu ist auch der Balkon, der auf den Garten gibt. Dieser ist für ein Haus in der Stadt ganz neu. Und wir sehen hier erstmals, dass Fassade und Platz davor eine Einheit bilden.

Parität der christlichen Kongessionen
Die Frischings sind keine alteingesessenen Adeligen, aber seit dem 16. Jahrhundert in Bern bezeugt. Sie waren schon im frühen Soldwesen führend. Im 17. Jahrhundert stieg die Familie auch ohne “von” in die hohe Politik auf. 1688 wurde mit Samuel Frisching I. Schultheiß. Von 1715 bis 1721 war sein Sohn, Samuel Frisching II., im gleichen Amt.
Sein Name steht wie kein anderer für den Sieg der reformierten Berner über die katholischen Innerschweizer in der Schlacht von Villmergen. Da konnte die Stadt die Schmach wettmachen, als sie 1656 in der ersten Schlacht am gleichen Ort und gegen die gleichen Widersacher verlor.

Im Frieden von Aarau 1712 setzten die reformierten Ort die Parität beider christlicher Konfessionen in der Eidgenossenschaft durch. Denn seit ihrem Sieg über Zwingli im Kappelerkrieg von 1531 beanspruchten die katholischen Orte die Führung in der Eidgenossenschaft. Das war nun zu Ende.
Frisching wurde übrigens eher per Zufall oberster General der Berner. Denn man hat gleich drei Generäle aufgeboten. Da sich Niklaus von Diesbach während den Kampfhandlungen verletzte, wurde er erst vor Ort als Chef auf dem Platz durch Frisching ersetzt.

Die unnötigste und blutigste Schlacht
Die Schlacht selber wäre gar nicht nötig gewesen. Denn die reformierten Truppen hatten bereits Wochen zuvor einmal gesiegt und in Aarau einen Friedenvertrag aufgesetzt gehabt. Den lehnten jedoch die Zuger, Schwyzer und Unterwaldner auf Betrieben des päpstlichen Nuntius Caracciola ab, und Luzern und Uri, die schon eingelenkt hatten, schlossen sich ihnen an. So kam es ein zweites Mal zu einer militärischen Auseinandersetzung im Freiamt.
Diesmal war die Schlacht besonders verheerend. 4000 Mann blieben auf liegen oder ertranken in den Sümpfen. Die waren besonders tief, denn es hatte in diesem Sommer fürchterlich geregnet.
Was bleibt ist die blutigste Schlacht unter Eidgenossen auf eidgenössischem Territorium ever.

Beliebter Treffpunkt
Der Schlachtensieg hievte Samuel Frisching ins Amt des Schultheißen, das er bis zu seinem Tod versah.
Das Stadtpalais mussten die Frischings, denen auch Schloss Rümligen bei Toffen gehörte, mit dem Ende des Soldwesens anfangs des 19. Jahrhunderts an die Familie von Wattenwyl verkaufen.
Regelmäßig finden hier die Treffen der Präsidenten statt. Wenn sich die Spitzen des Bundesrats und der Regierungsparteien treffen, sprechen sie sich alle mit „Präsident“ an.
Ausgerechnet unsere zwei FreiämterInnen in der Landesregierung wohnten schon in der tollen barocken Bleibe: Bundesrätin Doris Leuthard und der Bundeskanzler Walter Thurnherr.
Gelebte konfessionelle Eintracht quasi!

Burger.Barock.Bourbonen – 6. Station: Unteres May Haus oder der Schreck von Malplaquet

Wir stehen vor dem Unteren May Haus. Es hat gar nichts mit Barock zu tun. Aber es hilft uns zu verstehen, wie die Verschiedenartigkeit der Bernburger im im 18. Jahrhundert verschmelzen.

Bern, unteres Mayhaus Münstergasse 6

Bürgerhaus im Renaissancestil

Die Renaissance geht dem Barock voraus. Sie ist, zu Beginn der Neuzeit, das Zeitalter des aufkommenden Bürgertums. Es richtete sich an der Antike aus und entwickelte einen neuen Kunstsinn. Ihr Zentrum hat diese Stilrichtung in Italien.
In Bern findet man heute fast nichts davon. Am ehesten zur Renaissance passen die prächtigen Brunnen in der Altstadt. Doch wurde ihr Stil aus dem reformierten süddeutschen Raum beeinflusst. Da ist mehr Rottweil und Schaffhausen drin als Rom und Florenz.
Das Bürgerhaus der Familie May ist eine Ausnahme. Es ist Renaissance. Gebaut wurde es im 16. Jahrhundert. Anfangs des 17. Jahrhunderts wurde die Fassade neugestaltet.
Jede Fensterreihe ist anders, mal mit ausgefülltem Dreiecke überdacht, mal mit halbrunden Abschlüssen, mal mit leerem Ueberbau.
Alles ist verziert, ganz im Gegensatz zum strengen Frühbarock! Die Aussenhülle dieses Hauses wirkt schon fast künstlerisch verspielt.

Die Mays als frühe Secondos
Das alles ist nicht zufällig: Denn die Familie May kam wie die Renaissance aus Italien nach Bern. Sie waren zuerst Früchtehändler und damit besonders erfolgreich.
Man kann die Mays auch die ersten Secondos Berns nennen, die Karriere machten. Diese führte sie in keine der Gesellschaften, die wir kennengelernt haben. Denn sie nahmen am Gesellschaftsleben zum Mittellöwen teil, wo sie mit anderen Händlern zusammen waren. Man war noch anders als der ehemalige Ministerial- oder Briefadel.
Ende des 17. Jahrhunderts avancierten die Mays allerdings zu hohen Militärs. Gabriel May zum Beispiel begann seine Laufbahn in Frankreich, gehörte aber zu den ersten, die auf die niederländische Seite wechselten. 1697 kaufte er gar das Berner Regiment von Mülinen, das er fortan als Brigadier führte.
Nach 20 Jahren quittierte er den Dienst, betätigte sich als Grossrat und Landvogt in Moudon, bevor er bis zu seinem Tode Mitglied des Kleinen Rates wurde.

Der Spanische Erbfolgekrieg
Fast wäre das zur Bilderbuchkarriere eines Aufsteigers in Bern avanciert, wäre da nicht ein vergessener, aber schrecklicher Zwischenfall gewesen.
Alles begann 1700. Der letzte Habsburger auf dem Spanischen Thron verstarb. Frankreichs König Louis XIV. fackelte nicht lange und setzte einen Bourbonen in Spanien ein. Damit verschoben sich die politischen Gewichte in Europa erheblich. Bisher war Frankreich zwischen Kaiserreich und Königreich Spanien mit je einem Habsburger eingeklemmt. Mit einem Bourbonen im Westen eröffnete sich Frankreich die einmalige Chance, gesichert nach Osten ausholen zu können.
Genau das führte zum Spanischen Erfolgekrieg zwischen dem Kaiser und Frankreich. Die Niederlande schloss sich dem Kaiser an. Damit war auch Gabriel May auf der antifranzösischen Seite.
Eine entscheidende Schlacht wurde 1709 in Malplaquet in der Nähe Brüssels ausgetragen. Die kaiserlichen Truppen mit den Niederländern siegten und stoppten die Ausdehnung Frankreichs. Den Bourbonen blieb aber der Königsthron in Spanien.

Die Katastrophe
Gabriel May war allerdings nicht der einzige May, der an massgeblicher Stelle an der Schlacht beteiligt war. Denn sein Cousin Hans Rudolf war parallel zu ihm im Regiment von Salis aufgestiegen, das für Graubünden auf französischer Seite kämpfte.
Am Morgen vom 11. September bestritten die beiden Regimenter aus dem Hause May den Hauptteil der Schlacht. Sie war sehr blutig. 8000 Tote gab es alleine unter den Söldnern der beiden Mays. Das war so verheerend, dass beide Regimenter in der Folge der Schlacht gar nicht mehr eingesetzt wurden.
Die Tagsatzung erliess nach dem fürchterlichen Zusammenstoss ein Verbot, dass Eidgenossen gegen Eidgenossen für fremde Mächte kämpfen durften. Fast 100 Jahre hielt man sich daran.

Gabriel May kümmerte das wenig. Er heiratete im Jahr nach der Schlacht Juliana Effinger, mit der er fünf Kinder hatte.

Zaghafte Reformen, aber keine Umwälzung
Doch machte sich in Bern bei den Wahlen 1710 Unmut breit. Erstmals musste man ein Losverfahren bei der Auswahl von Bewerbungen für städtische Aemter einführen. Es war die erste Reform seit der Aristokratisierung der Burgerschaft überhaupt.
Die Mays betraf es nicht. Denn im 18. Jahrhundert verschwanden die Unterschiede aufgrund unterschiedlicher Herkunft zusehends. Die May zählten ab 1731 zu den Edelfesten, den aufgestiegenen Zuwanderern, die Burger geworden waren und den zweihöchsten Adels-Titel führen durften.
Dazu beigetragen hat, dass der ehemaligen Kaufmannsfamilie seit 1588 Schloss Hünigen bei Konolfingen gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg verkauften sie es an die evangelische Gesellschaft, die da ein Tagungszentrum führt. Hans Rudolf hat da ein prominentes Porträt; Gabriel habe ich nicht gefunden.

Burger, Barock. Bourbonen – 5. Station: Gesellschaft zum Distelzwang oder die Berner Elite

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Distelzwang. Das war und ist ein Netzwerk der Berner Aristokratie, welches Führungsaufgaben wahrnahm.

Hermetisch abgeriegelter Keller
Das Haus ist von aussen gesehen nicht spektakulär. 1701 eröffnet, wurde es noch ganz im frühbarocken Stil gebaut. Die wichtigste Abweichung ist der riesige Aufsatz an der Aussenwand. Er zeigt an, dass hier Männer vereinigt sind, die einen Führungsansprach hatten. “Für Gott und Vaterland” steht eingraviert.
Von innen wäre das Haus schon spezieller. Tief im Keller ist ein grosser Versammlungssaal. Der ist durch dicke Mauern so hermetisch abgeriegelt, dass man nicht einmal handyfonieren kann.
Das passt! Denn auch die Berner Aristokratie riegelte sich im 18. Jahrhundert mehr und mehr ab!

Der Schultheiss
Die Stadt Bern wurde von den Herzögen von Zähringen im Jahre 1191 gegründet. 1293 bekam sie von König Adolf von Nassau eine Art Verfassung. Der war bis 1798 gültig. Diese bestimmte die Führung der Stadt durch einen Schultheissen. Umgeben wurde er vom Kleinen Rat, der wiederum wurde vom Grossen Rat ergänzt. Im Kleinen Rat nahmen die Stadtadeligen Einsitz, im Grossen Rat die Gewerbetreibenden.
Deren Gesellschaften waren die Pfister (Bäckern), Gerber, Metzger und Schmiede. Sie war für die Verwaltung der vier Stadtquartiere zuständig. Geführt wurden sie von einem Quartiermeister, Venner genannt. Zusammen sassen diese im Kleinen Rat.

Zunftverfassung mit der Reformation
Die Reformation erhielt Bern eine Art Zunftverfassung. Die gewerblichen Gesellschaften übernahmen von der Kirche die Fürsorge, bekamen dafür das Recht in jedem Quartier 50 Mitglieder des Grossen Rates selber vorzuschlagen. Zusammen bildeten diese den Rat der 200.
Auch die Schultheissen stammten jetzt in aller Regel aus den gewerblichen Gesellschaften. Am häufigsten kamen sie von den Bäckern und Gerber. Seit 1582 hatte man sogar zwei Schultheissen, die sich jährlich abwechselten. Alleinherrschaften sollten so im Namen einer republikanischen Gesinnung vermieden werden.
Sich wechselseitig ergänzende Räte
Doch Mit dem 30jährigen Krieg änderte dies wieder. Auf die jährliche Wahl der Behörden an Ostern wurde zunehmend verzichtet.
Der Grosse Rat konnte neu maximal 299 Mitglieder haben. Wenn 100 verstorben waren, fanden Wahlen statt. Dabei hatten die Venner das Vorschlagsrecht für neue Mitglieder des Grossen Rates. Der Grosse Rat wählte dann den Kleinen Rat. So komplementierte man sich wechselseitig.
Die Schultheissen waren im 18. Jahrhundert wieder vermehrt Adelige, nun Patrizier genannt. Ausdruck davon ist das Haus hier: 1701 bewusst ganz Nahe am Ort gebaut, wo die vier Quartiere zusammen kamen und der Richtplatz über Leben und Tod war.

Patriziat als Oligarchie
Insgesamt ging die Zahl der regimentsfähigen Familien durch Aussterben, Wegzug oder Verarmung zurück. 1650 waren es noch 500 gewesen, 100 Jahre später die Hälfte. Effektiv ein Amt inne hatten nach dem 30jährigen Krieg 150, ein Jahrhundert später die Hälfte. Zum Patriziat zählten nun noch effektiv regierenden Familien.
Das 18. Jahrhundert brachte auch eine innere Hierarchisierung der Burger. Sie unterschieden sich ab 1731 nicht mehr nur von den Hintersassen. Es gab auch innere Abstufungen: zuoberst die Wohledelfesten, dann die Edelfesten und die Festen. Ihnen nachgelagert waren die “Lieben und Getreuen”.
Das regelte den Zugang zu den höchsten Aemter in Stadt und Republik Bern. Wohledelfeste war vor der Reformation ansässige Adelsfamilien wie die von Erlach oder von Wattenwyl. Edelfeste waren aufgestiegene Burger wie die May, die wir noch kennen lernen werden, Feste meist vormalige Landvögte wie die Willadings.

Zu späte Reformen
Gegen die Ausgrenzungen rebellierte man vor allem im 18. Jahrhundert. Um die Beeinflussung von Wahlen zu unterbinden, integrierte man 1710 und 1721 Lossysteme ins Wahlverfahren. Damit wollte man der grassierenden Korruption Herr werden.
Bis 1749 sind mehrere Aufstände belegt, die weiterreichende Reformen verlangte. Die letzte davon wurde brutal unterdrückt. Wir werden noch davon hören.
Die grosse Krise kam gegen Ende des 18. Jahrhundert. Beinahe wäre das Patriziat ausgestorben. So hatte die Gesellschaft zum Distelzwang gerade noch ein Dutzend Mitglieder.
1783 vollzog das Patriziat der Not gehorchend eine Aenderung.
Nach einer Entscheidung mit 81 zu 80 erlaubte man allen burgerlichen Familien, dem Namen ein “von” voranzustellen.
Doch brauchte es auch in Bern die Ausläufer Französischen Revolution, damit es 1798 zu einer grundlegenden Reform des politischen Systems der Stadt kam.