Berner Pionierinnen des 20. Jahrhunderts

Im Dachstock des Berner Historischen Museums gedenkt man seit geraumer Zeit dem Berner Pioniergeist. Heute war eine Führung speziell zu den Frauen im 20. Jahrhunderts, die ihrer Zeit voraus waren.

zeitgeschichte
Die 90er Jahre in Bern: Claire-Lise Vatter, Ruth Dreifuss und Gret Haller als Pionierinnen, die in Bern wirkten

Die SAFFA als Beispiel
1928 fand in Bern der erste Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit statt. Verschiedene Frauenorganisationen hatten dazu aufgerufen. Ziel war es, den Wert der Frauenarbeit, inbesondere in Haus- und Familienwirtschaft, besser sichtbar zu machen. Man versprach sich auf diesem Weg eine bessere Basis zu schaffen, um Forderungen zu politischen Rechten stellen zu können.
Auf das Stimm- und Wahlrecht mussten die Schweizer Frauen noch 43 Jahre warten. Die erste SAFFA im Berner Viererfeld war ihrer Zeit (“Schneckentempo”) weit voraus, aber sofort von einem unmittelbaren Erfolg gekrönt. 800000 Besuche wurden registriert – ein Viertel der erwachsenen Schweizer Bevölkerung von damals. Das war ein untrügerisches Zeichen des Aufbruchs!
Rosa Neuenschwander, die Frau an der Spitze der SAFFA, war heute eine der markanten Personen in der Führung zu Berner Pionierinnen im 20. Jahrhundert. Das Berner Historischen Museum ehrt damit Frauen, die mit ihrer Leistung Vorbildliches geleistet haben. Die verleihen quasi einen Nobelpreis für Berner Prionierleistungen!

Generationen von Prionierinnen
Eine systematischen Frauengeschichte für den Kanton Bern ist mir nicht bekannt. Doch kann man erwarten, dass generelle Tendenzen der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politikgeschichte, wie sie etwa Jakob Tanner jüngst vorgelegt hat, auch hier Gültigkeit haben. Das lange 20. Jahrhundert, das etwa 1880 begann und bis in die Gegenwart reicht, unterteilt er in “Prosperität” (bis 1925), “offene Volkswirtschaft und bedrohter Staat” (bis 1965) und “widerwillige Bewegung” (bis heute mit Bankenpolitik, Aufarbeitung von Opfer von Zwangsmassnahmen und Politik gegen Masseneinwanderung).
Der Rundgang durch die Ausstellung machte mit wenigen Stationen klar, wie sich auf dieser Folie Generationen von Pionierinnen ablösten: die frühen Kämpferinnen für die Sache der Frauen und der Benachteiligten bis zur Weltwirtschaftskries (vor allem Helene von Mülinen, wohl bis Gertrud Kurz), die Künstlerinnen der goldenen Nachkriegszeit (von Lisa Della Casa, über Lilo Pulver zu Ursula Andres, vielleicht auch Elisabeth Müller als früher und nachhaltig wirksamen Vertreterin) und die Frauen der Gegenwart, welche Gesellschaftspolitik angesichts ihrer Defizite, welche die 70er Jahre offen legten, neu definierten (von Mariella Mehr bis Ruth Dreifuss). Auffällig ist, wie WirtschaftspionierInnen auch bei Frauen weitgehend fehlen (abgesehen von Thomas und Claire-Lise Vatter mit dem ersten Bio-Supermarkt 1992).
Im Einzelfall fragte man sich, warum erwartete Persönlichkeiten fehlten – so Anna Tumarkin, die Philosophin an der Uni Bern, die als erste Frau Europas Professorin mit vollen Prüfungsrechten wurde, so auch Leni Robert, die als erste Frau den Durchbruch in die Berner Kantonsregierung schaffte. Persönlich hätte ich auch Gertrud Walker, die herausragende Biochemikerin und Friedensfrau erwartet, genauso wie Anne-Marie Rey, die Kämpferin für Abtreibung und „Mutter“ des heutigen Rechts auf Schwangerschaftsabbruch als Berner Persönlichkeit mit sozialliberaler Weitsicht in einem konservativen Umfeld.

Mehr Geschichte, weniger Chronik erwünscht
Die Führung durch Isabell Brunner war zwar sehr informativ; es fehlte ihr aber der erzählerische Schwung. Bei allem Faktischen, das in der Ausstellung steckt, sollte man nie vergessen, dass Geschichte letztlich Narration ist. Grosse, wie sie Historiker entwickeln sollen, aber auch kleine, wie sie jeder aus seiner Lebenswelt kennt. Ich bin sicher, viele der vorwiegend weiblichen TeilnehmerInnen am Rundgang hätten aus ihren eigenen Erfahrungen mit der Zeit, den Ereignissen und Person viel Interessantes beitragen können.
Mir jedenfalls erging es spätestens ab den Stationen zu den 80er Jahren so, dass ich mir meines Lebens in Bern schrittweise (wieder) bewusst(er) wurde. Eigentlich bekam ich sogar Lust, selber eine Führung zu planen, denn man merkt beim Streifzug durch die Geschichte schnell, was man noch weiss, woran man sich vage erinnert, was man vom Hören-Sagen kennt, was man spürt, dass es einmal da gewesen sein muss … und wovon man noch gar keine Ahnung hatte.Den Chronisten und Historikerinnen seis gedankt.
Denn genau das ist der Vorteil der Zeitgeschichte, die immer noch ist, obwohl sie nicht mehr ist!

Stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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