lachen, selbst lächeln tut der schweizer politik gut.

das lachen ist uns in der schweizer politik der gegenwart abhanden gekommen, sodass infotainment nachgefragt wird. das ist nicht der fall, wenn christoph blocher und peter bodenmann miteinander debattieren, wie heute im berner kursaal. selbst wenn es dabei um das verhältnis der schweiz zur europäischen union geht, denn es paart sich substanz – mit lachen und lächeln.

topelement
quelle: bernerzeitung

den grössten lacher aus dem publikum hatte christoph blocher für sich, als er die vorabend-veranstaltung der berner e.forums so zusammenfasste: er selber und sein kontrahent hätten in der eu-beitrittsfrage immer die gleichen positionen vertreten – er immer die richtige, bodenmann immer die falsche. das wiederum kostete peter bodenmann nur ein kühles lächeln. seine analyse ist, dass die schweizer politik in der regel strukturkonservativ agiere und dann die rechte gewinne, während unser land in entscheidenden phasen ausgesprochen schnell und zeitgemäss reagiere, meist so, wie es die linke es wolle. stichworte dazu fallen einem sofort ein: die zum bankgeheimnis fallen einem spontan ein.

christoph blocher sprach heute abend von der souveränen schweiz – bodenmann von der vernünftigen. die thesen, die beide hierzu vertraten, wurden klar herausgearbeitet. das freute die zuschauer, die mit applausstärken schiedsrichter spielten. der herrliberger chemieindustrielle stellte die unabhängigkeit des landes in den vordergrund, das hauptthema der 700jährigen schweizer geschichte. die werde heute aber von professoren und politikern aus eigeninteresse verraten. aus dem ewr-nein habe man die bilateralen abkommen formuliert, die er akzeptiert habe. doch anders als die eu-beitrittsbefürworter habe er aus den bilateralen 1 keine bilateralen 2 und schon gar nicht bilaterale 3 machen wollen wie der bundesrat. bei gemeinsamen interessen sektoriell verhandeln, sei in ordnung. kolonialverträge mit institutionelle einbindungen, wie sie die eu aktuell verlange, seien eines souveränen staates jedoch unwürdig.

das mochte peter bodenmann in seinem exposé so nicht stehen lassen. seit dem nein zum ewr überhole die eu die schweiz sogar dort, wo sie stärken gehabt habe – zum beispiel beim ökologischen umbau der wirtschaft, wo selbst ein land wie italien bei der förderung erneuerbarer energien weiter sei. profitiert habe die schweiz dafür, wo sie kooperiert habe, wie der personenfreizügigkeit, die zu guten wachstumsraten der wirtschaft, nicht aber zu hohen arbeitslosenzahlen geführt habe. schliesslich sei die zulassung der 40-tonnen-lastwagen für die schweiz ein gewinn gewesen, weil man durch mehrwertabschöpfung gegenüber 28-tönnern die neat finanzieren konnte. weitere fortschritte verspricht sich der briger hotelier von der energiemitgliedschaft in der eu, der öffnung der landwirtschaft und dem integration des bildungswesens ins europäische system.

radio-moderatorin geraldine eicher, die durch den vorabend führte, versuchte die debatte auf die aktualität zu lenken. zu gerne hätte sie über die hintergründe der meinungsdifferenz zwischen der schweiz und der eu bei den anstehenden verhandlungen gesprochen. doch die beiden alphatiere liessen sich nicht so einfach bändigen, selbst wenn sie in weichen sesseln platziert waren. blocher polterte kräftig, vor allem gegen das dubliner-abkommen, das nicht funktioniere, wie die flüchtlingsbewegungen aus nordafrika zeigten. die staaten an der eu-aussengrenze hätten gar kein interesse, ankommende zu identifizieren, profitierten jedoch, wenn sie sie so schnell wie möglich in andere länder abschieben würden. das stimmte sogar bodenmann zu. sein thema war jedoch der plan b. er forderte zwei arbeitsgruppen des bundesrates mit den fähigsten leuten aus dem land. die eine solle die vor- und nachteile des abseitsstehen in europa analysieren, die andere des eu beitritts. so würde man erfahren, was der beitritt koste, aber auch, was der preis für den nicht-beitritt sei. das würde die diskussion versachlichen, statt emotionalisieren.

die paarung des abends war nicht nur der traum der tv-arena-redaktion in den 90er jahren, weil sie ihr rekordwerte bei der zuschauerquote verschaffte. sie überwältigte auch die organisatoren des business-anlasses, der diesmal gegen 1500 gäste mobilisierte und damit die vielleicht bestbesuchteste veranstaltung des wahljahres 2011 auf berner boden bleiben wird. mehr noch, das duo bodenmann/blocher symbolisiert auch ein stück zeitgeschichte: das aufbrechen der europa-frage nach dem kalten krieg, der so ausgelöste umbruch in der parteienlandschaft mit der polarisierung zwischen rechts und links und die veränderung der politischen kultur von der konsenssuche zur sichtbarmachung des dissens’. wenn dabei der chef der politischen rheotorik auf das vorbild an intellektueller analyse trifft, wird das zum besten, was dialektik in der schweizer politik zu bieten hat – selbst wenn alles durch einen kräftigen schuss nostalgie überlagert wird.

es bleibt die frage, wer recht hat? blocher gab die diskussionsthemen vor, bodenmann parierte sie. der züricher hatte auch an diesem abend den nationalkonservativen protest hinter sich, der vor 20 jahren durch die ewr-abstimmung entfacht wurde und seither viele anhänger in gesellschaft und wirtschaft gefunden hat. der walliser konnte auf seine fahne schreiben, in der sache die relevanten weichenstellungen für mehrheiten bei den bilaterale, auf dem arbeitsmarkt und in der verkehrsfrage mitgestellt zu haben. blocher zeigte sich sicher, dass die wende zu seinen gunsten mit der ausschaffungsinitiative gekommen sei, denn jetzt habe man begriffen, dass die kriminalität die folge der eu-annäherung sei – und lachte in bekannter manier breit und laut. bodenmann wähnt sich in sicherheit, dass die schweiz ihre interessen kenne und klug verhandele, sodass das volk auch inskünftig vernünftigen lösungen hierfür zustimmen werde – und lächelte etwas verschmitzt, aber gut sichtbar.

das puiblikum applaudierte am schluss kräftig und lang, mit der rechten wie der linken hand. die apérogesichter wirkten erstaunlich freundlich.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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