Wir schreiben das Jahr 1712. Teil 2 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben sind die Konfessionskriege nach fast 200 Jahren zu Ende gegangen. Es herrscht Parität. Führend sind aber zwei reformierte Orte, Bern und Zürich. Was jetzt kommt, nennt man das Ancien Regime. Es könnte auch das gesellige Jahrhundert heissen. Jedenfalls wenn man in Bern zum streng reformiert eingestellten Patriziat gehört. Für Gewöhnliche kann es unangenehm werden.

kreuzgasse
Ecke Kreuzgasse/Gerechtigkeitsgasse, wo während Jahrhunderten vom Schultheiss über Leben und Tod geurteilt wurde.

An der Spitze des bernischen Republik stand ein starker Schultheiss. Er regierte die Stadt und ihrer Untertanen paternalistisch. Man war gütig, solange die Bauern schwiegen, man konnte herrisch werden, wenn sie aufmuckten.
Gewählt wurde der Schultheiss vom Kleinen Rat. Den wiederum wählte der Grosse Rat. Und den bestimmt zum einen der Kleine Rat, zum andern 16 Wahlmänner, die aus der vier Stadtquartieren ausgelost werden.
Das war eine sich selber regierende Oligarchie, seit der Unabhängigkeit vom Kaiserreich Reich als Burgergemeinde organisiert und gegen Migraten hermetisch abgeschlossen. Nur wer einen Stammbaum hatte, gehörte zu den Bürgern, und die unterschieden sich nach feinen Distinktionsmerkmalen in zahlreiche Schichten.
Der Schultheiss wechselte jedes Jahr. Der Grosse Rat wurde ungefähr alle 10 Jahre ergänzt, wenn zu viele der Patriarchen gestorben waren. Effektiv regierte der Schultheiss nur mit einem Teil der Kleinräte, dem Geheimrat.

Das Oeffentlichste im Stadtleben waren Hinrichtungen von Mördern und Räubern. Verurteilt wurde man von Schultheissen mitten in der Stadt. Gerichtet wurde dann ausserhalb – entweder durch Köpfen, durch Hängen oder Ertränken. Am schlimmsten war das Rädern. Die Toten blieben danach eine Weile ausgestellt, als Abschreckung für Zuwanderer, die gegen das Gesetz verstossen sollten.
Samuel Henzi war einer sogenannten Delinquenten. Er gehörte nicht zu einer regierungsfähigen Familie, aber er schrieb Theaterstücke im Geist der aufgeklärten Franzosen. Zum Beispiel eines über Wilhelm Tell, einem Freiheitshelden in der Innerschweizer Legende. Doch formte er ihn um. Er wird zum Ankläger der zerfallenden Moral, namentlich im zwischengeschlechtlichen Verhalten. Das war zu viel. Er wurde zum Tod verurteilt und hingerichtet. Die Intellektuellen in halb Europa waren entsetzt, über die Rückständigkeit der Berner Aristokraten.

Oekonomisch ging es der Eidgenossenschaft gut. Sie hatte kein stehendes Herr, verkaufte aber Söldner beispielsweise an die Frankreich. Das so gemachte Geld investierte man an der Börse in Amsterdam oder in Ländereien in den neuen Kolonien. Historiker nennen das den unternehmerischen Domänenstaat. Sein Vorteil: keine Steuern, nur Abgaben auf Landwirtschaftsprodukten, die man verkauft hatte. Davon lebten die Patrizier. Sein Nachteil: binnenbezogen und selbstgenügsam.

Doch dann brach 1789 in Paris 1789 die Revolution aus. Aus der absolutistischen Monarchie wurde eine konstitutionelle. Aus der ging bald eine Republik hervor und die gleitete in das gefürchtete Regime der Jakobiner. Erst 1795 normalisierte sich die Lage mit einem bürgerlich geprägten Direktorium.
Von dem sollte die alte Eidgenossenschaft lernen. So viel sei jetzt schon gesagt: Institutionell werden die Ansätze für unsere Institutionen gelegt, die heute die Demokratie repräsentieren. Demokratisch war die Franzosenzeit im heutigen Sinne nicht.

Stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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