schachmatt

bern, treffpunkt bundesplatz. heute geht es um schach und demokratie.

der bundesplatz ist schon fast leer. die wichtigsten verbliebenen gäste spielen noch schach. so auch fridolin marty, stellvertre- tender leiter wirtschaftspolitik bei der economiesuisse. ein junges mitglieder des berner schachvereins ist sein sportlicher gegner.

ich mische mich unter die spärlichen zuschauer. sofort entzündet sich eine debatte. denn der lobbyist des dachverbandes der schweizer wirtschaft wird direkt politisch.

schach sei demokratisch, sagt marty.

ich schlucke (leer).

beide spieler hätte die gleichen voraussetzungen, höre ich weiter zu.

“ausgerechnet”, erwidere ich, “das royalistische aller royalistischen spiele soll demokratisch sein”.

innerlich ist meine reaktion noch härter. denn schach kommt, wenigstens für mich, aus persien, dem heutigen iran. der stosstrupp der demokratie war das nie. nach europa gebracht wurde schach durch die araber. auch das ergibt keinen faden zur demokratietheorie. von der islamischen in die christliche kultur übertragen wurde es im hohen mittelalter. da half die gemeinsamkeit der religion, sinn für unterordnung unter überzeugungen zu haben wohl mit. ein sinn für freiheit, auseinandersetzung und kollektive entscheidungsfindung gehört nicht dazu.

so bringe ich die durch und durch höfische symbolik des schachs aufs tapett. der könig, die königin, die läufer, die springer, die türme. das alles töne nach krone, burg, ritter, befestigungen, nach gelenkter öffentlichkeit durch mächtige dynasten, verbrämt durch etwas spiel und romantik der minnesänger.

mein gesprächspartner, den widerspruch liebend, gibt sich alles andere als geschlagen. wer gewinnen wolle, muss sich dem wettbewerb stellen. mehr aus der eigenen auslangslage machen als das, was der widersacher daraus mache, sei das wesen des politischen kampfes.

jetzt wird es definitiv mythologisch!

“all das versteckt sich hinter einem menschlichen schutzschild, den armen bauern”, kontere ich nochmals.

“nein”, ist die gegenrede.

ich koche.

“die bauern auf dem brett sind stolze angreifer, schauen gerade aus. wenn sie mutig und schlau genug sind, werden sie belohnt: aus ihn wir eine neue königin!”

jetzt bin ich schachmatt. denn in der sache hat dr. marty recht. mir bleibt nur noch die ironie.

“ja, und aus unsern bauern können bundesräte werden!”

einzig, dass hansjörg walther, der oberste bauer der schweiz, die stimmen seiner fraktion nicht hatte, als er wilder kandidat für den svp-sitz im bundesrat war – und nicht einmal sich selber stimmen durfte!

das sage ich aber nicht mehr laut – und verabschiede mich vom treffpunkt bundesplatz.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

3 Gedanken zu „schachmatt“

  1. Lieber Stadtwanderer

    Habe ich wirklich von Demokratie gesprochen? Wenn ich mich recht erinnere ging es bei unserem Gespräch um Liberalismus. Ich hatte behauptet, Schach sei der Idealtypus einer liberalen Welt. Die Anfangsausstattung ist für alle identisch, die Informationstransparenz vollkommen und jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich und kann sein Scheitern nicht unglücklichen Umständen zuschreiben.

    Ich muss allerdings beifügen, dass Letzteres immer wieder getan wird. Jeder Schachspieler findet allerlei Ausreden, warum er verloren hat: Eigentlich sei er ja lange besser gestanden und dann habe ihn aber sein Gegner abgelenkt und deshalb habe er verloren… Nichts ist halt schmerzhafter als eine Niederlage, die man sich selber zuschreiben hat. Der grosse Meister Blackburne sagte einmal, er spiele seit 50 Jahren Schach und habe noch nie gegen einen gesunden Gegner gewonnen!

    Fridolin Marty

  2. die selbstironie ehrt sie!
    die kritik ist wohl berechtigt. sie sprechen von liberalismus in der gesellschaft, von eigenverantlichem handeln in freiheit, ich aber denke nur an wahlen, und da kann es sein, dass ich das mit demokratie übersetzt habe.
    hat mich dennoch gefreut, ihnen zuzusehen, welche schachzüge sie vor dem bundeshaus für die richtigen hielt.
    übrigens, von niederlage war nie die rede.

  3. Stimmt, von Niederlage war nie die Rede. Aber sie fand auf dem Brett statt! Ich hatte nämlich selbige Partie verloren. Natürlich nur, weil ich mit Ihnen über Liberalismus geplaudert hatte!

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