Burger.Barock. Bourbonen – 9. Station: Der Erlacherhof, das Doppelleben des Schultheissen und der Tod des Rebellen

Wir stehen vor dem Erlacherhof. Heute ist er der Sitz des Berner Stadtpräsidenten. Hier geht es aber um den Schultheissen Hieronymus von Erlach, der den Hof erbaute und ein doppeltes Doppelleben führte.

Spätbarocke Pracht
Manche sagen, der Erlacherhof sei das schönste Stadtpalais in Bern. Es sei von europäischen Niveau. Ich finde, sie haben recht!
Gebaut wurde es in der Mitte des 18. Jahrhunderts im Stil des Berner Spätbarocks. Schon der bemalte Sandstein spricht dafür. Er gibt dem Gebäude einen leichten Touch. Auch die beiden Seitenflügel wirken harmonisierend. Dazwischen ist der Hof, der eine Ehrenrunde zulässt. Das war, wenn man mit der Kutsche vorfahren und wenden konnte. In Bern ist das einmalig.
Nirgends in der Stadt Bern gehen Platz und Fassade so gezielt ineinander über. Es ist ein Zusammenspiel. Auch das passt, denn Spätbarock war die Fassade nicht nur die Aussenwand, es war die Fortsetzung des Vorplatzes.
Die Fassade selber ist dreigeteilt. Der Mittelteil hat auf der Dachhöhe das obligate Wappen des Erbauers. Balkone werden angetönt. Säulen stützen sie.
Auf der Frontseite hat der Erlacherhof sieben Fensterachsen, auf der Rückseite sind es neun. Auch das ist einmalig. Da geht der Bau in einen Garten über, schöngemacht, aber nicht ganz so prächtig wie beim von Wattenwyl-Haus.

Schultheiss Hieronymus von Erlach
Die Idee für den Bau hatte Hieronymus von Erlach. Davor hatte er bereits Schloss Thunstetten und Schloss Hindelbank erbauen lassen. Seine Karriere krönte er mit dem Schultheissenamt. Davor war er wie so viele militärisch aktiv gewesen.
Kurz war von Erlach für Frankreich tätig gewesen. Dann erhielt er das Angebot, Anna-Margareta Willading zu heiraten, die Tochter des reichsten Berners Johann Friedrich Willading, der ebenfalls Schultheiss gewesen war.
Allerdings musste sich von Erlach von Frankreich lossagen, denn der Schwiegervater war ja der Anführer der anti-französischen Partei. Hieronymus baute deshalb ein Berner Regiment für den Kaiser in Wien auf, das er als Oberst befehligte. In der österreichischen Armee stieg er bis zum Generalmajor auf. Den Kaiser kannte er persönlich, der machte ihn zum Kammerherr und Reichsgrafen.

Das doppelte Doppelleben
Eigentlich könnte man die Biografie hier abbrechen, wäre da nicht noch ein für die Zeitgenossen unbekannte Zwischenfall gewesen.
Denn als Hieronymus in Frankreich war, schwängerte er Françoise Trouette de Montrassier. Er musste die Katholikin heiraten, und zwar nach ihrem Ritus. Nur ein Jahr später verliess er sie und die Tochter, um den Heiratsantrag aus Bern einzulösen.
Doch als Hieronymus für Oesterreich militärisch aktiv wurde, erstattete ihm der französische Botschafter einen Besuch ab. Entweder würde er ihm ab sofort Informationen liefern, oder das gut gehütete Geheimnis aus der Jünglingszeit würde bekanntgemacht. Bigamie wäre ausreichend gewesen, um seine Karriere zu ruinieren.
So spionierte er im Spanischen Erfolgekrieg als österreichischen General für Frankreich. Einmal lieferte er vor einer Schlacht am Rhein die entscheidende Information, die zum französischen Ueberrschungssieg führte.
Seine Tätigkeit als Spion geschah unter dem Kürzel «Gen. d’E». Das stand für «General d’Elcin». Niemand kam damals auf die Idee, dass es auch «General d’Erlach» hätte heissen können. Erst ein graphologischer Vergleich machte 1934 klar, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. Sein doppeltes Doppelleben sorgte in Bern für erhebliches Erstaunen.
Es war so, wie wenn man dem Patrizier nachträglich die obligate Perücke abgezogen hätte.

Der Tod des Reformers Henzi
Weniger Glück hatte ein Zeitgenosse von Hieronymus. Sein Leben endete 1849 mitten in der Stadt durch das Schwert.
Die Rede ist von Samuel Henzi. Seine Familie gehörte zu den patrizischen Verlieren der Bankenkrise, die danach abgestiegen war. Samuel versuchte alles mögliche, reüssierte aber nirgends. Da schloss er sich ausgeschlossenen Gewerblern rund um eine Indienne-Druckerei an der Aare an.
Gemeinsam plante man Reformen. Zürich war ein Vorbild. Der schriftgewandte Henzi verfasste ein Memorial, das die Burgerelite des Machtmissbrauchs bezichtigte.
Zu den Hauptforderung zählte die Einführung einer Gemeindeversammlung, von der die politische Macht ausgehen sollte. Das war im Keim demokratisch!
Samuel wurde vorerst verbannt, dann begnadigt. Aus dem Neuenburgischen zurück brachte er ein Theaterstück mit, das er im Sinne der Aufklärer unter dem Titel «Grisler ou l’ambition punie» verfasst hatte. Es war eine Neuauflage des Tellendramas. Nur spielte es nicht in der Innerschweiz, sondern in Bern. Es zielte auf das Patriziat. Gessler stand für die lüsternen Burger. Und die Bauerstochter, an der er sich vergriff, war gleichsam die jungen Frauen, die mann missbrauchte.

Samuel und Mitverschworene wurde in einer Nachtaktion gefasst, und in einem kurzen Prozess verurteilt. Drei bekamen die Todesstrafe, die anderen den Landesverweis. Henzi gehörte zu jenen, die ihr Leben etwas ausserhalb der Stadt lassen mussten.
In der Eidgenossenschaft wie in Bern gilt das 18. Jahrhundert als unruhige Zeit. Der „Burgerlärm“ von Agentin & Cie, wie es die Etablierten nannten, sollte der schärfste, aber auch letzte Aufstand der innerhalb der Burgerschaft sein.

Burger.Barock.Bourbonen – 8. Station: Gesellschaft zu Kaufleuten und die große Berner Bankenkrise

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Kaufleuten. Die Fassade ist ein Durcheinander. Die Zeit, während sie entstand, war es auch. Bern erlebte gerade ihre bisher grösste Finanzkrise.

Die Krämergesellschaft
Kaufleute ist irreführen. Die Gesellschaft organisierte vor allem Tuchhändler und Schneider. Eigentliche Kaufleute fanden sich in der Gesellschaft zu Mittellöwen zusammen.
Die Parzelle, wo wir stehen, gehörte der Gesellschaft seit 1596. Deshalb geht man davon aus, dass das jetzige Haus, das man ab 1720 baute, ein Neubau war.
Die Fassadenarchitektur ist wild. Es fehlt die Strenge des Frühbarocks. Und von der aufkommenden Leichtigkeit des Hochbarocks merkt man nichts. Verwirrend sind die Aufsätze über den Fenster. Sie sind verschieden, aber nicht künstlerisch. Renaissance ist das auch nicht.
Am besten nennt man das einen Mix!

Der Schuldenberg von Louis XIV.
Der Wirrwarr steht für die Bauzeit. 1715 starb König Louis XIV. die Ursache. So strahlend der Sonnenkönig zu Lebzeiten war, so desaströs war sein Nachleben.
Der designierte Nachfolger Louis XV. war noch ein Kind. Es brauchte einen Regenten. Man wählte Philipp II., Herzog von Orleans.
Der Staatshaushalt war hoch verschuldet. Das rief nach einem Sanierer. Es empfahl sich der schottische Oekonom John Law.
Beide mussten die harten Jahre nach dem Tod des Königs richten.

Papiergeld als trügerische Hoffnung
Laws Plan bestand in der Schaffung von Papiergeld. Die Wirtschaft sollte wachsen, die Schulden verschwinden.
Dafür gründete Law die Mississippi-Gesellschaft, die Aktien für die neuen Kolonien in Uebersee herausgab. Man rechnete mit fabelhaften Gewinnen. Law stieg zum Liebling der Pariser Schickeria auf.
Law selber profitierte. Halb Nordamerika gehörte ihm via Aktiengesellschaft. Er soll sogar reicher als alle anderen Franzosen gewesen sein.
Doch änderte sich das schnell, als die Blase Mitte des Jahres 1720 platzte. Law musste aus Paris flüchten.
Alles wurde noch schlimmer, als auch in London die ähnlich gelagerte Südsee-Kompanie Pleite ging.

Der Bankrott der Berner Privatbanken
Beides traf Bern hart. Denn die Stadt war im 17. Jahrhundert reich geworden. Ihr Haushalt erzielte regelmässig Ueberschüsse. 1710 hatte man begonnen, damit Fürstenhäuser zu finanzieren. Die Stadt wurde zum Wirtschaftsfaktor in England und den Niederlanden.
Dafür spezialisiert war die Bank Malacrida & Cie. Die Malacridas war reformierte Flüchtlinge aus dem Bündnerland gewesen, welche die Bank in enger Verbindung mit dem Berner Patriziat gegründet hatten.
Der Kurssturz fiel auf sie zurück. 1721 wurde die Privatbank zahlungsunfähig, Sie musste Liquidiert werden. Das dauerte volle 11 Jahre. Wo sie angesiedelt war, weiss heute niemand mehr.

Die Polarisierung
Der Geldverlust war erheblich. Betroffen waren zahlreiche Privathaushalte. Den grössten Abschreiber soll Christoph Steiger gemacht haben, im Krisenjahr zum Schultheißen gewählt.
Die Krise polarisierte. Wer verlor, stieg ab.
Ein Teil der Burgerschaft rebellierte. 1721 setzte er durch, dass das Los den Zugang zum Rat entscheiden sollte. Damit wollte man Korruption vermeiden.
Sogar ein generelles Bankenverbot erwog man in Bern in der Krise, ohne es zu beschliessen.
Zwei Jahre danach rebellierte auch die Waadt. Jean-Daniel Davel, vormals Offizier in Berner Diensten, nutzte die Abwesenheit der Landvögte, die in Bern Reformen berieten. Er eroberte den Lausanne. Propagiert wurde die Unabhängigkeit von Bern. Den Anführer der Aufständischen exekutiertem die Berner kurzerhand.

Nachgeholter Hauch von Exotik
Nur die Krämer bauten ihr Gesellschaftshaus fertig. Stilecht wurde es nicht. Der gleiche Werkmeister sollte nur wenige Jahre danach die wunderbare hockbarocke Heiliggeistkirche-Kirche bauen. Das sagt alles.
Ein Hauch von Exotik brachte ihr Mitglied Johann Wäber nach London und Bern. Als John Webber wurde er zum bekannten Maler, der mit dem Entdecker James Cook auf Seereise ging. Als erster Schweizer betrat er australischen Boden. Zweimal landete er in Honolulu war und selbst die Beringstrasse bereiste er. Von überall brachte er seine gemalten Bilder mit.
Südsee-Feelings gab es trotz Bankenkrise!