meine ode an das verlassene und (vielleicht) wiedergefundene freiburg

es ist bekannt: ich bin in fribourg/freiburg geboren worden. wenn ich schlecht drauf bin, sage ich, ich sei da auf die welt gekommen; das sei nicht das gleiche. momentan fühle ich mich eigentlich ganz gut.


das neue freiburg: jean tinguelys erinnerung an seinen freund jo siffert, das mir so gut gefällt

als meine familie 1963, ich war sechs jährig, freiburg verliess, war ich nicht sonderlich traurig. denn in der welt des katholizismus’, die damals die stadt noch prägte, fühlte ich mich nicht nur geborgen. da war beispielsweise st. nikolaus, der am abend des 6. dezember imposant durch die strassen zog, umjubelt von der menge, der er mandarinen und nüsse zuwarf. mir hatte man streng beigebracht, dass man mit lebensmitteln weder spielen noch sie vergeuden dürfe. da war auch das bild in der kirche st. pierre, das ich jeden sonntag bestaunte, weil es übermenschlich war, das mir aber innerlich fremd blieb, weil ich seine botschaft nicht fand. und da der zwang in der kirche, geld zu spenden, für die armen negerlein in afrika, obwohl man sagte, nur die reichen in den armen ländern würden davon profitieren.

in buchs, im aargau, angekommen, war ich dann trotz meiner distanz zu freiburg ganz einfach der franzose. “d’franzose med de gääle hose und de grüne finke, pfuii, die stenke”, hielt man mir bei der begrüssung unter den jungs auf der strasse entgegen. an der sprache kann es nicht gelegen haben, denn ich wurde bilingue erzogen. es muss das fremde gewesen sein, dass einer an sich hatte, wenn nicht einfach nur buuredüütsch sprach. die bedeutungszusammenhänge erschlossen sich mir erst später, als ich während des geschichtsstudiums lernte, wie aarau zu einer hauptstadt der protestantischen schweiz wurde, die sich im zweiten villmergenkrieg erstmals gegen die katholischen miteidgenossen durchsetzt hatte, wie sie sich gegen die reaktionären berner stemmte, um zur eigentlichen hauptstadt der helvetischen republik von frankreichs gnaden zu werden, von der städtischen intelligenzia begrüsst, von den landleuten wegen steuern und solddiensten gehasst. und genau in dieses milieu war ich im ehemaligen bauerndorf buchs geraten. also auch keine heimat!

meine schulwege führten mich nach aarau, in die kantonsschule, nach zürich an die universität und nach bern, um zu arbeiten. um fribourg habe ich mich da lange nicht gekümmert. denn in der kanti hatte ich gotthold ephraim lessing gelesen, den deutschen aufklärer, für den es eine welt jenseits der verschiedene bezeugungen gottes gab. in der religionssoziologie lernte ich, dass konfessionelle gebote keine wahrheiten seien, sondern kulturell bedingte zugänge zur welt. das geschichtsstudium schliesslich hatte mich gelehrt, dass der konfesssionalismus zwar gut war, um die bisweilen verfeindeten eidgenossen zwischen mitte des 16. und 18. jahrhunderts sich jeweils selber entwickeln zu lassen, dass das aber auch viel zur stagnation der schweiz beigetragen hatte, der erst durch anstösse aus frankreich mit der aufklärung, der revolution, aber auch mit dem geschäftssinn der immigranten und welterfinder aus viele verschiedenen länder überwunden werden konnte.

genau dieser konfessionell gebundenen welt entronnen zu sein, war für mich lange erleichterung, ja befreiung. zuerst interessiert mich, was man mit naturwissenschaften, dem puren gegenteil zur religiösen welt, alles anstellen könnte, um bis auf den mond zu fliegen; dann war ich gwunderig, wie das soziale leben ohne religionen funktioniert, im zusammenleben von mann und frau, in den schulen ohne pfarrherren, aber auch in der schweiz, die statt streit und krieg, auch vermittlung und frieden anbietet. und so war ich, jahrelang, kaum in freiburg, kaum in einer kirche.


das alte freiburg: bild der st. pierre kirche, das mir nie was sagte

seit wenigen jahren hat sich das schrittweise gewandelt. die expo02 hat einen anstoss gegeben, meine regelmässigen besuche in murten eine annäherung gebracht. manchmal nehme ich über mittag den zug von bern nach freiburg, um ein wenig spazieren zu gehen. bisweilen setze ich auch einen fuss in ein gotteshaus. deren geschichte habe ich, durch meine intensive beschäftigung mit dem mittelalter, immer genauer zu verfolgen versucht. natürlich hat das freiburg von heute für einen berngewohnten noch unendlich viele klöster, sind die franziskaner und ihre anverwandten brüder und schwester immer noch da. dennoch, ich sehe sie immer mehr repräsentiert, in büchern, dvds und alle den medien, wenig sich selber präsentieren. gezeigt bekommt man fünfzig jahre nach dem ökumenischen konzil in freiburg eine welt, die nicht nur den interkulturellen und interreligiösen dialog pflegt, vielmehr die auch jenseits von konfessionellen erwartungen, politische und persönliche ansichten zulässt. jean tinguely, der meister der expo64 hallte in eben diesem halben jahrhundert, seit ich von fribourg wegging, wirkungsvoll nach. nicht nur auf der grande-place mit seinem momument für den verstorbenen freund jo siffert, nein auch in den köpfen der betrachtet wurde offensichtlich klar, dass es ein leben jenseits von machttechniken und ihrer komplexen, aber durchschaubaren funktionsweisen gibt.

das freiburg, das ich heute kennen lerne, ist offener und damit auch wieder zugänglicher geworden. rechte und linke haben sich von der konservativen mitte befreit und sagen sich gehörig die meinung, männer und frauen haben mit den rollenbildern der vergangenheit gebrochen und leben ihr leben. gute gebildete, aber auch künstlerisch begabte freiburgerInnen, einfache menschen mit herz und verstand sind zahlreicher geworden. man ist, wer man ist – bewusst, woher man stammt, aber nicht gefangen, sodass sich einem keine perspektiven mehr eröffnen. roger de weck, der freiburger patriziersohn beispielsweise, der herausragendste rhetoriker der gegenwärtigen schweiz der gegenwart, gehört selbstredend zum neuen freiburg; aber auch mia aegerter, die tochter aus freiburger haus, finde ich seit “achtung, fertig, charlie!” eine tolle schauspielerin. manager wie daniel vasella, mediziner wie thierry carrel und bundesräte wie alain berset, allesamt mit freiburger herkunft, leisten etwas für diese gesellschaft, ohne angestammte wege zu beschreiten, im vollen wissen, mit mit ihrer eigenwilligenkeit anzuecken und scheitern zu können. schliesslich schätze ich den historiker urs altermatt sehr, der es bis zum rektor der freiburger universität brachte sehr, denn der liberale katholik aus solothurn kennt wie kein anderer, wie konkordanz bei bundesratswahlen funktioniert, ohne dabei zum bornierten insider geworden zu sein. genau das sehe ich auch bei joseph deiss, dem früheren ökonomieprofessor an der freiburger uni, der in die politik ging, als aussenminister die schweiz in die uno führte und als schweizer die vollversammlung der delegierten der welt für ein jahr präsidierte.

es war eine ziemlich spontane entscheidung in meinen sommerferien, mein freiburg wieder erkunden zu wollen. mit ihren stotzigen strassen. mit den kleinen gässchen quer zu den grossen. mit den denn historischen brunnen voller anspielungen. mit den brücken über flüsse und bewusstseinsgrenzen. mit der mehrsprachigkeit, die ich es nicht immer einfach, dafür aber spannend macht. mit den figuren von von niki de saint phall, die wohlig und rund und doch so bemerkenswert leicht und elegant sind. mit der multikulturalität, die nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt wird. mit dem stadtgolf quer durch alle löcher und gassen der stadt. mit dem restaurant st.gothard und seinem vorzüglichen moité-moité fundue und dem vully-weisswein dazu – und mit all dem, was ich vergessen habe oder noch gar nicht kenne.

auf ein neues stadtwandern also! sollte sich jemand angesprochen fühlen, anbei eine erste virtuelle tour durch die geschichte der stadt, der bald ein reeller parcours durch die bedeutsamen orte freiburgs folgen sollen …

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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