ein klares bekenntnis zum bilateralismus

gestern erschien unsere grosse umfrage 20 jahre nach dem ewr-nein in den srg medien. quintessenz ist das klare bekenntnis zum bilateralismus. eine kleine auslegeordnung zu speziellen reaktionen.

selten hat eine volksabstimmung der gegenwart den zusammenhalt der schweiz so strapaziert wie der volksentscheid zum schweizerischen ewr-beitritt. tiefe gräben sind mit dem votum entstanden, so das urteil der zeitgenossen. polarisiert wurde die schweiz, sagt man heute.

Tagesschau vom 30.11.2012
der gestrige tagesschau-beitrag zur umfragen “20 jahre nach dem ewr-nein”

7 jahre brauchte die schweiz, um das trauma zu verarbeiten, welches das nein von volk und ständen am 6. dezember 1992 ausgelöst hatte. danach standen die bilaterale verträge mit der europäischen union fest, welche der wirtschaft den entgangenen zutritt zum binnenmarktprogramm verschafften, der politik den gewünschten autonomieraum bewahrten, die mitsprachemöglichkeiten der schweiz aber beschränkten. Die eu verstand die bilateralen eher als übergangslösung, die schweiz als ansatz für eine andauernde beziehung.

zwischenzeitlich haben wir sechs mal über bilaterale verträge angestimmt. sechs mal war das ergebnis umgekehrt als 1992. sechs mal setzten sich bundesrat und parlamentsmehrheit durch, stets unterstützt von sp, fdp, cvp und gps, manchmal auch mit dem support der svp, bisweilen auch gegen die opposition dieser partei.

die gestern publizierte umfrage bei 1206 repräsentativ ausgewählte stimmberechtigten den schweiz sprichtgerade hierzu eine deutliche sprache: 62 prozent halten das ergebnisse der ersten abstimmung über die bilateralen im jahre 2000 für einen guten entscheid. 63 prozent wollen, dass die schweiz die bilateralen fortsetzt; alle andere prioritäten sind nicht mehrheitsfähig. die personenfreizügigkeit, das zentrale dossier für die wirtschaft, wird durch 3 von 5 befragten mehrheitlich positiv bewertet, teils aus ökonomischen überlegungen, teils aus prinzipiellen gründen, zu denen sich bedenken wegen lohndumpingt, mietpreisen und bodenknappheit für einwanderer und einheimische gesellen.

ich habe mir erlaubt, diese quintessenz der studie „ein klares bekenntnis zum bilateralismus“ zu nennen. die mehrheit der schweizerInnen hat zwischenzeitlich eine klare europa-politische präferenz und drückt diese mehr oder minder konsequent aus. nicht ganz im bilateralismus angekommen sind teile der politischen linken; sie begrüssen (unverändert) eine weiterentwicklung der integration. ebenfalls nicht ganz angekommen sind die isolationistischen teile der svp-wählerschaft, die den alleingang bevorzugen. “sackgasse bilaterale” und “kolonie der eu” sind die stichworte der rechtfertigung.

das habe ich nach der gestrigen „arena“-sendung auch von christoph blocher gehört. selber ein befürworter der zweiseitigen beziehungen zwischen der schweiz und der europäischen union, ebenfalls ein supporter der persoenfreizügigkeit, gleichzeitig aber ein hüter der svp-vorherrschaft im nationalkonservativen lager, meinte er zu mir: den bilateralmus gäbe es gar nicht. es würde nur bilaterale verträge geben, welche man einzeln ansehen und über die man schritt für schritt entscheiden müsse.

bei der zweiten abendlichen belehrung, die ich gestern vom meister aus den reihen der ewr-opposition erhielt, erlaubte ich mir zu widersprechen. denn nach meiner analyse hat sich sehr wohl eine gestigte haltung herausgebildet, die nicht jedesmal auf aktenstudium zurückgreifen muss, um zu einer antwort zu neuen verträgen zu kommen. vielmehr beinhaltet die haltung die absicht, eine stabile beziehung zwischen der schweiz und der eu aufbauen zu können, mit spielraum, der das nein von 1992 respektiert.

das akute problem der schweizerischen europa-politik ist wohl umgekehrt. nicht dass wir mit den bilateralen etwas zu viel preisgeben würden, sondern dass wir vergessen, dass es sich um den von uns vorgeschlagenen weg in den beziehungen handelt. aus gemeinsam aufgebauten interessenlagen kann man nachträglich nicht einfach jene teile herausnehmen , die einem passen, um den rest gleich wieder abzulehnen.

denn genau das erschwert es, der eu die bilateralen mehr als eine blosse übergangslösung zu verkaufen. wenn rosinenpicker und ewr-protagnisten selber an der glaubwürdigkeit der schweizerischen entscheidungen kratzen, sie befördern die auffassung, die schweiz wie liechtenstein, norwegen und island im ewr zu parkieren, um rechtsfragen einfacher regeln zu können, egal, was die stimmbürgerInnen mehrfach gesagt haben. mit ihrem taktieren schwächen sie die zentrale voraussetzung jeder europa-politik in einer direkten demokratie, die mehrheitliche abstützung in der bevölkerung nämlich, gedeihen zu lassen.

wir tun gut daran, den schritt zurück zur polarisierung zu vermeiden, der unweigerlich die gräben, die man 1992 aufgerissen und seither stück für stück wieder zugeschüttet hat, von neuem auftun würde.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

5 Gedanken zu „ein klares bekenntnis zum bilateralismus“

  1. Ich entdecke kein so stark ausgeprägtes “Entweder-Oder”. Ich sehe ein, dass ein EU Beitritt kurz- und mittelfristig politisch ausser Frage ist (dies hängt wohl auch mit dem Erfolg der bilateralen Verträge zusammen, aber das ist ein anderes Thema). Darum bin ich auch für eine Fortsetzung des bilateralen Wegs. Persönlich halte ich es zwar für eine “zweitbeste Lösung” (so eine Art EU Mitgliedschaft, in der man sich eine Notbremse mit dem Verzicht auf eine Stimme bezahlt) aber für mich individuell weitgehend das Äquivalent zu einer Mitgliedschaft (Personenfreizügikeit, Forschungsprogramme, keine Grenzkontrollen, etc.).

    Will man eine Rückkehr zur Polarisierung verhindern, muss auch betont werden, dass man für die bilateralen und für einen EU Beitritt sein.

  2. Das Problem der EU ist doch eben gerade, dass der bilaterale Weg aus Sicht der Schweiz keine Übergangslösung mehr ist. Daher auch ihre Forderung nach einem neuen, sprich institutionellen Fundament a la EWR. Seit 2004 konnten “nur” noch drei weitere Abkommen unterzeichnet werden, alles Kooperationsabkommen, keines über den Marktzugang… Wenn wir den bilateralen Weg wirklich weitergehen wollen, also ausbauen, dann werden wir schlussendlich doch sehr nahe am EWR zu liegen kommen. Und dies offen zu sagen liegt durchaus in der Verantwortung der Politik und ist auch notwendig um die erforderliche Abstützung zu erreichen. Wir Schweizer müssen wohl oder übel akzeptieren, dass es den Fünfer ( Marktzugang) und das Weggli (Volle Autonomie in der Rechtssetzung) nicht gibt.

  3. gut möglich,
    angst nicht immer guter ratgeber,
    negieren von angst aber auch nicht.
    siehe populiusmus seit ewr nein, der mit dieser angst spielt.

  4. Tatsache ist doch, dass sich die Rechtssprechungen wenig unterscheiden.
    Also sind es noch ein paar wenige Verträge, die ausgehandelt werden müssen. Und auch da haben wir schon einiges verbockt, siehe Personenfreizügigkeit. Hingegen geht es beim Abgeltungsvertrag nur noch darum, das Gesicht zu wahren, oder darum, den Schweizer Steuersündern die grosse Freiheit zu lassen, die man Ausländern nicht gern zugesteht.
    Ich befürchte auch stark, dass kein Politiker die Unterschiede vom EWR zu den Bilateralen so genau kennt, und der Stimmbürger wird ungern aufgeklärt.
    Und auch ohne EWR bringt es die Schweiz mit Hilfe der SVP fertig, zum richtigen Zeitpunkt das falsche zu tun (Flugabkommen).

    Und da wir als kleines Land auch noch Vorteile haben dürfen, gegenüber den Vorteilen eine grossen Landes, scheint mir der “Alleingang” eine gute Sache. Der EU schadets nicht, im Gegenteil, es ist ein Ansporn, die EU zu demokratisieren.

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