das warten hat lange gedauert – doch ist der genuss umso grösser

worüber soll ich zuerst schreiben? – über das langsame pils im berner “della casa” oder über das neueste buch von regula stämpfli? am besten schreib ich gleich über beides.

P1010548aein doppelter genuss … (foto stadtwanderer)

“Aussen Prada – innen leer?” heisst das neueste buch regula stämpfli (wort) und friedel ammann (bild). ihr thema in wort und bild ist die moderne sklaverei, welche die konsumgesellschaft erzeugt, die werbung steigert und das design perfektioniert. denn all das schafft zwänge und kreiiert illusionen, die das leben normieren, die menschen bornieren, bis sie tot sind. insbesondere die männer und pamela anderson.

reden kann regula stämpfli. selbst rhetoriklehrer nehmen sie mittlerweile zum vorbild. das schreiben liegt ihr auch, ihre göttlichen einwürfe in radio-sendungen, tv-talks und zeitungsspalten finden regelmässig ihr publikum.

gut, bisweilen textet sie auch. fast wie eine werberin, möchte ich sagen. nur besser, würde sie postwendend erwidern und lachen.

denn an selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. weshalb sie ihr büchlein für den nachttisch auch “Ein philospohisches Kaleidoskop” nennt. mit letzterem bin einverstanden, mit ersterem nicht. selbst wenn ein literaturverzeichnis mit geistesgrössen von hannah arendt bis paul watzlawik als referenzen angefügt sind. immerhin, ihre gesammelten kolumnen lesen sich, auf 100 seiten zusammengefasst, klar besser als die 38 bände der gesammelten werke von marx und engels.

am besten finde ich das buch, wenn die “nervensäge aus brüssel” (nzz), seit neuestem auch “kommunikatorin des monats” (schweizer werbung) provoziert und nicht doziert. dann ist sie nämlich nicht einfach gescheit, sondern einfach echt. ihr grosses herz wider ungerechtigkeiten schlägt dann in jeder ader ihrer ganzen subjektivität, während ihr kopf mit der objektivität offensichtlich auf kriegsfuss steht.

so kommt ihre ironie kommt denn auch bei den fachkollegInnen in geschichte, politologie und philosophie mehrheitlich nicht gut an. derweil ihr witz im polemischen journalismus hoch im kurs ist. obwohl sie nicht selten genau den zerfall der politischen berichterstattung geisselt.

möglicherweise bin ich pate gestanden für die (nicht ganz neue) glosse über den “fleischgewordenen teleprompter”. denn da zieht sie über die demoskopie-demokratie mit ihren tabellen, kuchengrafiken und kurzkommentaren so wild vom leder, dass sich selbst kulturkritiker moritz leuenberger eine grosse scheibe davon abschneiden könnte.

von stämpfli selber sind die dem buch beigefügten aphorismen unterschiedlicher qualität. gefallen hat mir “Prominenz erschlägt Kompetenz auf jeden Fall”, den die medienfachfrau die ja selber eine medienfrau ist, scheint zu ahnen, wovon auch sie lebt. weniger gefallen dürfte den vereinigten akademien von europa ihr bonmont: “Ein Klischee ist doof, Hundert ergreifend, Tausend wissenschaftlich.” denn man wir einmal mehr unzulässige vereinfachung und anpassung an die medienerwartungen entgegenschmettern. hübsch ist wieder, “Der Ausdruck Medien-Demokratie erinnert mich an ein Krokodil, das Vegiburger frisst”. Die drei jungs der mutter, die ihren mann längst stellt, werden ihr die das sinnbild danken.

gedankt hat stämpfli sicher auch illustrator ammann, der keine einfache aufgabe hatte, den berg an einfällen in den meist einseitigen texten in klar begreifbare weltanschauungen zu übersetzen.

“Aussen Prada”, höre ich regula an dieser stelle ausrufen! ist das wieder alles, was dir männchen von der lektüre bleibt?

“Innen leer?” ist das buch wirklich nicht, kann man erwidern. am schönsten beobachtet ist die geschichte zur “Autowerdung des Menschen”, wo es um renault-werbung geht, die sie wörtlicher und bildlicher nimmt als die hersteller und ihre propagansten. denn “auto” ist das “selbst”, das da schon mal kauft wird, und die menschen sind die teilchen, die sich in die maschine zu fügen haben. toll entlarvend ist auch, wie sie unter dem titel “geistesblitz eines toten fisches” über pseudoexperimente berichtet, mit denen mediziner in postmodernen beliebigkeit etwas belegen können, das gar nicht sein kann, ohne dass ihnen jemand widerspricht. denn in solche erzählungen trifft sie nicht nur den zeitgeist, sie diskreditiert auch die oberflächen der permanenten stimmungmache. am prägnantesten zusammengefasst hat sie das im artikel, der dem buch auch den titel gab.

und so kann ich nur einen schluss ziehen: auf dieses buch von regula stämpfli hat man lange warten müssen, doch es hat sich gelohnt. genauso wie mein warten auf das langsame pils, das ich dann beim lesen getrunken habe und mir diesmal ein besonderer genuss war!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

4 Gedanken zu „das warten hat lange gedauert – doch ist der genuss umso grösser“

  1. Lieber Stadtwanderer
    Bevor ich zu Adonis’Hellas aufbreche, quasi als Komplementärprogramm zu Stadtwanderers coolen Nordic Travels, die ich jeden Tag mit Genuss lese, entdecke ich meines Mentors Rede zu Prada! Beschwingender geht es nicht, ich danke dem Stadtwanderer aus der Ferne – er hat mich – wie immer – überrascht.Hier ein Aphorismus, der mich der Stadtwanderer gelehrt hat: Kollektives Gelächter entlarvt jeden Widersinn – auf weiteres viel gemeinsames Lachen und DANKE, MENTOR!

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