Wir schreiben das Jahr 1848. Teil 6 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben hat sich in Bern die Tagsatzung aufgelöst. Seit dem späten 14. Jahrhundert war sie, mit einem Unterbruch während der Helvetischen Republik, die einige gemeinsame Institution der Eidgenossenschaft. Nach 50 Jahren mit grossen Wirren findet die Schweiz nun zu einer gültigen und stabilen Staatsform, dem liberalen Bundesstaat gegründet.

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Blick auf die Berner Altstadt, vom Platz aus, wo die letzten Todesurteile im Kanton Bern ausgesprochen wurden.

Der Bundesstaat hat neu fünf Organe: das nationale Volk mit dem Nationalrat als Volksvertretung, der Gesamtheit der gleichberechtigten Kantone mit dem Ständerat als Kantonsvertretung, dem Bundesrat als Regierung, gewählt von beiden Parlamentskammern, und dem Bundesgericht, das ebenfalls vom Parlament gewählt wird. Bis heute ist das die institutionelle Grundstruktur der Schweizer Eidgenossenschaft. Etabliert haben sich so die zentralen Institutionen, welche die Aufklärer gefordert hatten, die während der Helvetischen Republik ein erstes Mal eingeführt wurden, sich aber nicht bewährt hatten-

1848 gab es in Europa zahlreiche liberale und soziale Revolutionen. Ueberall setzten sich früher oder später monarchistischen Kräfte durch, ausser in der Schweizerische Eidgenossenschaft. Hier siegte erneut die Republik. Unser Gemeinsames ist aber nicht die Kultur, die trennt uns, wegen den Sprachen und den Konfessionen. Wir sind, was die Staatsrechtler und Politologe heute nennen, eine Staatsnation, zusammengehalten von einem Verfassungspatriotismus. Doch musste sich der erst noch entwickeln.

Ueber die erste Bundesverfassung wurde in der ganzen Schweiz abgestimmt. Das Stimmrecht hatten die erwachsenen Männer. Eine klare Mehrheit der Stimmenden war dafür, auch eine der Kantone. Man hatte aber darauf verzichtet, dass alle Kantone zustimmen mussten.
Nach der Abstimmung standen die ablehnenden Kantone vor einer schwierigen Frage. Sollten sie die Verfassung anerkennen, wie es die Demokratie verlangte, oder sollten sie sie ablehnen, weil sie souverän nein gesagt hatten?
Diese Frage spaltete die Opposition. Uri, Schwyz und Unterwalden verharrten in ihrer souveränen Ablehnung. Die Mehrheit musste sie zwingen, Teil der heutigen Schweiz zu werden, was einer Revolution gleich kam. Die Genötigten bockten ein halbes Jahrhundert lang; sie bildeten den Kern des katholisch-konservativen Ghettos.

Demokratie bemisst sich aber nicht nur an neuen Institutionen. Sie wird auch von geteilten Werten getragen. Beispielsweise von der Abschaffung der Todesstrafe. Begründet wurde diese Forderung von den Aufklärern, welche die Würde des Menschen erfanden und verlangten, auch der Staat dürfe sie nicht einschränken.
Die erste Bundesverfassung untersagte die Todesstrafe erst für politische Vergehen, die zweite von 1874 verbot sie dann generell. 1879 liess man auf Druck der konservativen Kantone Abweichung im kantonalen Strafrecht nochmals zu. Die meisten ausgesrochenen Todesstrafen wurden aber nicht mehr vollzogen, vielmehr begnadigte man die Verurteilten. Die letzte zivile Hinrichtung fand 1940 ausgerechnet in Sarnen statt, dem Zentrum der konservativen Opposition gegen die liberale Demokratie.

1872 drängte sich eine erste Totalrevision der Verfassung von 1848. Im ersten Anlauf scheiterte sie an der Opposition von Konservativen und den Sprachminderheiten. Im zweiten Anlauf 1874 passierte eine modifizierte Fassung, es verschwand die Opposition der Sprachminderheiten weitgehend.
Die neue Verfassung brachte demokratiepolitisch zwei wichtige Neuerung mit sich. Zuerst wurden die Branchenorganisationen der Wirtschaft als Gesprächspartner der Staates anerkannt. Der erste Schritt zum Korporatismus mit Kooperation der Wirtschaftsvertretungen wurde so gelegt. Dann wurde das Verfassungsreferendum eingeführt, Die Kantone kannte es schon länger, und sie hatten damit gute Erfahrungen gemacht.
1891 kam die Verfassungsinitiative dazu. Damit war das Set an Volksrechten, wie wir sie heute noch haben, komplett. Eine Gesetzesinitiative haben wir auf Bundesebene bis heute nicht.
Den Stimmberechtigten kommt via Volksinitiative sehr wohl eine Initiativfunktion zu. Gegenüber der direkten Volksgesetzgebung haben wir uns nicht geöffnet. Es bleibt, bei der Veto-Funktion des Referendums.

Stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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